Protocol of the Session on March 21, 2002

Antwort der Landesregierung

Drucksache 15/1574

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Dann gebe ich zur Beantwortung der Großen Anfrage dem Minister für Umwelt, Natur und Forsten, Herrn Müller, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Als ich als schleswig-holsteinischer Umweltminister angetreten bin, ist es eines meiner Ziele gewesen, für einen „parteiischen“ Naturschutz zu streiten. Nach wie vor ist es in dieser Gesellschaft notwendig, Partei zu ergreifen für den Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen, für die Rechte zukünftiger Generationen, auch der, die nicht - wie wir - auf zwei Beinen laufen können. Bei diesem „parteiischen“ Naturschutz wäre es allerdings falsch und auch dumm, soziale und ökonomische Gesichtspunkte außer Acht zu lassen. Ansonsten könnte sich im Ränkespiel sich widerstreitender Politikbereiche die Durchsetzbarkeit der Naturschutzpolitik reduzieren. Naturschutzpolitik und Umweltpolitik brauchen also Verbündete, um eine möglichst große gesellschaftliche Allianz für den Naturschutz zu erreichen. Dieses Anliegen voranzubringen ist mein Ziel und meine Aufgabe.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Dabei darf die Naturschutzpolitik allerdings nicht beliebig werden. Der Wunsch nach Akzeptanz ist kein Selbstzweck und darf natürlich auch nicht über der Umsetzung eigentlicher Naturschutzziele stehen.

Die Naturschutzpolitik war einerseits schon häufiger Gegenstand heftiger Diskussionen auch hier im Landtag. Andererseits gibt es wohl kaum einen Bereich, der einen so großen, über alle Politikbereiche oder Parteigrenzen hinweg bestehenden Grundkonsens aufweist. Der Schutz unserer natürlichen Lebensgrundlagen für uns alle ein wichtiges und existenzielles Anliegen. Trotz dieses Grundkonsenses streiten wir uns seit Jahren über den richtigen Weg. Wir streiten uns gewiss auch über allgemeine Naturschutzzielsetzungen. Aber seien wir ehrlich: Das Ziel, bis 2004 10 % der Landesfläche in Schleswig-Holstein als Vorrangfläche für den Naturschutz zu sichern, ist ehrgeizig, jedoch nicht wirklich umstritten. Der Streit geht um den richtigen Weg dorthin, um den Einsatz von Instrumenten im Naturschutz. Die Naturschutzpolitik muss selbstkritisch reflektieren, ob wir in den vergangenen Jahren alles getan haben, um die Menschen von der Notwendigkeit des Naturschutzes zu überzeugen, ihnen die notwendigen Schritte zu erklären und sie dafür zu gewinnen. Haben wir ihnen erklärt, warum zum Beispiel individuelle Rechte, wie Betretungsoder Bewirtschaftungsrechte, eingeschränkt werden müssen, um zum Beispiel einen Seeadlerhorst zu schützen, oder haben wir ihnen einfach per Verfügung mitgeteilt, dass so zu verfahren ist? Mit ordnungsrechtlichen Instrumenten allein wird

unser Naturschutzanliegen nicht vorangebracht werden. Was nützen uns die fortschrittlichsten und besten Gesetze, wie zum Beispiel das schleswig-holsteinische Naturschutzgesetz oder das Nationalparkgesetz, wenn wir es in der Fläche nicht durchsetzen können?

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Die Umsetzung wird deshalb von einem Bündel von Maßnahmen flankiert, die auf eine Akzeptanzerreichung ausgerichtet sind. Die dabei eingesetzten Naturschutzinstrumente sind nicht neu. Aber die Naturschutzpolitik ist neu, indem sie die verschiedenen Instrumente miteinander vernetzt und diese mit bisher eher zurückhaltend genutzten Instrumenten, wie zum Beispiel der Umweltbildung, ergänzt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Ziel meines Hauses und dieser Landesregierung ist es deshalb, zukünftig verstärkt die Örtlichkeit in die konkrete Naturschutzarbeit einzubeziehen nach dem Motto: mit ihnen entscheiden, statt über sie zu bestimmen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD - Zuruf von der CDU: Hört, hört!)

Hierfür organisieren wir die zentralen Projektträgerschaften und unterstützen diese, wie beispielsweise das Naturschutzprojekt an der oberen Treene. Der Ausbau der integrierten Naturschutzstationen wird die örtliche Anbindung insbesondere von Großschutzgebieten ermöglichen. Das bedeutet auch, dass wir die Naturschutzstationen mit Entscheidungsbefugnissen ausstatten, um die Menschen unmittelbarer an den Naturschutz heranführen zu können. Dieses werden wir mit den Aktivitäten der Stiftung „Naturschutz“ bündeln.

(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Wir werden dort, wo es möglich ist, verstärkt freiwillige Vereinbarungen abschließen, um unseren EUrechtlichen Naturschutzverpflichtungen nachkommen zu können.

Wir werden die naturschutz- und flächenbezogene Gewässerpolitik inhaltlich und programmatisch stärker vernetzen, um personelle und finanzielle Synergien zu nutzen.

Wir werden eine konzertierte Aktion Naturschutzbildung organisieren, in deren Rahmen die bestehenden Aktivitäten gebündelt und ausgebaut werden sollen.

Wir wollen auf diese Weise die lokalen Aktivitäten unterstützen, aber auch ein Netz großer Naturschutzbildungseinrichtungen schaffen und fördern,

(Minister Klaus Müller)

wie zum Beispiel den Ausbau des MultimarWattforums, den Ausbau des Wasservogelreservoirs Wallnau des Naturschutzbundes oder den Bau eines Fledermauszentrums am Segeberger Kalkberg durch die Stadt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Wir werden dort, wo es naturzschutzfachlich möglich und geboten ist, unsere Schutzgebiete für die Besucherinnen und Besucher erlebbar machen, indem wir das Besucherinformationssystem im Nationalpark ausbauen und auf die großen Schutzgebiete im Land erweitern. Das ist auch ein Beitrag für das Tourismusland Schleswig-Holstein.

Wir haben die Nationalparkservice GmbH mit ihren Zentren und die Multimar als ein zentrales Nationalparkhaus vor Ort dauerhaft gefestigt und ausgebaut.

Diese Aktivitäten werden durch die klassischen Naturschutzinstrumente flankiert. Die Schutzgebietsausweisung wird im Rahmen der bestehenden Naturschutzprogrammatik, die wir im Landschaftsprogramm oder in den Landschaftsrahmenplänen vorgegeben haben, konsequent fortgesetzt.

Der Flächenankauf ist ein sinnvoller und wichtiger Kernbereich unserer Aufgabe, Vorrangflächen und Biotopverbundsysteme zu schaffen. Der Vertragsnaturschutz als ein wichtiges Instrument der Naturschutz- und Landwirtschaftspolitik soll vernetzt und ausgebaut werden. Die Beschlüsse zur Modulation sind hierbei ein hilfreicher Schritt.

Ich möchte kurz auf einen scheinbaren Widerspruch hinweisen. Die Tatsache, dass trotz vielfältiger Bemühungen sowohl die Zahl der Vertragsabschlüsse als auch die Hektarflächen und die hierfür gewährten Ausgleichszahlungen des Vertagsnaturschutzes seit Anfang der 90er-Jahre rückläufig sind, hat verschiedene Ursachen. Ich möchte hier nur sagen, dass es offensichtlich eine beachtliche Diskrepanz zwischen den Wünschen und Forderungen der berufsständischen Verbände nach mehr Naturschutz und der Annahme dieser Programme durch einzelne Landwirte gibt.

(Konrad Nabel [SPD]: So ist es!)

Wohl aus diesem Grunde können oder wollen moderne Milchviehbestände oftmals kein Stück Land extensiv bewirtschaften. Hinzu kommt, dass die Anforderungen des Naturschutzes an eine natur- und umweltverträgliche Landwirtschaft gewachsen und gestiegen sind. Dies hat natürlich auch seinen Niederschlag in unseren Vertragswerken gefunden. Mitnahmeeffekte, wie es sie zu Beginn des Vertragsnaturschutzes gegeben hat, sind

damit nicht mehr möglich. Auch dies ist ein richtiges naturschutzfachliches Ziel.

(Beifall bei der SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, ein wichtiger Schritt, um die Akzeptanz in der Landwirtschaft für den Vertragsnaturschutz wieder zu erhöhen, ist daher die ab 2003 geplante weitere finanzielle Anhebung der bisherigen Ausgleichszahlungen. Ab 2004 ist auch die beabsichtigte Einführung eines neuen Vertragsmusters im Grünlandbereich sowie ein neues Vertragsmuster für Randstreifen auf Acker- und Grünlandflächen geplant. Die Modulation habe ich eben schon erwähnt.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich glaube, die in unserer Großen Anfrage dargelegte Naturschutzprogrammatik belegt, dass „parteiischer“ Naturschutz kein rigides ordnungsrechtliches Vorgehen ist. Der neue Naturschutzweg wirkt sich aus meiner Sicht bereits jetzt positiv auf die Natur, aber auch auf das gesellschaftliche Klima für den Naturschutz aus. Ich glaube, wir sind sowohl in der Zielsetzung als auch in der Wahl unserer Mittel auf dem richtigen Weg.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ich eröffne die Aussprache. Die Fraktionen haben sich darauf geeinigt, dass zunächst die Antragstellerin und dann die Fraktionen in der Reihenfolge ihrer Größe das Wort ergreifen. - Frau Abgeordnete Fröhlich, Sie haben das Wort.

(Jürgen Weber [SPD]: Zur Größe müssen Sie noch die Bedeutung hinzufügen!)

Das korrespondiert nicht immer mit Größe, mein lieber Kollege.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt machen wir das also richtig. Ich freue mich, dass ich hier stehen und Ihnen die Große Anfrage und auch meine Reaktion auf das, was der Umweltminister eben dargestellt hat, vorstellen darf.

Die Natur und die Landschaft Schleswig-Holsteins werden, wie überall in Deutschland, fast flächendeckend intensivst genutzt. Die natürlichen Grundlagen des Lebens werden dadurch stark beeinträchtigt.

Ziel grüner Politik ist es, die Landschaft in ihrer Gesamtheit, in ihrer Entwicklung, Vielfalt, Eigenart und Schönheit und in ihrer Funktion als Lebensraum für möglichst viele wild lebende Tier- und Pflanzenarten zu bewahren oder wieder herzustellen. Der Mensch ist

(Irene Fröhlich)

in diese Zielsetzung allerdings ausdrücklich eingebunden mit dem Anspruch, die Landschaft als Wirtschaftsund Erholungsraum nutzen zu können. Dazu muss er aber genau das, was er nutzen möchte, auch schützen.

Es ist also notwendig, Wege zu finden, wie und wo die verschiedenen Ansprüche an Natur und Umwelt in umwelt- und naturverträglicher Weise umgesetzt werden können. Landschaftsverbrauch und Landschaftsnutzung sollen sich dabei am Maßstab einer nachhaltigen Entwicklung ausrichten und auf das notwendige und vertretbare Maß begrenzt werden.

Die rot-grüne Landesregierung hat bei ihren Bemühungen um die Verbesserung schon viel erreicht. 1995 standen 3,2 % der Fläche des Landes und 22,8 % der Wasserfläche bis zur 12-Seemeilen-Zone unter Schutz. Heute haben sich beide Schutzflächen mehr als verdoppelt. An Land sind es 6,6 %, zu Wasser 57,4 %. Das ist ein stolzes Ergebnis.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] sowie der SPD)

Außerordentlich Positives und Erfreuliches ist auch aus dem Nationalpark zu vermelden. Seit acht Jahren werden die Umweltbeobachtungen im schleswigholsteinischen Wattenmeer-Nationalpark als Teil eines Dauerprogramms mit Dänemark, den Niederlanden und den anderen deutschen WattenmeerNationalparken durchgeführt. Dabei werden mehr als 30 Parameter untersucht. Die ökologische Situation im schleswig-holsteinischen Wattenmeer ist insgesamt gut. Zu diesem Ergebnis kommt der Bericht „Wattenmeer-Monitoring 2000“. Diese Gesamtbewertung darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine differenzierte Betrachtung Licht- und Schattenseiten hat. Ich komme gleich darauf. Die Auswertung des Monitoring zeigt: Die Gesamtfläche der Salzwiesen nimmt deutlich zu. Das ist ein großer Erfolg für uns. Ich bin sehr glücklich darüber.

(Beifall des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

Über einen Zeitraum von acht Jahren betrug der Zuwachs rund 10 %. In diesem Jahr erblühten auf 42 % der Vorländer an der Westküste wieder die Salzwiesenpflanzen. Ich erinnere mich noch gut an die Debatten im Kreistag von Nordfriesland, die wir fast in jeder Sitzung über die Frage, ob Schafbeweidung, ja oder nein, geführt haben, und ich finde, es hat sich gelohnt. 1989 lag der Anteil nämlich nur bei 1 %. Dass das so schnell wachsen würde, hätte ich mir nicht träumen lassen.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Vegetationskartierungen zeigen darüber hinaus eine zunehmende Artenvielfalt, von der auch die seltene Tierwelt der Salzwiesen profitiert. Das Vorland-Managementkonzept unterstreicht deutlich, dass Küsten- und Naturschutz kein Widerspruch sind.