Protocol of the Session on June 7, 2000

Es kann nicht angehen, dass unsere Landwirte unwissentlich Gefahr laufen, genbehandeltes Saatgut auszubringen, weil Kontrollmechanismen versagt haben.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW] und Friedrich-Carl Wodarz [SPD])

Dadurch wird unserer Landwirtschaft Schaden zugefügt und das Vertrauen der Verbraucher in die Landwirtschaft aufs Spiel gesetzt. Das, was wir jetzt brauchen, sind genaue Informationen, um die Problematik transparent zu machen und um sie dann als Entscheidungshilfe nutzen zu können. Die offenen Fragen müssen beantwortet werden, damit wir uns vorurteilsfrei weiter mit der Gentechnik auseinander setzen können. Das trifft gerade auf diesen konkreten Fall zu, bei dem wir es mit unkontrolliert ausgebrachtem genmanipuliertem Saatgut zu tun haben.

Der SSW hat sich immer dafür eingesetzt, dass Nahrungsmittel, die gentechnisch behandelt sind oder in

denen gentechnisch behandelte Lebensmittel vorkommen, ausführlich gekennzeichnet sind. Darüber hinaus ist es dringend notwendig, dass sich Pflanzenzüchterverbände erkundigen und prüfen, ob sie Saatgut aus Ländern beziehen, in denen gentechnisch behandeltes Saatgut produziert wird. Ungeachtet dessen sollte auch hier eine Kennzeichnungspflicht eingeführt werden. Hier gebe ich sowohl Herrn Steenblock als auch Herrn Wodarz ausdrücklich Recht.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Wir wissen mittlerweile, dass deutsche Behörden laut Presseberichten sind dies Behörden in BadenWürttemberg - von der Saatgutverunreinigung seit Anfang April gewusst haben. Ich frage mich daher: Warum wurde kein anderes Bundesland rechtzeitig informiert? Hat man es nicht für wichtig erachtet oder sind die länderübergreifenden Informationsstrukturen einfach nur unzureichend? Sind wir schlecht vorbereitet?

Ich möchte mich in diesem Zusammenhang bei unserer Landwirtschaftsministerin dafür bedanken, dass sie sich so schnell nach Bekanntwerden der Angelegenheit beim Bundeslandwirtschaftsminister dafür eingesetzt hat, die Kontrollen zu verstärken. Das ist der erste Weg in die richtige Richtung.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW], vereinzelt bei der SPD und Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dass von der Landesregierung eine Initiative gestartet werden soll, um eine EU-weite einheitliche Regelung zu finden, wird von uns natürlich auch begrüßt.

Es geht jetzt vordringlich darum, diesen Fall so schnell wie möglich aufzuklären, und es müssen entsprechende Schlüsse gezogen werden, damit so etwas nicht wieder passieren kann. Wir dürfen die Risiken, die in der Gentechnik liegen, nicht unterschätzen. Gerade das Wissen, dass heute in Deutschland acht bis zwölf Jahre geforscht wird, bis es zur Einführung eines gentechnisch behandelten Produktes kommen kann, zeigt uns, wie heikel und auch unerforscht die Gentechnik ist. Es verdeutlicht aber auch, dass die Forschung bei uns genau und ausführlich ist, und das ist auch gut so.

Was den Bürger - nebenbei gesagt - auch interessiert, ist die Frage, ob es sich hierbei um Saatgut handelt, das schon in Deutschland erforscht ist und ob es im konkreten Fall Auswirkungen auf die menschliche

(Lars Harms)

Gesundheit hat. Auch wenn diese Fragen simpel erscheinen mögen, so sind es doch Fragen, auf die die Bürgerinnen und Bürger eine klare Antwort erwarten dürfen. Diese Antworten müssen öffentlich gemacht werden. Da reichen auch einzelne Presseberichte, Frau Happach-Kasan, nicht aus, sondern es ist ganz wichtig, dass der Staat diese Verantwortung übernimmt. Dieser Bericht, der kommen soll, entspricht genau dieser staatlichen Verantwortung, die dann auch angenommen wird.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW], Friedrich-Carl Wodarz [SPD] und Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Nur so können wir das Vertrauen der Bevölkerung wiedergewinnen und die möglichen Gefahren dieses Vorfalls auch richtig einschätzen. Deshalb können wir dem Berichtsantrag nur nachdrücklich zustimmen.

(Beifall beim SSW, vereinzelt bei der SPD und Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Wort erteile ich jetzt Frau Ministerin Franzen. Ich weise darauf hin, dass die angemeldete Redezeit der Regierung abgelaufen ist, sodass danach den Fraktionen nach § 58 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung wieder zusätzliche Redezeit zusteht. Sie haben das Wort, Frau Ministerin!

Ich bedanke mich. - Meine Damen und Herren, ich will versuchen, mich kurz zu fassen. Ich will noch einmal auf die aktuelle globale Situation hinweisen und die Sache ein bisschen aus meiner Sicht gewichten. Wir haben im Ausland einen zunehmenden Anteil gentechnisch veränderter Sorten. Das ist gesagt worden. Allein beim Sommerraps in Kanada - der ist hier ja interessant - sind es 50 bis 60 %. Wir können nicht alle Importe im Detail kontrollieren. Das wird nicht möglich sein. Da muss man ehrlich sein. Das heißt, wir haben eine objektive Gefahr durch die Zunahme solcher Verunreinigungen, wie wir sie hier erlebt haben.

Wofür ich plädiere - gerade auch in der Rolle als Landwirtschaftsministerin, die auch für den Verbraucherschutz zuständig ist -, ist Folgendes. Ich möchte keine schleichende Einführung gentechnisch verunreinigten Saatgutes. Das kann nicht sein. Ich möchte, dass wir einen offenen Diskurs haben, dass wir in diesen Diskussionen Transparenz haben, und ich

möchte, dass wir die Verbraucher überzeugen und nicht übertölpeln. Das könnte dabei nämlich sonst passieren.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich will auf die rechtlichen Rahmenbedingungen hinweisen; mein Kollege Müller hat das auch schon getan. Nach dem Gentechnikgesetz ist das - es gibt dieses schreckliche Wort - In-Verkehr-Bringen solch gentechnisch veränderten Saatgutes nicht erlaubt. Das ist eine Ordnungswidrigkeit. Das Saatgutrecht kennt dazu gar keine Regelung.

So kann man sagen, Frau Happach-Kasan: Alles in Butter, schöne Situation! Man kann aber auch sagen: Wir haben eine Gesetzeslücke. Für diese Feststellung will ich nachdrücklich plädieren.

Ich komme Ihnen einmal mit einem Land, das relativ unverdächtig ist, sehr viel zu normieren und zu regeln und kein Geld verdienen zu wollen, und zwar mit der Schweiz. Laut Presse - „Neue Zürcher Zeitung“ vom 6. Juni; also ganz neu - hat die Schweizer Bundesregierung einen Grenzwert von 0,5 % für gentechnisch veränderte Organismen auch für Saatgut eingeführt. Das ist weit über dem, was wir gefunden haben. Darüber kann man sich auch streiten. Aber die Schweizer haben es getan, und zwar mit Wirkung vom 1. Juli dieses Jahres. Sie hatten dort Erfahrung mit Mais, sie haben reihenweise untergepflügt, sie haben also das mitgemacht, was wir mit Raps erleben. Dazu kommt, dass sie die Saatgutbetriebe verpflichten, grundsätzlich auf eine Verunreinigung „zu Null“ zu achten. Das ist ihre Selbstverpflichtung - das finde ich ganz wichtig und wenn es dort doch passiert - wir haben die Problematik ja hier geschildert -, gibt es diese Toleranzgrenze.

Die Diskussion in der Schweiz lautet: Greenpeace sagt, das sei zu hoch, WWF Schweiz und ProNatura sowie andere sagen, das sei okay. Da will ich mich gar nicht einmischen. Ich möchte nur betonen, andere Länder sind ein Stück weiter. Die Schweiz ist - wie gesagt - kein Staat, der nur reguliert.

Ich möchte ein paar Worte zur Bedeutung von Raps sagen und darüber, dass ich - wie wir alle - im Mark ein bisschen getroffen war, weil es nun gerade einem Händler bei uns widerfahren ist.

Raps - allerdings der Winterraps - spielt bei uns mit 91.000 ha eine sehr große Rolle. Ihm kommt auch eine wichtige Rolle in der Fruchtfolge, in der Veredelung, in der Verwertung und in der zunehmenden

(Ministerin Ingrid Franzen)

Inbetriebnahme verschiedener Produkte zu. Das muss ich hier nicht weiter ausführen.

Ich sage einmal ganz emotional - da setze ich mir den Hut der Tourismusministerin auf -: Wir sind ein wunderschönes Land in den Medien, in der Werbung und in unserer Selbstwahrnehmung aufgrund unserer Rapsfelder. Jetzt haben die Menschen Fernsehen in der Tagesschau, haben irgendetwas von Verunreinigung des Rapses gehört - hängen geblieben ist: Mit Raps stimmt etwas nicht. Das können wir nicht gut finden und ich finde es auch nicht gut.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD sowie der Abgeordneten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Anke Spoorendonk [SSW])

Ich möchte auf eines hinweisen, was mir ganz wichtig ist, gerade weil der Saatgutbetrieb in unserem Land liegt. Die Landesregierung wird nach dem Motto handeln: „Reden mit und nicht reden darüber“. Wir haben daher Gespräche mit dem Zuchtunternehmer vor Ort sowie in meinem Hause geführt. Wir werden weitere Unternehmen aus der Saatgutwirtschaft - er ist ja nicht der Einzige - noch im Juni mit dem Ziel einladen, eine freiwillige Vereinbarung in diesem Lande zu treffen. Das, was ich dem Kollegen Funke geschickt habe und was ihn sehr gefreut hat - ich habe ihn hier persönlich getroffen, es gab keinen Dissens zwischen uns -, wird dauern. Darüber müssen wir uns im Klaren sein.

Wir waren so verblieben, Herr Kollege Müller, dass wir den Ausschüssen, denen der Antrag überwiesen wird, den Bericht schriftlich nachliefern. Wir haben das als Kabinettsvorlage nicht geschafft. Wir haben dann eine gute Grundlage für eine weiterhin notwendige Diskussion.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das Wort nach § 58 Abs. 1 der Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Nabel.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich trage hier eine persönliche Ansicht vor, die nicht durch einen Fraktionsbeschluss gedeckt ist.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

Das möchte ich vorweg sagen. Ich habe das Recht als gewählter Abgeordneter, dies zu tun.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Das finde ich sehr vernünftig!)

Die Diskussion über die gentechnisch veränderte Rapssaat und deren Beimischung oder Verunreinigung zu anderem Saatgut hat weitergehende Folgen als die, die in den bisherigen Beiträgen der Mitrednerinnen und -rednern dargestellt wurden. Es ist meine Pflicht darauf hinzuweisen, weil ich glaube, dass uns diese Diskussion noch eine ganze Weile beschäftigen wird.

Das technisch Machbare hat nicht nur in dieser Frage weitreichendere Folgen, deren Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem viel gravierender sein können als die des dann wirklich technisch Gemachten. Ich sage „können“, weil wir es alle nicht besser wissen. Aber die Biologen könnten und müssten es besser wissen. Wenn sie es nicht wissen, müssen sie dafür sorgen, dass sie es wissen. Technikfolgenabschätzung, bevor eine Technik umgesetzt wird - das ist die Forderung, die ich hier stelle.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Warum verändert sich der Magen einer Biene, nachdem sie von gentechnisch verändertem Raps gegessen hat? Warum bekommt ein Zuckerkranker einen allergischen Schock, nachdem er gentechnisch produziertes Insulin zu sich genommen hat? Welche Folgen hat es, wenn die Saatsorten, die durch transgene Herbizidresistenz privilegiert sind, andere Sorten zurückgedrängt haben, wenn dadurch die Artenvielfalt gefährdet wird? Drei von Tausenden ungestellten und unbeantworteten Fragen, die sich an die Naturwissenschaften richten.

Es gibt aber auch Fragen, die sich an die Sozialwissenschaften und an die Politik richten. Diese müssen gestellt werden. Es gibt nämlich grundlegende Veränderungen im Leben der Menschen, in ihren Traditionen, in ihren Strategien, Leben zu bewältigen. Weltweit gibt es tausende Strategien bezogen auf die Landschaft, auf das Klima, auf die Umgebung, auf die dort lebenden Menschen, Tiere, Pflanzengesellschaften, Strategien, die darauf abzielen, die Ernährung sicherzustellen.

Diese Strategien sind bei uns in Mitteleuropa anders als im westlichen Afrika oder in Südamerika. Alle reden doch von Standortfaktoren. Dort sind die Standortfaktoren eben anders als bei uns. Deshalb müssen die Strategien, Lebensmittel zu erzeugen, auch anders sein, nämlich an die Standortfaktoren angepasst. Denn es kann nicht angehen, dass mit einer Sorte Saatgut Weizen Nr. 87, 3 - alle Ernährungsprobleme dieser Welt überall mit der gleichen Strategie, mit der gleichen Herbizidmischung gleich

(Konrad Nabel)

artig gelöst werden. Das geht nicht. Es wird nicht klappen und es ist ein Irrweg, auf dem wir uns da bewegen.

(Beifall der Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD] und Anke Spoorendonk [SSW])

Viele der Strategien, die über Tausende von Jahren von den Menschen vor Ort entwickelt worden sind angepasst, wie ich gesagt habe -, gehen verloren. Nicht nur die Arten gehen verloren, sondern auch diese Strategien der Menschheit, das kulturelle Wissen um die Ernährung. Wir verarmen auf dieser Welt. Immer breitere Bevölkerungskreise lehnen es ab, sich wiederum in die Abhängigkeit einer weitgehend unerforschten Großtechnologie zu begeben wie seinerzeit die der Kernenergie.

Die Menschen fühlen sich ohnmächtig, wenn sie Getreide anbauen, von dem sie wissen, es wird keine Saat bringen. Sie müssen wieder das gleiche Getreide kaufen, die gleiche Herbizidmischung, obwohl sie wissen, dass ihr Boden dadurch kaputtgeht, weil sie darauf angewiesen sein werden, weil standortangepasste Saaten entweder zu teuer oder aber später nicht mehr verfügbar sind.