Protocol of the Session on March 21, 2002

berücksichtigt werden. Ich meine, wir sind mit anderen gesetzlichen Vorhaben wie dem Gesundheitsdienstgesetz beziehungsweise auch mit der Neupositionierung der Gesundheitsämter unter dieser Problemsicht auf einem guten Wege.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ansprechen möchte ich zum Schluss noch die notwendige Qualifikation der Fachkräfte im Gesundheitswesen. Es gibt zwar zahlreiche Möglichkeiten der Aus- und Fortbildung und des fachlichen Austausches, Aufgabe für die Zukunft muss es aber verstärkt sein, interkulturelle Kompetenz schon während der Ausbildung in allen Berufen des Gesundheitssektors zu erwerben; denn die auftretenden Verständigungsprobleme sind oft nicht nur sprachlicher Art, sondern ergeben sich auch aus unterschiedlichen Wertorientierungen und Verhaltensnormen.

Lassen Sie mich noch hinzufügen, dass die Diskussion zur gesundheitlichen Versorgung der Migrantinnen und Migranten auch im Rahmen der Qualitätssicherung der Pflege weitergeführt werden sollte, um die Versorgung der Migrantinnen und Migranten nicht zu einem Spezialthema für besonders Interessierte werden zu lassen. Dieser Aspekt gehört in allen Bereichen dazu.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wünsche mir, dass wir die Diskussion im zuständigen Fachausschuss und bei weiteren Beratungen fortsetzen können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Garg.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zur Qualität der Großen Anfrage mag sich jeder selbst sein Bild machen. Ich neige eher dazu, dem Kollegen Kalinka zuzustimmen. Wenn man sich die Antworten anguckt, stellt man fest, dass sie mehr als enttäuschend sind. Liebe Kollegin Fröhlich, eigentlich müssten Sie sich ziemlich ärgern, dass sie in Schleswig-Holstein so enttäuschend sind. Es gibt nämlich Bundesländer, die wesentlich weiter sind, zum Beispiel das Bundesland Berlin.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich möchte mich aber mit der Qualität der Antworten nicht lange aufhalten, weil mir das Thema zu wichtig ist. Es gibt symptomatische Beispiele, von denen ich Ihnen eines berichten möchte. Wenn Sie Ärzte fragen, werden Sie immer wieder zu hören bekommen, ein türkischer Patient wolle Tabletten, keine Psychotherapie. Dieses Beispiel ist deswegen symptomatisch, weil es den Unmut auf beiden Seiten und die Defizite in der gesundheitlichen Versorgung zeigt, und das besonders häufig in sozialpsychiatrischen Hilfesystemen.

In der islamischen Tradition und Kultur werden psychische Probleme als Krankheitsform weitgehend tabuisiert. Deutsche Psychiater und Psychotherapeuten können oft nur schwer mit dem Patienten kooperieren und ihm die psychotherapeutische Störung als Erkrankung begreifbar machen. Um die Therapiekonzepte zu erläutern, sind beispielsweise Vermittler notwendig, die die jeweilige Sprache sprechen, sich mit der deutschen Gesetzgebung auskennen und auch über kulturelle Kompetenzen verfügen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Die Verständigung - auch das ist schon gesagt worden - scheitert oft bereits an der Sprache. Nach Beschluss der 72. Gesundheitsministerkonferenz von 1999 muss die ärztliche Aufklärung und Beratung auch für Patienten, die die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrschen, mit der bei deutschsprachigen Personen üblichen Sorgfalt erfolgen und sichergestellt werden. Das heißt, die Ärzte sind verpflichtet, sich davon zu überzeugen, dass der Patient die Information verstanden hat. Dazu, liebe Frau Kollegin Fröhlich, brauchen wir kein Zuwanderungsgesetz. Es ist bereits 1999 Pflicht geworden, dass ausländische Patienten gleich behandelt werden.

Eine zwischen 1996 und 1999 durchgeführte Untersuchung an der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Charité ergab beispielsweise, dass die Hälfte der Migrantinnen während ihres Klinikaufenthalts einen Dolmetscher brauchte. Meist übersetzten Ehemänner oder andere Familienangehörige oder das Klinikpersonal. Ein professioneller Dolmetscher kam nur in zwei Prozent der Fälle überhaupt zum Einsatz. Durch diese Art der Vermittlung leidet aber das Verständnis der medizinischen Aufklärung ganz erheblich, und zwar nicht zuletzt zulasten der Patientinnen. Mehr professionelle Dolmetscher mit entsprechenden psychologischen, medizinischen und sozialen Kompetenzen, mehrsprachige Informationsmaterialien sowie mehr Personal mit entsprechenden Sprachkompetenzen lauten deshalb auch hier die zentralen Forderungen, um eine Gleichbehandlung mit den deutschen Patientinnen sicherzustellen.

(Dr. Heiner Garg)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, hier zeigt sich, wie komplex das mit der Großen Anfrage angerissene Problem tatsächlich ist. Die Antwort der Landesregierung macht deutlich, wie sehr wir am Anfang stehen. Das, finde ich, ist ganz höflich ausgedrückt, zumindest wenn es um die Verfügbarkeit aussagefähiger Daten geht. Trotz dieses von der Landesregierung ja selbst eingeräumten Problems lassen sich vier Problemfelder skizzieren.

Erstens - das hatten Sie gesagt, Frau Fröhlich -: Es gibt keine einheitliche Definition des Begriffes der Migrantin oder des Migranten und deshalb auch kein einheitliches Datenmaterial zum Thema Migration und Gesundheit. Besonders problematisch dürfte hier die Situation folgender Gruppen sein: bei Migranten, deren soziokultureller und sprachlicher Hintergrund sich sehr deutlich von der deutschen Kultur unterscheiden, bei Migranten mit einem fehlenden, einem ungeregelten oder einem eingeschränkten Aufenthaltsstatus einschließlich minderjähriger Migranten, die sich allein in Deutschland aufhalten, und nicht zuletzt bei Migranten, die wegen ihrer dunkler Hautfarbe oder ihres soziokulturellen Hintergrunds von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ganz besonders betroffen sind.

Zweitens. Über bestimmte Lebenshintergründe, insbesondere die soziokulturellen, die religiösen, wird zu leicht hinweggesehen oder sie werden einfach ignoriert.

Drittens. Die bestehenden Angebote für Migrantinnen und Migranten werden oftmals gar nicht genutzt.

Viertens. Die Fachkräfte im Gesundheitswesen können ihr Wissen in Bezug auf die Besonderheiten nicht immer optimal einsetzen und in der Praxis umsetzen.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, in der Großen Anfrage werden viele Detailfragen gestellt, die diese vier genannten Problemfelder anreißen, aber leider werden die beiden folgenden Punkte, die ich auch für sehr wichtig erachtet hätte, gar nicht thematisiert. Das wäre eine Möglichkeit, in diesem Punkt weiterzuarbeiten. Frau Tenor-Alschausky, Sie haben das eine schon angesprochen.

Erstens. Die Situation älterer Migranten wird überhaupt nicht thematisiert. Auf Bundesebene ist das aber mittlerweile ein Riesenthema für die Zukunft: Wie gehen wir mit älter werdenden Migranten um, auch in den Pflegeheimen und bei der ambulanten und stationären Versorgung?

Zweitens. Das ist offensichtlich auch ein ganz besonders schwerwiegendes Thema. Wenn Sie sich Dokumentationen aus Berlin, Hessen oder BadenWürttemberg angucken, stellen Sie fest, dass eine

besondere Problematik die Abhängigkeit und die Sucht bei Migranten ist. Das ist auch ein Thema, dem wir uns noch einmal speziell im Ausschuss annehmen sollten.

Liebe Frau Präsidentin, gestatten Sie mir noch einen letzten Satz. Ich glaube, dass es mit der Ausschussüberweisung, wie wir sie normalerweise beschließen, was wir natürlich auch diesmal machen werden, wenn man es ernst meint, hier nicht getan ist. Wenn wir wirklich die Situation der gesundheitlichen Versorgung der Migrantinnen und Migranten verbessern wollen, sollten wir uns zunächst am Vorbild anderer Bundesländer orientieren und uns entsprechenden externen Sachverstand anhören.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich empfehle dazu als allererstes einen Artikel im „Deutschen Ärzteblatt“, der mir sehr gut gefallen hat.

Herr Abgeordneter, bitte Ihren letzten Satz!

„Türken haben Kultur, Deutsche eine Psyche.“

(Beifall bei FDP, CDU sowie vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Hinrichsen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Menschen, die ihr bisheriges Leben aufgegeben haben, die auf der Flucht sind oder woanders ihr Glück suchen, sind besonders belastet. Menschen sind verletzlich, wenn sie in einem Land leben, dessen Sprache sie nicht so gut sprechen wie die eigene, deren Kultur und kulturelle Grenzen sie nicht ausreichend kennen und deren Bürger sie wie Fremde behandeln. Es kann also eigentlich niemanden wirklich verwundern, dass Migrantinnen und Migranten einerseits in besonderem Maße gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt sind.

Andererseits gibt es aber wohl wenige Bereiche, in denen die Sprache und die kulturelle Verständigung ähnlich wichtig sind wie im Gesundheitsbereich. Es geht um die Intimsphäre des Körpers und der Seele. Wer von uns hat nicht schon einmal überlegt, wie man dem Arzt oder der Ärztin sein Problem treffend beschreiben kann, und dies, obwohl wir der deutschen Sprache ungleich besser mächtig sind. Wer schon

(Silke Hinrichsen)

einmal den Versuch unternehmen musste, seine Gefühle treffend in einer Fremdsprache auszudrücken, weiß, was so ein Behandlungsgespräch auf Deutsch für die Betroffenen bedeuten kann.

Es ist deshalb von vornherein nachvollziehbar, dass die Migrantinnen und Migranten besondere Berührungsängste im Verhältnis zum Gesundheitswesen haben können. Was aber wirklich überrascht, ist, dass dies anscheinend erst in jüngster Zeit thematisiert wird.

Die vorliegende Antwort auf die Große Anfrage macht deutlich, dass die Politik sehr spät aufgewacht ist. Offensichtlich ist nur dort auf das Problem reagiert worden, wo es wirklich brannte. Nur dort, wo die direkte Kommunikation erforderlich ist oder wo bestimmte Infektionsrisiken ein Handeln erforderlich machten, hat man sich auf die kulturellen Besonderheiten und sprachlichen Probleme der Migrantinnen und Migranten eingestellt. Die vermehrte Verordnung von Medikamenten deutet aber auch darauf hin, dass man sich nicht immer diese Mühe machen konnte oder wollte.

In diesem Sinne begrüßen wir natürlich, dass dieses Problemfeld jetzt im Rahmen dieser Debatte und vor allem in Verbindung mit dem Integrationskonzept der Landesregierung mehr Aufmerksamkeit erfährt; denn natürlich ist dieses ein wichtiger Bestandteil der Integrationspolitik. Wenn Ungleichheiten in Bezug auf die Gesundheit abgebaut werden sollen, dann muss darauf geachtet werden, dass den Migrantinnen und Migranten ein niedrigschwelliger Zugang ermöglicht wird. Dies ist besonders wichtig, damit primäre Präventionsmaßnahmen auch für sie zugänglich werden und damit sie Sekundärpräventivhilfen in Anspruch nehmen können, bevor es akut wird. Gleichzeitig ist aber auch dafür Sorge zu tragen, dass es keine ZweiKlassen-Medizin innerhalb der Gruppe gibt.

Wir geben der Landesregierung Recht darin, dass der Aufbau von Extraangeboten dauerhaft keine Alternative ist. Die allgemeinen Integrationsbemühungen müssen so verstärkt werden, dass die Schwelle zum bestehenden Gesundheitswesen durch die sprachliche, kulturelle und soziale Integration möglichst niedrig wird. Neben der beiderseitigen Sprachenförderung bei den Einwanderern und im Gesundheitswesen wird man - zusätzlich zu dem Einsatz von Dolmetschern und Sprachmittlern - näher prüfen müssen, ob nicht auch eine verstärkte gesonderte Ansprache erforderlich ist, damit die Inanspruchnahme der Leistungen und die Erreichbarkeit der Information und Prävention verbessert wird.

(Beifall bei SSW und SPD)

Auch angesichts leerer Kassen darf die Einrichtung von Extraangeboten kein Tabu sein. Das gilt insbesondere für die Pflegebereich; denn vor allem demente Menschen mit einer nicht deutschen Muttersprache sind im Alter häufig nur über die erste Sprache erreichbar. Wir müssen aber erst einmal wissen, welche Barrieren es überhaupt zu überwinden gilt. Gerade weil die Problemstellung von Migration und Gesundheit noch zu wenig untersucht ist, gibt es noch viel Unwissenheit auf allen Seiten. Eine Gesundheitspolitik zum Abbau dieser Ungleichheiten muss in vielerlei Hinsicht auf einer solideren Grundlage beruhen, als es bei dem vorliegenden Bericht der Fall ist. Deshalb ist es zu begrüßen, dass die Landesregierung eine entsprechende Datenerhebung bereits in die Wege geleitet hat. Wir warten gespannt darauf, welche Ergebnisse dabei herauskommen und vor allem, welche Maßnahmen daraus abgeleitet werden können. Ich freue mich auf die Ausschussberatungen.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, die Antwort der Landesregierung an den Sozialausschuss zu überweisen. Ich schlage vor: zur abschließenden Beratung. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Dies ist einstimmig angenommen.

Ich möchte jetzt in der Loge unseren früheren Landtagskollegen und jetzigen Landrat von Ostholstein, Reinhard Sager, begrüßen.

(Beifall)

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 8 auf:

Ziele und Instrumente des Naturschutzes in Schleswig-Holstein

Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 15/1189

Antwort der Landesregierung