Protocol of the Session on January 25, 2002

(Beifall)

Was sind das für Mütter? Frau Scheicht hat die Gruppen, die besonders gefährdet sind, aufgezählt. Es sind vor allem die jungen, sehr unerfahrenen Frauen, die ihre Schwangerschaft oft aufgrund ihrer Unerfahrenheit spät entdecken und dann vor sich selbst bis zuletzt verbergen. Sie entbinden auf öffentlichen Toiletten, im Wald oder im Keller und sind verstört und in Panik. Sie bringen damit das Leben und die Gesundheit ihres Kindes, aber auch sich selbst in Gefahr - alles nur, damit auf keinen Fall ihre Schwangerschaft entdeckt wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist sicher jede Anstrengung wert, in dieser Konfliktsituation Hilfen zu geben und nach neuen Wegen zu suchen, weil es ganz offensichtlich eine Lücke in unserem System, bei den bestehenden Angeboten gibt. Die so genannte anonyme Geburt, die die medizinische Hilfe möglich macht, ohne dass die Helfer verpflichtet sind, die Mütter „zu verraten“, sprich die Mütter vor dem Standesamt zu nennen, mag ein Weg sein. Allerdings streiten Fachleute darüber, ob gerade die am meisten gefährdeten Frauen - die besonders Jungen, die besonders Rat- und Hilflosen, die sich an keinen Menschen wenden - diesen Weg sehen, den Weg in die Klinik finden und die Möglichkeit der anonymen Geburt als Lösung ihrer Probleme annehmen.

Frau Scheicht, Sie haben auf die Initiative verwiesen, die Ihre Partei auf Bundesebene gestartet hat. Die

anonyme Geburt sieht dieser Antrag allerdings nicht vor, sondern nur eine Verlängerung der Meldefrist von einer auf zehn Wochen. Das ist keine richtige anonyme Geburt, sondern nur ein Verschieben der Problematik.

(Jutta Scheicht [CDU]: Aber der Stein wird ins Rollen gebracht!)

- Ja, das habe ich in meinem Konzept auch geschrieben. Es ist sicher etwas Positives, dass sich aufgrund Ihres Antrages in Berlin eine interfraktionelle Gruppe zusammengefunden hat, die an diesem Problem arbeitet und eine umfassende Lösung sucht. Allerdings - ich habe gesagt, das Problem gibt es seit Menschengedenken - hatten Sie - einen sicher unerheblichen Teil dieser Zeit - die Gelegenheit dazu, das Problem anzugehen. Deshalb ist die große Mahnung, die Sie hier ausgesprochen haben, nicht berechtigt.

(Jutta Scheicht [CDU]: Nun ist die Zeit reif!)

Wie auch immer, Sie mahnen den Zeitablauf an, aber ich glaube, es ist gut, wenn man an diese Problematik mit Bedacht herangeht. Es sind schwierige Entscheidungen zu treffen.

(Beifall der Abgeordneten Roswitha Strauß [CDU])

Natürlich möchten ich und alle in meiner Fraktion, dass eine humane und risikofreie Geburt auch für die genannten Personengruppen möglich ist. Natürlich möchte ich den Frauen auch Gelegenheit geben, nach dieser schwierigen und geheim gehaltenen Schwangerschaft noch einmal in Ruhe darüber nachzudenken, ob es nicht doch einen gemeinsamen Weg mit dem Kind geben kann. Natürlich ist jedes einzelne Kind, das auf diese Weise - durch die anonyme Geburt - zu retten ist, es wert, Kompromisse einzugehen.

Aber es gibt auch ganz konkrete rechtliche Hürden, die man nicht verschweigen darf, nur weil man etwas Gutes tun möchte - und das mit aller Macht. Sie wissen, dass nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und der UN-Kinderkonvention ein garantiertes Recht für jeden von uns besteht, die eigene Abstammung zu kennen. Und ein Kind, jeder Mensch, hat sicher nicht nur dieses abstrakte Recht, sondern wenn Kinder heranwachsen, haben sie auch ein konkretes Bedürfnis, ihre Wurzeln zu kennen. Sie suchen danach. Die Adoptionsberatungsstellen machen darauf aufmerksam, dass sie mehr mit Suchanfragen beschäftigt sind als mit neuen Vermittlungen. Ich denke, auch diese Problematik muss man im Hinterkopf haben.

(Glocke des Präsidenten)

- Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.

(Anna Schlosser-Keichel)

Und deshalb ist es mir ein Anliegen - das haben Sie auch angesprochen -, dass auch nach einer Änderung des Personenstandsgesetzes die anonym bleibenden Mütter eine Nachricht an ihre Kinder hinterlassen müssen, einen Abschiedsbrief, eine Spur, die die Kinder zu ihrer eigenen Identität hinführt, auch wenn es nicht der Name der Mutter ist. Es ist mir wichtig, dass weiter festgelegt wird, dass in den Beratungen, die stattfinden sollen, die Frauen darauf aufmerksam gemacht werden müssen, wie wichtig das für ihre Kinder ist.

Ich unterhalte mich gern im Ausschuss mit Ihnen weiter über diese Problematik. Ich möchte gern Informationen darüber haben, wieweit die Beratungen in Berlin gediehen sind. Dann ist sicher auch darüber zu beraten, was auf Landesebene zu geschehen hat, um das auszuführen - im Interesse der Frauen und auch der Kinder.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich erteile Frau Abgeordneter Dr. Happach-Kasan das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Säuglinge sind völlig schutzlos. Sie brauchen die umfassende Fürsorge möglichst ihrer Mutter oder anderer helfender Menschen. Säuglinge appellieren an unseren Instinkt, ihnen zu helfen und sie zu schützen. Deshalb stehen wir Berichten hilflos gegenüber, in denen geschildert wird, dass Säuglinge vernachlässigt oder getötet wurden, dass sie ausgesetzt wurden, wenn auch teilweise an Orten, an denen die Wahrscheinlichkeit groß war, sie zu finden.

Wie kann das passieren, obwohl es ein umfassendes Hilfs- und Beratungsangebot in den Städten und Kreisen gibt? Warum erreichen wir diese Frauen nicht? Warum entscheiden sich diese Frauen nicht dafür, abzutreiben oder das Kind nach der Geburt zur Adoption freizugeben?

Etwa 40 Kinder werden pro Jahr nach einem Bericht der „Zeit“ in Deutschland ausgesetzt, knapp die Hälfte wird lebend gefunden. Es gibt eine Dunkelziffer. Und: Es sind nicht nur ganz junge Mädchen, die ihr Kind töten oder es aussetzen.

In Schleswig-Holstein setzte im September 2000 eine 40-jährige Frau ihr Baby aus. Es wurde rechtzeitig gefunden. Es gibt weitere Beispiele von Frauen in der Altersgruppe zwischen 25 und 40 Jahren.

Was müssen wir tun, um den Frauen, die vielleicht ungewollt schwanger wurden, die ihre Schwangerschaft nicht annehmen oder verdrängen, die unsere herkömmlichen Hilfsangebote nicht erreichen, dennoch zu unterstützen, ihr Kind unter geordneten Bedingungen zu bekommen, sodass Mutter und Kind eine Zukunft haben, gemeinsam oder getrennt?

In Deutschland gibt es inzwischen 42 Babyklappen, davon eine in Lübeck, eine in Flensburg. 29 Krankenhäuser in Deutschland ermöglichen Frauen eine anonyme Geburt, alle Krankenhäuser in Thüringen. Der Verein Sterni-Park hat in Hamburg die erste Babyklappe eingerichtet. Seit Dezember 2000, also etwa innerhalb eines Jahres, haben sich 42 Frauen an den Verein mit dem Wunsch einer anonymen Geburt gewandt. 27 haben anonym im Krankenhaus entbunden. Von denen haben sich nach der Geburt 9 für ein Leben mit dem Kind entschieden, 4 sind unentschieden und 11 haben bereits vor der Geburt die Anonymität aufgegeben. Im Fazit haben bis jetzt von den 42 Frauen 14, also ein Drittel, ihre Anonymität bewahrt.

Auch wenn das Personenstandsrecht fordert, dass eine Geburt innerhalb von einer Woche angezeigt werden muss, sind anonyme Geburten legal. Einer Frau darf zum Beispiel die Hilfeleistung nicht untersagt werden, weil sie ihren Namen nicht nennen will.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP], Silke Hinrichsen [SSW] und Anke Spoorendonk [SSW] - Vizepräsident Thomas Stritzl übernimmt den Vorsitz)

Mein Kollege Dr. Heiner Garg hat bereits im Mai letzten Jahres mit einer Kleinen Anfrage die Diskussion um anonyme Geburten angestoßen.

Die CDU fordert nun die schnellstmögliche Schaffung eines rechtlichen Rahmens. Da die anonyme Geburt legal ist und es bereits über 70 Angebote in Deutschland gibt, kann ich nicht erkennen, warum wir den Bundestag drängen sollten, ein Gesetz zu verabschieden.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch ich bin der Meinung, dass dieses Thema sehr sorgfältig beraten werden muss. Der im Bundestag eingereichte Gesetzentwurf der CDU will das Personenstandsrecht dahin gehend ändern, dass die Frist zur Anzeige einer Geburt von einer Woche auf zehn Wochen verlängert wird, sofern die Mutter von einer staatlich anerkannten Schwangerenberatungsstelle betreut wurde. Ich kann nicht erkennen, dass dies wirklich eine Lösung ist. Eine Frau, die den Weg zu einer Schwangerenberatungsstelle gefunden hat, wird

(Dr. Christel Happach-Kasan)

dort auch über Hilfsangebote, Adoption und so weiter informiert. Für diese Frauen gibt es Lösungen.

(Anke Spoorendonk [SSW]: Das ist richtig!)

Es geht aber doch darum, Hilfsangebote für Frauen zu entwickeln, die sich jeglicher Beratung entziehen, ihre Schwangerschaft nicht akzeptieren, sie verdrängen und die dann teilweise ihr Kind töten, bevor irgendjemand ihnen helfen konnte.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP], Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Anke Spoorendonk [SSW])

Wir müssen überlegen, wie wir für diese Frauen Hilfsangebote, Informationsangebote ins Leben rufen können, um ihnen wirksam zu helfen.

Im Konflikt Leben retten oder Kindern das Recht, ihre Abstammung zu erfahren, zu verwirklichen, entscheidet die FDP für das Leben. Aber wir sind uns sehr wohl bewusst, dass die Verpflichtung der UN, dass jeder eine Chance haben muss, seine Abstammung zu erfahren, auch ernst zu nehmen ist. Denn diese Kinder wollen von ihrer Abstammung erfahren.

Dies darf nicht bedeuten, dass unter dem Deckmantel, „Leben zu bewahren“, das Angebot der anonymen Geburt einen Bedarf für anonyme Geburten erzeugt. Auch Mütter haben ihren Kindern gegenüber eine Verpflichtung.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

14 von 42 Müttern entschieden sich in Hamburg für die Anonymität. Wären ohne die Babyklappe wirklich 14 Babys in Hamburg ausgesetzt worden oder haben Frauen von dieser einfachen Möglichkeit Gebrauch gemacht, weil sie angeboten wurde? Herr Kollege Eichstädt, ich weiß es nicht. Aber es muss erlaubt sein, Fragen zu stellen, wenn wir Lösungen wollen. Sonst kommen wir nicht zu Lösungen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Wir wissen, dass es wesentlich mehr Paare gibt, die gern ein Kind adoptieren würden, als es Kinder gibt, die zur Adoption freigegeben werden. Aufgrund dieser Situation muss sichergestellt werden, dass die großzügigere Ermöglichung der anonymen Geburt keinen Babyhandel eröffnet. Vielleicht würde es einigen verzweifelten oder auch nur unsicheren werdenden Müttern auch helfen, wenn in unserer Gesellschaft nicht nur Abtreibung, anonyme Geburt, „Wohlstandsrisiko Kind“ öffentlich diskutierte Themen wären, sondern vielleicht auch ganz einfach Schwangerschaft oder Kinder zu haben.

(Beifall bei FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die FDP beantragt die Überweisung des Antrags in den Sozialausschuss und in den Innen- und Rechtsausschuss.

(Beifall bei FDP, SSW und des Abgeordneten Lothar Hay [SPD])

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Irene Fröhlich das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Happach-Kasan, ich möchte mich ausdrücklich für Ihren Beitrag bedanken. Ich fand ihn sehr besonnen, sehr gut abgewogen und sehr gut dargestellt. Sie haben mir aus der Seele gesprochen.

(Beifall bei FDP, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Uns ist es besonders wichtig, eher behutsam und besonnen vorzugehen. Dies ist kein Thema für starke Signale, Frau Scheicht. Ich habe gelegentlich sehr viel Verständnis für starke Signale und finde: Wo sie sein müssen, müssen sie sein. Aber an dieser Stelle nicht.

Wir haben es mit einem Thema zu tun, das so alt ist wie die Menschheit. Wir haben es offensichtlich mit einem Thema zu tun, das wir leicht zu verdrängen geneigt sind, nämlich der Krisen- und Konfliktsituation, die jede Schwangerschaft und jede Geburt bedeutet. Trotz moderner Medizin, trotz eines ausgedehnten Beratungsangebotes, trotz unterschiedlichster Hilfen, die die Gesellschaft meint, in ausreichendem Maß betroffenen Frauen - natürlich immer den Frauen; das ist klar - anzubieten, kommt diese Botschaft offensichtlich bei einem zum Glück kleinen Teil von ihnen nicht an. Sie fühlen sich allein gelassen. Sie fühlen sich verraten und verkauft, sie fühlen sich verloren und sie wissen offensichtlich keinen Rat. Auch das hat natürlich mit der Reaktion der Gesellschaft auf ihre jeweils spezifische Situation - Frau Scheicht, Sie haben sie aufgezählt - zu tun, mit Illegalität, mit Drogenkonsum, mit sonstigen verzweifelten Situationen.