Protocol of the Session on May 30, 2001

Ich hatte zunächst den Eindruck, dass die Regierung und die Regierungsparteien auf halbem Weg stehen bleiben würden. Aber sie kommen nicht einmal so weit, Herr Weber und Frau Birk! Die Ministerin will ja zumindest noch Abschlussgespräche zulassen. Sie aber reden in Ihrem Antrag nur noch davon, dass es eine Form der Abschlussqualifikation im Verlauf oder am Ende der Klasse neun geben soll. Das ist eindeutig

(Jost de Jager)

zu wenig. Hierüber werden wir uns nicht mehr verständigen können.

Profilbildend wird der Praxisbezug sein. Er wird sich durch praktische Inhalte in den Lehrplänen und auch durch Berufspraktika zeigen. Wir wollen zwei Berufspraktika, eines davon als Eingangsvoraussetzung für die Zulassung zur Abschlussprüfung.

Neben diesen inhaltlichen Fragen, die unserem Antrag zu entnehmen sind, gilt für die Hauptschule in allererster Linie: Hauptschulen brauchen verlässliche Rahmendaten und Planungssicherheit.

(Beifall bei der CDU)

Wegen der Planungssicherheit und der Verlässlichkeit begrüße ich ausdrücklich den Änderungsantrag der FDP; denn nach dem Denk- und Rechenfehler der „armen Seele“ im Bildungsministerium ist nichts mehr, wie es einmal war. Die entscheidende Frage in der Schulpolitik wird nicht nur heute, sondern in den kommenden Wochen und Monaten, Frau ErdsiekRave, lauten: Woher sollen die 35 Millionen DM kommen? Laut Auskunft der Ministerpräsidentin vom gestrigen Tage ist noch nicht einmal endgültig entschieden, ob die Deckungslücke mit Mitteln allein aus dem Bildungsressort oder aus allen Ressorts geschlossen werden soll. In jedem Falle aber werden Sie, Frau Erdsiek-Rave, aus dem Einzelplan 07 erhebliche Summen zur Einsparung zur Verfügung stellen müssen.

(Martin Kayenburg [CDU]: So ist das!)

Die von Ihnen angekündigten Maßnahmen, Frau Erdsiek-Rave, nämlich die Erhöhung der Altersgrenze für die Pensionierung und die sofortige Verbeamtung von Springeraushilfskräften, also von befristet eingestellten Lehrern, werfen zwei Fragen auf. Erstens: Warum haben Sie das nicht schon vorher gemacht? Zweitens. Wird es, wenn es denn möglich ist, wirklich funktionieren?

Es gibt in beiden Fällen erhebliche rechtliche Bedenken, die dagegen sprechen, dass Sie dies umsetzen können, sodass Sie keine Mittel einsparen können. Ich will Ihnen das am Beispiel der befristeten Verträge deutlich machen.

Bisher sind diese befristeten Verträge deshalb als Angestelltenverträge abgeschlossen worden, damit man die Betreffenden als Springer einsetzen kann. Es ist die Frage zu beantworten, ob es beamtete Springerkräfte geben kann. Wahrscheinlich wird das nicht möglich sein. Deshalb werden Sie da keine Einsparungen erzielen können. Eine Erhöhung der Altersgrenze das ist der zweite Punkte - ist bisher nicht vorgenommen worden, weil sich für angestellte Lehrkräfte ab

einem bestimmten Alter die Verbeamtung nicht mehr lohnt, da sich deren Ruhestandsgehälter verschlechtern würden. Das heißt, Frau Erdsiek-Rave, selbst wenn Sie diese Altersgrenze erhöhen, werden Sie kaum Lehrkräfte finden, die sich dafür bewerben werden, sodass auch hier keine Einsparsumme zur Verfügung steht. Sie müssen sie deshalb - das ist die sehr reale Befürchtung - aus anderen Töpfen nehmen. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie hier und heute feststellen, dass es keine Veränderung bei den Haushaltskapiteln geben wird, die die Unterrichtsversorgung betreffen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Das gilt vor allem für die Hauptschulen; denn sie sind am stärksten von einer Unterversorgung beim Unterricht betroffen.

In Ihrer Presseerklärung führen Sie aus, dass Sie im Zuge der Aufstellung des Nachtragshaushalts im Juli auf der Basis der dann aktuellsten und schon zuverlässigeren Hochrechnung das Lehrerbudget neu prognostizieren. Was soll denn das bedeuten?

Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Schluss.

Ich komme gleich zum Schluss. - Sie haben, wenn Sie tatsächlich Einsparsummen erzielen wollen, nur zwei Möglichkeiten. Sie können den Lehrerbedarf herunterrechnen, um die Einsparsumme hochzurechnen. Davor warnen wir Sie. Wir sagen Ihnen auch, Frau ErdsiekRave: Hände weg von all den Kapiteln, die „Lehrerfeuerwehrstellen“ oder Leistungen für stundenweise zu erteilenden Unterricht betreffen. Die unglaublichen Rechenfehler in Ihrem Ministerium sind nicht von den Schulen und den Schülern zu verantworten. Deshalb kann man es ihnen nicht zumuten, jetzt diesen Fehlbetrag auszubaden.

(Beifall bei CDU und FDP)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Höppner.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Hauptschulen in unserem Land haben in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich ihre Anteile an Übergängen aus den Grundschulen verloren. Mit regionalen Unterschieden entscheiden sich heute weniger als 21 % der Eltern von Viertklässlern für den Besuch der Hauptschule als weiterführender Schulart. Dabei liegt der Anteil der Empfehlungen aus der Grundschule

(Dr. Henning Höppner)

für den Besuch der Hauptschulen um rund ein Drittel höher.

Wenn man sich die Mühe macht, in alten Schulstatistiken nachzuschauen, dann wird man feststellen, dass etwa alle 1960 erworbenen Schulabschlüsse zu 60 % Volksschulabschlüsse waren. Was die ältere Bevölkerung angeht, so müssen wir davon ausgehen, dass im Jahre 1960 nur ein knappes Drittel der Bevölkerung einen Schulabschluss auf der Mittel- oder Oberschule erreicht hat. Dieses Verhältnis hat sich in der Zeit bis 1990 genau umgekehrt. Mindestens 60 % aller heutigen Schulabschlüsse haben mindestens mit der Mittleren Reife geendet. Man kann diese Entwicklung sehr schön nachvollziehen, wenn man die Kieler Schulinformationen, die jährlich herausgegeben worden sind, zu Rate zieht.

Da Eltern in der Regel für ihre Kinder einen Schulabschluss anstreben, der nicht unter dem eigenen liegt, wird das Potenzial für die Hauptschule immer geringer. Die Hauptschule ist - das wissen wir aus vielen Erhebungen - eben nicht die Wunschschule der Eltern. Diese Entwicklung hat dazu beigetragen, dass die Attraktivität der Hauptschule auch bei Ausbildungsbetrieben deutlich abgenommen hat, obwohl die Hauptschule im Sinne ihres Auftrages mit dem Hauptschulabschluss unmittelbar auf einen anerkannten Ausbildungsberuf und andere schulische Bildungsgänge vorbereiten soll.

Ziel unserer Bildungspolitik muss sein, die Hauptschule für die Eltern und für die Betriebe attraktiver zu gestalten und sie auf ihre eigentlichen Aufgaben und Inhalte, auf ihre Praxisorientierung und berufsnahe Schwerpunktbildung hin neu zu definieren. Die SPDLandtagsfraktion möchte von der Landesregierung ein Konzept erarbeitet haben. Dieser Forderung haben wir neun mögliche Veränderungsaspekte vorangestellt. Wir haben diese Aspekte im Zusammenhang der Ergebnisse und Erkenntnisse aus der Anhörung durch den Bildungsausschuss eingearbeitet. Unsere Veränderungsaspekte beziehen sich auf folgende Punkte.

Erstens. Das Entscheidungsrecht der Eltern für den Besuch der weiterführenden Schule muss nach wie vor erhalten bleiben. Wir denken aber daran, die Beratung der Eltern effizienter zu gestalten, vor allem im Hinblick auf die Darstellung der Möglichkeiten des Erwerbs weiterer Schulabschlüsse nach dem Hauptschulabschluss. Die Eltern müssen wissen, dass die Hauptschule keine Sackgasse ist, die nur mit dem Hauptschulabschluss endet.

Zweitens. Wir wollen den Praxisbezug der Hauptschule mit außerschulischen Partnern verstärken, insbesondere mit den Partnern der beruflichen Bildung und mit Jugendeinrichtungen.

Drittens. Wir wollen eine die Schulart übergreifende Kooperation in den Orientierungsstufen der unterschiedlichen Schularten aus dem gleichen Einzugsgebiet mit stärkerer Abstimmung der Lehrangebote und der Lehr- und Lernverfahren intensivieren. Das ist im Übrigen eine alte Forderung, die hier schon zu Zeiten, als die CDU in der Bildungspolitik Verantwortung trug, als Leitgedanke in der Orientierungsstufenverordnung stand.

Viertens. Wir wollen feste Regelungen bei den Verfahren der Rückstufungen von Schülerinnen und Schülern in der Orientierungsstufe aus anderen Schularten. Wir wollen nicht mehr, dass die Schülerinnen und Schüler aus der Realschule oder aus dem Gymnasium kleckerweise bei der Hauptschule ankommen. Das soll nur innerhalb fester Fristen und aufgrund eines Entwicklungsberichtes, der deutlich macht, dass eine erfolgreiche Förderung des Kindes beim Verbleib in der Schule auch durch Klassenwiederholung aussichtslos erscheint, möglich sein.

Fünftens. Wir wollen Neuregelungen, was das Aufsteigen zwischen den Klassenstufen sieben, acht und neuen angeht. Wir wollen am Ende der Klasse acht ein Tor für diejenigen Schülerinnen und Schüler öffnen, die eher praktische Neigungen haben und die aller Voraussicht nach nicht die Chance haben, den Hauptschulabschluss zu erwerben. Für sie wird das Tor zu einer Vollzeitmaßnahme in den beruflichen Schulen zur beruflichen Vororientierung und zum möglichen nachträglichen Erwerb des Hauptschulabschlusses geöffnet.

Sechstens. Wir wollen den Unterricht in der Fremdsprache ab Klasse sieben verstärken.

Siebentens. Wir wollen - anders als Sie von der CDU den Hauptschulen ermöglichen, am Ende der Klasse neun eine Form der Abschlussqualifikation nach ihrer Wahl zu entwickeln. Denn wir wissen, dass die Wirtschaft mit Hauptschülern keine Probleme mit fehlenden Kenntnissen und fehlenden Prüfungsfähigkeiten oder -festigkeiten hat, sondern eher mit den Bereichen Ausdauer und Gründlichkeit.

Achtens. Wir wollen das zehnte Hauptschuljahr als vernetztes Schuljahr zwischen der Hauptschule und den beruflichen Schulen organisieren.

Neuntens. Wir wollen die Hauptschule im Sinne der hier in diesem Haus bereits geführten Diskussion zukünftig auf Ganztagsangebote ausrichten.

Im Namen meiner Fraktion schlage ich zur Vertiefung der Diskussion und der umfangreichen inhaltlichen Aspekte in unseren Anträgen vor, alle vorliegenden Anträge - auch den von Ihnen, Herr Dr. Klug - dem

(Dr. Henning Höppner)

Bildungsausschuss zur weiteren Beratung zu überweisen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Klug das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle Reformüberlegungen für die Hauptschulen bleiben wirkungslos, sofern wir nicht die derzeit mangelhafte Personalausstattung dieser Schulart verbessern.

(Beifall bei FDP und CDU)

Nach Auffassung der FDP-Fraktion müssen die Hauptschulen in den kommenden Jahren kontinuierlich zusätzliche Lehrerstellen und damit auch höhere Personalmittel erhalten. Meine Fraktion hat deshalb bereits zum Haushalt 2001 über die Planung der Landesregierung hinaus weitere 25 zusätzliche Lehrerstellen für die Hauptschulen beantragt.

Im Zuge der damaligen Etatberatung hat die Landesregierung in der am 7. Dezember im Finanzausschuss beschlossenen Nachschiebeliste demgegenüber eine Absenkung des Personalkostentitels für beamtete Grund- und Hauptschullehrer im Umfang von rund 8,5 Millionen DM beantragt. SPD und Grüne haben dem damals, im Dezember, zugestimmt.

(Thomas Stritzl [CDU]: Hört, hört!)

Parallel dazu sind damals, im Dezember, auch im Rahmen der Nachschiebeliste die Personaltitel der anderen Schularten gekürzt worden, und zwar zusammengerechnet um rund 27,4 Millionen DM.

(Thomas Stritzl [CDU]: Hört, hört!)

Rechnet man die Mehrkosten für die Nachversicherung von Referendaren hinzu, kommt man „annähernd exakt“ auf die 35 Millionen DM, die jetzt, seit den gestrigen Meldungen plötzlich als Haushaltsloch auf dem Tisch liegen.

(Zurufe von der FDP)

Führt man sich die Abläufe vor Augen, ergeben sich erhebliche Zweifel an den bisherigen Versuchen dieser Landesregierung, die Entstehung dieses Haushaltslochs zu erklären.

(Beifall bei FDP und CDU)