Protocol of the Session on February 20, 2002

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Klaus-Peter Puls [SPD])

Ich erteile Frau Abgeordneter Hinrichsen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe dies in der Debatte nicht genau verstanden. Wenn ich mich recht entsinne, ist es so: Ich kann jederzeit aufgefordert werden, mich auszuweisen. Wenn ich das nicht will, kann ich auch mitgenommen werden, damit meine Identität festgestellt werden kann. Fingerabdrücke dürfen mir aber nicht abgenommen werden. Das möchte ich klarstellen.

Zu dem Gesetzentwurf, der uns heute vorliegt: Es ist richtig, dass in den letzten Jahren Nachrichten über Fluchten in den Schlagzeilen waren. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mir auch nicht vorstellen können, dass in unserem Maßregelvollzug von Tätern möglicherweise nicht einmal ein aktuelles Lichtbild vorhanden ist. Dies ist sicherlich nicht richtig. Es ist deshalb begrüßenswert, dass hier eine grundsätzliche Initiative ergriffen wurde, um eine Verbesserung herbeizuführen. Eigentlich wird eine Gleichstellung der im Maßregelvollzug untergebrachten Personen mit den Gefangenen im Regelvollzug angestrebt. Im Strafvollzugsgesetz gibt es eine ähnliche Regelung. Erkennungsdienstliche Maßnahmen - wie das Fotografieren oder das Abnehmen von Fingerabdrücken - sind möglich.

Im Strafvollzugsgesetz wird aber ausdrücklich angeordnet, zu welchen Akten diese Kenntnisse genommen werden können. Noch viel wichtiger ist, dass dort auch klargestellt wird, zu welchen Zwecken diese Daten erhoben, verarbeitet und genutzt werden können. Das fehlt in diesem Gesetzvorschlag eindeutig.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Im Strafvollzugsgesetz besteht eine Regelung der Speicherdauer. Lichtbilder und die Beschreibung von körperlichen Merkmalen werden nicht vernichtet, auch nicht auf Verlangen. Das ist ein großer Unterschied zu diesem Gesetzvorschlag. Wie im Strafvollzugsgesetz wird hier darauf hingewiesen, dass die erkennungsdienstlichen Maßnahmen zur Sicherung des Vollzugs durchgeführt werden können. Ich habe Ihre Aufzählungen als Beispiele verstanden. Ansonsten entspräche dies fast der Formulierung des Strafvollzugsgesetzes. Neben dem direkten Ausbruch besteht auch in Verbindung mit eventuellen Vollzugslockerungen eine Fluchtgefahr. Diese Möglichkeiten, zum Beispiel Ausgang, sind nach unserer Ansicht weiterhin unerlässlich. Sie sind zentraler Bestandteil eines humanen Strafvollzugs und ein Instrument im Maßregelvollzug.

Der CDU-Vorschlag sieht vor, dieselben erkennungsdienstlich relevanten Merkmale wie im Strafvollzug zu erheben und diese bei den Personalakten aufzubewahren. Im Gegensatz zum Strafvollzugsgesetz muss unserer Ansicht nach aber im Gesetzentwurf der CDU klargestellt werden, zu welchen Zwecken diese Sammlung von Daten überhaupt gebraucht werden darf. Wie gesagt, dies ergibt sich überhaupt nicht. Es wäre sinnvoll, dies genau zu beschreiben. Es wäre auch sinnvoll für denjenigen, der erkennungsdienstlich behandelt wird, damit er genau weiß, was mit diesen Daten geschieht. Ich mache jetzt auch Schluss. Meine weiteren Ausführungen wurden von den Kollegen bereits genannt.

(Beifall des SSW - Klaus Schlie [CDU]: Sie haben keine Lust mehr!)

Nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Kubicki das Wort zu einem Kurzbeitrag.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann sich über viele Fragen der inneren Sicherheit unterhalten, auch was Anträge der Union angeht. Ich möchte dem Kollegen Geißler eines mit auf den Weg geben: Man hat gelegentlich bei Anträgen, die

(Wolfgang Kubicki)

von Seiten der Union kommen, den Eindruck, als hätten Straftäter oder Leute, die im Maßregelvollzug sind, ihre sonstigen Rechte als Menschen einigermaßen verwirkt. Kollege Geißler, ich meine das sehr ernst. Auch ein verurteilter Straftäter, der einsitzt, hat ebenso wie jemand, der im Maßregelvollzug sitzt, damit seine Grundrechte nicht verwirkt, auch nicht sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Jede erkennungsdienstliche Maßnahme, jedes Foto ist ein Eingriff in dieses Grundrecht und bedarf der besonderen Begründung.

Nun kann man sagen: Alle, die einsitzen, sind potenzielle Wiederholungstäter. Dafür gibt es aber keine sinnvolle Erkenntnis. Also müssen wir uns als Staat schon überlegen, unter welchen Bedingungen wir zulassen wollen, dass entsprechende Eingriffe stattfinden. Wie nachlässig einige Formulierungen aus diesem Antrag gewählt worden sind, möchte ich an einem Beispiel deutlich machen. Dies geht mir deshalb besonders nah, weil ich glaube, dass die Intention aufgefangen werden kann. Wir sind aber gezwungen, Gesetze sehr sorgfältig zu machen, weil wir wissen, dass staatliche Organe als exekutive Behörden in aller Regel danach trachten, die ihnen gesetzten Grenzen immer weiter auszuweiten und gelegentlich zu überschreiten.

(Klaus Schlie [CDU]: Das ist doch nicht das Problem!)

- Herr Kollege Schlie, offensichtlich ist es nicht Ihr Problem, dass Sie Gesetzestexte sorgfältig machen müssen. Das scheint nicht Ihr Problem zu sein, sonst könnten Sie Folgendes nicht formulieren: Zur Sicherung des Vollzugs der Maßregelung, insbesondere bei erhöhter Fluchtgefahr, sollen erkennungsdienstliche Maßnahmen vor Beginn einer Vollzugslockerung vorgenommen werden. Ich kann Ihnen sagen: Logisch ist es ausgeschlossen. Dann, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Vollzugslockerung zum Entweichen genutzt werden soll, darf diese Vollzugslockerung gewährt werden.

(Beifall bei der FDP)

Weil das nicht sein darf, kann die Voraussetzung, die Sie erschaffen wollen, um die erkennungsdienstliche Maßnahme anzuordnen, gar nicht eintreten. Vielleicht denken Sie insgesamt darüber nach, dass wir nicht in einer Euphorie - oder weniger guten Euphorie - und in einem Anflug von Nachgeben an Strömungen in der Bevölkerung mittlerweile eine Reihe von Gesetzesänderungen auf den Weg bringen, die insgesamt dazu beitragen, dass dem liberalen freiheitlichen Rechtsstaat die Luft abgewürgt wird. Das ist für mich mit Sicherheit ein Beitrag dazu.

Ich sage noch einmal: Auch Straftäter und Leute im Maßregelvollzug haben einen Anspruch auf die Achtung ihrer Menschenwürde und ihrer Grundrechte. Da kann man nicht einfach mit der Erklärung, das Sicherungsbedürfnis der Bevölkerung gehe vor, mit der entsprechenden Maßnahme eingreifen.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Klaus-Peter Puls [SPD])

Nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Geißler zu einem weiteren Kurzbeitrag das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir können selbstverständlich über alle gesetzestechnischen Fragen und Formulierungen im Rahmen der Ausschussberatungen sprechen. Das ist der Sinn einer solchen Ausschussberatung, in der wir möglicherweise aufeinander zugehen und auch ein gemeinsames Ergebnis erzielen. Ich bitte jedoch sehr herzlich darum, bei dieser Beratung die Maßstäbe nicht verkehrt zu setzen. Das Schließen einer solchen Sicherheitslücke zum Aufhänger für eine Grundsatzdiskussion über den liberalen Rechtsstaat und über Rechtsstaatlichkeit zu nehmen, ist - so glaube ich etwas weit hergeholt, Herr Kollege Kubicki.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das gibt doch keine Sicherheit!)

Es gibt eine Sicherheitslücke. Das wird Ihnen auch immer wieder vorgehalten, wenn Sie mit Staatsanwälten und der Polizei sprechen. Wir haben gegenwärtig die Situation, dass bei einem bestimmten Kreis nur uralte Fotos vorliegen. Was passiert als Erstes, wenn jemand entwichen ist? Die Polizei bemüht sich dann darum, die elektronischen Medien davon zu überzeugen, Personenbeschreibungen durchzugeben und über das Fernsehen Fahndungsfotos zu verbreiten, damit sich die Bevölkerung an der Ergreifung dieser mutmaßlichen Täter oder ehemaligen Straftäter beteiligen kann. Das führt immer wieder zu Erfolgen. Es führt auch dazu, dass Menschen gewarnt werden, die sonst möglicherweise Opfer einer Straftat würden.

Das müssen wir auch ernst nehmen in diesem Hause. Ich bin sehr dafür, dass wir Regelungen treffen, die in einem ausgewogenen Verhältnis zu Grundrechten stehen, und bin deshalb für eine gesetzliche Regelung, nicht einfach für eine Geschäftsordnungsregelung, die im Sozialministerium auch angedacht worden ist. Dann kann man über Einzelheiten reden. Aber in einer

(Thorsten Geißler)

Situation, in der bundesweit darüber debattiert wird, dass von allen Bürgerinnen und Bürgern biometrische Merkmale gespeichert werden sollen, ausgehend von einem sozialdemokratischen Innenminister, nun eine Grundsatzdebatte über Liberalität und Rechtsstaatlichkeit zu entfachen, wenn von im Maßregelvollzug Untergebrachten aktuelle Fotos gefertigt werden sollen, das ist schon ein bisschen skurril. Das sollten wir vielleicht auch gemeinsam so bewerten.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erteile ich der Frau Ministerin Moser.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 15. Dezember 1999 haben wir im Landtag das erste eigenständige Maßregelvollzugsgesetz für Schleswig-Holstein einstimmig beschlossen. Dieser große Konsens drückt für mich nach wie vor den gemeinsamen Willen aus, einen sehr schwierigen, auch emotionsbehafteten Bereich innerhalb der Psychiatrie in gemeinsamer Verantwortung zu gestalten. Die Zielkonflikte in diesem Bereich sind schon deutlich angesprochen worden.

Das Maßregelvollzugsgesetz ist ein Spezialgesetz, das letztlich nur 300 Menschen in den forensischen Abteilungen der Fachkliniken Neustadt und Schleswig betrifft. Wir haben es gemacht, um auch die Rechte dieser Menschen eindeutig festzuhalten, unter der Doppelaufgabe des Maßregelvollzugs, nämlich Besserung und Sicherung. Dies gehört zusammen und macht natürlich viele Schwierigkeiten. Die dort untergebrachten Menschen sind psychisch krank und Straftäter. „Psychisch kranke Rechtsbrecher“ ist der Ausdruck, der mich, als ich ihn das erste Mal hörte, regelrecht schockiert hat, weil ich ihn irgendwie diskriminierend fand. Inzwischen ist mir klar, dass dies eine korrekte Bezeichnung ist. Ich verwende deshalb meistens lieber „psychisch kranke Straftäter“. Die Krankheit soll mit den Mitteln des psychiatrischen Krankenhauses geheilt oder mindestens gebessert werden. Die andere Seite der Medaille ist, dass in der Tat diese Menschen zum kleineren Teil, aber immerhin doch schwerwiegende Straftaten begangen haben, bis hin zu Tötungsdelikten. Deshalb gilt das Maßregelvollzugsgesetz auch dem Schutz der Allgemeinheit.

Dass wir diesem Schutz der Allgemeinheit immer einen hohen Stellenwert zugemessen haben, erkennen Sie sofort, wenn Sie die forensischen Abteilungen in Schleswig und Neustadt einmal ansehen. Sie haben in den gesicherten Bereichen einen ausgesprochenen

Gefängnischarakter. Dieser Spagat zwischen Krankenhaus und Gefängnis ist das Problem, mit dem wir hier zu tun haben. Ich glaube, dass das die Mitarbeiter ebenso betrifft wie alle, die sich mit dem Problem beschäftigen.

Ich verkenne nicht, dass das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung, dem immer auch etwas Irrationales anhaftet, groß ist, dass es größer geworden ist durch die Ereignisse des letzten Jahres. Ich kann nachvollziehen, dass wir in dieser Diskussion auch den Blick auf den Maßregelvollzug richten, auch wenn wir in SchleswigHolstein glücklicherweise keinen aktuellen Anlass haben, weil es Entweichungen schwerwiegender Natur in den letzten Jahren nicht gegeben hat.

Bereits in der Antwort auf Ihre Kleine Anfrage, Herr Geißler, haben wir Ihnen mitgeteilt, dass wir die Prüfung erkennungsdienstlicher Maßnahmen sofort einleiten werden. Das haben wir auch getan. Am 9. Januar dieses Jahres ist ein Gespräch mit den Fachkliniken, mit der Justiz und der Polizei geführt worden. Es hat sehr schnell Einvernehmen gegeben, dass es sinnvoll ist, einen entsprechenden Paragraphen in das Maßregelvollzugsgesetz aufzunehmen.

(Zuruf von der CDU: Sehr gut!)

- Ja, ich muss Ihr Feindbild jetzt leider etwas kaputtmachen. Aber ich glaube, das macht nichts.

Ebenfalls noch im Januar hat das federführende Ministerium, nämlich wir, an die beteiligten Ressorts Justiz und Innen einen ersten Vorentwurf eines Gesetzes zur Abstimmung gesandt. Dies wollten wir in das parlamentarische Verfahren einbringen. Sie waren mit Ihren Vorarbeiten schneller, weil Sie sich ja auch nicht abstimmen müssen. Ich denke, die Intentionen beider Entwürfe lassen sich vereinbaren. Wir werden im Ausschuss sicherlich Wege finden, die getrennten Vorarbeiten für das gemeinsame Anliegen zusammenzuführen und alle Aspekte, die hier auch schon genannt worden sind, juristisch und auch unter Datenschutzgesichtspunkten und unter den Gesichtspunkten, die Sie seitens der FDP dankenswerterweise noch einmal eingebracht haben, abzuarbeiten.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass es uns gelingen wird, einen breiten Konsens auch bei der Änderung dieses Gesetzes herzustellen, und zwar im Sinne des doppelten Zieles des Maßregelvollzugs, der Besserung und der Sicherung.

(Beifall im ganzen Haus)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe damit die Beratung. Der Antragsteller hat beantragt,

(Vizepräsidentin Dr. Gabriele Kötschau)

den Gesetzentwurf federführend dem Innenund Rechtsausschuss und mitberatend dem Sozialausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen.

(Zurufe von der SPD: Wir wollten es anders- herum!)

Entschuldigung, ich habe gesagt: Der Antragsteller hat es so beantragt. Dies ist für mich zunächst einmal Anlass, dies abstimmen zu lassen. Wer möchte der Überweisung federführend an den Innen- und Rechtsausschuss und mitberatend an den Sozialausschuss zustimmen? - Gegenstimmen? - Wer möchte die Überweisung federführend an den Sozialausschuss und mitberatend an den Innen- und Rechtsausschuss? Dies ist die Mehrheit.

(Widerspruch bei der CDU - Wolfgang Ku- bicki [FDP]: Auf dieser Seite ist die Mehr- heit, Frau Präsidentin!)

Dann werden wir durchzählen. Ich lasse jetzt noch einmal abstimmen. - Zur Geschäftsordnung Frau Abgeordnete Heinold, bitte.

Frau Präsidentin, um eine unnötige Auszählung und erneute Kampfabstimmung zu vermeiden, ziehen wir unseren Antrag, die Federführung dem Sozialausschuss zu geben, zurück.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Also lasse ich darüber abstimmen. Wer ist dafür, den Gesetzentwurf federführend dem Innen- und Rechtsausschuss und mitberatend dem Sozialausschuss zu überweisen? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dies ist einstimmig so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 33 auf: