Protocol of the Session on May 30, 2001

Ich bin der festen Überzeugung, dass das Landesschlichtungsgesetz eine gute Antwort - eine Teilantwort - auf die Belastung der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist, denn es geht darum - das möchte ich in Erinnerung rufen -, dass wir qualifizierte Antworten auf die hohe Belastung der Justiz finden müssen, dass wir auch Antworten finden müssen, die sich angesichts der Situation der öffentlichen Haushalte nicht nur in dem Ruf nach mehr Personal erschöpfen, und dass wir langsam eine andere Streitkultur in dieser Gesellschaft erarbeiten. Das Landesschlichtungsgesetz ist bis zum 31. Dezember 2005 befristet, weil wir der Meinung sind, dass seine Wirksamkeit in 2004 überprüft werden soll und die dann gemachten Erfahrungen in das Gesetz hineingeschrieben werden können.

Ich hoffe, dass die Diskussion über das Landesschlichtungsgesetz ein Beispiel für eine faire Streitkultur in diesem Landtag ist und bitte um Ihre Zustimmung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ich danke für die Begründung und eröffne jetzt die Grundsatzberatung über den Gesetzentwurf. Das Wort erteile ich Herrn Abgeordneten Geißler.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf möchte die Landesregierung von der Ermächtigung des § 15 a des Einführungsgesetzes zur Zivilprozessordnung Gebrauch machen, in der den Ländern die Möglichkeit eröffnet wird, in bestimmten zivilrechtlichen Streitigkeiten vor den Amtsgerichten als Prozessvoraussetzung ein obligatorisches Schlichtungsverfahren einzuführen. Auch einige andere Bundesländer - darunter Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg - sind diesen Weg bereits gegangen. Dennoch ist meine Fraktion keineswegs davon überzeugt, dass für die Einführung eines obligatorischen Streitschlichtungsverfahrens ein wirkliches Bedürfnis besteht.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Na!)

Denn schon nach geltendem Recht ermöglichen die vorhandenen Schiedsämter und Schlichtungsstellen der Verbände sowie die Rechtsanwälte - ich verweise in diesem Zusammenhang auf § 796 a ZPO - die außergerichtliche gütliche Beilegung von Rechtsstreitigkeiten. Dies geschieht insbesondere durch die Rechtsanwälte in erheblichem Umfang mit großem Erfolg. Würden die Anwälte ihre Tätigkeit nicht auch so ausüben, dass Rechtsstreitigkeiten möglichst außergerichtlich beigelegt werden, wären unsere Gerichte überhaupt nicht mehr in der Lage, den Arbeitsanfall zu bewältigen.

Für die verbleibenden Rechtsstreitigkeiten der in § 1 des Gesetzentwurfs aufgeführten Art hat in der Regel eine außergerichtliche Streitschlichtung durch eine anwaltliche Gütestelle oder ein Schiedsamt keine Aussicht auf Erfolg. Es ist die Erfahrung eines jeden Rechtsanwalts, dass Mandanten zu Beginn einer rechtlichen Auseinandersetzung oft weder einigungsnoch vergleichsbereit sind. Es ist daher zu bezweifeln, dass das mit dem Gesetzentwurf beabsichtigte Ziel, die einvernehmliche Streitschlichtung zu stärken, wirklich erreicht werden kann. Die Zweifel sind ja auch in der Befristung des Gesetzes zum Ausdruck gekommen. Demgegenüber gelingt es heute dem Richter in einer Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten, in einem späteren Stadium des Verfahrens den Rechtsstreit gütlich beizulegen. Viele Richter warten erst einmal ab, bis Schriftsätze ausgetauscht worden sind, und nehmen den Versuch einer Schlichtung dann oft auch mit Erfolg vor.

Die Einführung eines obligatorischen Schlichtungsverfahrens führt zu Nachteilen für die Rechtssuchenden, und zwar zu einer Verzögerung des Rechtsschutzes des Gläubigers bis zu 3 Monaten, gegebenenfalls noch länger, und zwar in all den Fällen, in denen eine außergerichtliche Schlichtung aussichtslos ist, ins

(Thorsten Geißler)

besondere weil eine Schlichtung schon vor Anrufung einer Schlichtungsstelle von den Parteien beziehungsweise ihren Rechtsanwälten ergebnislos versucht worden war. Sie führt auch insbesondere bei der anwaltlichen Gütestelle zu einer Verteuerung der einvernehmlichen Streitschlichtung, das heißt der gütlichen Einigung der Parteien im Verhältnis zu einer gütlichen Einigung vor dem Amtsgericht.

Das Gerichtskostengesetz begünstigt den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs dadurch, dass es den Parteien dafür nur eine Gebühr, nämlich die von drei auf eine ermäßigte Verfahrensgebühr abverlangt. Diese eine gütliche Einigung fordernde Kostenregelung lässt insbesondere § 10 des vorliegenden Gesetzentwurfs völlig außer Acht. Im Gegenteil: Der Abschluss des Verfahrensvergleichs vor der anwaltlichen Gütestelle wird dadurch erschwert, dass beim Zustandekommen eines Vergleichs eine zusätzliche Gebühr fällig wird - vor der anwaltlichen Gütestelle immerhin in Höhe von 130 Euro.

In den Fällen, in denen es nicht zu einer Schlichtung kommt und zur Entscheidung des Rechtsstreits doch vor dem Amtsgericht geklagt werden muss, bedeutet die Einführung eines obligatorischen Schlichtungsverfahrens zugleich die Einführung einer Vorinstanz, wenn auch ohne Entscheidungskompetenz, und damit einer weiteren Instanz für die in § 1 genannten Streitigkeiten vor dem Amtsgericht. Das widerspricht dem heute in der Rechtspolitik verfolgten Bestreben, den Instanzenzug zu verkürzen.

Gerade die Kostenvorschriften müssen daher in der Ausschussberatung einer gründlichen Überprüfung unterzogen werden. Nach Auffassung meiner Fraktion sollte dem Grundsatz des Gerichtskostengesetzes entsprechend der Vergleichsabschluss vor der anwaltlichen Gütestelle und auch vor dem Schiedsamt gebührenmäßig gefördert werden. Auslagen sollten nur in tatsächlich angefallener Höhe erstattet werden. Zugleich gilt es einige handwerkliche Mängel des Gesetzentwurfs zu bereinigen. So muss meines Erachtens in § 10 Abs. 4 das Wort Vergütung durch das Wort Gebühr ersetzt werden.

Wir haben grundsätzliche Bedenken, werden uns aber selbstverständlich konstruktiv an der Ausschussberatung beteiligen und werden auch die Ergebnisse der Anhörung sorgfältig auswerten.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist ja ganz was Neues!)

- Das ist nicht neu, Herr Kubicki, das tun wir genauso wie Ihre Fraktion regelmäßig.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind wir nicht vollends davon überzeugt, dass dieser Gesetzentwurf zu einer

Stärkung der gütlichen Streitbeilegung führen wird, befürchten jedoch, dass er zu einer Verzögerung des gerichtlichen Rechtsschutzes des Gläubigers und zu einer Verteuerung einer gütlichen Einigung vor einer anwaltlichen Gütestelle oder vor dem Schiedsamt im Vergleich zu einer gütlichen Regelung vor dem Amtsgericht führen wird.

Im Fall des Scheiterns einer Güteverhandlung vor der anwaltlichen Gütestelle beziehungsweise vor dem Schiedsamt werden auch die für das vergebliche Schlichtungsverfahren entstandenen Gebühren zu einer Verteuerung des gerichtlichen Rechtsschutzes führen, wenn daraus ein anschließender Rechtsstreit vor dem Amtsgericht wird, denn nach § 15 a Abs. 4 EGZPO gehören diese Gebühren zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne des § 91 Abs. 1 und 2 ZPO.

Für besonders bedenklich halten wir die in Zukunft vorgesehene ungleiche Gewährung des gerichtlichen Rechtsschutzes, denn erst ab einem Streitwert von 750 Euro ist ein unmittelbarer Zugang zum gerichtlichen Rechtsschutz gewährleistet, während bei einem Rechtsstreit von bis zu 750 Euro der Zugang zum Gericht erst nach Durchführung des obligatorischen Schlichtungsverfahrens gegeben ist.

Sie sehen, wir haben doch erhebliche Bedenken gegenüber diesem Gesetzentwurf. Selbstverständlich werden wir aber der Überweisung an den Innen- und Rechtsausschuss zustimmen.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Puls das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Amtsgerichte drohen bundesweit in einer Flut von Bagatellstreitigkeiten zu ersticken. Auch in Schleswig-Holstein - so hören wir - sind 40 % der Fälle eines amtsrichterlichen Zivildezernats Nachbarstreitigkeiten oder Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von 1.500 DM.

Mit einem bis Ende 2005 befristeten Modellversuch will die Landesregierung nunmehr Entlastung schaffen. Wir unterstützen den Gesetzentwurf der Landesregierung, weil außergerichtliche Streitschlichtung, Herr Kubicki, in der Sache sinnvoll ist, weil sie für die Amtsgerichte Kapazitäten freischaufelt und weil sie für die rechtsuchende, streitbare Bevölkerung Kosten sparende Streitbeilegung ermöglicht. Herr Kollege Geißler, wenn es erst gar nicht zu Gericht geht - also im erfolgreichen Vergleichsfall -, dann entfallen natürlich auch Prozess- und Verfahrensgebühren. Dann

(Klaus-Peter Puls)

bleibt es bei dem geringen Maß der in dem Gesetzentwurf vorgesehenen Gebühren auch für die Beteiligten.

(Zuruf von der CDU: Nur wenn der Vergleich scheitert?)

Bislang war der Gang zum Kadi bei kleineren Rechtsstreitigkeiten kein Muss. In allen Kommunen stehen schon seit Jahrzehnten Schiedsmänner und Schiedsfrauen bereit, um alltäglichen Zwist gütlich beizulegen. Die Palette ist groß. Die ehrenamtlichen und juristisch nicht vorgebildeten Streitschlichter und -schlichterinnen werden bemüht bei Auseinandersetzungen in Nachbarschaftsstreitigkeiten, bei kleineren Geldforderungen, Beleidigungen und Ehrabschneidereien und ähnlichen Fällen. Diese bürgernahe Schlichtung hat einen gewissen Charme - so finden wir -. Verhandelt werden die Sachen nicht in einem Gerichtssaal, sondern in der zivilen Umgebung der Schiedsleute. Streithähnen, die in Gefahr stehen, sich gegenseitig hochzuschaukeln, wird erst gar nicht eine Bühne zur Selbstdarstellung geboten. Vor allem aber kommt das Schiedsverfahren die Streitenden wesentlich günstiger als ein Verfahren vor dem Amtsgericht. Ich weise noch einmal darauf hin, das Verfahren vor dem Amtsgericht wird nämlich regelmäßig dann doch im Rücken mit der Unterstützung der Rechtsschutzversicherung - mit Anwälten und Anwältinnen betrieben.

Nach dem neuen Gesetz ist der Versuch der Streitschlichtung verbindlich bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von 1.500 DM und bei Nachbarschaftsstreitigkeiten und bei Ehrverletzungen besonderer Art. Das Monopol der Schiedsleute soll es nicht mehr geben.

Die Anwaltschaft soll künftig auch bei der vorgerichtlichen Streitschlichtung mitmischen dürfen. Herr Kollege Geißler, ob sie das will, ist auch nach meinen Gesprächen mit Anwaltskolleginnen und -kollegen im Lande nicht ganz eindeutig festzustellen.

(Thorsten Geißler [CDU]: Das stimmt!)

Es stimmt: Die meisten Anwälte und Anwältinnen sind schon jetzt bemüht, den Streit vorgerichtlich zu schlichten und ihn nach Möglichkeit erst gar nicht vor Gericht zu bringen.

(Thorsten Geißler [CDU]: Genauso ist es!)

Allerdings gibt es auch eine erkleckliche Anzahl von Kolleginnen und Kollegen, die die Menschen aus Gebührengründen gleich zum Gericht jagen. Das wissen wir.

(Holger Astrup [SPD]: Das habe ich auch schon gehört!)

Durch so ein Verfahren kann so etwas auch verhindert werden. Wir halten das Experiment obligatorischer Streitschlichtung für eine aussichtsreiche Sache. Wir sollten die Ergebnisse des angekündigten Versuchs abwarten. Wir stimmen für die Überweisung des Gesetzentwurfs an den Innen- und Rechtsausschuss. Dort können wir auch die von den kommunalen Landesverbänden erhobenen Bedenken hinsichtlich der Kostenfrage beziehungsweise der Frage zusätzlicher Kosten für die Kommunen wegen zusätzlicher Belastungen für die kommunalen Schiedsleute im Einzelnen noch einmal sorgfältig beraten. Ich beantrage die Überweisung an den Innen- und Rechtsausschuss.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Kubicki das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Kollege Puls. Sie müssen schon lange aus dem Beruf sein, sonst wüssten Sie, dass jeder Anwalt bemüht ist, einen außergerichtlichen Vergleich herbeizuführen, da er dabei gebührenmäßig wesentlich besser steht als in einem gerichtlichen Verfahren. Auch bekommt er die Gebühren wesentlich schneller, um das einmal vorsichtig zu formulieren.

(Beifall des Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU])

Es hat fast eineinhalb Jahre gedauert, bis die Landesregierung endlich ihren Gesetzentwurf für ein Landesschlichtungsgesetz präsentiert hat. Frau Ministerin, ich muss zugeben, das Warten hat sich gelohnt. Das heißt nicht, dass die FDP nicht noch einige Kritikpunkte und Verbesserungsvorschläge hätte, doch dazu später. Wir diskutieren dieses Thema nicht in Form von Entgegennahme von Weisheiten der Regierung. Gelegentlich ist es auch möglich, dass durch parlamentarische Beratung das eine oder andere noch verbessert wird.

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Grundsätzlich unterstützen wir das Ziel der Landesregierung, auf der Grundlage der ZPO die obligatorische vorgerichtliche Streitschlichtung einzuführen. Es ist ein guter und wichtiger Ansatzpunkt zur Entlastung der Ziviljustiz, wenn künftig bei Zivilprozessen mit einem Streitwert von bis zu 750 Euro beziehungsweise 1.500 DM vor allem bei Nachbarstreitigkeiten, Beleidigungen oder Ähnlichem vor Klageerhebung erst ein Schlichtungsverfahren zu durchlaufen ist. Herr Kollege Geißler, glauben Sie mir das aus langjähriger Er

(Wolfgang Kubicki)

fahrung: Viele der Fälle müssten eigentlich nicht verhandelt werden, sondern viele Beteiligte müssten eher behandelt werden.

(Beifall der Abgeordneten Klaus-Peter Puls [SPD] und Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

An ein solches Verfahren sind hohe Anforderungen zu stellen. Die FDP hat bereits mehrfach darauf hingewiesen. Ziel muss sein, die Parteien außergerichtlich endgültig zu befrieden. Die vorgerichtliche Streitschlichtung darf keinesfalls nur eine zusätzliche Verfahrenshürde darstellen, durch die sich der Weg der Rechtsuchenden unnötig verlängern oder sogar verteuern könnte. Herr Geißler, im Gegensatz zu Ihnen bin ich nicht so skeptisch. Ich glaube schon, dass es eine erhebliche Anzahl von Streitigkeiten gibt, die bei einer gut durchgeführten Schlichtung tatsächlich zu einem befriedigendem Ergebnis führen und damit die Gerichte - insbesondere die Amtsgerichte - entlasten.

(Holger Astrup [SPD]: Das glaube ich auch!)

Bereits in unseren ersten Stellungnahmen haben wir darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, die außergerichtliche Streitschlichtung so zu gestalten, dass sie in der Bevölkerung akzeptiert wird. Ohne Akzeptanz in der Bevölkerung wird es keine nennenswerte Entlastung der Gerichte geben können. Akzeptiert wird eine außergerichtliche Streitschlichtung nur dann, wenn sie qualitativ hochwertig, inhaltlich überzeugend und professionell ausgestaltet ist und in der Sache erfolgreich arbeitet. Frau Ministerin, das fängt mit der Akzeptanz der Schiedsmänner und -frauen an.