Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie können sich denken, dass derjenige, der Fragen oder Probleme des Opferschutzes anspricht, bei mir, aber auch bei der Landesregierung insgesamt offene Türen einrennt. Sie wissen auch, dass sich die Landesregierung dieser Verantwortung bewusst ist und den Opferschutz nicht nur im Munde führt, sondern ihn durch eine Vielzahl von Programmen und Maßnahmen in der Praxis voranbringt.
Ich hatte für diese Debatte eine Rede vorbereitet, die dem ähnelt, was hier angeklungen ist. Sie beinhaltet eine Darstellung der alltäglichen Praxis und dessen, was das geltende Recht in Schleswig-Holstein und in der Bundesrepublik ermöglicht. Der Schlusssatz meiner Rede lautet, dass der Antrag, mit dem das Ziel verfolgt wird, über eine Bundesratsinitiative den Opferschutz zu verbessern, ins Leere läuft, zum einen weil er sich auf geltendes Recht bezieht, zum anderen weil eine Bundesratsinitiative der Länder vorliegt, in der genau die Verfahrensverbesserungen vorgeschlagen werden, die denkbar sind.
Ihr Vorschlag, den Antrag im Ausschuss ausführlich zu debattieren, stößt bei mir auch in der Funktion als Justizministerin auf großes Interesse; denn dadurch besteht Gelegenheit, die Fragen, die insbesondere Herr Kubicki eben angesprochen hat, sachlich und in Ruhe zu besprechen. In der Diskussion schimmert in Facetten durch, dass es um die Grundsatzfrage geht: Welche Rolle, welche Funktion hat das Strafverfahren in unserer Gesellschaft? Welche Rolle, welche Funktion und insbesondere welche Rechte haben der Beschuldigte und sein Verteidiger? Wie ordnet sich diesen Rechten des Beschuldigten und seines Verteidigers oder der Beschuldigten und seiner Verteidigerin die Position des Opfers, des Zeugen, des Betroffenen zu?
Die Rolle des Opfers in dieser Gesellschaft ist einmal eine strafverfahrensrechtliche. Es bedarf aber auch einer gesellschaftlichen Debatte, die eine breitere Dimension hat als die Frage, wie der Opferschutz im Strafverfahren und wie die Wiedergutmachung zu organisieren ist. Dahinter steht auch die Frage - das möchte ich als Frauenministerin anfügen -, inwieweit sich das Selbstverständnis eines Opfers ändern kann und inwieweit Frauen - so ist die gesamtgesellschaftspolitische Debatte gerade im Familienrecht und in der Auseinandersetzung um das Recht auf Wegweisung aus der ehemaligen Wohnung gestaltet - aus der passi
ven Opferrolle heraus und in eine andere, von ihren subjektiven Möglichkeiten und Rechten bestimmte aktive Rolle hineinwachsen können.
Das ist aber eine Position - gestatten Sie mir, das nur als eine vorläufige These im Hinblick auf die Ausschussberatung vorzutragen -, die bei der geltenden Rechtslage nicht notwendigerweise im Strafverfahren anzusiedeln ist. Wir müssen im Strafverfahren sehr genau definieren, was Sinn und Zweck eines solchen Verfahrens ist. Ein - gestatten Sie diese lockere Formulierung - Durcheinander der verschiedenen Verfahren und Ansprüche dient weder der Rechtsklarheit noch der sauberen Durchsetzung von Ansprüchen. Es dient auch nicht - damit knüpfe ich an die Debatte beim vorherigen Tagesordnungspunkt an - der Konfliktklärung in der Gesellschaft. Ich habe eben schon gesagt, dass diese Gesellschaft die Verpflichtung hat, ihre Konfliktlösungsmechanismen zu überprüfen. Dazu gehört insbesondere die Debatte um das Strafverfahren.
Wenn Sie den Antrag so ausweiten und auch eine Debatte über die Konfliktlösung führen wollen, dann ist die Landesregierung - das gilt insbesondere für mich als Justizministerin - gern bereit, sich daran zu beteiligen. Dann dürfen wir uns vielleicht gemeinsam mit Ihnen auf die Debatte beziehungsweise das Einführungsreferat auf dem letzten Strafverteidigertag beziehen, in dem sich der Herr Kollege König, ein Berliner Rechtsanwalt und Mitglied des Kammervorstandes, sehr ausführlich mit der Frage der Rechtssphäre im Strafverfahren und der Frage einer modernen Konfliktlösung im Strafverfahren auseinander gesetzt hat. Diese grundlegende Auseinandersetzung ist natürlich eine hochdramatische, aktuelle und sehr anspruchsvolle Angelegenheit. Wenn uns dies gemeinsam gelingt, dann sind wir beim Opferschutz ein erhebliches Stück weitergekommen.
Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da wir bei einem Kernpunkt des rechtsstaatlichen Grundverständnisses unseres Gemeinwesens sind, möchte ich zwei Anmerkungen zu dem Beitrag des Kollegen Steenblock machen. Es ist immer gut, wenn man sagt, man vermute die Intention des Antrages in einer bestimmten Richtung und deshalb sollte man über die
Wir müssen uns im Ausschuss im Prinzip mit dem Opferschutzgesetz beschäftigen und nicht mit der Frage, ob wir die strafprozessualen Normen ändern müssen. Das nur vorweg.
Es gibt noch etwas, das ich zu bedenken geben möchte. Wir tun so, als stünde das, was sich am Ende einer Hauptverhandlung möglicherweise ergibt, bereits fest. Es gibt aber Fälle, in denen wir nur davon reden können, dass es einen mutmaßlichen Täter und ein mutmaßliches Opfer gibt, weil es kein Geständnis, sondern nur Indizien und sonstige Hinweise gibt. Es gibt auch Strafverfahren - ich selbst habe einige erlebt -, in denen die Opferrolle gar keine Opferrolle, sondern eine Täterrolle ist, nämlich die der falschen Verdächtigung beziehungsweise der falschen Schilderung eines Sachverhalts. Deshalb bin ich sehr vorsichtig damit, so zu tun, als stünde schon alles fest.
Was den Fall angeht, dass alles offenkundig ist, der Täter gestanden hat und die Sachlage völlig klar ist, so muss man sich nicht über die Rechte unterhalten, die Sie einfordern wollen, Herr Lehnert, weil sie im Zweifel wahrgenommen werden.
Es gibt aber einen Punkt, über den man nachdenken muss und den ich Ihnen, Frau Ministerin, vielleicht einmal für die Justizministerkonferenz mit auf den Weg geben möchte, nämlich ob insbesondere bei Sexualstraftaten, bei denen der Täter geständig ist und alles andere feststeht, das obligatorische Adhäsionsverfahren eingeführt werden sollte, in dessen Rahmen das Schmerzensgeld dem Grunde und der Höhe nach festzulegen ist; denn dadurch würden weitere zivilrechtliche Verfahren erspart.
Ansonsten kann ich aus eigener Praxis nur sagen: Gott bewahre uns davor, die Möglichkeiten des Adhäsionsverfahrens auszuweiten, das heißt die zivilprozessualen Regelungen in Strafverfahren zu verlagern. Herr Kollege Steenblock, Sie schütteln den Kopf. Sie kriegen kein Strafverfahren binnen angemessener Frist zu Ende, wenn auch die zivilrechtlichen Streitigkeiten einbezogen werden. Bei fahrlässigen Tötungsdelikten und bei Verkehrsunfällen können zwei bis drei Jahre vergehen, bis sich die Sachverständigen überhaupt erst einmal geeinigt haben, in welcher Größenordnung Beteiligungen vorliegen. Ich warne ausdrücklich davor. Aber bei Verletzungsdelikten, wo die Sachlage klar ist und wo es nur um Schmerzensgeldansprüche geht, denke ich, macht es Sinn, auch die Ziviljustiz davor zu bewahren, den gleichen Sachverhalt in einem
weiteren Verfahren erneut erörtern zu müssen. Deshalb sollte man darüber nachdenken, für solch klare Fälle die obligatorische Adhäsion einzuführen.
Wir treten in die Abstimmung ein. Es ist beantragt worden, den Antrag der Fraktion der CDU, Drucksache 15/961, an den zuständigen Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag, Drucksache 15/961, einstimmig dem zuständigen Fachausschuss zur weiteren Beratung überwiesen worden. Der Tagesordnungspunkt ist damit erledigt.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort für die FDP-Fraktion, den Antragsteller, hat der Herr Abgeordnete Günther Hildebrand.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Bereits in der letzten Landtagstagung haben wir über das Problem der Videoüberwachung gesprochen. In dem Zusammenhang habe ich einige Male auf das Fernsehprojekt „Big Brother“ verwiesen. Wir nahmen mit Humor zur Kenntnis, dass es genügend Menschen gibt, die für eine bestimmte Summe Geld freiwillig auf ein Privatleben verzichten, und dass es noch mehr Menschen gibt, die sich das auf dem Bildschirm ansehen, allerdings - wie wir Gott sei Dank feststellen können mit abnehmender Tendenz. Nachdem Herr Westerwelle dort war, ist die Spannung heraus; da gibt es natürlich keine Steigerung mehr.
Beim Durchlesen der nunmehr geplanten Verordnung zur Telekommunikationsüberwachung, die vom Bundeswirtschaftsministerium ausgearbeitet wurde und mit der sich auch der Bundesinnenminister sehr wohl fühlt, vergeht jedem Menschen, der Wert auf ein Recht auf eigene Daten legt, das Lächeln gründlich.
Um auf den wesentlichen Punkt zu kommen: Mit dieser Verordnung wird Betreibern von Telekommunikationsanlagen auferlegt, ausnahmslos jede Nutzung dieser Anlagen lückenlos zu protokollieren - egal, ob überhaupt ein Anfangsverdacht auf ein gesetzwidriges Verhalten durch den Nutzer oder die Nutzerin gegeben ist.
Wir kommen damit weg von der Unschuldsvermutung hin zu einem Generalverdacht, der zunächst alle Telekommunikationsanlagennutzer und -nutzerinnen zu potenziellen Gesetzesbrechern stempelt. Dies ist unserer Ansicht nach ein Bruch mit den Prinzipien des Rechtsstaates oder zumindest eine sinnwidrige Auslegung dieser Prinzipien. Darüber hinaus ist dieser Ansatz nicht geeignet, den Zweck, nämlich alle Straftäter im Internet zu erfassen, zu erreichen.
Internetnutzerinnen und -nutzer haben bereits heute die Möglichkeit, ihre Spuren im Internet zu verwischen. Das so genannte Tarnkappenprogramm, welches im Internet übrigens kostenlos angeboten wird, verwischt die Spuren des Nutzers beziehungsweise der Nutzerin bis zur Unkenntlichkeit. Dieses Programm ist für Nutzerinnen und Nutzer mit krimineller Energie durchaus attraktiv und ein effizientes Mittel, der Überwachung zu entgehen. Folglich würden auch nur die einfach gestrickten Kriminellen oder - wie wir alle - redliche Menschen von der Überwachung erfasst.
Erstaunlich ist dabei, dass die Entwicklung dieses Programms vom Bundeswirtschaftsministerium finanziert worden ist, also genau von dem Ministerium, welches nun den totalen Überwachungsverordnungsentwurf vorgelegt hat. Das verstehe, wer will. Ich kann es nicht.
Es besteht aber auch die Gefahr, dass die - wie im Entwurf geplant - zentral gesammelten Daten von talentierten Hackern „angezapft“ und für nicht erlaubte Zwecke genutzt werden.
Ich frage mich auch, warum denn die Regierung in Berlin bei so weit reichenden Regelungen keinen Gesetzentwurf, sondern nur eine Verordnung präsentiert.
Es liegt auf der Hand, dass die öffentliche Debatte gescheut wird, die bei einem Gesetz mit Parlamentsvorbehalt natürlich stattgefunden hätte. Stattdessen
wollen rot-grüne Genossen offensichtlich lieber die Rechte der Bürgerinnen und Bürger bequem im Regierungshinterzimmer beschneiden.
Schließlich besteht momentan überhaupt keine Notwendigkeit, eine weiter gehende Regelung zur Überwachung von Telekommunikationsanlagen zu treffen. Frau Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin hat nämlich bereits vor einiger Zeit eine Studie in Auftrag gegeben, welche überprüfen soll, ob die seit Jahren steigende Zahl von Telefonüberwachungen tatsächlich einen im gleichen Maß steigenden Fahndungserfolg nach sich gezogen hat. Die Ergebnisse dieser Studie sollten zunächst abgewartet werden. Nach Auskunft des Bundesjustizministeriums werden sie allerdings frühestens Ende des Jahres, wenn nicht sogar erst Mitte nächsten Jahres vorliegen.
Aus all diesen Gründen wollen wir, dass der Entwurf für eine Telekommunikationsüberwachungsverordnung von der Bundesregierung zurückgezogen wird. Ich bitte um Ihre Unterstützung und beantrage Abstimmung in der Sache. Bei einer Überweisung an den Ausschuss käme eine Entscheidung viel zu spät.