Protocol of the Session on July 12, 2001

Forschung mit embryonalen Stammzellen, das ist ein Thema, das nicht nur die Wissenschaft, sondern auch den Bundestag, Länderparlamente, ehemalige und den aktuellen Bundespräsidenten und neuerdings auch einen implementierten Nationalen Ethikrat beschäftigt. Dabei wird eine Mixtur rechtlicher, ethischer, wissenschaftlicher und gesellschaftspolitischer Argumente ins Feld geführt. Wir führen unsere Debatte heute also in einem komplizierten und gleicher Weise umfassenden Kontext.

Was mit der Diktion sensationeller Enthüllungen in der Presse den Weg in die Öffentlichkeit fand, ist durch die Worte und die Rede der Ministerin in der Sache erklärt und geklärt worden. Dem möchte ich an dieser Stelle nichts hinzufügen. Aber - das betone ich ausdrücklich -: Mit der Klärung der geplanten oder verworfenen Forschung in Kiel und Lübeck ist es nicht getan. Wir brauchen bald - das unterstreiche ich - klare Aussagen, ob und wie wir Spitzenforschung in diesem Zweig der modernen Lebenswissenschaften in unserem Land etablieren und entwickeln lassen wollen.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Christel Hap- pach-Kasan [FDP])

Ich füge hinzu: Es gibt ein großes Maß an Notwendigkeit von Diskussionen, Klärungen und Abwägungen in diesem Prozess. Deswegen macht es meines Erachtens Sinn, ein Quasi-Moratorium zu machen, wie es jetzt bundesweit auf den Weg gebracht ist, bis die Enquetekommission des Bundestags und der Nationale Ethikrat in diesem Herbst etwas vorlegen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Dann musst du eine Dauereinrichtung machen!)

Ich bin der Auffassung, dass wir uns in der gegenwärtigen Situation ein Moratorium ad infinitum nicht leisten können. Das möchte ich deutlich sagen.

(Beifall bei der FDP sowie der Abgeordneten Brita Schmitz-Hübsch [CDU] und Thomas Stritzl [CDU])

Wir dürfen vor allen Dingen eines nicht tun: Wir dürfen unsere Entscheidungsnöte als Politiker nicht über einen Prozess stülpen, der wissenschaftlich, ethisch und in der ganzen Gesellschaft abläuft. Das sollte man an dieser Stelle vielleicht auch noch einmal hervorheben.

(Beifall des Abgeordneten Thomas Stritzl [CDU])

Die kritische öffentliche Wahrnehmung dieses ganzen Themenkomplexes ist ein Fingerzeig dafür, dass wir uns bei aller Unterschiedlichkeit der Auffassungen eines gemeinsam auf die Fahnen schreiben sollten: unbedingte und ungeteilte Transparenz von Forschung in den sensiblen Bereichen der Gentechnik, der Biound der Reproduktionsmedizin! Deswegen müssen wir gerade aus diesem Grund dafür Sorge tragen, dass das in unseren staatlichen Hochschulen, im öffentlichrechtlichen Bereich passiert, von dem wir wissen, dass bei den Forschern Transparenz und ethische Verantwortung vorhanden ist. Deswegen ist das eine Aufgabe, der wir uns nicht entziehen können.

Es gibt eine ganze Reihe von öffentlichen Äußerungen und Vorgängen, die zu Misstrauen, Verdächtigungen und Mutmaßungen geführt haben. Deswegen will ich in aller Deutlichkeit sagen: Das Schlimmste, was uns in der jetzigen Situation passieren kann, ist, dass Misstrauen produziert wird. Es ist ungerecht - die Ministerin hat darauf hingewiesen -: Diejenigen, die in Schleswig-Holstein verantwortungsvoll und verantwortungsbewusst im Bereich der Medizin forschen, haben dieses Misstrauen nicht verdient. Sie leisten Hervorragendes an unseren Hochschulen. Das muss man an dieser Stelle auch noch einmal sagen dürfen.

(Beifall bei der FDP)

Stammzellen zählen zu den großen Hoffnungsträgern in der medizinischen Forschung. Unter ihnen sind die

(Jürgen Weber)

embryonalen Stammzellen von besonderer Bedeutung. Es gibt zurzeit relativ wenige Orte auf der Welt, an denen mit embryonalen Stammzellen gearbeitet wird, die eigene Stammzellenserien entwickelt haben. Wir kennen die Standorte in Israel, in Australien und in den USA.

Eigentlich haben wir eine Situation, in der es hinreichend Stammzellenserien gibt, um auf der ganzen Welt forschen zu können, ohne weitere Embryonen um dieses Wort noch einmal zu benutzen - verbrauchen zu müssen. Deswegen sind ein wenig Ruhe und Sachlichkeit der Debatte angemessen. Manche Vorwürfe gehen ins Leere.

Wir können uns wohl darauf einigen: Das unbedingte Diktum, dass wir keine Herstellung von Embryonen ausschließlich zu Forschungszwecken haben wollen, muss im Raum stehen bleiben. Daran will und kann wohl niemand vorbeigehen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Wir können heute in der Zeitung lesen, dass in den USA erstmals Embryonen offensichtlich nur für Forschungszwecke erzeugt worden sind. Aus der Analyse der Forschungslage kann man nur zu dem Schluss kommen, dass es eher um kommerzielle Interessen als tatsächlich um Forschungsnotwendigkeiten geht. Deswegen an dieser Stelle noch einmal: Wir lehnen das strikt ab.

Stammzellen haben einmalige Fähigkeiten. Mit ihnen erhoffen sich Wissenschaftler, in vielfältiger Weise zur Heilung schwer kranker Menschen beitragen zu können. Aber ihre Gewinnung aus Embryonen berührt auch eine Reihe ethischer Grundsätze, die die Fragen von Menschenwürde und die Definition beginnenden Lebens betreffen.

Deswegen möchte ich noch einige Anmerkungen anschließen, weise aber ausdrücklich darauf hin, dass diese nicht reklamieren, die Meinung meiner Fraktion in ihrer Gesamtheit widerzuspiegeln. Ich denke, das kann bei einer Volkspartei angesichts eines solchen Themas auch gar nicht anders sein. Eine Bemerkung noch vorweg - damit wir uns nicht überheben -: Unser Landtag kann natürlich nicht darüber befinden, ob bestimmte Forschungsansätze verfassungsrechtlich bedenklich oder unbedenklich sind. Ein Landtag befindet auch nicht darüber, mit welchen Fragestellungen sich Wissenschaft befasst oder nicht. Zum Glück befindet ein Landtag nicht darüber!

(Beifall bei der FDP)

Es ist auch nicht Aufgabe des Landtages zu entscheiden, ob ein bestimmtes Forschungsprojekt an einer

Hochschule durchgeführt werden kann oder nicht. Aber gleichwohl ist es Aufgabe von Politik, Rahmensetzungen vorzunehmen. Dazu hat erst kürzlich der Vorsitzende des Nationalen Ethikrates, Professor Simitis, sehr deutlich unterstrichen: Ethikräte können alles Mögliche, sie können Argumente aufbereiten, abwägen, gegenüberstellen, Diskurse organisieren; aber sie können nicht entscheiden. Dieser Pflicht und Schuldigkeit darf sich Politik nicht entziehen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und FDP sowie vereinzelt bei CDU und SSW)

Ich bin der Überzeugung, dass wir uns in Deutschland - wie in Schleswig-Holstein - nicht den enormen Herausforderungen und Chancen verschließen dürfen, die die Forschung mit verschiedenen Typen von Stammund Keimzellen einschließlich embryonaler Stammzellen in sich trägt. Es gibt sehr gute Gründe dafür, dass molekularbiologische und biomedizinische Forschung in öffentlich-rechtlichen Einrichtungen stattfindet. Das habe ich bereits gesagt. An dieser Stelle ist es noch einmal zu betonen - das hat auch Kollege Wadephul gesagt -: Wir haben Konsens in einer Reihe von Punkten, von denen wir wissen, dass wir das nicht akzeptieren können. Dazu gehört das therapeutische Klonen, dazu gehören Eingriffe in Keimbahnen, die Patentierung von Genen und auch die Schaffung von Embryonen allein zum Zwecke der Forschung. Dies wollen wir übereinstimmend nicht.

Aber ich füge hinzu: Wir brauchen nicht nur einen Konsens bezüglich der Konsequenz eines Neins, wo dies rechtlich und ethisch geboten ist. Nein, wir brauchen auch ein Ja zur Grundlagenforschung, wo der Nutzen unzweideutig, das Recht unbezweifelt und die Ethik begründbar ist. Das ist ein zweiter Schritt und dieser gehört ebenfalls dazu.

(Beifall bei der FDP)

Ich möchte zu den rechtlichen Fragen wegen der Kürze der Zeit nicht allzu viel sagen. Die Bundesregierung hat deutlich gemacht, dass sie das Embryonenschutzgesetz in dieser Legislaturperiode nicht ändern will. Das ist - so denke ich - eine vernünftige Entscheidung. Das Gesetz bietet ausreichend Schutz und lässt genügend Spielraum für Wissenschaft und Forschung. Allerdings - auch dies muss man sagen - können wir zum jetzigen Zeitpunkt davon ausgehen, dass die rechtlichen Fragen, die sich um die Stammzellenforschung herum gruppieren, eigentlich gar nicht so problematisch sind, wie das in der Öffentlichkeit manchmal dargestellt wird. Die Frage des Imports von Stamm

(Jürgen Weber)

zellen ist eigentlich geklärt. Ich kenne niemanden, der ernsthaft behauptet, das sei rechtlich nicht begründbar.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Herr Wadephul hat das gerade gesagt!)

Auch aus der Frage der Forschung mit den Zellen allein lassen sich keine verfassungsrechtlichen Probleme ableiten. Das können Interessierte aus der entsprechenden Bundestagsdebatte nachlesen; das haben eigentlich die Sprecher aller Fraktionen deutlich gemacht.

Schwerwiegender ist für uns in der Tat die ethische Abwägung. In einer Zeit, in der Lebenswissenschaften mit wachsender Geschwindigkeit neue Fragen und Antworten produzieren, ist es kein Wunder, dass sich in der Öffentlichkeit Ängste wie Hoffnungen darstellen und Platz greifen. Wir haben Auffassungen zu respektieren - das sage ich mit aller Ernsthaftigkeit -, die das Schicksal Schwerstkranker oder das Schicksal von Erbkrankheiten betroffener Menschen als letztlich unabänderlich akzeptieren, weil sich für sie aus ihrem Verständnis von Menschenwürde heraus ein Eingriff in biologische Strukturen des Lebens oder eine Nutzanwendung menschlichen Erbgutes verbieten.

(Beifall der Abgeordneten Roswitha Strauß [CDU])

Aber wir haben natürlich gleichermaßen zu respektieren - das sage ich mit einer genauso großen Deutlichkeit und Ernsthaftigkeit -, dass Forscher, Ärzte und schließlich Patienten selbst alles Menschenmögliche tun, um zu helfen, Leiden zu lindern und zu heilen.

(Beifall bei FDP und vereinzelt bei der CDU)

Auch diese Auffassungen haben wir in einem gleichen Maße ethisch zu respektieren.

Wir müssen sehr sorgfältig und vorsorglich mit Möglichkeiten umgehen, die uns die Wissenschaft bietet. Nur in einem Nebensatz will ich auf den FDP-Antrag eingehen, der nach meiner Auffassung ein wenig zu leichtfertig formuliert ist und ein wenig über das Ziel hinaus schießt. Denn es kann nicht sein, dass wir beschließen: Ein bestimmtes Forschungsprojekt ist gut oder schlecht oder wird dieses oder jenes Ergebnis haben. Es kann auch nicht sein, dass wir Probleme negieren, die sich aus der Bindung an kommerzielle Lieferanten von Stammzellen ergeben können. Deswegen macht es Sinn, über diesen Antrag im Ausschuss weiter zu beraten.

Dass wir die Folgen unseres Handelns zu bedenken haben - die Chancen und Risiken abwägen müssen -, darüber sind wir uns alle einig. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch zu sagen, dass wir auch die Folgen eines

Unterlassens zu bedenken haben, wenn wir Entscheidungen nicht fällen.

(Beifall bei der FDP)

Wenn die Menschen Gründe haben, davon auszugehen, dass molekularbiologische Forschung und insbesondere die Forschung mit embryonalen Stammzellen dabei hilft, die Chancen einer Heilung bisher als unheilbar geltender Krankheiten zu verbessern, dann werden sie sich dafür einsetzen, dass diese Forschung auch in unserem Land eine Chance bekommt. Den Nachweis solcher Chancen muss dann natürlich die Wissenschaft erbringen. Aber es ist unsere Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass die Wissenschaft die Chance bekommt, einen solchen Nachweis überhaupt erbringen zu können.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Auch diese beiden Dinge hängen eng miteinander zusammen.

Abschließend sage ich: Wir sollten diesen Entwicklungen nichts in den Weg stellen. Aber wir sollten helfen, durch klare Regeln und Grenzen - und durch notwendige Kontrollen zum Nutzen aller - einen Prozess zu beschreiben, der die ethische Abwägung in den Mittelpunkt stellt, die rechtlichen Fragen klar, präzise und nachvollziehbar definiert und der die deutsche Wissenschaft international dort positioniert, wohin sie gehört: an die Spitze in der Grundlagenforschung, an die Spitze bezüglich der Besonnenheit mit dem Umgang ihrer Ergebnisse und an die Spitze bei der demokratischen Legitimierung ihres Handelns. Dafür wünsche ich mir einen breiten Konsens in allen Häusern deutscher Parlamente.

(Beifall bei SPD und FDP)

Das Wort erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Dr. Happach-Kasan.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bedanke mich für die Rede der Wissenschaftsministerin, weil sie mit ihrem Beitrag letztlich deutlich gemacht hat, weshalb wir unseren Antrag zu Papier gebracht haben. Ich bedanke mich dafür, weil sie sehr weitgehend verstanden hat, was wir mit unserem Antrag bezwecken wollten.

In der breit geführten Diskussion um den angemessenen Umgang mit Embryonen, um die Frage, ob mit Embryonen, die in vitro gezeugt wurden, etwas anderes geschehen darf, als dass sie in eine Gebärmutter

(Dr. Christel Happach-Kasan)