Protocol of the Session on October 17, 2001

Ich darf nun zur Sache kommen. Ich hatte gehofft - ich glaube, Frau Fröhlich hat den Antrag unterschrieben -, dass dieser Antrag gar nicht erst gestellt worden wäre. Ich hätte es nämlich für besser gehalten, wenn wir über dieses sehr sensible und brisante Thema vertrauliche Gespräche miteinander geführt hätten. Ich hatte

(Dr. Trutz Graf Kerssenbrock)

intern entsprechende Anregungen gegeben. Dann kam aber Ihr Antrag dazwischen.

Die zwischen uns unstreitige Erkenntnis, dass es keine vollständige Sicherheit vor Kamikaze-Passagierflugzeugen gibt, ist Anlass zu erheblicher Besorgnis und Angst, insbesondere diffuser Angst in der Bevölkerung.

Wir als Politiker tragen gewaltige Verantwortung. Daher ist zu fragen: Dürfen wir uns als Politiker daran beteiligen, Angst zu schüren? - Das dürfen wir zweifellos nicht. Da sind wir uns sogar einig, Frau Fröhlich! Ich freue mich darüber.

Wer kann ein Interesse daran haben, wenn doch in der Sache ein Leben mit der Gefahr, im Bewusstsein der Gefahr unausweichlich ist? - Nur jemand, dem es gar nicht auf die Sache ankommt, sondern der auf Angsterzeugung und Panikreaktionen aus ist!

So habe ich zunächst den Antrag der Grünen interpretiert: Er versucht, aus der Angst Kapital zu schlagen.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Unglaublich! Und das sagt die CDU!)

Ich habe versucht, die parteipolitische Situation der Grünen zu untersuchen: seit 1998 eine Landtagswahl nach der anderen verloren!

(Konrad Nabel [SPD]: Kommen Sie zur Sa- che!)

Da könnte man auf die Idee kommen: Es geht hier um „back to the roots“, es geht möglicherweise um die Wiedererweckung des antizivilisatorischen Ansatzes der Grünen.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Thema ist ernst genug! Kommen Sie zur Sache! - Zuruf des Abge- ordneten Konrad Nabel [SPD])

- Ich weiß, dass Sie das nicht gut finden. Aber man kommt zumindest auf den Gedanken.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Antizivilisatorisch?)

- Antizivilisatorisch, jawohl!

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wissen Sie, was Sie da gesagt haben? - Konrad Nabel [SPD]: Wollen Sie etwas zur Sache sagen?)

Dahinter steckt offensichtlich - Herr Nabel hat es eben angesprochen - die Forderung nach Abschaltung der Kernkraftwerke. Jetzt geht es möglicherweise nur noch um den Zeitpunkt. Jetzt wollen Sie den Atomkon

sens schon anders verstehen, als er tatsächlich gemeint gewesen ist.

(Konrad Nabel [SPD]: Das ist unglaublich!)

- Lesen Sie einfach einmal nach, was Bundesumweltminister Trittin in der „Frankfurt Allgemeinen Zeitung“ vom 14. Oktober, also vor wenigen Tagen, hierzu ausgeführt hat. Er hat sich sehr viel realistischer ausgedrückt. Er hat nämlich gesagt, eine Abschaltung der Kernkraftwerke komme nur im unmittelbaren Gefährdungsfall und zur Vermeidung der Kernschmelze in Betracht, sonst nicht!

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider!)

Darauf können wir uns verständigen, Herr Hentschel!

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist gesetzlich vorgeschrieben!)

Brunsbüttel und Stade sind nicht absturzsicher, Brokdorf und Krümmel auch nicht so richtig - das ist zwischen uns unstreitig. Aber noch viel unsicherer sind doch in jedem Fall die aufgrund des Konsenses mit der Energiewirtschaft vom Juni 2000 noch zu errichtenden Interims- und Zwischenlager. Sie drohen aufgrund ihrer sachwidrigen Verweigerungshaltung in Sachen Gorleben zu faktischen Endlagern zu werden. Hier wird die Widersprüchlichkeit Ihrer Energiepolitik erst richtig deutlich.

(Beifall bei CDU und FDP)

Es fehlt Ihnen doch jede Berechtigung, über solche Gefahren der Kernenergie durch Terroristen zu reden, wenn Sie durch Ihre Politik sogar noch zusätzliche Gefahrenquellen schaffen.

(Beifall bei der FDP)

Verfolgen wir den Gedanken doch einfach einmal weiter. Die Abschaltung von Kernkraftwerken würde nicht das Ende der Gefahr bedeuten. Sagen Sie ehrlich: Es geht Ihnen um den Abbruch der Kernkraftwerke. Damit sind die Gefahren immer noch nicht beseitigt. Dann müssten Sie in Ihrem Antiterror-Programm konsequent bleiben.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer ist dafür verantwortlich?)

Wir sind dann ganz schnell bei der Chemieindustrie, bei Raffinerien oder der Pharmaindustrie. Der Sandozunfall liegt erst wenige Jahre zurück. Das haben wir alle noch gut in Erinnerung.

Wir sind dann bei der Industriegesellschaft, die Chancen und Gefahren bietet, aber offensichtlich sind Sie da immer noch nicht ganz angekommen. Wenn man

(Dr. Trutz Graf Kerssenbrock)

diese Politik weiterdenkt, mutet das in etwa so an wie Selbstmord aus Angst vor dem Tode.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wir müssen über „Wege in der Gefahr“ reden. So hat Carl Friedrich von Weizsäcker, der Bruder unseres früheren Bundespräsidenten, ein Buch aus dem Jahre 1976 überschrieben. Wann wird die Freiheit durch zu viel Sicherheit erstickt? Wie viel Sicherheit schuldet der Staat dem Bürger? Bei Letzterem hat es offenkundig Versäumnisse gegeben. Das sind aber eben nicht nur unsere Versäumnisse. Es ist etwas zu billig, einander parteipolitisch die Schuld zuzuschieben.

Wir begrüßen das neue Zivilschutzsicherungssystem mit Informationen aus Satellitenbeobachtungen, die innerhalb von 20 Sekunden kommen sollen, ausdrücklich. Das ist ein wichtiger und guter Schritt, der vor dem 11. September bereits geplant war. Aber Sie können das Fehlen von Zivilschutzsicherungsmaßnahmen doch nicht unserer Bundesregierung bis 1998 in die Schuhe schieben. Sie regieren immerhin seit drei Jahren.

Natürlich muss man fragen, ob das neue System reichen wird. Kollege Kubicki, brauchen wir nicht auch eine Einbeziehung der Bundeswehr in die Gefahrenabwehr auch bei Kernkraftwerken? Die Flugzeuge fliegen ohnehin immer darüber hinweg. Ist dies nicht auch eine Bedrohung der äußeren Sicherheit? Brauchen wir nicht dringend die Kompatibilität der Datenbanken aller Behörden und Dienste? Brauchen wir nicht auch eine verfassungsrechtliche Feinabstimmung zwischen den Aufgaben von Polizei, Bundesgrenzschutz und Bundeswehr in neuer Form? Das muss gemacht und mit uns debattiert werden. Dazu sind wir bereit. Sind wir in der Flugsicherung überhaupt ausreichend technisch und logistisch gesichert? Die Bundeswehr darf auch aus diesen Gründen nicht länger das Sparschwein der Nation bleiben.

(Konrad Nabel [SPD]: Sie reden zum fal- schen Tagesordnungspunkt!)

Denken Sie mal an den Fall der MIG 23, die 1989 in Polen führerlos geworden war. Da war der Pilot ausgestiegen und das Flugzeug ist in gerader Linie bis nach Belgien in das NATO-Gebiet hineingeflogen. Die Flugabwehr der NATO hat schlicht nicht funktioniert. Sie hat das Ding nicht vom Himmel geholt.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kann man mal sehen!)

Sind schließlich nicht auch Fernsteuerungssysteme obligatorisch in allen Flugzeugen möglich, die dazu führen, dass Flugzeuge, die bestimmte Zonen verlassen, möglicherweise automatisch umgesteuert werden

können? Das müsste im Zeitalter der Technik eigentlich möglich sein.

Ich sage es ganz offen: Möglicherweise werden die Grünen es bereuen, diese Debatte jemals angestoßen zu haben. Wir haben heute Morgen schon gemerkt, in welches schwierige Fahrwasser die Grünen in dieser gesamten Debatte seit dem 11. September geraten sind.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Bodentruppen in Afghanistan!)

Wir wollen diese freiheitliche Gesellschaft vor ihren Feinden sichern. Karl Popper hat gesagt: „Keine Freiheit den Feinden der Freiheit!“

Dazu stehen wir ganz offen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Frau Abgeordnete Aschmoneit-Lücke hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben heute Morgen sehr ausführlich über die Ereignisse und auch die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen gesprochen. Bitte nehmen Sie es mir nicht übel, dass ich an dieser Stelle darauf nicht mehr ausdrücklich eingehe.

Eines ist aus den Debattenbeiträgen zu diesem Tagesordnungspunkt klar geworden. Herr Kollege Hentschel, Herr Kollege Nabel und Herr Kollege Graf Kerssenbrock, wir sind uns offensichtlich einig darüber, wie verwundbar unsere Gesellschaft insgesamt ist. Das betrifft nicht nur die Kernkraftwerke. Das betrifft natürlich auch alle Industrieanlagen. Das betrifft ganz viel mehr. Da besteht überhaupt kein Dissens.

Worin wir möglicherweise einen Dissens haben, ist die Frage, wie die Gesellschaft darauf antwortet und wie wir als verantwortliche Politiker darauf antworten. Graf Kerssenbrock, die Frage, ob man tatsächlich die Bundeswehr zur Sicherung einsetzt und ob man darüber heute schon nachdenkt, möchte ich hier ehrlich gesagt nicht im Einzelnen erörtern. Ich stelle mir das nicht als besonders einfach vor. Wenn ich meine Gespräche mit der Bundeswehr in den letzten Monaten und in den letzten Tagen betrachte, kann ich nur sagen: Auch die Verantwortlichen der Bundeswehr sind nicht davon überzeugt, dass eine Verstärkung der Flugsicherung die richtige Antwort auf diese Probleme wäre.