Protocol of the Session on September 28, 2001

(Beifall bei der FDP)

Ich will an dieser Stelle auch ganz deutlich sagen: Ich halte es für wenig hilfreich, wenn über Präambeln zum Landespflegegesetz nachgedacht wird oder wenn man ein neues Staatsziel in die Landesverfassung schreiben will.

Ich sage es hier ganz deutlich und offen: Das wird nichts an der gegenwärtigen Situation ändern. Es werden nur Erwartungen bei Menschen geweckt, die wir so nicht erfüllen können. Ich finde, das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Das muss man ganz deutlich sagen.

(Beifall bei FDP, SSW und des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

Lassen Sie mich die restliche Zeit nutzen, um Ihnen zum Abschluss die Erlebnisse, die ich im Sommer hatte, als ich einige Pflegeeinrichtungen besucht habe, mit auf den Weg zu geben. Mir tut das wirklich weh, da meine Mutter selber lange Zeit in diesem Beruf gearbeitet hat. Es ist mittlerweile doch tatsächlich so, dass Altenpflegerinnen und Altenpfleger durch die angestoßene Diskussion zum Teil schief angesehen werden. Zum Teil müssen sie sich beinahe vor ihren

Bekannten verstecken oder sich entschuldigen, dass sie Altenpflegerinnen und Altenpfleger sind, dass sie diesen Beruf ausüben. Das haben sie nicht verdient! Sie werden mit ihren Problemen allein gelassen!

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wenn hier Vorschläge zu einem Sabbatjahr kommen, dann finde ich das zwar grundsätzlich vernünftig. Nur, Herr Kollege Beran, Sie müssen erklären, wie Sie ein solches Sabbatjahr organisieren wollen, wenn wir derzeit einen chronischen Personalmangel haben und überhaupt nicht in der Lage sind, solche Experimente durchzuführen.

(Andreas Beran [SPD]: Es geht trotzdem!)

Ich würde mich daher sehr freuen, auch aufgrund der Tatsache, dass der CDU-Antrag relativ kurzfristig und knapp kam, wenn wir uns darauf verständigen könnten, sowohl den Bericht der Ministerin als auch sämtliche Anträge in den Ausschuss zu überweisen und dort nach konkreten Lösungen des akuten Problems zu suchen. Wir müssen dann aber auch eine größere Debatte führen, wie wir in Zukunft auf Landesebene auf diese demographische gesellschaftspolitische Herausforderung eingehen wollen.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Wort hat jetzt Frau Abgeordnete Birk.

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße es, dass wir hier eine so sachliche und eindringliche Debatte führen. Denn wie Herr Garg hier schon ausgeführt hat: Pflege ist nicht ein marginales Thema, es ist ein Thema, das im Zentrum unseres Interesse liegen muss. Auch wir als Landtag haben hier eine große Verantwortung.

Jammern und Bedauern allein nützen aber nichts weder den pflegebedürftigen Menschen noch den in der Pflege Arbeitenden oder den Angehörigen. Handeln ist das Gebot der Stunde - nicht allein auf der gesetzgeberischen Ebene, sondern gerade auf der Ebene der Kosten- und Einrichtungsträger. Handeln ist auch auf der Ebene der Heimaufsicht und des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen notwendig, vor allem in der konkreten Pflegepraxis. Auch die Pflege braucht gute Pflege. Insofern kann ich die eindringlichen Appelle meiner Vorrednerinnen und Vorredner hier nur unterstützen.

(Angelika Birk)

Gesetzlich ist nun einiges auf den Weg gebracht worden. Aber warum ist das Bild in der Praxis dennoch so deprimierend?

Die Ursachen sind hier von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern zum Teil skizziert worden. Insofern werde ich mich jetzt darauf konzentrieren, was aus unserer Sicht als Wesentliches zu tun ist. Ich möchte hier aber nicht versäumen, Frau Moser für den Mut zu danken, dass sie es als erste Landesministerin gewagt hat, einen so genauen ersten Blick, wenn es auch nur ein kursorischer Blick und keine gründliche Untersuchung ist, auf alle Heime zu werfen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu Recht weist Frau Moser darauf hin, dass es nicht allein um die Heime geht, sondern dass wir in der ambulanten Pflegesituation sicher auch vieles finden würden, was uns aufstoßen würde, wenn wir einen ebenso genauen Blick darauf werfen würden. Insofern begrüße ich es sehr, wenn es tatsächlich zu einer Enquetekommission Pflege des Bundestages kommen sollte. Der Name Professor Dörner bürgt durch die Psychiatriereform und die Anstrengungen der letzten Jahrzehnte auch hier für Nachhaltigkeit.

Was können wir auf Landesebene tun? Ich denke, es ist ganz wichtig, dass die Kreise und Kommunen das Angebot unabhängiger Beratungsstellen für Pflegebedürftige und Angehörige annehmen. Die Einrichtungen einer solchen Pflegeberatung sollen nicht - wie in der Stadt Kiel - unter dem Motto: „Dann sollen die helfen, Kosten zu reduzieren“, gestellt werden. Vielmehr soll es tatsächlich um die Interessen der zu Pflegenden gehen.

Weiterhin müssen wir uns auch der Diskussion um die Fachkraftquoten stellen. In vielen Heimen ist noch nicht einmal die geforderte Quote von 50 % erreicht. Angesichts der veränderten Situation in den Heimen, nämlich dass wir Menschen mit vielen Nöten und medizinischen Problemen haben, müssen wir auch über eine Anhebung der Fachkraftquote reden. Das ist natürlich nicht kostenlos zu haben. Daher unterscheide ich mich in der Einschätzung ein wenig von Herrn Beran. Ich denke, wir brauchen mehr Geld für die Pflege, wenn wir das ernst nehmen, was Herr Garg gesagt hat: Die Pflegeversicherung reicht keineswegs aus, um das zu tun, was nötig ist.

Das Modellprojekt PLAISIR wird uns eine Bemessungsgrundlage geben. Darüber hinaus brauchen wir mehr als die bisherigen Leistungsansprüche des Sozialgesetzbuches XI, wenn wir den Demenzerkrankungen Rechnung tragen wollen. Hier müssen wir als Land auf die Bundesebene einwirken.

Nun haben wir lang und breit über das Thema „Fortbildung des Pflegepersonals“ gesprochen. Man kann es nicht laut genug sagen. Herr Beran hat darauf hingewiesen. Bayern hat die Ausbildung der Pflege wirklich blockiert. Wir waren endlich so weit, eine bundeseinheitliche Pflegeausbildung mit Perspektive zu beschließen. Prompt muss ein Bundesland quer schießen. Da müssen wir ran und da müssen wir unter Umständen auch als Land Schleswig-Holstein Beispiele geben, wie die Ausbildung besser werden kann, auch wenn unser Geld knapp ist. Nun komme ich zu einem Effekt, der immer unterschätzt wird: Dem Drehtüreffekt nach der Ausbildung. Die Leute, die am motiviertesten sind und in den Heimen wirklich etwas tun wollen, finden sich sehr schnell wieder draußen, weil sie es nicht ertragen, dass sie das, was sie gelernt haben, nicht anwenden dürfen, weil keine Zeit dafür ist. Unter Umständen finden sie in der Heimleitung jemanden vor, der sie nicht versteht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diesen Drehtüreffekt, dass die Besten nur wenige Jahre in den Heimen bleiben, müssen wir stoppen. Das heißt, wir müssen durch Fortbildung und durch Unterstützung dieser Menschen der Aus- und Fortbildung eine wirkliche Perspektive geben, sonst wird das ein Fass ohne Boden.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich komme zu einem weiteren wichtigen Punkt. Wenn wir an die Aufstockung der Heimaufsicht denken, müssen wir beachten: Diese Leute müssen unbestechlich und unabhängig sein.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich kann Ihnen sagen, das ist keine Selbstverständlichkeit, wenn der Sozialdezernentauf der einen Seite für das Säckel von einigen kommunalen Heimen verantwortlich ist, auf der anderen Seite der Chef oder die Chefin der Heimaufsicht ist. Hier muss es - ähnlich wie im Bereich der Adoptivverfahren und der Vormundschaften im Bereich der Jugendarbeit und innerhalb der Behörden bei den Gleichstellungsbeauftragten - eine Unabhängigkeit geben. Wir werden uns den Prozess mit der Frage, was aus der Heimaufsicht wird, sehr genau angucken. Wenn sich herausstellt, dass nicht ausreicht, was wir bisher an gesetzlicher Grundlage haben, dann müssen wir auch da ran. Insofern kann ich jetzt schon ankündigen: Sowohl der rotgrüne Antrag zur Heimaufsicht als auch der Antrag der CDU hierzu verdient noch einmal eine Debatte im

(Angelika Birk)

Sozialausschuss. Diese beiden Anträge werden wir deshalb überweisen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Den anderen Antrag, der sich mit allen anderen Aspekten des Themas Pflege befasst, würden wir heute gern beschließen, damit ein Signal an das Land geht, dass wir uns hier zu einer Entscheidung durchgerungen haben. Die Arbeitskreise auf regionaler Ebene zwischen Medizinischem Dienst, Heimaufsicht und anderen, an dem gesamten Geschehen der Pflege Beteiligten, sind unerlässlich. Es gibt sie bisher zu wenig. Die Ministerin hat es angekündigt: Natürlich wird das auch auf Landesebene eine Arbeitsebene brauchen.

Ein Blick noch auf die Rolle der Ärzteschaft! Nachdem wir einige sehr merkwürdige Äußerungen der Ärztekammer in der Öffentlichkeit zu lesen hatten, bietet sie nunmehr in einer Erklärung ihre Zusammenarbeit in diesem Prozess an. Trotzdem möchte ich auf etwas hinweisen, das offensichtlich auch laut MDK ungeklärt ist und was im „Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt“ vom September noch als ungeklärtes Verhältnis zu finden ist. Das „Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt“ schreibt:

„Es gibt weder eine gesetzliche Grundlage noch eine vertragliche Basis für eine generelle Dokumentationspflicht des Arztes in der Heimdokumentation oder für eine Gegenzeichnung.“

Das heißt, was der Hausarzt anordnet, muss in der Pflegedokumentation des Heims nicht aufgeschrieben und gegengezeichnet werden. Dass es da zu Verwechslungen von Medikamenten, zu Missverständnissen und zu stiller Post kommt, braucht nicht zu wundern. Das heißt, hier ist dringend eine Revision der Zusammenarbeit notwendig. Es braucht eine gute Grundlage, damit die Hausärzte und die Hausärztinnen, die von außen in die Heime kommen und natürlich nur dem einzelnen Patienten und der einzelnen Patientin gegenüber verantwortlich sind, in einer guten Kommunikation mit der Pflege stehen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich möchte die verbleibende Zeit meines Redebeitrags noch für unsere Vision nutzen. Die geforderte HeimEnquete - die Pflege-Enquete, die sie aus unserer Sicht werden soll - hat zum Gegenstand, dass wir die Heime, wie sie sind, überwinden wollen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Das Heim als solches ist eigentlich ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert. Damals war es vielleicht fortschrittlich. Heute ist es aber nicht mehr das, was uns in unserer zunehmend individualisierten Lebensweise als Idee der Heimat für den letzten Lebensabschnitt vorschwebt. Das heißt aber natürlich, dass wir zu ganz anderen Formen der Zusammenarbeit kommen müssen, gerade weil es nicht mehr die automatische Pflege der Tochter für die Mutter oder für den Vater gibt. Das soll auch nicht so sein, weil das zu einer ständigen Überlastung führt. Wir müssen neue vernetzte Systeme finden. Es gibt schon Menschen, die das privat für sich irgendwie organisieren. Diese Menschen brauchen unsere öffentliche Aufmerksamkeit. Wir sollten ihre Erfahrungen ernst nehmen und Modellprojekte auf diesem Sektor unterstützen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Hierzu brauchen wir allerdings auch neue Wohnformen. Wir haben uns in der letzten Legislaturperiode hier im Landtag mit diesem Thema befasst. Es hat zum Teil zu erregten Debatten geführt. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass wir nach wie vor die Praxis haben, dass es Menschen gibt, die in so genannten betreuten Wohnungen wohnen, die mit dem Mietvertrag auch gleichzeitig einen Pflege- oder Betreuungsvertrag abgeschlossen haben. Hier wurde einiges für die Zukunft verbessert. In der Vergangenheit hat aber auch Unaufmerksamkeit eine Rolle gespielt, sodass Menschen aus der Wohnung ausziehen müssen, wenn sie ihre Betreuungssituation verändern wollen. Das sind keine ermutigenden Vorbilder.

Wir müssen auch die Situation der Hospizbewegung ins Auge fassen. Das ist nicht nur eine Bewegung von Ehrenamtlichen, die mit ein paar Zuschüssen angemessen ausgestattet ist. Wenn wir wollen, dass die bestehenden Heime ihrer Hospizsituation, die sie faktisch haben, Rechnung tragen, dann muss sich da viel ändern. Wenn wir darüber hinaus wollen, dass solche Heime zukünftig gar nicht mehr notwendig sind, dann müssen wir uns auch hier etwas Neues einfallen lassen.

(Beifall des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

Das bedeutet eine öffentliche Auseinandersetzung mit Themen, die die meisten vor sich herschieben, nämlich die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod, mit Patientenund Betreuungsvollmachten und einem vorausschauenden Denken daran, wie man den eigenen letzten Lebensabschnitt gestalten möchte. Auch hierzu haben wir eine politische Verantwortung. Auch hier können wir alle mehr tun. Das ist nicht nur Sache der Sozialfachleute im Sozialausschuss. Das ist etwas,

(Angelika Birk)

was jeden im Land angeht. Deshalb begrüße ich es auch sehr, dass es eine Volksinitiative für humane Pflege gibt, auch wenn man sich darüber streiten mag, ob die Aufnahme in die Landesverfassung ein Allheilmittel ist, um dem Anliegen Rechnung zu tragen. Sie stellt mit ihrem konkreten 10-Punkte-Katalog das Thema in den Mittelpunkt der Gesellschaft. Dort gehört es hin.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Medizinische Dienst der Krankenkassen hat jetzt alle Heime in Schleswig-Holstein besucht. Die vom Landespflegeausschuss bestellten Prüfungen sind also abgeschlossen und das Ergebnis ist so erschütternd, wie man befürchten konnte. Erschreckend oft erfüllt die Pflege nicht die Anforderungen der Pflegeversicherung. An unserer anfänglichen Diagnose ändert sich auch nach Abschluss der Untersuchung nichts: Es sind viele, die sich vorwerfen lassen müssen, nicht genug für die Pflege getan zu haben.

Viele Träger haben zu wenig unternommen, um die Qualität in ihren Einrichtungen zu gewährleisten. Die Kreise und kreisfreien Städte haben die Kontrolle nicht gut genug ausgeübt. Die Pflegekassen scheinen den Preis so weit zu drücken, dass angezweifelt werden kann, ob sich die Anforderungen mit den zur Verfügung stehenden Mitteln überhaupt erfüllen lassen. Der Bundesgesetzgeber hat lange auf das Heimgesetz, das Pflegequalitässicherungsgesetz und andere wichtige Regelungen warten lassen. Zudem bestehen noch erhebliche Mängel in der Pflegeversicherung. Der Kollege Garg hat vorhin eindrucksvoll dargelegt, welche Mängel in der Pflegeversicherung noch bestehen.

(Beifall der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD] und Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])