Protocol of the Session on June 7, 2000

Moderner Strafvollzug setzt darüber hinaus aber auch zumutbare bauliche Bedingungen sowie eine angemessene personelle Situation voraus. Das ist deshalb besonders dringend, weil - ich muss einmal den technischen Begriff gebrauchen - die „Gefangenenpopulation“, die Zusammensetzung der Strafgefangenen in Haftanstalten, immer schwieriger wird und deshalb für das Personal extrem erhöhte Belastungen zu verzeichnen sind. Wir sind uns einig, das „Wegschließen“ heute keine Lösung mehr ist. Umso mehr hoffe ich, dass sich in dem Bericht neben Hinweisen zur Verbesserung der baulichen Situation auch Auskünfte zur Personalplanung finden werden. Schon jahrelang sind die Bediensteten im Justizvollzug die „vergessenen Kinder“ - oder jedenfalls fühlen sie sich so. Personalstrukturmaßnahmen wie etwa die Einführung einer zweigeteilten Laufbahn müssen zumindest auch für den Justizbereich angedacht werden, wenn man den Menschen dort eine berufliche Perspektive geben will.

(Beifall bei der F.D.P. und der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN] und Karl-Martin Hentschel [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir sind wirklich vorbehaltlos gespannt auf den Bericht und völlig vorbehaltlos offen für jede Debatte in diesem Bereich und wir erwarten, Frau Ministerin, den Bericht im Oktober dieses Jahres.

(Beifall bei der F.D.P. und vereinzelt bei der CDU sowie Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Für die SPD-Fraktion erteile ich dem Kollegen KlausPeter Puls das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stimmen dem Berichtsantrag in der Sache zu. Wir teilen die Besorgnisse der antragstellenden Fraktion und wir unterstützen die bereits eingeleiteten und weiter angekündigten Bemühungen unserer Justizministerin für eine Verbesserung der Strafvollzugsbedingungen in Schleswig-Holstein. Wir freuen uns - ich möchte das hier auch ausdrücklich zum Ausdruck bringen -, dass die Ministerin durch ihre Besuche in den Justizvollzugsanstalten des Landes gleich zu Beginn ihrer Amtszeit ein wichtiges und richtiges Signal gesetzt hat.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU und Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zur Sache heute nur so viel - auch im Hinblick auf eine möglicherweise nicht in allen Punkten begeistert

zustimmende Öffentlichkeit -: Erstens: Wir sind als Land verfassungsrechtlich verpflichtet, in unseren Justizvollzugsanstalten menschenwürdige Haftbedingungen zu gewährleisten.

Zweitens: Wir sind als Land verpflichtet, durch bauliche Maßnahmen für die Sicherheit in den Justizvollzugsanstalten und für die Sicherheit nach außen zu sorgen.

Und Drittens, aber keineswegs zuletzt: Wir sind als Land auch finanziell verpflichtet, angemessene Arbeitsbedingungen für unsere Landesbediensteten zu schaffen, die Tag und Nacht in den Justizvollzugsanstalten ihren verantwortungsvollen und immer auch gefährlichen, schweren Dienst leisten.

Der beantragte Bericht sollte hier diskutiert werden, wenn er vorliegt.

(Beifall bei SPD, F.D.P. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion erteile ich jetzt dem Herrn Abgeordneten Thorsten Geißler das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Fraktion wird dem Antrag der F.D.P.Fraktion zustimmen. Die Antwort der Landesregierung wird eine willkommene Gelegenheit bieten, über die derzeitige Situation des Strafvollzuges in SchleswigHolstein zu debattieren. Wir erwarten von der Landesregierung eine ungeschminkte Schilderung der gegenwärtigen, nach unserer Einschätzung Besorgnis erregenden Lage und auch die Vorlage eines klaren Gesamtkonzeptes über die Zukunft des Strafvollzuges in Schleswig-Holstein.

Von der angespannten, explosiven, teilweise desolaten Lage konnten Sie sich, Frau Ministerin, zu Beginn Ihrer Amtszeit bereits persönlich überzeugen. Ich glaube, Sie haben die Lage am Wochenende auch als katastrophal bezeichnet. Darin können wir Ihnen nur Recht geben. - Haben Sie nicht? Das wäre aber richtig gewesen. Das können Sie hier ja vielleicht noch nachholen.

Um es klarzustellen: Die gegenwärtige Situation ist Ihnen, Frau Ministerin, natürlich nicht anzulasten. Es wäre unfair, Sie für Fehler und Versäumnisse in der Vergangenheit verantwortlich zu machen. Diese Fehler und Versäumnisse sind von der alten Landesregierung begangen worden. Auch von der anderen

(Thorsten Geißler)

Seite des Hauses, Herr Kollege Puls, wären außer einem Begrüßen des F.D.P.-Antrages einige kritische Anmerkungen angebracht gewesen.

(Zuruf der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine Damen und Herren, aber ich sage natürlich genauso deutlich: Wer selbst eine Verbesserung der Vollzugssituation in Schleswig-Holstein verspricht, Frau Ministerin, wer Konzepte ankündigt, der wird dann daran gemessen werden, welche Fortschritte in Schleswig-Holstein auch tatsächlich erzielt werden.

Denn obwohl wir in unserem Bundesland eine niedrige Gefangenenpopulation haben

(Holger Astrup [SPD]: Das sind doch keine Enten, Herr Kollege!)

derzeit etwa 61 Gefangene pro 100.000 Einwohner; der Bundesdurchschnitt liegt bei über 100 -, sind unsere Anstalten überfüllt.

Herr Kollege, was gibt es?

(Holger Astrup [SPD]: Zur „Gefangenen- population“: Das sind doch keine Enten!)

- Herr Kollege, Sie werfen gelegentlich die Begriffe durcheinander. Das ist uns nicht verborgen geblieben.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass es sich um einen Fachterminus handelt. Ich bin gern bereit, Ihnen das nachher im Privatissimum zu erläutern.

(Zurufe von der CDU: Oh, oh!)

Zellen sind überbelegt und den Anforderungen des Strafvollzugsgesetzes - vielleicht haben Sie irgendwann einmal Gelegenheit, Herr Kollege Astrup, sich vor Ort zu informieren

(Holger Astrup [SPD]: Genau!)

wird nicht Rechnung getragen, teilweise müssen Gemeinschaftseinrichtungen für die Häftlingsunterbringung genutzt werden.

Wir brauchen klare Aussagen der Landesregierung, wie diese auf Dauer nicht hinnehmbaren Zustände beseitigt werden sollen. Wir brauchen auch klare Aussagen darüber, in welchem Umfang neue Haftplätze geschaffen werden sollen.

Dass es großer Anstrengungen bedarf, zeigt der Bundesvergleich. Hätten wir auch in Schleswig-Holstein die durchschnittliche - Herr Kollege Astrup! - Gefangenenpopulation, so bedürfte es 1.200 neuer Haftplätze und der Einstellung 600 neuer Beamter. Wir wissen alle in diesem Haus, dass dies unrealistisch ist. Die

Alternativen aber, eine weitere Hinnahme der Überbelegung der Anstalten, die nicht zeitgerechte Vollstreckung verhängter Freiheitsstrafen oder aber eine nicht verantwortbare Haftvermeidung sind für uns ebenfalls völlig inakzeptabel.

Die Versäumnisse der Vergangenheit werden deutlich an dem Investitionsstau, den das Ministerium auch zwischenzeitlich öffentlich eingeräumt hat. 110 Millionen DM werden für bauliche Maßnahmen benötigt. Zum Vergleich: In den vergangenen Jahren sind im Durchschnitt etwa 5 Millionen bis 7 Millionen DM pro Jahr an Investitionen getätigt worden. Angesichts einer solchen Situation muss auch über ungewöhnliche Lösungen nachgedacht werden. Wieweit macht es Sinn, Millionen und Abermillionen DM in teilweise völlig veraltete Anstalten aus der Kaiserzeit hineinzupumpen, in denen wahrscheinlich trotz aller Bemühungen ein moderner, sinnvoller Strafvollzug nicht gewährleistet werden kann? Dabei sollten wir den Blick in andere Bundesländer nicht scheuen. Die vom Land Mecklenburg-Vorpommern geleaste Anstalt Rostock-Waldeck könnte meines Erachtens auch für Schleswig-Holstein Modellcharakter haben.

Wir erwarten darüber hinaus klare Aussagen zur zukünftigen Personalentwicklung im Justizvollzug. Der Dienst im allgemeinen Justizvollzugsdienst ist in den vergangenen Jahren ständig schwieriger geworden. Eine veränderte Gefangenenstruktur, mehr langstrafige Gefangene, immer mehr Nationalitäten, ein stärkeres Gewaltpotential erschweren den Dienst in unseren Justizvollzugsanstalten. Wer in einer solchen Situation an Personalkürzungen denkt, muss dringend gewarnt werden. Denn bei einer sich weiter verschlechternden Personalsituation wird sich nicht nur die Sicherheitslage verschärfen, vielmehr wird auch die Qualität des Vollzuges weiter leiden. Das können wir uns in Schleswig-Holstein nicht weiter leisten. Dem muss entgegengewirkt werden.

(Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Und natürlich muss der Justizvollzugsdienst auch Anerkennung erfahren. Wir müssen die Stellenschlüsselung durchleuchten, wir müssen prüfen, ob in angemessenem Umfang dort wirklich der schweren Arbeit in unseren Justizvollzugsanstalten angemessen Rechnung getragen wird.

Ich erkenne dabei durchaus an, dass in den vergangenen Jahren nicht zuletzt auf Druck meiner Fraktion erhebliche Investitionen zur Erhöhung der Sicherheit in den Anstalten getätigt wurden. Dennoch gibt es auch hier ungelöste Probleme. Ein nicht unerhebli

(Thorsten Geißler)

cher Teil der Gefangenen in Schleswig-Holstein ist drogenabhängig. Und immer noch scheint es ein Leichtes zu sein, Drogen in die Anstalt hineinzuschaffen. Damit aber wird das Resozialisierungsziel natürlich weiter konterkariert. Auch zu diesem Bereich erwarten wir klare Konzepte und Lösungsansätze.

Ebenfalls selbstverständlich werden wir über die Gefangenenentlohnung zu sprechen haben. Ich kann das hier nur anreißen. Wir verfolgen natürlich den Konflikt zwischen der Bundesministerin der Justiz und den Justizministerien der Länder mit großem Interesse. Die Debatte über diese Problematik muss der Erörterung in diesem Haus nach Vorlage des Berichts vorbehalten bleiben. Ich sichere Ihnen natürlich zu, dass wir die zahlreichen Einzelprobleme dann auch im Ausschuss sorgfältig erörtern werden.

Ich begrüße den Antrag der F.D.P.-Fraktion. Wir stimmen ihm ausdrücklich zu und wir erwarten von der Landesregierung nicht nur einen ausführlichen Bericht, sondern auch ein klares Konzept über die Zukunft des Strafvollzuges in Schleswig-Holstein.

(Beifall bei CDU und F.D.P. sowie der Ab- geordneten Klaus-Peter Puls [SPD] und Karl- Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt die Frau Abgeordnete Irene Fröhlich das Wort.

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Situation in den Justizvollzugsanstalten ist nicht besonders rosig. Das wissen wir schon, bevor der Bericht im Oktober gegeben wird. Aber der im Oktober zu gebende Bericht wird keiner sein, der sich für Schuldzuweisungen und Selbstreinwaschungen eignet. Wir sollten da alle miteinander sehr gut aufpassen. Die schwierige Situation in den JVAs ist seit mindestens 20 Jahren in Insiderkreisen bekannt.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Quatsch!)

Ich weiß das, weil ich mich in Schleswig-Holstein seit mindestens 20 Jahren mit diesem Bereich beschäftige. Aber es braucht offensichtlich den politischen Mut der Grünen und hier besonders den einer kompetenten Fachfrau, das auch auszusprechen. Das ist ja immer der Anfang jeder Veränderung. Den haben wir gemacht und das soll dann auch gut so sein.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])