Protocol of the Session on May 12, 2000

Frau Ministerin, wir wissen aus einem Gespräch zwischen Ihnen, Ihrem Staatssekretär und Mitgliedern meiner Fraktion, dass Sie - ebenso wie wir - dem Entwurf der Bundesjustizministerin - zumindest in Teilbereichen - durchaus kritisch gegenüberstehen. Ich kann Sie in dieser Haltung nur vollends unterstützen. Nach der Vorlage Ihres Berichts werden wir selbstverständlich eine gründliche Erörterung der Problematik vornehmen müssen. Ich bin jedoch durchaus erfreut, zur Kenntnis nehmen zu können, dass Sie die Kritik der Opposition und derjenigen, die das Gesetz anzuwenden hätten, zumindest in einigen Bereichen teilen.

An der Bereitschaft meiner Fraktion, Sie gegenüber der Bundesjustizministerin zu unterstützen, soll es nicht mangeln, wenn Sie diesen Standpunkt im Kabinett durchsetzen und auch hier im Hause eine möglicherweise fraktionsübergreifende Haltung formulieren könnten.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich möchte auch die sozialdemokratische Landtags

(Thorsten Geißler)

fraktion auffordern: Schauen Sie nach NordrheinWestfalen, schauen Sie in andere Bundesländer!

(Zuruf der Abgeordneten Holger Astrup [SPD] und Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

- Das können Sie auch gern am Sonntag machen, das ist nicht ganz so erfreulich für Sie. In diesem Fall lohnt es sich aber, den rechtspolitischen Sprechern Ihrer Fraktion in Nordrhein-Westfalen zuzuhören. Setzen auch Sie sich kritisch mit dem Standpunkt der Bundesjustizministerin auseinander! Dann ist es vielleicht möglich, hier im Hause einen gemeinsamen Standpunkt zu formulieren. Ich bitte herzlich um die Zustimmung zu unserem Berichtsantrag und freue mich auf die anstehende Diskussion.

(Beifall bei CDU, F.D.P. und SSW)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Puls das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPDLandtagsfraktion teilt die Auffassung der Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin, dass eine zukunftsfähige Justiz nur gewährleistet werden kann, wenn Schwachstellen und Mängel durch strukturelle Reformansätze beseitigt werden und der Zivilprozess noch präziser, als das bisher schon der Fall ist, auf seine gesellschaftliche Funktion zugeschnitten wird, die rechtlich einwandfreie, nachvollziehbare und zügige Herstellung von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zu gewährleisten.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD - Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Der Entwurf der Bundesjustizministerin setzt deshalb aus dieser Grundhaltung heraus Schwerpunkte bei der Erweiterung der Möglichkeiten einer einvernehmlichen Konfliktregelung und bei der Stärkung der streiterledigenden Funktion des gerichtlichen Verfahrens in erster Instanz.

Er erweitert durch die Zurückdrängung streitwertabhängiger Rechtsmittelvoraussetzungen und die Beseitigung von Sonderregelungen des Instanzenzuges die Zugangschancen zum Rechtsmittel und er setzt anstelle von Streitwertbegrenzungen Zugangskriterien, die an der rechtlichen Bedeutung des Einzelfalls ausgerichtet sind. Erklärte Ziele einer solchen grundlegenden Strukturreform sind es, den Zivilprozess nicht nur bürgernäher und transparenter zu gestalten, sondern ihn auch effizienter zu machen und richterliche Arbeitskraft dort zu konzentrieren, wo sie wirklich ge

braucht wird. Erreicht werden soll das durch die Vermeidung unnötiger Prozesse, die Beschränkung des Prüfungsaufwandes für aussichtslose Rechtsmittel und nicht zuletzt durch den Ausbau des Einzelrichtereinsatzes in erster und zweiter Instanz.

Die Neue Richtervereinigung Schleswig-Holstein, Herr Kollege Geißler, hat sich immerhin am 11. Mai 2000 positiv zu diesem Reformansatz ausgesprochen.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Welch ein Wunder!)

Sie bewertet das Reformprojekt als richtungweisenden rechtspolitischen Fortschritt, mit dem die Justiz vom Kopf auf die Füße gestellt werde; nach dem Reformgesetz zur Gerichtsverfassung sei dies das zweite Reformgesetz, mit dem überkommene Justizstrukturen aufgebrochen würden. In der öffentlichen Diskussion könne die Bundesjustizministerin deswegen auf die Unterstützung durch die NRV auch aus SchleswigHolstein bauen.

Sie haben darauf hingewiesen, Herr Kollege Geißler, dass es in diesem Gesetzentwurf natürlich auch kritische Punkte gibt. Wir sind gern bereit - das möchte ich an dieser Stelle erklären -, mit Ihnen und mit unserer Justizministerin diese kritischen Punkte zu erörtern und gegebenenfalls auch Änderungsvorschläge aus unseren Reihen einzubringen.

Über die Haltung der Landesregierung zu den konkreten Reformvorschlägen sollten wir aber erst dann konkret diskutieren, wenn der von der CDU-Fraktion beantragte Bericht vorliegt. Wir stimmen dem Berichtsantrag zu.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Brita Schmitz-Hübsch [CDU])

Ich danke Herrn Abgeordneten Puls; er hat noch einmal beispielhaft verdeutlicht, dass die Redezeit eine Höchstzeit, keine Mindestzeit ist.

Ich erteile jetzt der Frau Abgeordneten Fröhlich das Wort.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Herr Präsident, ich weiß zwar nicht, warum, aber wenn es so sein soll!)

Entschuldigung, Herr Kollege Kubicki; Sie haben das Wort. Ich bitte um Nachsicht. Die Reihenfolge muss eingehalten werden.

Herr Präsident! Ich nehme an, dass Ihre Ermahnung zur Kürze etwas mit Ihrer ersten Worterteilung zu tun hatte; möglicherweise gibt es da ja einen Zusammenhang.

(Heiterkeit)

Ich will deshalb auch meine vorbereitete Rede zur Seite legen, weil ich denke, dass der Kollege Geißler überraschenderweise doch einiges Kluge gesagt hat.

(Heiterkeit bei der SPD - Zurufe: Oh, oh! - Thorsten Geißler [CDU]: Das ist aber hart an der Grenze zur Arroganz!)

Herr Kollege Geißler, ich bin völlig begeistert und teile Ihre Auffassung, dass die Rechtsweggarantie auch etwas mit der Rechtsstaatsgarantie zu tun hat oder umgekehrt. Aber ich hätte mich gefreut, wenn Sie diese Debatte mit gleicher Vehemenz bei der Veränderung des Prozessrechts der VwGO geführt hätten, und ich würde mich insbesondere auch freuen, wenn Sie diese Debatte mit gleicher Vehemenz bei der Änderung der Strafprozessordnung führen würden. Da habe ich von Ihnen ganz andere Worte gehört. Denn zur Rechtsweggarantie gehört beispielsweise auch, dass sich Bürgerinnen und Bürger gegen Strafurteile wehren können, ohne dass die Berufungs- und Revisionsmöglichkeiten erschwert werden.

(Beifall der Abgeordneten Ursula Kähler [SPD])

Ich sage das aus meiner praktischen Erfahrung. Ich weiß nicht, wie es bei dem Kollegen Geißler ist.

Ich bin sehr froh, dass wir eine Justizministerin haben, die aus dem anwaltlichen Bereich kommt und die weiß - aus praktischer Erfahrung -, dass sich nur Richter selbst immer für unfehlbar halten, und die auch weiß, dass es zur Akzeptanz eines demokratischen, eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens gehört, dass man erstinstanzliche Entscheidungen zur Überprüfung stellen kann und dass man alles sehr sorgfältig abwägen sollte, was dazu führt, diese Rechtsmittelmöglichkeit zu erschweren.

Ich freue mich darüber, dass wir einen Bericht erhalten werden, und möchte meine Debattenbeiträge dann leisten, wenn der Bericht vorliegt,

(Beifall der Abgeordneten Dr. Heiner Garg [F.D.P.] und Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

weil ich denke, dass sich die eine oder andere Nuance in der Einschätzung durchaus dadurch ändern kann, dass Menschen aufgrund ihrer praktischen Lebenser

fahrung bestimmte weitere Erkenntnisse einbringen können.

Was wir nicht tun dürfen - das ist meine große Befürchtung, Herr Kollege Geißler; das gilt für alle Bereiche der Veränderung von Verfahrensordnungen -, ist, unter der großen Überschrift „Beschleunigung und Effizienzsteigerung“ nichts anderes zu tun, als den Versuch zu unternehmen, Kosteneinsparungen zu erwirtschaften und damit einen wesentlichen Teil des Rechtsstaates ad absurdum zu führen. Rechtsstaat hat mit Kosten vergleichsweise wenig zu tun, sondern vielmehr etwas mit der Gewährung von Recht

(Beifall bei F.D.P. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wie auch mit dem Recht eines Bürgers, in seiner Sache ordentlich - das heißt im Zweifel, auch mehr als einmal - gehört zu werden und eine Entscheidung zu erhalten.

Im Übrigen geben alle Verfahrensordnungen - das war auch in der früheren Zeit schon so - alle Möglichkeiten her, die Klagen der Richter, was deren Arbeitsbelastung angeht, ins Leere laufen zu lassen. Wenn man die Strafprozessordnung und die Zivilprozessordnung richtig beherrscht und mit ihnen richtig umgeht, kann man unsägliche, unzulässige, unbegründete Berufungen gegen bestimmte Verfahren sehr schnell erledigen, ohne dass man sie lange liegen lassen muss und ohne dass es zu einer erheblichen Überbelastung kommt.

Auch hierüber sollten wir vielleicht einmal bei der Juristenausbildung nachdenken, nämlich die Richter in den Prozessordnungen stärker auszubilden als im materiellen Recht; dann kommen wir zu einer Verfahrensbeschleunigung, ohne dass wir Kosteneinsparungen in anderen Bereichen vornehmen müssen.

Herr Präsident, ich habe zwei Minuten Redezeit übrig; die schenke ich jetzt Frau Fröhlich.

(Widerspruch - Zuruf: Nein, nicht Frau Fröh- lich schenken! - Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Sie hat doch Geburtstag!)

Das Wort hat jetzt Frau Abgeordnete Fröhlich.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kubicki, ich lasse mir von Ihnen nichts schenken, auch keine zwei Minuten;

(Heiterkeit)

(Irene Fröhlich)

das habe ich gar nicht nötig, auch nicht am Geburtstag.

Hiermit komme ich nun zu dem notwendigen Beitrag zu dem vorliegenden außerordentlich wichtigen Berichtsantrag. „Ärger erste Instanz“ betitelte die „Zeit“ in der letzten Woche ihren Artikel zur Reform der Zivilprozessordnung und stellte die rhetorische Frage, ob der massive Widerstand von Richterschaft und Anwaltschaft gegen die vorliegende Reform wohl der Furcht der traditionell konservativen Juristen vor Neuerungen entspringt. Die Pressemitteilung der Neuen Richtervereinigung, die wir heute gelesen haben, belehrt möglicherweise den Schreiber dieses Artikels vom Gegenteil.