Protocol of the Session on July 13, 2001

Ich möchte dem Parlament vorschlagen, dass wir im Sozialausschuss die Gelegenheit nutzen, darüber zu berichten, was wir im Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik, in dem auch die CDUgeführten Länder vertreten sind, zum Problem Bereitschaftsdienst und Arbeitszeitregelungen für Ärztinnen und Ärzte verhandeln. Darüber werde ich gern in einer der nächsten Ausschusssitzungen, wenn dieser Antrag noch einmal aufgerufen wird, berichten. Vielleicht kommen wir dann zu soliden Überlegungen, wie wir

(Ministerin Heide Moser)

als Schleswig-Holsteiner dazu beitragen können, das Problem zu lösen.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist beantragt worden, den Antrag dem Sozialausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 37 auf:

Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen mit Behinderungen - bestehende Hilfsmöglichkeiten und bedarfsorientierte Versorgungsplanung

Bericht der Landesregierung Drucksache 15/899

Bericht und Beschlussempfehlung des Sozialausschusses Drucksache 15/1025

An dieser Stelle möchte ich gern in der Loge Herrn Dr. Hase, den Beauftragten für Menschen mit Behinderung, begrüßen.

(Beifall)

Ich erteile dem Berichterstatter des Sozialausschusses, Herrn Abgeordneten Beran, das Wort.

Frau Präsidentin! Ich verweise auf die Vorlage.

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wortmeldungen zum Bericht sehe ich nicht. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat Frau Abgeordnete Schlosser-Keichel.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich für den vorliegenden Bericht ganz herzlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Ministerien, beim Behindertenbeauftragten und seinem Büro sowie insbesondere auch bei den Einrichtungen und Initiativen, die mit ihren Berichten und Informationen über ihre Arbeit wichtige Beiträge dazu geleistet haben.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW sowie der Abgeordneten Ca- roline Schwarz [CDU])

Schade, der Bericht hätte einen besseren Platz auf der Tagesordnung und damit etwas mehr Beachtung und Aufmerksamkeit verdient und benötigt,

(Vereinzelter Beifall im ganzen Haus)

denn die Frage nach den Lebenslagen von Mädchen und Frauen mit Behinderungen steht grundsätzlich nicht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Erst seit wenigen Jahren wird geforscht. Emperische Untersuchungen zur Sexualität von Frauen mit Behinderungen liegen ebenso wenig vor wie wissenschaftliche Untersuchungen zur Gewaltproblematik. Auch die aktuellen Statistiken - das weist der Bericht aus - von Polizei und Staatsanwaltschaft haben nur bedingte Aussagekraft. Hier ist also Handlungsbedarf gegeben, denn man muss die Daten kennen und Ursachen und Wirkungen benennen, um die Probleme angehen zu können.

Dass es diese spezielle Gewaltproblematik gibt, zeigt die Tatsache, dass es unter den befragten Einrichtungen, die ihre Informationen zur Verfügung gestellt haben, keine gab, die nicht von Fällen sexueller Gewalt zu berichten wusste. Auch internationale Untersuchungen machen deutlich, dass Menschen mit Behinderungen häufiger sexueller Gewalt und Belästigung ausgesetzt sind als Menschen ohne Behinderungen. Sie weisen außerdem aus, dass Mädchen und Frauen mit einer geistigen Behinderung ganz besonders gefährdet sind. Das hat auch seinen Grund, denn in den Lebensumständen der Frauen und Mädchen gibt es Faktoren, die das Risiko sexueller Gewalterfahrung erhöhen, zum Beispiel das Angewiesensein auf eine einzige Betreuungsperson, sexuelle Unaufgeklärtheit, oft die Verleugnung ihrer sexuellen Bedürfnisse durch uns Nichtbehinderte und die Erziehung zur Anpassung in einem System, in dem die geistig behinderte Frau oft auf eine ihr Leben lang währende Kinderrolle festgelegt wird. Sie ist festgelegt auf die Rolle eines Kindes, das sich oft nicht deutlich artikulieren kann und dem man solche Ungeheuerlichkeiten manchmal auch einfach nicht glaubt.

Daraus folgt, dass an den Risikofaktoren angesetzt werden muss, an den Bedingungen, unter denen Mädchen und Frauen mit Behinderungen bei uns leben. Deshalb ist es wichtig, dass künftig die Problematik Gewalt bei der Fortschreibung des Behindertenplans und bei der Psychiatrie- und Jugendhilfeplanung - wie in dem Bericht vorgeschlagen - berücksichtigt wird. Unser Ziel muss sein, Frauen und Mädchen mit Behinderungen in ihrer Entwicklung zu selbstbewussten Menschen zu stärken. „Kinder müssen trainieren, Nein zu sagen“, hat Frau Ministerin Lütkes vor kurzem gesagt. Ich meine, der vorliegende Bericht zeigt, dass wir gerade bei der Erziehung von behinderten Kindern

(Anna Schlosser-Keichel)

darauf achten müssen, dass das Selbstbewusstsein gestärkt wird. Ziel muss sein, die Fachkräfte in der Behindertenarbeit und auch die Angehörigen zu informieren und in die Lage zu versetzen, Signale zu erkennen, die auf sexuelle Gewalt hindeuten.

Es gibt ein ganzes Bündel von unterschiedlichsten Hilfs- und Beratungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen mit Behinderungen und Fortbildungsmöglichkeiten für Menschen, die mit behinderten Frauen und Mädchen leben und arbeiten. Sie sind in dem Bericht aufgeführt. Bei der Koordinierung dieser Angebote hat der Verein Mixed Pickles in den letzten Jahren in einem Modellprojekt Pionierarbeit geleistet. Vielen Dank für diese Arbeit, die in dem Bericht ausdrücklich eine sehr gute Note bekommt.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW sowie der Abgeordneten Ca- roline Schwarz [CDU] und Torsten Geerdts [CDU])

Diese überregionale Vernetzungsarbeit ist auch künftig notwendig. Darüber waren sich alle im Sozialausschuss einig. Ich weiß nur noch nicht, wo das anzusiedeln und womit das zu finanzieren ist. Das treibt mich um. Ich habe deshalb die Bitte, diesen Bericht heute zur Kenntnis zu nehmen - wie es der Sozialausschuss vorschlägt -, ihn aber nicht so weit wegzulegen, denn ich bin sicher, wir werden bei den Haushaltsberatungen noch einmal auf ihn zurückkommen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich erteile Frau Abgeordneter Schwarz das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mich als Erstes bei Ihnen, Frau Lütkes, und ihrem Haus, dem Behindertenbeauftragten und allen, die Sie dabei unterstützt haben, sehr herzlich für den vorliegenden Bericht bedanken,

(Beifall des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

der sich eng an die Vorgaben des Berichtsantrages von CDU und FDP vom November letzten Jahres orientiert, der hervorragend gegliedert ist, der in Form und Inhalt den Anspruch einer wissenschaftlichen Ausarbeitung erfüllt und der insbesondere sehr ehrlich ist. Das gilt besonders für den letzten Teil „Ausblick und Perspektive“, in dem die bestehenden Defizite aufgeführt werden.

„Sexuelle Gewalt an sich ist heute kein gesellschaftliches Tabuthema mehr.“ So steht es am Anfang des Berichts und wir können sagen: Gott sei Dank ist es so. Offene Diskussionen, notwendige Gesetzesänderungen, Beratungs- und Hilfsangebote, Fortbildungen es hat sich einiges getan zum Schutz vor sexuellem Missbrauch. Durch diese positive Veränderung im öffentlichen Bewusstsein ist auch der Mut der Opfer gestiegen, sexuellen Missbrauch zur Anzeige zu bringen.

Sexuelle Gewalt gegenüber Frauen und Mädchen mit Behinderungen ist allerdings nach wie vor ein Thema, über das ungern gesprochen wird, das bis vor kurzem weitgehend ausgeblendet und totgeschwiegen wurde, wie der Bericht es ausdrückt. Erste Ansätze, dass es langsam zu einer Veränderung und Schärfung des Bewusstseins gegenüber diesem Thema kommt, haben wir insbesondere Selbsthilfeeinrichtungen behinderter Menschen zu verdanken. Ich nenne hier - beispielhaft im doppelten Sinne - Mixed Pickles aus Lübeck.

(Beifall im ganzen Haus)

Auch wenn das Berichtsthema nach wie vor stark tabuisiert ist: Es gibt sie, die sexuelle Gewalt gegenüber behinderten Frauen und Mädchen, und zwar in einem Ausmaß, das erschreckend ist. Bei Umfragen zu dem vorliegenden Bericht - Frau Schlosser-Keichel, Sie haben darauf hingewiesen - gab es keine einzige Einrichtung, die nicht von entsprechenden „Fällen“ wusste. Es liegen zwar keine repräsentativen Daten und wissenschaftlichen Untersuchungen zum Berichtsthema im deutschsprachigen Raum vor, aber die Untersuchungen im angelsächsischen Bereich - auch diese haben Sie, Frau Schlosser-Keichel, erwähnt kommen zu dem Schluss, dass behinderte Frauen besonders häufig Opfer sexueller Gewalt sind.

Mädchen mit Behinderungen sind in dreifacher Hinsicht gefährdet: erstens aufgrund ihrer Behinderung, zweitens aufgrund ihres Geschlechts und drittens aufgrund ihres Alters. Die Zahlen, zu denen die genannten angelsächsischen Studien kommen, sind entsetzlich hoch. Die Zahlen in Deutschland - und in unserem Land - werden nicht viel anders sein, zumal nur die wenigsten Übergriffe in diesem Bereich zur Anzeige kommen. Die Dunkelziffer ist mit Sicherheit sehr hoch.

Es sind also gezielte Maßnahmen notwendig, einerseits um überhaupt erst einmal ein Bewusstsein zu schaffen, dass es hier ein sehr großes Problem gibt, das aus dem Tabubereich herausgeführt werden muss, und andererseits um den betroffenen Frauen und Mädchen alle Hilfestellungen zukommen zu lassen, die irgend möglich sind.

(Caroline Schwarz)

Der genannte Verein Mixed Pickles in Lübeck widmet sich mit bewundernswertem Engagement diesen Aufgaben. Zu Recht wird den Aktivitäten und Initiativen des Vereins Mixed Pickles im Bericht breiter Raum eingeräumt. So steht dort auf Seite 40:

„Mixed Pickles bietet landesweit das breiteste und differenzierteste Angebot von Präventions- und Öffentlichkeitsmaßnahmen, so zum Beispiel Gesprächskreise, Selbstbehauptungskurse, sozialpädagogische Seminare, Angebote für Mütter, Lehrerinnen und Lehrer, pädagogisches Personal und Multiplikatorinnenschulungen.“

Genau das meinten Sie ja mit der notwendigen Prävention.

Auf Seite 48 geht es in der Würdigung der Arbeit von Mixed Pickles ausführlich weiter. Das breite Beratungsangebot nach dem Konzept des „Peer-Support“ wird gelobt. „Peer-Support“ bedeutet: Die Beraterin hat aufgrund ihrer eigenen Behinderung ähnliche Lebenserfahrungen wie die behinderte Ratsuchende und dadurch natürlich einen ganz anderen Zugang zu deren Problemen. Das umfassende Fortbildungsangebot und die Vernetzungs- und Koordinierungsarbeit von Mixed Pickles werden sehr positiv hervorgehoben. Mixed Pickles, als Modellversuch 1997 entstanden - bereits seit einem Jahr ist es in eine mehr oder weniger normale Förderung eingegliedert worden -, hat sich große Verdienste um behinderte Frauen und Mädchen erworben.

Vor diesem Hintergrund ist mir völlig unverständlich, dass die Landesregierung diese verdienstvolle Arbeit dadurch „belohnt“, dass sie für das nächste Jahr den Geldhahn vollständig zudrehen will.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich setze große Hoffnung auf die Mitglieder des Sozialausschusses, die sich fraktionsübergreifend für die Fortführung dieser verdienstvollen und wichtigen Arbeit ausgesprochen haben.

(Beifall im ganzen Haus)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Garg.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr verehrte Frau Ministerin, auch ich möchte Ihnen zunächst einmal im Namen meiner Fraktion für diesen sehr gelungenen Bericht danken, insbesondere weil der Bericht ehrlich ist und viele Aufschlüsse gibt. Ich muss zugeben: Dass er so schonungslos offen legt, wie das

teilweise der Fall ist, hätte ich gar nicht vermutet. Herzlichen Dank dafür!

Der Bericht der Landesregierung zeigt, dass das Problem der sexuellen Gewalt gegen Mädchen und Frauen mit Behinderungen nach wie vor nicht adäquat gelöst ist. Dieses Thema stellt immer noch ein Tabu im Tabuthema der sexuellen Gewalt gegen Mädchen und Frauen generell dar, obwohl sich die gesellschaftliche Diskriminierung behinderter Frauen hier von der krassesten Seite zeigt.