Damit ist Schleswig-Holstein wieder einmal Vorreiterin einer sowohl an den Suchtkranken orientierten als auch auf Wirtschaftlichkeit und Nachvollziehbarkeit ausgerichteten Suchthilfepolitik in Deutschland. Die Entscheidung anderer Bundesländer für HORIZONT als Dokumentationssystem auch für andere Bereiche als die Suchtkrankenhilfe lässt hoffen, dass sich bundesweit die Grundlage der Diskussion um die Suchthilfepolitik von allgemeinen Meinungen hin zu einer an Fakten orientierten, fachlich fundierten Einschätzung wandelt. Dafür ist ganz besonders zu danken, denn in dieser Diskussion ist es notwendig, eine rationale Grundlage zu haben.
Wir erwarten, Frau Ministerin, dass wir nach Abschluss der Einführungsphase von HORIZONT einen weiteren Bericht mit dann repräsentativen Auswertungen der bis dahin erhobenen Daten erhalten. Deswegen möchten wir diesen Bericht heute zur Kenntnis nehmen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, aus dem von Ihnen vorgelegten Bericht zum Dokumentationssystem HORIZONT wurde ganz klar - uns jedenfalls -, dass Schleswig-Holstein tatsächlich eine Vorreiterrolle in diesem Bereich der Drogenpolitik einnimmt und neue Wege beschritten hat. Dazu gehört auch, dass das Dokumentationsprogramm in der ambulanten Suchtkrankenhilfe die Modellphase erfolgreich bestanden hat.
Allgemeiner Konsens besteht - so habe ich das jedenfalls verstanden, Frau Tengler - auch darin, dass sich Suchtvorbeugung auf die jeweilige Zielgruppe ausrichten und deshalb lebensweltorientiert und kontinuierlich angelegt werden muss. Das Dokumentationsprogramm soll und wird dabei - davon bin ich überzeugt - wertvolle Hilfestellung leisten.
Frau Ministerin, der aktuelle Bericht stellt die Ziele des Dokumentationssystems dar und es wurden auch bestimmte Erwartungen an dieses Dokumentationssystem gestellt. Allerdings vermisse ich ein konkreteres Zwischenergebnis aus der Modellphase. Es kann ja nicht sein, dass nach mehrjähriger Erfahrung in bestimmten Modellprojekten keine ersten konkreten Schlüsse gezogen werden können.
Herr Nabel, Sie haben von dem kurzfristigen Programm gesprochen. Ich will darauf hinweisen, dass ich mir selbst dieses Programm bereits im Jahre 1997 im CLARO-Kontaktladen angeschaut habe. Seitdem ist dieses Programm als Modell angelaufen. Da es sich um ein Projekt handelt, das in der Anwendung ist und das vom Land mit 2,5 Millionen DM gefördert wurde und in der ersten Modellphase so erfolgreich war, dass es ausgeweitet werden soll, finde ich, dass es sich konkreter bilanzieren ließe.
Der Bericht des Instituts für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung vom September 2000 war da schon etwas konkreter.
Was mir im Bericht fehlt, ist beispielsweise eine Antwort auf folgende Fragen: Kann das Programm tatsächlich zu einem Qualitätssicherungsmanagement in den Institutionen beitragen und sind hier bereits konkrete Umsetzungen vorgenommen worden? Ist mittlerweile ein standardisierter Klassifikationskatalog geschaffen und durch den Modellversuch anschließend getestet worden?
Wenn ein Programm ausgeweitet und eingesetzt werden soll, wäre es notwendig, sich zumindest in diesem Bereich auf einen konkreten Katalog zu einigen. Da gibt es auch keine Differenzen, nur - wie gesagt - fehlt mir das im Bericht. Ich fürchte nämlich, dass hier sonst das Ziel, landesweite Vergleichsmöglichkeiten in der Therapie und der Umsetzung vor Ort zu ermöglichen, fehllaufen könnte.
Was mich aber ganz besonders wundert, ist, dass sich Frau Ministerin Lütkes nach einer so langen Modellphase und dem Wunsch der Ausweitung des Systems nicht zu einer klaren Entscheidung durchringen konnte, dieses System auch in den Justizvollzugsanstalten einzusetzen. Gerade in diesem Bereich wäre es für die zukünftige Therapie und die Dokumentation ganz besonders wichtig, wenn die Häftlinge bereits in der JVA in das System eingebunden würden, um nach der
Haftentlassung eine Therapie besser und einfacher zu gewährleisten. Denn wenn die gesundheitliche und soziale Situation drogenkranker Menschen verbessert werden und insbesondere ihrer Ausgrenzung begegnet werden soll, ist es unserer Auffassung nach zwingend notwendig, einen Verbund mit den Justizvollzugsanstalten anzustreben. Präzise Eckdaten aus dem immer noch abgeschotteten Bereich der Justizvollzugsanstalten würden für eine Therapie mehr als hilfreich sein.
Das ISD hat weiterhin eine starke Kooperation mit anderen Stellen - zum Beispiel mit der Jugendhilfe angeregt. Wie aus dem Bericht der Landesregierung zu entnehmen ist, wurde dies zumindest im Bereich der Jugendhilfe noch nicht umgesetzt. Frau Ministerin Lütkes, hier hätte ich mir von Ihnen schon mehr Mut und Tatendrang gewünscht.
Frau Ministerin Moser, für mich stellt sich die Frage, inwieweit das Land Schleswig-Holstein, das durch die Modellförderung mit dazu beigetragen hat, das Dokumentationsprogramm zu ermöglichen, über den Nutzen, den wir im gesundheits- und drogenpolitischen Bereich konkret haben, möglicherweise auch von der Lizenzvergabe des Programms profitieren kann.
Um es konkret zu sagen: Wenn sich andere Kostenträger ebenfalls für HORIZONT entschieden haben, läge es doch nahe, dass das Land in irgendeiner Form, zum Beispiel durch Kostenersparnis beim Lizenzerwerb oder aber durch Lizenzgebühren, eine Rendite aus seiner Investition zöge. Ich würde mich freuen, wenn wir darüber noch einmal reden könnten. Das scheint mir ganz wichtig zu sein, auch im Zusammenhang mit der immer wieder gestellten Frage, woher wir neues Geld für alles Mögliche bekommen.
Ich hoffe, dass wir darüber im Ausschuss noch einmal reden können und die Frage beantwortet bekommen. Ich bedanke mich für den Bericht und hoffe, dass die noch offenen Fragen geklärt werden können.
Ich erteile der Frau Abgeordneten Birk das Wort und darf gleichzeitig um etwas mehr Aufmerksamkeit im Haus bitten.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei neuen Wegen in der Drogenpolitik erwarten viele tatsächlich etwas anderes als einen Bericht über ein Dokumentationssystem. Trotzdem finde ich es wert, dass wir uns mit dieser Thematik auseinander setzen, denn es zeigt paradigmatisch - das wurde in den Bemerkungen meiner Vorrednerinnen und Vorredner deutlich gemacht -, dass es sich bei dem Thema Dokumentation um einen Bereich handelt, von dem wir eigentlich nicht erwarten, dass er sich quantitativen Daten öffnet, dass wir davon viel Inhalt erfahren. Dass dies trotzdem der Fall ist, ist die Botschaft des Berichts und das ist gut so.
Entgegen aller Kritik kann es auch in heiklen Fällen der Sozialarbeit wie der Beratung und Hilfe für Abhängige von illegalen Drogen gute, neue Formen moderner quantitativer Dokumentation geben, die eine wertvolle Grundlage für fachliche Selbstevaluation, Leistungsbilanz und Leistungsverträge mit der öffentlichen Hand oder Dritten sein können.
Die Tatsache, dass dieses Verfahren - jedenfalls nach meiner Kenntnis - nicht gegen erbitterten Widerstand von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern eingeführt wurde, sondern mit ihnen gemeinsam, dass sie selbst initiativ tätig waren und die wissenschaftlichen Fachleute berufsübergreifend zusammenarbeiten konnten, bestätigt mich darin, dass es ein richtiger Weg ist, zur Selbstevaluation anzuregen, Verfahren zu entwickeln, die nicht Methoden aus der Industrie übertragen, sondern den besonderen Grundlagen der gemeinwesenorientierten Arbeit Rechnung tragen.
Wir sind in andereren Feldern - ich denke zum Beispiel an die Frauenprojekte, die ebenfalls Landeszuschüsse erhalten - ebenfalls auf dem Weg zu einer solchen Evaluation. Ich möchte manchem Betrieb, der öffentliche Zuschüsse erhält,wünschen, dass er genauso die Entwicklung von Arbeitsplätzen oder ähnliche Parameter, die uns wichtig sind, dokumentiert, wie das in diesem Fall der Drogenhilfe beispielhaft geschehen ist.
Ich freue mich darüber, dass dieses Modell bundesweit Schule macht, und möchte an dieser Stelle auch an das anknüpfen, was Herr Garg gesagt hat. Sie haben sozusagen die Vermarktung einer solchen Erfindung auf das Land bezogen. Wir haben aber häufig auch Fälle, in denen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Projekten selber neue Methoden finden, ihre Arbeit zu dokumentieren und zu evaluieren, und dies zur Grundlage von Verträgen machen. Es muss auch diesen selbst möglich sein, das zu vermarkten - auch
dann, wenn es sich um gemeinnützige Projekte handelt. Häufig führt so etwas nämlich automatisch zum Rückgang von Zuschüssen der öffentlichen Hand oder die EU-Wettbewerbshüter gestehen die Förderung solcher Projekte gar nicht zu und sehen hierin gleich Wettbewerbsvorteile gemeinnütziger Organisationen.
Das ist kein marginales Thema, auch wenn wir das an einem randständigen Bereich, nämlich der illegalen Drogen, diskutieren. Es ist wichtig, dass wir uns klarmachen, dass wir nur anregen können, die großen Wohlfahrtsverbände und andere Organisationen zu modernen Formen der Dokumentation und Selbstevaluation und der wissenschaftlichen Begleitung zu bewegen, wenn wir erstens dafür Mittel bereitstellen und zweitens Anreize geben, dies auch mit geringem Mitteleinsatz zu bewältigen, eventuell sogar ohne zusätzliche Mittel, wenn man denn weiß, dass sich diese Arbeit lohnt und gegebenenfalls auch vermarkten lässt.
Hier haben wir Neuland zu betreten, eine besondere Form von Public Private Partnership, der wir uns in der Ausschussberatung aus Anlass dieses Berichtes durchaus widmen sollten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Drogenpolitik heißt, aus unzureichendem Wissen die richtigen Schlüsse zu ziehen.“ - Dies hat einmal ein leitender dänischer Drogenfahnder gesagt und damit ist wohl die Grundlage der heutigen Diskussion genannt. Das Wissen um die Hintergründe der Drogenprobleme ist noch sehr begrenzt - sei es das Wissen um die Entstehung von Abhängigkeit, die Entwicklung und Beeinflussbarkeit von Drogenkarrieren, die Wirkung des Drogenstrafrechts oder die Arbeitsgrundlagen der Drogenhilfe.
Es scheint, als hätte unsere Gesellschaft die Drogenabhängigkeit zu einem Randgruppenproblem erklärt, in das man nicht so viele Ressourcen von Wissenschaft und Forschung investieren muss.
Gerade angesichts der Entwicklung des Drogenkonsums hat dieses soziale Problem die größte Aufmerksamkeit verdient. Es muss sehr viel getan werden, um die Forschung und das Wissen um die Drogen zu mehren. Aus dieser Perspektive ist die Einführung des Dokumentationssystems HORIZONT natürlich sehr begrüßenswert. Es bietet die Chance, endlich eine einigermaßen zuverlässige Datengrundlage für die Drogenpolitik in Schleswig-Holstein zu schaffen, wodurch auch die Qualität, die Effektivität und die Effizienz der Drogenhilfe verbessert werden können. Dies ist aber nur eine Seite der Medaille.
Die Einführung von HORIZONT hat auch für Unruhe gesorgt und dies ist zunächst unser Problem. Erstens wurde befürchtet, dass der Mehraufwand sehr viel Arbeitszeit in Anspruch nimmt, die dann nachher den Klienten fehlt. Die Professionalisierung durch HORIZONT sehen wir allerdings als unumgänglich an.
Zweitens wurde befürchtet, dass das System genutzt werden könnte, um die Angestellten zu kontrollieren. Wir haben hier allerdings volles Vertrauen. Wir haben bisher auch nichts anderes gehört, als dass verantwortungsvoll mit den Daten umgegangen wird.
Drittens ist Ziel der Einführung von HORIZONT, die Grundlage für ein effizientes Hilfesystem und neue Abrechnungsmodi zu schaffen. Das schafft natürlich die größte Verunsicherung.
Wir brauchen aber eine verbesserte Datengrundlage, auf der wir die Arbeitsabläufe in Drogenhilfeeinrichtungen bewerten und neue Abrechnungsformen festlegen können. Wir leben in einer Zeit, in der die Sozial- und Gesundheitspolitiker gegenüber den Finanzpolitikern sehr gut argumentieren müssen, wenn sie Geld für ihre Politik haben wollen. In den Zeiten der Knappheit drohen gerade jene Gruppen, die keine Lobby haben, hinten herunterzufallen.
Auch wir sehen tatsächlich die Gefahr, dass die direkte Verkoppelung von HORIZONT-Dokumentation und neuer Finanzierung die Datenqualität beeinflussen könnte. Sie könnte zu einem unsachgemäßen Umgang mit der Dokumentation verleiten;
denn die Befürchtung besteht, dass die Daten als Begründung für Kürzungen herhalten müssen. Hier wäre also zu fragen, ob diese direkte Verkoppelung von Dokumentation und Reform der Finanzierung sinnvoll ist und wie die Regierung solchen möglichen Nebeneffekten begegnen wird.