Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesanstalt für Arbeit ist eine der wichtigsten und ältesten Säulen des deutschen Wohlfahrtsstaates. Schon 1927 wurde der Vorläufer dieser Anstalt, die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, gegründet. Es gibt Leute, die meinen, dass die Institution der deutschen Arbeitsämter mit ihrem Modell der Beteiligung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern an der Selbstverwaltung sogar auf die Tradition Bismarcks zurückzuführen sei.
Auf jeden Fall handelt es sich bei der BfA um eine gewaltige Behörde, die mit zehn Landesarbeitsämtern, 181 regionalen Arbeitsämtern, 660 lokalen Geschäftsstellen und knapp 90.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einem Milliardenhaushalt ausgestattet ist.
Sicherlich sind die Aufgaben der Bundesanstalt vielfältig. Denn sie gehen von der Kontrolle und Vermittlung der Arbeitslosen bis hin zur Berechnung des Arbeitslosengeldes und der Auszahlung von Kindergeld. Dennoch ist es klar, dass bei einer Arbeitslosigkeit von 4,3 Millionen Arbeitslosen die Vermittlung von Arbeitslosen erste Priorität einer solchen Anstalt haben
müsste. Es kann daher eigentlich keinen überraschen, dass die Öffentlichkeit mit Empörung reagierte, dass von den angeblich 3,8 Millionen Vermittlungen der Arbeitsämter im letzten Jahr bis zu 70 % nicht wirklich getätigt wurden. Der Präsident der Bundesanstalt, Herr Jagoda, hat diese Zahlen jetzt ja auch zum Teil bestätigt.
Bei zirka 33 % der Vermittlungen kann man streiten, ob es wirklich welche sind oder nicht, bei zirka 37 % hat faktisch keine Vermittlung stattgefunden. Man kann den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Arbeitsämter keine Fälschung vorwerfen, denn die geschönten Statistiken waren sozusagen systembedingt. Rechnet man also mit 3,8 Millionen nicht vorgenommenen Vermittlungen, bleiben nur noch zirka 1,1 Millionen echte Vermittlungen übrig. Von diesen sind aber 43 % auf Vermittlungen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und zirka 15 % auf Vermittlungen im Internet zurückzuführen - und dies wiederum ohne Auswahl und Vorschlag eines Vermittlers.
Zieht man dann noch von den übrig gebliebenen zirka 460.000 Vermittlungen 250.000 Saisonarbeiter ab, bleiben eigentlich nur noch 210.000 klassische Vermittlungen durch die Arbeitsämter - und das alles vor dem Hintergrund, dass sich im Jahresdurchschnitt über 7 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet haben.
Angesichts dieses weiteren Desasters der deutschen Arbeitsmarktpolitik haben wir für den radikalen Vorschlag der FDP-Landtagsfraktion für eine weit reichende Reform der Arbeitsverwaltung schon ein gewisses Verständnis. Denn es ist auf keinen Fall genug, die Verantwortung nur auf den Kopf der Bundesanstalt, Herrn Jagoda, zu schieben und zu glauben, mit seinem Rücktritt und einigen kleineren Reformschritten sei es getan. Allein die Tatsache, dass nur knapp über 10.000 der knapp 90.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Arbeitsämter sich wirklich mit der Vermittlung beschäftigen und dass wir bei 4,3 Millionen Arbeitslosen knapp 1,5 Millionen freie Stellen haben, zeigt, dass wir die Arbeitslosenverwaltung von grundauf reformieren müssen. Zum Vergleich: Es sind - das hat Kollege Geerdts schon genannt - in den dänischen Arbeitsämtern zirka 60 % der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirklich mit der Vermittlung beschäftigt.
Allerdings ist uns der FDP-Antrag viel zu sehr auf dem liberalistischen Reißbrett entworfen worden, in der irrigen Annahme, eine völlige Privatisierung der Arbeitsvermittlung würde alle Probleme lösen.
Dabei fragen wir uns schon, warum die FDP in 32 Regierungsjahren im Bund ihren Einfluss nicht auch einmal dazu genutzt hat, in dieser Frage weit reichende Reformen durchzusetzen.
(Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW] und Karl-Martin Hentschel [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])
Der SSW bleibt dabei, dass die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und damit auch die Vermittlung und Verwaltung der Arbeitslosigkeit eine gesellschaftliche Aufgabe bleiben muss. Sie darf nicht einfach so privatisiert werden.
Dennoch können wir einige Ansätze des FDPAntrages mit unterstützen. So ist es zum Beispiel nicht einzusehen, dass das Kindergeld unbedingt vom Arbeitsamt ausgezahlt werden soll. Das könnte tatsächlich von einer anderen Behörde übernommen werden. Das gilt sicherlich auch für andere Verwaltungsaufgaben. Auch die Zielsetzung einer stärkeren Dezentralisierung der Arbeitsmarktpolitik einschließlich Vermittlung, Beratung und Weiterbildung der Arbeitslosen in den Regionen können wir nur unterstützen.
Ich sage hier aber ganz bewusst: Wir brauchen viel weniger Kontrolle und viel mehr Vermittlung durch die Arbeitsämter.
Vorschläge zur monatlichen Meldung der Arbeitslosen beim Arbeitsamt, wie sie noch vom Bundesarbeitsminister Blüm von der CDU im Frühjahr 1998 angeführt wurden, sind nach unserer Ansicht auf jeden Fall der falsche Weg, die Bundesanstalt für Arbeit zu beschäftigen.
Wir stellen uns vor, dass regional ausgerichtete Arbeitsämter in Zukunft enger personell und aufgabenmäßig mit den Kommunen - auch mit den Sozialämtern - verzahnt werden müssen. Dies ist gerade vor dem Hintergrund einer möglichen Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ein guter Gedankengang. Bereits heute kooperieren die Sozialämter und Arbeitsämter oft bei der Vermittlung von arbeitslosen Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern. Anstatt in diesem Bereich weitere Beiräte einzurichten, wäre hier vielleicht eine organisatorische Verzahnung sinnvoller.
Auch gegen private Vermittlungsagenturen als sinnvolle Ergänzung zum öffentlichen System, in größerem Umfang als heute, ist nichts einzuwenden. Konkurrenz belebt das Geschäft.
Wir können uns aber nicht vorstellen, dass private Vermittlerinnen und Vermittler beispielsweise ein Interesse daran haben, in größerem Umfang an der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen teilzunehmen. Diese Vorstellungen des SSW sind aber leider nur Zukunftsmusik. Und das werden die Vorstellungen der FDP zunächst einmal auch sein. Denn realistischerweise muss man sich auch darauf einstellen, dass alle nicht zuletzt der Beamtenbund - sich nur auf begrenztere Reformen innerhalb der jetzigen Strukturen einlassen werden. Für mich ist es zum Beispiel nicht ersichtlich, warum es unbedingt ein Beamter sein muss, der in einer Versicherung einen Bescheid erstellt.
Das Mindeste, was so schnell wie möglich in Angriff genommen werden muss, ist die Umsetzung des JobAqtiv-Gesetzes. Dieses Gesetz ist von seiner Idee her gut konzipiert. Es geht darum, durch die Erstellung von Handlungsplänen für Weiterbildung und Qualifizierung den Arbeitslosen eine realistische Zielsetzung auf die Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt zu geben. Für eine wirkungsvolle Umsetzung dieses Gesetzes muss man endlich Personal für die Beratung und die Vermittlung in den Arbeitsämtern durch die Ämter selbst zur Verfügung stellen - und das möglichst schnell.
Zum Änderungsantrag der CDU. Der Antrag ist allgemein ganz gut. Aber im Kleingedruckten verbirgt sich leider wieder etwas, was ich schon zu Anfang meiner Rede genannt habe. Unter Punkt 1 ist aufgeführt, was Ziel ist, nämlich dass die Vermittlung selbst Vorrang hat und eine Konzentration auf die Kernaufgaben erfolgen soll. In den Ausführungen steht, dass von den 90.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich zirka 70.000 nicht um die direkte Vermittlung bemühen sollen, beziehungsweise dass in diesem Bereich ein Abbau der Mitarbeiter stattfinden soll. Aber gleichzeitig taucht es wieder auf: Zugleich will man wirksamere Sanktionsinstrumente flächendeckend einführen. Ich muss sagen, das ist vor diesem Hintergrund falsch. Es wäre wirklich sinnvoller, den Arbeitssuchenden Arbeit zu geben als sie zu kontrollieren und ständig zu überwachen.
Ich hoffe aber, wir können im Ausschuss zu einer konstruktiven Diskussion über die Hilfe für Arbeitssuchende kommen.
Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Garg das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Kollegin Aschmoneit-Lücke und ich haben uns gerade gegenseitig versichert, dass bei manchen Beiträgen eine solche Debatte beinahe sinnlos erscheint. Ich möchte deshalb ganz deutlich sagen: Wäre der Beitrag der Kollegin Heinold nicht gewesen, wäre ich auch nicht noch einmal nach vorn gegangen. Für den möchte ich mich nämlich nicht nur ausdrücklich bedanken, sondern ihn auch nutzen, um auf zwei Beiträge, die hier vorn abgegeben worden sind, einzugehen und zu versuchen, noch einmal klar zu machen, warum wir diesen Antrag gestellt haben.
Erstens, Frau Kollegin Hinrichsen, möchte ich einmal den letzten Satz der Ziffer 1 unseres Antrages vorlesen, der vom „neoliberalen Reißbrett“ stammt:
„Die Dienstleistungsagenturen können sowohl in privater, gemeinnütziger oder öffentlich-rechtlicher Trägerschaft stehen.“
(Konrad Nabel [SPD]: Ein Giftzwerg sind Sie! - Weitere Zurufe von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)
Ich bin es langsam wirklich leid. Ich bin es langsam wirklich leid, dass man hier mit Vorurteilen konfrontiert wird und wenn man darauf reagiert, wird einfach gesagt: Das habe ich nicht gesagt.
(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Frauke Tengler [CDU])
Frau Kollegin Hinrichsen, tun Sie mir den Gefallen, und lesen Sie im Protokoll noch einmal nach, ob Sie „neoliberales Reißbrett“ gesagt haben oder nicht.
Punkt 2. Lieber Kollege Geerdts, Sie haben gesagt, wir brauchen die Reorganisation der Bundesanstalt für Arbeit. Ich möchte, dass zumindest eine Debatte darüber möglich ist, ob wir die Bundesanstalt für Arbeit überhaupt noch brauchen.