Protocol of the Session on June 7, 2000

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es ist natürlich von der F.D.P.-Fraktion freundlich, uns so moderat auf dieses Thema aufmerksam zu machen. Es ist offensichtlich, dass die F.D.P. Felder sucht, auf denen sie die Grünen ausstechen kann. Natürlich ist es spannend, eine Partei, die sich zum ersten Mal daran macht, den Bereich der Justiz für sich als ein aktives und nicht bloß als ein theoretisches Politikfeld zu entwickeln, unter Zugzwang zu setzen. Ich kann das alles gut nachvollziehen und verstehen. Gleichwohl kann ich mit den Worten des sprichwörtlichen Igels sagen: Ick bin all dor.

Es ist ja nicht so, dass in den letzten Jahren trotz knapper Kassen nicht auch in den Justizvollzug investiert wurde. Es ist für uns jedes Jahr ein Ritual, die Mittel der freien Straffälligenhilfe gegen die Forderungen nach radikaler Kürzung von Förderprogrammen und Zuwendungen an Vereine zu verteidigen,

(Zurufe der Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU] und Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

Forderungen, die ja bekanntlich besonders laut von den Oppositionsbänken zu hören sind. Ich kenne keine Drucksachennummer, Herr Geißler, die mir etwa den Weg zu einem entsprechenden Antrag der CDUFraktion wiese.

(Weitere Zurufe der Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU] und Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

- Jetzt lassen Sie mich doch einfach einmal ausreden, sonst müssten wir uns doch nicht über Redezeiten verständigen, wenn sowieso alles durcheinander geht.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Sie müssen nicht so einen Unsinn verbreiten!)

Mit den Mitteln der Straffälligenhilfe werden nicht nur wichtige soziale Dienste finanziert, wie beispielsweise die Schuldenberatung, sondern auch Maßnahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs und der Ableistung gemeinnütziger Arbeit zur Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen. Das sind Maßnahmen, die zur Entlastung der Justiz und des Justizvollzugs führen und damit sowohl zu einer Verbesserung der Situation der Gefangenen als auch zu der der Bediensteten im Strafvollzug. Die Dinge hängen insofern sehr wohl zusammen. Sie können mir glauben, dass ich weiß, wovon ich rede. Ich bin seit vier Jahren Beirätin in der Justizvollzugsanstalt Kiel und habe mich intensiv sowohl in Lübeck wie in Kiel mit den Gefangenen auseinander gesetzt, mit Bediensteten gesprochen, sie intensiv begleitet und mich mit ihren Forderungen und Klagen auseinander gesetzt.

Natürlich gehen wir immer von verschiedenen Perspektiven an die jeweiligen Probleme heran, Herr

(Irene Fröhlich)

Kubicki. Aber Sie sollten sich einmal etwas anderes einfallen lassen, als immer nur zu sagen: Sie haben keine Ahnung. Das kann es wohl doch nicht sein.

(Zuruf von der CDU: Aber wenn er Recht hat! - Klaus Schlie [CDU]: Ich befürchte, er hat doch Recht! - Heiterkeit bei CDU und F.D.P.)

- Da hat er einfach nicht Recht! Man kann natürlich an solche Probleme und Themen als ein Studierter herangehen und sich damit theoretisch auseinander setzen. Man kann aber auch vor Ort mit den Leuten sprechen, sich ihre Probleme anhören und Dinge umsetzen. Das kann man auch machen.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Ich bin mit Si- cherheit häufiger in JVAs als Sie, Frau Fröh- lich!)

Immer nur zu sagen, keine Ahnung, ist zumindest nicht besonders geistvoll.

Wer die Presseberichte der letzten Wochen verfolgt hat, weiß, dass die Justizministerin die Justizvollzugsanstalten sofort nach ihrem Amtsantritt besucht hat wir haben Sie darin intensiv unterstützt -, fast noch bevor sie ihre Koffer ausgepackt hatte. Nun ist sie bereits vor Ablauf der berühmten 100-Tage-Frist dabei, einen Maßnahmenplan aufzustellen. Hierbei findet sie - wie gesagt - unsere volle Unterstützung.

Ich denke, wir sind uns alle im Grundsatz einig, dass die Justizvollzugsanstalten in Schleswig-Holstein modernisiert werden müssen, und ich hoffe, dass wir an einem Strang ziehen werden, wenn es an die Haushaltsberatungen geht. Vorher werden wir den Bericht der Justizministerin beraten. Wir dürfen eine spannende Debatte auch über den offenen Vollzug und die elektronische Fußfessel erwarten, die ich jetzt allerdings nicht vorwegnehmen möchte.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Silke Hinrichsen vom SSW.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist erfreulich, dass sich die neue Justizministerin - mit tatkräftiger Unterstützung der CDU - gleich nach der Landtagswahl intensiv um die Situation in den Justizvollzugsanstalten des Landes gekümmert hat.

(Zuruf von der CDU: Stimmt!)

Der Antrag der F.D.P. gibt nunmehr auch dem Landtag die Möglichkeit, sich gründlich und konstruktiv hoffentlich - um dieses Thema zu kümmern. Die im Antrag genannten Einzelpunkte sind alle wichtig. Ich kann sie selbstverständlich in fünf Minuten nicht alle ansprechen. Darüber hinaus kann ich auch nicht so schnell wie Sie, Herr Kubicki, reden.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Eigentlich schade!)

- Ja, aber ich werde in der Aussprache immer sehr undeutlich, wenn ich so schnell rede.

Vor allem zwei Punkte haben in den öffentlichen Debatten über den Strafvollzug in Schleswig-Holstein eine erhebliche Rolle gespielt: die Modernisierungsbedürftigkeit und die Überfüllung. Diese beiden Punkte möchte ich daher aufgreifen.

Ein zentrales Problem ist - und daher kommen wir auch nicht umhin, den Strafvollzug zu verbessern - der katastrophale bauliche Zustand der Haftanstalten. Ein Gefängnis ist zwar kein Hotel, aber der Zustand, der in den Zeitungen bisher beschrieben wurde, lässt mehr als zu wünschen übrig. Der bauliche Zustand wirkt sich auf alle aus - das heißt sowohl auf die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen als auch auf die Gefangenen - und erschwert das erforderliche Miteinander. Der Vollzug soll den Gefangenen befähigen, künftig ein Leben ohne Straftaten in sozialer Verantwortung zu führen. Einen reinen Verwahrvollzug lehnen wir eindeutig ab.

Leider erinnert der Alltag in der Haftanstalten wegen der bestehenden Mängel aber an ein „Aus-demVerkehr-Ziehen“. Es ist kaum vorstellbar, dass sich die Ziele des Strafvollzuges unter solchen Bedingungen verwirklichen lassen. Eine Resozialisierung ist angesichts der beschriebenen Zustände kaum möglich, wenn zum Beispiel nicht einmal eine Grundversorgung im hygienischen Bereich gewährleistet ist. Katastrophale sanitäre Verhältnisse führen zu erheblichen Reibereien - auch untereinander. Nach unserer Ansicht könnte eine Verbesserung in diesem Bereich schon für ein bisschen Entspannung sorgen.

Besonderer Anstrengungen bedarf es beim Jugendstrafvollzug. Hier gibt es zwar einen Lichtblick - die Anstalt in Schleswig ist nunmehr in Betrieb genommen -, es ist aber wohl allen klar, dass noch weitere Anstrengungen vonnöten sind.

Neben dem baulichen Zustand spielt vor allem der Aspekt der Überfüllung der JVAs eine zentrale Rolle. Angesichts der Tatsache, dass das Boot seit langem übervoll ist, stellt sich verstärkt die Frage nach Alternativen zu Haftstrafen. Auch wir unterstützen diese Suche nach neuen Wegen, denn die Freiheitsstrafen

(Silke Hinrichsen)

füllen nicht nur die Gefängnisse, sondern sind im Sinne präventiver Zielsetzungen der Haft vielfach auch kontraproduktiv.

Allerdings können wir nicht jede Alternative unterstützen, die in der Not auf den Tisch kommt. Die in dem F.D.P.-Antrag angesprochene so genannte elektronische Fußfessel können wir nicht akzeptieren, nicht zuletzt deshalb, weil sonst die Platzprobleme der JVAs auf dem Rücken von Familien ausgetragen werden könnten, wenn jemand bei ihnen zu Hause verbleibt.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

Es gibt aber noch ausreichend andere Möglichkeiten der Substitution von Gefängnisaufenthalten bei Ersatzfreiheitsstrafen, die hoffentlich bald auch hierzulande genutzt werden. Die Ministerin hat vorgeschlagen, bei Ersatzfreiheitsstrafen gemeinnützige Arbeit als Alternative zu nutzen. Dies finden wir sehr gut.

Wir gehen davon aus, dass sich Frau Lütkes jetzt auch auf Bundesebene dafür stark machen wird und die Bestrebungen der Bundesjustizministerin insoweit unterstützt.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie wir der Presse entnehmen konnten, liegt der Justizministerin jetzt schon der Bericht darüber vor, was an dringenden Investitionen in den nächsten Jahren anliegt. Wir werden nun den von der F.D.P. angeforderten Bericht abwarten, um eine gute Grundlage dafür zu haben, die Bestrebungen der Landesregierung zu bewerten. Sollten in diesem Bereich weitere Sofortmaßnahmen im Interesse aller notwendig sein, müssen diese bei den Haushaltsplanberatungen noch Berücksichtigung finden. Der Bericht wird hierzu hoffentlich eine Hilfestellung geben.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun erteile ich dem Abgeordneten Wolfgang Kubicki für einen Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 unserer Geschäftsordnung das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Beitrag der Kollegin Irene Fröhlich von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gibt mir Anlass, mich noch einmal zu Wort zu melden.

(Lachen der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Ja, Frau Fröhlich! Manchmal ist es wirklich wert, auf Ihre Beiträge einzugehen. Sie haben zu Recht gesagt, im Bereich Innen und Recht seien Sie neu und lernten noch.

(Zuruf des Abgeordneten Friedrich-Carl Wo- darz [SPD])

- Nein, nein. Wir können nach der Devise verfahren: Wem Gott gibt ein Amt, dem gibt er auch Verstand. Dann brauchen wir immer nur Ämter zu vergeben. Aber wir haben uns mit Justizvollzug und mit Justiz bereits in diesem Hause beschäftigt, da gab es die Grünen noch gar nicht.

(Beifall bei der F.D.P. - Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber mich hat es schon gegeben und ich habe mich auch schon damit beschäftigt!)

Insofern müssen Sie nicht alles, was hier passiert, als Reflex auf Ihre Beschäftigungstherapie betrachten.

Ich will noch zu Protokoll geben, dass Sie sehr sorgfältig damit umgehen sollten, wenn wir in der Sache etwas erreicht haben. Das betrifft die Dotierung der Straffälligenhilfe. Frau Fröhlich, ich wäre sehr dankbar gewesen, in den letzten vier Jahren wären Sie die Ansprechpartnerin gewesen. In dieser Zeit war Herr Böttcher hier. Es war ein Genuss! Uns ist es interfraktionell, unter Einschluss der Union, gelungen, diese Dotierung sicherzustellen. Wenn Sie das nicht als Wert akzeptieren wollen, sondern anfangen zu polemisieren, als seien Sie es allein gewesen, dann tun Sie der Sache einen schlechten Dienst.

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

Ich will feststellen, dass ich persönlich - wie übrigens Herr Wolter und andere auch - dem gesamten Haus dankbar bin, dass dies interfraktionell und gegen alle Schwierigkeiten gelungen ist. Das festzustellen war mir wichtig.

(Beifall bei F.D.P. und CDU - Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade, dass Sie immer das letzte Wort haben müssen! - Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Das hat jetzt die Frau Ministerin!)