Protocol of the Session on October 17, 2001

Bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich Besucher begrüßen. Auf der Tribüne haben sich Schülerinnen und Schüler der Ernst-Barlach-Realschule, Wedel, eingefunden. - Herzlich Willkommen!

(Beifall im ganzen Haus)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Hentschel das Wort.

Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Kubicki, ich würde mir wünschen, dass Sie den ersten Teil Ihrer Rede nach Hamburg schicken und der dortigen Koalition zur Kenntnis geben. Er könnte dort eine gewisse Sprengkraft entwickeln. Der erste Teil Ihrer Rede hat mir gefallen. Auf den zweiten Teil Ihrer Rede werde ich gleich eingehen.

Jeder wird mir zustimmen, wenn ich sage, wir wollen die Freiheit verteidigen und wir wollen die Sicherheit erhöhen. Freiheit und Sicherheit, das sind die Ziele, über die wir heute reden. Aber was bedeutet das? Wir haben furchtbare Terroranschläge erlebt, die die Sicherheit gefährden. Ich sage aber: Diese Terroranschläge gefährden nicht nur die Sicherheit, sondern sie gefährden auch die Freiheit, denn das Ziel von bin Laden und seinen Leuten ist nicht nur, die Sicherheit in den USA zu gefährden, sondern unsere freiheitliche Kultur so zu zerstören, dass wir uns sozusagen selber von innen heraus umwandeln. Deswegen müssen wir in diesem Zusammenhang vorsichtig sein, was wir tun.

Die USA und Großbritannien bombardieren Afghanistan und viele Menschen fragen mich, inwieweit das die Sicherheit erhöht. Wenn es gelingt, die TalibanRegierung tatsächlich zu stürzen, wenn es gelingt, bin Laden zu fangen und seine Camps zu schließen, dann ist das ein Gewinn an Sicherheit. Wenn es stattdessen gelingt, in großen Teilen der arabischen Welt die extremistischen islamistischen Organisationen zu stärken und den Hass auf die USA in weiten Teilen der Welt zu vergrößern, dann ist das kein Gewinn an Sicherheit.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ähnliche Fragen stellen sich auch innenpolitisch. Was nützt die Einführung einer Kronzeugenregelung

gegenüber Tätern, die noch nie strafrechtlich aufgefallen sind? Strafminderung macht in gewissem Umfang vielleicht Sinn, aber gerade in diesem Zusammenhang ist dieser schwer zu erkennen. Was nützen Maßnahmen - wie sie von Herrn Wadephul vorgeschlagen werden - gegen arme illegale Flüchtlinge, wenn wir es mit Leuten zu tun haben, die wohlhabend, legal und gesetzestreu unter uns leben? Wir müssen zielgerichtet alles tun, um Sicherheit zu schaffen. Aber da wir nicht wissen, wie die nächste Bedrohung aussehen kann, ist es schwer, zu wissen, was zielgerichtet ist. Benjamin Franklin sagte einmal: „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.“

Wir haben uns in gemeinsamen Gesprächen der Regierungsfraktionen mit der Regierung auf Maßnahmen zur inneren Sicherheit verständigt. Dabei haben wir uns davon leiten lassen, Maßnahmen vorzuschlagen, die einen realen Sicherheitsgewinn versprechen. Wir haben uns bemüht zu vermeiden, einen Bauchladen vorzulegen, bei dem alles, was einem gerade einfällt, vorgeschlagen wird und bei dem nicht erkennbar ist, was die einzelne Maßnahme mit der Situation zu tun hat. Allerdings gebe ich zu: Niemand weiß, welche Bedrohung wir tatsächlich vor uns haben und niemand weiß im Einzelnen, ob die Verstärkung der Polizei, der Gerichte und des Verfassungsschutzes die ideale Maßnahme ist. Selbst wenn sich die Regierung noch zehn Wochen in Klausur begeben und ausführliche Analysen durchführen würde, würde sie trotzdem nicht wissen, welchen Anschlag bin Laden demnächst plant. Das muss man klar sagen. Bei dem vorgelegten Paket geht es nicht darum, Antworten auf Fragen zu geben, die möglicherweise in der Zukunft gestellt werden, sondern es gilt in der jetzigen Situation schlicht festzustellen, welche Probleme es im Sicherheitsbereich und im Justizbereich gibt.

Wir wissen - da haben Sie völlig Recht -, dass die Lage in diesen Bereichen in der Vergangenheit angespannt war. Das ist nie bestritten worden. Natürlich ist sie angespannt. Wir sind nun einmal ein Land, das finanziell knapp dasteht. Und weil die Lage angespannt ist, ist es in einer solchen Situation, in der die Probleme nicht aus dem Stand bewältigt werden können, notwendig, etwas Zusätzliches zu tun.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Zusätzliche ist in einem vernünftigen Konzept von der Regierung vorgelegt worden und es wird auch erfolgen.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

(Karl-Martin Hentschel)

In dem Konzept findet sich das, was notwendig ist, um das nötige Maß an Sicherheit in der jetzigen Situation zu schaffen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Kubicki [FDP]: Sie haben gesagt, Sie wissen das noch gar nicht. Wieso wissen Sie es auf einmal?)

- Herr Kubicki, Arthur Schopenhauer sagte einmal: „Selten denken wir an das, was wir haben, sondern immer nur an das, was uns fehlt.“

In unserem Lande gehen doch Gott sei Dank die Verbrecher und Mörder nicht frei spazieren und wir haben hier auch keine katastrophalen Zustände. Sie malen Zustände an die Wand, die real nicht existieren. Schleswig-Holstein ist ein Land, in dem seine Menschen sicher leben können, in dem sie sich wohl fühlen und auch abends auf die Straße gehen können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das muss auch einmal festgehalten werden. Da kann doch nicht einfach so getan werden, als gebe es plötzlich eine wahnsinnig gefährliche Lage, auf die schon seit Jahren hätte reagiert werden müssen.

(Günther Hildebrand [FDP]: Das wäre gut gewesen!)

Das ist falsch. Wir haben eine neue Situation, und das können Sie nicht bestreiten, auch wenn man weiß, dass die Vorgänge um diese Anschläge bereits seit acht Jahren laufen. Wir haben diese neue Situation im Sicherheitsbewusstsein der Menschen und es ist notwendig, dass die Regierung darauf reagiert. Eben so notwendig ist es aber auch, dass die Regierung maßvoll reagiert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie kann nicht alles Mögliche tun, was ihr gerade so einfällt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu Ihrem Wort „Bananenrepublik“, Herr Wadephul! Bananenrepubliken sind nun nicht gerade das Vorbild für einen Rechtsstaat. Sie haben meist sehr viel mehr Polizei als wir. Die läuft dort camarillamäßig durch die Landschaft und wird von Diktatoren ausgehalten. Das hat nichts mit Rechtsstaat zu tun, Herr Wadephul. Ich weiß nicht, was diese Ihre Anmerkung in diesem Zusammenhang soll.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind uns einig, dass die Ausstattung von Justiz und Polizei in dieser Situation verbessert werden soll. Wir wissen sehr wohl aus den Gesprächen mit Polizisten, dass sie schon vor dem Anschlag zahlreiche

Überstunden angesammelt haben und dass jetzt nach dem Anschlag zusätzliche Belastungen aufgrund der zusätzlichen Überwachung von Objekten hinzu kommen. Außerdem werden zusätzliche Belastungen auf die Polizei durch neue Demonstrationen zukommen. Deswegen wäre es fahrlässig, heute zu sagen, wir versuchen, das alles durch den Bestand abzudecken. So viele Überstunden können nicht abgebummelt werden, ohne dass die Präsenz in den Revieren gefährdet würde. Deswegen muss nachgebessert werden. Und das tun wir auch.

Wir wollen den Verfassungsschutz an die neue Lage anpassen. Allerdings sind wir sehr skeptisch über das, was geplant ist. Das sage ich auch Ihnen ganz besonders, Herr Innenminister. Wir erwarten, dass der Parlamentarischen Kontrollkommission ein Konzept vorgelegt wird. Das werden wir allerdings nicht öffentlich diskutieren. Einerseits gehören sicherlich entsprechende Sprachkenntnisse sowie ein kulturelles und historisches Wissen dazu. Andererseits glaube ich aber, dass wir sehr vorsichtig sein müssen, Herr Minister Buß, wenn wir darüber reden, ein Islamreferat schaffen zu wollen.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich stelle mir einmal vor, welche Schlagzeilen es geben würde, wenn beim ägyptischen Geheimdienst ein „Christenreferat“ geschaffen würde.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das gibt es!)

- Ich sage nur, dass ich persönlich darauf hinweisen möchte, dass man hier sehr vorsichtig sein sollte und vielleicht zu einem anderen Begriff kommen müsste, der trotzdem dem Sachstand gerecht wird. Denn es geht offensichtlich nicht um Mohammedaner, genauso wenig wie es um Christen geht, sondern es geht um Terroristen, die zufällig islamischer Religionsangehörigkeit sind.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Wolfgang Kubicki [FDP]: Das „zufällig“ stelle ich in- frage!)

Meine Fraktion hat gestern außerdem beschlossen, sich weiterhin dafür einzusetzen, dass der Verfassungsschutz der norddeutschen Länder zusammengelegt wird, und zwar auch mit Hamburg trotz Schill oder vielleicht auch wegen Schill. Ich meine, es ist durchaus sinnvoll, den Verfassungsschutz zusammenzulegen. Es wäre nicht sinnvoll, dass zum Beispiel ein V-Mann aus Hamburg, der sich nicht an die Ländergrenzen hält, nach Schleswig-Holstein kommt und dort von einem schleswig-holsteinischen V-Mann beobachtet wird. Und möglicherweise kommt dann ein

(Karl-Martin Hentschel)

Mitarbeiter des MAD in gleicher Angelegenheit und beobachtet die beiden und macht tolle Berichte. Das kann nicht die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz sein, wie wir sie brauchen.

(Anhaltende Zurufe des Abgeordneten Wolf- gang Kubicki [FDP] - Unruhe)

Deshalb glaube ich, dass eine Zusammenarbeit der norddeutschen Verfassungsschutzeinrichtungen sinnvoll und notwendig ist. Wir sollten uns weiter dafür einsetzen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Martin Kayenburg [CDU]: Das hat der Herr Innenminister doch hinreichend erläutert, Herr Kollege!)

Wir haben uns ebenfalls darauf geeinigt, die Identitätsfeststellung bei der Vergabe von Visa zu verbessern. Das ist ein sehr kritischer Punkt; denn wir wissen sehr gut, dass wir heute schon Probleme haben, zum Beispiel ausländische Fachleute und Wissenschaftler nach Deutschland zu holen. Der Generalverdacht gegen ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger, die sich politisch betätigen, ständige Kontrollen durch die Schleierfahndung und Ähnliches, was hier vorgeschlagen wird, werden nicht dazu beitragen, meine Damen und Herren von der CDU, einen „Schläfer“ zu finden, der sich unauffällig verhält und ausgezeichnete Papiere besitzt.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Das steht al- les im Antrag drin!)

Solche Maßnahmen werden vielmehr dazu beitragen, das Klima für die Menschen in diesem Lande nachhaltig zu verschlechtern. Davor sollten wir sie bewahren.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Das machen Sie auf Bundesebene doch alles mit!)

Deshalb gilt es auch hier in diesem Lande, Geld und Ressourcen auf solche Maßnahmen zu konzentrieren, die Erfolg versprechen. Dazu gehören in der Tat entsprechende Schritte, die die Identität einer Person so sicher wie möglich ermitteln.

Eine der größten Gefährdungen geht von den Atomkraftwerken aus, Herr Wadephul.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Nicht von den Atomkraftwerken! Von den Flugzeugen, die hineinfliegen!)

Wir werden nachher noch darüber reden, aber eine Anmerkung möchte ich jetzt schon machen. Auch hier wird die Diskussion mit der ideologischen Brille geführt.

(Heiterkeit und demonstrativer Beifall bei der FDP)