Protocol of the Session on January 24, 2002

Die Wirkungen sind verheerend. Anstatt gestaltender Politik erleben die Menschen reaktiven Aktionismus, der nicht nur die Arbeitslosenzahlen in die Höhe treibt, sondern auch die Lohnnebenkosten.

Das Versprechen des Kanzlers, die Lohnnebenkosten unter 40 % zu senken, erweist sich ebenso als Makulatur wie das Versprechen,

(Uwe Eichelberg [CDU]: Es gibt noch mehr Makulatur!)

die Arbeitslosenzahlen unter 3,5 Millionen zu senken mit der Folge, dass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft noch schlechter und der Druck auf den Arbeitsmarkt immer größer wird. Die Kritik der Fachleute war denn auch einhellig und vernichtend.

Auf den Punkt gebracht hat sie Professor Driftmann. Zitat des Tages vom 16. Januar 2002 in der „Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung“:

„Es ist so, als wenn man einem an Pneumonie erkrankten Patienten das Gesicht pudert in der Hoffnung, dass das Fieber sinkt.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Martin Kayenburg [CDU]: So ist es!)

Die Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP versuchen mit ihren Anträgen zur Arbeitsmarktpolitik, auf einen Zug aufzuspringen, der schon lange auf dem Weg ins Nirgendwo abgefahren ist. Inhaltlich lassen beide Anträge leider jeden vernetzten Denkansatz vermissen, der geeignet wäre, die strukturellen Probleme auf dem Arbeitsmarkt zu lösen.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Garg, Sie haben in Ihrer Rede einiges dargestellt. In dem Antrag ist wenig davon zu finden. Insofern gibt es hier Schwierigkeiten.

Die Frage der richtigen oder verfehlten Anreize ist die Kernproblematik der Wirtschaftspolitik und untrennbar damit die Arbeitsmarktpolitik verbunden. Professor Siebert vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel beschreibt diese Problematik in seinem Buch „Der Kobra-Effekt“. Es lohnt sich im Übrigen, es zu lesen.

„’Kobra-Effekt’, was bedeutet das?“

Die Geschichte geht so:

„Zuzeiten der englischen Kolonialverwaltung soll es in Indien einmal zu viele Kobras gegeben haben. Um der Plage Herr zu werden, setzte der Gouverneur eine Prämie pro abgelieferten Kobrakopf aus. Die Inder sollten also Kobras einfangen. Wie reagierten sie?“

(Jutta Schümann [SPD]: Sie züchteten sie!)

„Sie züchteten Kobras,“

- so ist es

„um die Prämie zu kassieren.“

Herr Kollege Garg, was wäre die Wirkung Ihres Antrags?

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Na?)

Erstens. Solange Sozialtransfers plus Schwarzarbeit attraktiver sind als reguläre Arbeit, wird es im Niedriglohnbereich keine neuen Arbeitsplätze geben.

(Martin Kayenburg [CDU]: So ist es!)

Wo Ihr Parteikollege Brüderle Recht hat, hat er Recht.

(Beifall bei der CDU - Wolfgang Kubicki [FDP]: Die gab es vorher auch! - Dr. Heiner Garg [FDP]: Die gab es vorher auch!)

(Roswitha Strauß)

- Sie verwechseln hier ständig Niedriglohnbereich mit geringfügiger Beschäftigung.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Ich verwechsele gar nichts!)

Zweitens. Deutschland wäre vermutlich schlagartig zu großen Teilen ein Niedriglohnland. Gut bezahlte Jobs würden gesplittet und die Mitnahmeeffekte wären gigantisch.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ganz zu schweigen von der kompletten Verwerfung der Sozialversicherungssysteme. Ich gebe Ihnen vollkommen Recht, dass wir sie ändern müssen, aber nicht mit einem Schnitt an irgendeiner Stelle ohne Berücksichtigung des Umfeldes. Das muss dann schon eine Gesamtkonzeption sein.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Können Sie sich an den Antrag des Kollegen Arp erinnern?)

Über die Finanzierung verlieren Sie vorsichtshalber gar kein Wort. Das hat der Kollege Hentschel zu Recht angemerkt.

Deshalb: Oberstes Gebot für die Etablierung von Arbeitsplätzen im Niedriglohnbereich, die potenziell durchaus vorhanden sind, muss eine grundlegende Reform der Arbeitsmarktpolitik sein.

(Zuruf von der CDU: Sehr gut!)

Das Beispiel Dänemark zeigt, was mit mutigen Reformen erreicht werden kann. Dabei geht es nicht um eine steuerfinanzierte Grundsicherung. Innerhalb von fünf Jahren ging die Arbeitslosenquote Mitte der 50erJahre von knapp 12 % auf 5,5 % zurück.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Wissen Sie, was das gekostet hat?)

Ursache hierfür waren Reformen wie die Verschärfung der Anforderungen an die Arbeitslosen. Das Motto hierbei: Wer Sozialtransfers in Anspruch nimmt, hat auch Pflichten; Solidarität ist keine Einbahnstraße.

(Peter Jensen-Nissen [CDU]: So ist es! - Beifall bei der CDU)

Die Arbeitslosenunterstützung ist dort in den ersten Monaten recht hoch. Dafür muss der Arbeitslose ein angebotenes Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis annehmen, sonst verliert er seine Ansprüche. Das wird knallhart durchgezogen.

Es gibt strenge Verfügbarkeitsregelungen.

Die Kündigungsfristen sind kurz, Abfindungen gibt es so gut wie keine. Dennoch haben nur wenige dänische Arbeitnehmer Angst um ihren Arbeitsplatz, weil sie

schnell einen neuen finden und weil die Behörden funktionieren.

(Glocke des Präsidenten)

Frau Abgeordnete, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kubicki?

Danke, nein.

(Heiterkeit)

Nur durch die Senkung der Arbeitslosenquote haben die öffentliche Haushalte überhaupt eine Chance einer Erholung beziehungsweise einer Gesundung. Wenn es Deutschland gelingen würde, die Arbeitslosenquote ebenfalls auf etwa 5 % zu senken, würde dies gegenüber heute Einsparungen und zusätzlichen Gestaltungsspielraum in Höhe von etwa 30 Milliarden € eröffnen. Der Mut, der heute für eine Reform erforderlich ist, würde sich für die Zukunft als enormer Gewinn erweisen, und zwar nicht nur für die betroffenen Menschen, sondern für ganz Deutschland.

(Beifall des Abgeordneten Peter Jensen- Nissen [CDU])

Zu einer grundlegenden Reform gehört allerdings auch die Kappung der kontraproduktiven AB-Maßnahmen, die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie die Wiederherstellung der alten 630-DMRegelung, um auf den Bedarf an Aushilfen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber wieder so flexibel wie möglich zu reagieren.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Können Sie sa- gen, wer ABM eingeführt hat?)