Protocol of the Session on January 23, 2002

Das Wort erteile ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Garg.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine beiden sozialdemokratischen Freundinnen Birgit Herdejürgen und Sandra Redmann haben sich extra von der letzten in die dritte Reihe gesetzt, weil sie sich ganz besonders auf den Beitrag freuen.

(Heiterkeit)

- Ja, ja, da sind manche neidisch. Selten bin ich in den letzten Wochen - gerade von Sozialdemokraten kenne ich das allerdings - so unter Druck gesetzt worden. Heute Morgen gipfelte das sogar in der Androhung der Kinder- und Jugendbeauftragten, man wolle mir ganze Schulklassen auf den Hals schicken, wenn ich in dieser Frage reagiere, wie ich es heute tue.

Frau Kollegin Tengler, deswegen ist es mir ein ganz besonderes Bedürfnis, hier ganz klipp und klar zu sagen: In dieser Frage passt überhaupt kein Blatt zwischen uns beide.

(Heiterkeit und Beifall bei FDP und CDU)

Nun zu dem Einwand, der immer wieder kommt, heute gebe es ja schon eine grundsätzliche Erlaubnis, aber mit Verbotsvorbehalt, und das sollten die Schüler und Eltern in der Schulkonferenz alles selber ausmachen. Liebe Kollegin Redmann und liebe Kollegin Herdejürgen, es ist ja so: Auch in den Nichtraucherabteilen eines ICE oder eines Flugzeugs oder in öffentlichen Gebäuden, wo das Rauchen strikt untersagt ist, wird nicht in irgendwelchen Kuschelrunden vereinbart, dass nicht geraucht werden darf oder ob vielleicht doch geraucht werden darf. Vielmehr ist dort das Rauchen schlicht verboten.

(Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Sie können mir ja nachher den Hals umdrehen. Aber jetzt hören Sie erst einmal zu.

Ich habe aufgrund des Vorbildcharakters und der Erziehungsfunktion, die die Schule nach wie vor hat, überhaupt keine Bedenken und keine Einwände, dass gerade an Schulen ein striktes Rauchverbot herrscht.

(Lebhafter Beifall bei FDP und CDU)

Ich sage das, obwohl ich selber 17 Jahre lang geraucht und erst vor vier Monaten damit aufgehört habe.

Heute muss ich zur Kenntnis nehmen, dass bereits Elfjährige - und zwar nicht als Ausnahme, sondern in der Regel - anfangen, zur Zigarette zur greifen.

(Zuruf der Abgeordneten Birgit Herdejürgen [SPD])

- Frau Kollegin Herdejürgen, die Schule ist einer der prägenden Orte. Natürlich prägt auch das Elternhaus, aber die Schule tut das genauso. Deswegen dieser Antrag, die grundsätzliche Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt in ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt umzukehren. Das ist genau der richtige Weg, wenn man in dieser Frage einen ganz klaren Akzent setzen will.

(Beifall bei FDP und CDU)

Wenn man sich den CDU-Antrag genau anguckt und nicht böswillig interpretiert, sieht man, dass es selbstverständlich Ausnahmen geben kann, die in der Schulkonferenz gemeinsam mit den Schülern besprochen werden sollen.

Die Aufregung, die darum teilweise entstanden ist, habe ich nicht verstanden. Es geht lediglich um die Umkehr des Prinzips. Dazu kann ich ganz klar sagen: Wir können den Antrag gern an den Ausschuss überweisen und darüber reden. Wir können aber genauso gern heute in der Sache abstimmen, weil es nämlich um eine ganz vernünftige Regelung geht,

(Beifall bei FDP und CDU)

(Dr. Heiner Garg)

die einen kleinen Beitrag dazu leisten kann, den Schutz von Kindern - Elfjährige sind für mich nach wie vor Kinder - zu gewährleisten und etwas für die Gesundheit der Bevölkerung zu tun.

In diesem Sinne passt zwischen uns, Frau Tengler, nicht nur kein Blatt Papier, sondern auch kein Zigarettenpapier.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Birk.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Garg, auch wenn Sie in Ihrem Liebeswerben nach beiden Seiten Ihrem großen Vorbild Herrn Kubicki folgen und auch wenn der ehrenwerte Antrag der CDU dem Ziele nach hier von niemand bestritten wird, ist zu sagen: Was der Antrag will, ist längst gesetzliche Realität. Allerdings sieht die Umsetzung, sieht die Realität, sieht die Praxis anders aus. Wenn wir den Antrag beschließen, ändert das an der Praxis gar nichts. Deswegen sollten wir uns dieses Themas anders als durch solche papiernen Beschlüsse annehmen.

Das Rauchen im Schulgebäude ist mit Ausnahme der Lehrerzimmer und eigens dafür deklarierter Raucherräume oder -zonen im Innenbereich oder auf den Schulhöfen an unseren Schulen in der Regel verboten. Gleiches gilt in noch eindeutigerer Form für Alkohol. Beides ist im normalen Schulbetrieb nicht erlaubt. Erst wenn ein Fest vorbereitet wird, darf man sich darüber unterhalten, wann Alkohol getrunken und wie verabreicht werden darf. Das ist die Theorie.

Realität ist, dass die rauch- und alkoholfreie Schule leider sehr selten existiert. Der Alltag muss natürlich nüchtern betrachtet werden. Deswegen bin ich Frau Tengler tatsächlich dankbar, dass sie die neuesten Zahlen durch ihre Anfrage an die Öffentlichkeit gebracht hat. Diese Zahlen müssen nachdenklich machen.

Was aber passiert, wenn wir Verbote erlassen? Es wird auf den Toiletten geraucht und es wird auf der Straße gegenüber geraucht. Natürlich wird auch weiterhin im Lehrerzimmer geraucht. Der Umstand, dass das Rauchen unter 16 generell verboten ist, ändert nichts daran, dass Kinder es trotzdem tun. Wenn wir hier überregulieren, dann erreichen wir gar nichts. Wir vertreiben die Kinder vom Schulhof und werden der Sache in keinster Weise Herr.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Wir wissen aber auch - das ist meiner Meinung nach an den Zahlen besonders interessant -, dass Rauchen offensichtlich gerade für diejenigen, die sich in ihrer Schulkarriere bereits auf dem Abstellgleis fühlen, eine besondere Attraktion hat. Suchtverhalten ist immer auch eine Reaktion auf Verlust, sei es auf persönlichen oder sozialen Statusverlust. Das muss man natürlich mit bedenken, wenn man an Prävention denkt. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass nur ein umfassendes Präventionsprogramm hilft. Schulverbote allein werden nichts ausrichten. Vielmehr müssen wir das tun, was uns auch die Suchtberatungsstellen neulich, als wir Sozialpolitiker mit ihnen gesprochen haben, sehr eindringlich aufgezeigt haben. Die Gläserne Schule, die Situation der Peer-to-Peer-CounselingGruppen, wie es heute neudeutsch so schön heißt, und Wettbewerbe wie „be smart - don’t start“ sind Sachen, die Kinder und Jugendliche tatsächlich überzeugen, die sie motivieren, die sie in die Wettbewerbssituation bringen: Wie schaffe ich es, nicht zu rauchen? Wie kann ich stark sein, ohne den starken Mann oder die starke Frau mit einer Zigarette oder mit einer Flasche Alkohol nur markieren zu müssen? - Das ist von der Wirkung her langfristiger und viel überzeugender.

Wir wollen eine demokratische Schule und keine Schule, die von Verboten lebt. In der heutigen Schule muss dafür geworben werden, dass das Rauchen nicht „in“ ist. Das ist natürlich viel schwieriger, als irgendwo einfach nur ein Schild hinzuhängen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Die Lehrerinnen und Lehrer und auch die einzelnen Elternvertretungen nicht allein zu lassen, ist die politische Aufgabe dieses Parlaments und auch der Landesregierung. Da sind wir mit Ihnen wieder einig, Frau Tengler. Der alte Erlass ist in manchen Punkten sicherlich nicht mehr zeitgemäß. Es ist sicherlich auch richtig, was Herr Höppner gesagt hat, nämlich dass Zigarettenautomaten raus aus der Öffentlichkeit gehören. Die Sozialministerin hat das zu Recht wiederholt gefordert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sollten einmal überlegen, wie wir andere Bundesländer und unsere Bundestagskollegen davon überzeugen. Das ist alles richtig. Aber ich glaube, die eigentliche Aufgabe besteht darin, eine entsprechende öffentliche Atmosphäre, ein öffentliches Klima zu schaffen, sich zu einer gemeinsamen Initiative zusammenzutun und auch den Jugendlichen klar zu machen: Es ist eine Entscheidung ab 16, ob sie rauchen oder nicht. Es ist nicht einfach irgendetwas, was ihnen passiert. Dies wäre tatsächlich ein Stück Emanzipation, das sich wahrscheinlich auch in anderen Dingen im

(Angelika Birk)

Schulleben positiv bemerkbar machen würde. Das bedeutet dann für die Lehrerinnen und Lehrer allerdings auch, konsequent zu sein.

Machen wir unsere Kinder stark, nicht durch Verbote, sondern durch schlaue gemeinsame Konzepte und leben wir ihnen diese Stärke beispielhaft vor.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Hinrichsen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Natürlich sind wir uns alle einig, dass wir Nikotin und Alkohol aus den Schulen weitgehend fern halten müssen. Es geht darum, dass Schülerinnen und Schüler erfahren, dass Zigaretten und Alkohol problematisch sind, und es geht darum, dass Lehrerinnen und Lehrer - ebenso wie die Eltern - eine Vorbildfunktion für Kinder und Jugendliche haben. Allerdings ziehen wir daraus nicht dieselben Konsequenzen wie die CDU; denn wir meinen aus mehreren Gründen, dass es nicht einer Verordnung der Landesregierung bedarf, wie die CDU es sich wünscht.

Erstens. Schulleiterinnen und Schulleiter können heute schon die Spielregeln in Bezug auf das Rauchen an der einzelnen Schule bestimmen.

Zweitens. Wir glauben nicht, dass es möglich ist, an den Schulen ein totales Rauchverbot durchzusetzen, weil dort nämlich neben den Schülerinnen und Schülern auch Lehrerinnen und Lehrer sowie Eltern verkehren.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Für die gilt das Rauchverbot auch!)

Es macht keinen Sinn, das Rauchen in Lehrerzimmern auf diesem Weg zu untersagen, weil die sofortige Einführung einer Ausnahmeregelung so sicher wäre wie der Tod. Wie im Rest der Drogenpolitik ist es zunächst sinnvoll, der Realität ins Auge zu sehen. Diese ist, dass Lehrerinnen und Lehrer in Bezug auf das Rauchen keine besseren Menschen als andere sind. Wir können ihnen auch nicht abverlangen, dass sie das Rauchen beenden, bevor sie in den Schuldienst eintreten. Jeder Kriminologe wird ihnen aber bestätigen, dass ein vollzugsdefizitäres Verbot, also ein Verbot, das nicht durchgesetzt werden kann, kontraproduktiv wirkt und die drogenpolitische Zielsetzung lediglich untergräbt.

(Beifall bei SSW und SPD)

Drittens. Menschliche Vernunft lehrt: Verdrängung allein reicht nicht aus. Wenn das Rauchen per Ukas im ganzen Schulgebäude, im Schulhof und bei Schulveranstaltungen verboten wird, dann werden sich die Raucherinnen und Raucher eben an der Grenze zum Schulgebäude, neben dem Schulhof und außerhalb von Schulveranstaltungen aufhalten, ohne dass dies eine präventive Wirkung hat. Ich glaube eigentlich nicht, dass damit etwas gewonnen ist. Drogenpolitisch gesehen ist es sogar eher das Gegenteil.

Es ist also richtig, dass die Einstellung der Kinder und Jugendlichen und der Lehrerinnen und Lehrer verändert werden müssen, wenn man den Einstieg in die Nikotinabhängigkeit vermeiden und den Ausstieg erleichtern will. Es ist aber naiv zu glauben, dass man eine solche Veränderung der Akzeptanz des Rauchens am besten durch ein Verbot erreicht. Wir brauchen einen umfangreicheren und breiteren Einsatz gegenüber Zigaretten und Nikotin an jeder Schule, wenn wir wirklich die Zahl der Raucherinnen und Raucher reduzieren wollen. Das Einzige, was wirklich Sinn macht, ist, an den Schulen selbst im Dialog der Beteiligten eine eigene Nikotin- und Alkoholpolitik für diese Schule zu entwickeln.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Jede Schule soll ihren eigenen Weg für den Umgang mit Drogen finden. Dadurch stellt man am besten sicher, dass diese Politik, nämlich wie man damit umgeht, von den Schülerinnen und Schülern, aber auch von den Lehrerinnen und Lehrern an der Schule und auch von den Eltern akzeptiert und unterstützt wird.

(Beifall beim SSW)