rer BSE-Erkrankungen in schriftlicher Form vor. Viele Ihrer Schlussfolgerungen sind Teil dieser Regierungserklärung. Ich werde daher nicht gesondert auf die beiden Tagesordnungspunkte 28 und 30 eingehen, die später noch beraten werden.
Schleswig-Holstein ist von der gegenwärtigen Krise besonders betroffen, weil Landwirtschaft und Ernährungsindustrie für unser Land bedeutende Wirtschaftszweige sind. So erzielte die Ernährungswirtschaft im Jahre 1998 einen Umsatz von 9,5 Milliarden DM. Der Anteil der Landwirtschaft an der Bruttowertschöpfung betrug im selben Jahr 3,3 %. Im Bundesdurchschnitt waren es nur 1,4 %. 70 % der Landesfläche werden landwirtschaftlich genutzt. In den alten Bundesländern sind es durchschnittlich 56 %. Vor diesem Hintergrund müssen wir die Ersten sein, die Konsequenzen ziehen, um allen Beteiligten wieder eine sichere Zukunft zu garantieren.
Gemeinsam mit Vertretern der Land- und Ernährungswirtschaft, der Verbraucherschützer und der Wissenschaft wollen wir zügig neue Wege in der Landwirtschaft und in der Nahrungsmittelproduktion gehen. In unserem eigenen Bereich, für den wir verantwortlich sind, stellen wir dafür schon jetzt die entscheidenden Weichen. Kein anderes Land ist in der Aufarbeitung der Vergangenheit so weit wie wir. Keines nennt so offen seine Fehler. Erstmals legt eine Landesregierung eine so umfangreiche Analyse und Handlungsalternativen vor.
Wenn man sich auf eine Bestandsaufnahme einlässt, birgt das natürlich immer die Gefahr, auf unerfreuliche Erkenntnisse zu stoßen. Man findet Versäumnisse und bürokratische Hindernisse, die effektive Kontrollen von Futtermittel, Tierarztpraxen, Bauernhöfen und Schlacht- und Zerlegebetrieben erschweren. Für mich gibt es zu diesem Schritt jedoch keine Alternative. Wir müssen aus Fehlern lernen und überzeugende Ideen für ein Umsteuern in der Landwirtschaft formulieren. Wir müssen die Fehler erst kennen, bevor wir umsteuern können. So - und nur so - können wir das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher zurückgewinnen.
Auch in Schleswig-Holstein wurden die Bedrohungen durch BSE nicht ernst genug genommen. Wir alle haben uns viel zu lange in Sicherheit - und zwar in falscher Sicherheit - gewiegt. Wir haben uns darauf verlassen, dass die Produzenten in ihrem eigenen Interesse das Vertrauen ihrer Konsumenten nicht aufs Spiel setzen. Die Mengen an EU-Richtlinien, die jeden Tag auf unseren Schreibtischen landen, haben uns eine Sicherheit vorgegaukelt, die es nicht gibt.
Auf nationaler und auf Landesebene ist es nicht gelungen, die Signale der EU für Produktion von Masse und
Rationalisierungen in den Betrieben mit der vorgeschriebenen Kontrolldichte auf einen Nenner zu bringen. Doch die Rechenformel „mehr Kontrolle gleich weniger Seuchengefahr“ ging auch nicht auf. Ich darf Ihnen jetzt Analysen der Arbeitsgruppe vortragen.
Kontrollen des Tierfutters in den Betrieben fanden in den vergangenen Jahren nicht statt. Bei den Kontrollen von Futterhändlern gab es ein krasses Missverhältnis zum Bundesdurchschnitt. Im Rahmen des Fleischhygienerechts wurden für den EU-Handel zugelassene Schlacht- und Zerlegebetriebe nur zum Zeitpunkt der Zulassung kontrolliert. Die nach unserem eigenen Maßstab notwendige jährliche Prüfung der bereits zugelassenen Betriebe wurde nicht durchgeführt. Die Verarbeitung von Rinderteilen zu Arzneimitteln und Medizinprodukten wurde nur sehr unzureichend kontrolliert. Nur jeder vierte Hersteller, jedes vierte pharmazeutische Unternehmen und 40 % der Apotheken wurden in den vergangenen Jahren untersucht. Auch der Landesrechnungshof spricht in diesem Zusammenhang von einem erheblichen Arbeitsrückstand.
Die Vorgabe, Hersteller und Großhändler von Tierarzneimitteln im Zweijahresrhythmus zu kontrollieren, wurde nur knapp zu einem Fünftel und oft nicht mit einheitlichen Verfahren erfüllt. Bei den Tierarzneimittelkontrollen kommt hinzu, dass es nach wie vor erlaubt ist, dem Tierfutter eigene Antibiotika beizumischen, die nicht eine Krankheit heilen, sondern als Leistungsförderer eingesetzt werden. Bei Menschen können sie so zu Medikamentenresistenzen führen. Die so genannten Autobahntierärzte mit ihren verbotenen Medikamentencocktails tun das Ihre noch dazu.
Wenn das Lebensmittel- und Veterinäruntersuchungsamt Ordnungswidrigkeiten festgestellt oder Strafanzeige erstattet hat, wurden die Verfahren von der Staatsanwaltschaft häufig eingestellt oder gegen ein Bußgeld zu Ende gebracht. Wir werden uns dafür einsetzen, dass Verstöße gegen das Arzneimittelrecht in Zukunft nicht mehr als Ordnungswidrigkeit, sondern als Straftat geahndet werden.
Es gibt keinen Zweifel: Das sind erschreckende Erkenntnisse. Sie alle haben allerdings BSE nicht ausgelöst. Sie zeigen aber, wie groß die Diskrepanz zwischen den Kontrollvorschriften und den tatsächlichen Überprüfungen war. Wir müssen aber auch ehrlich sein, wenn wir uns vorstellen, was ein punktgenaues Erfüllen all dieser Bestimmungen bedeuten würde. Wir haben in Schleswig-Holstein gut 12.000 Rinder
halter. Dazu kommen noch 4.000 Halter von Schweinen, Schafen und anderen Tieren. Wenn jeder dieser Betriebe einmal im Jahre kontrolliert würde, dann können Sie sich leicht ausrechnen, wie viele neue Stellen wir hätten schaffen müssen. Die Vorstellung, zu Ihnen zu kommen und zu sagen, 2.000 Kontrolleure scheinen uns gerechtfertigt zu sein, hätte bei Ihnen sicherlich einen Lachkoller ausgelöst. Vor einem oder zwei Jahren hätten Sie uns dies nicht bewilligt.
Ich bin fest davon überzeugt, dass Sie uns das nicht bewilligt hätten, auch wenn jetzt Widerspruch aus Ihren Reihen kommt.
Eines ist mir auch klar: Die Lösung kann nicht lauten, alle vorhandenen Defizite durch Personalzuwachs zu beheben. Das hieße nämlich letztlich, alles beim Alten zu lassen; denn an den Mechanismen der Nahrungsmittelherstellung würde sich damit nichts ändern. Letztlich wäre es eine vordergründige Reaktion, mit der wir die Chance vergeben würden, auf Fehlentwicklungen in der Landwirtschaftspolitik mit intelligenten, zukunftweisenden Konzepten zu reagieren.
Wir wollen gemeinsam mit den Futtermittelherstellern, der Landwirtschaft, der Ernährungsindustrie, den Verbrauchverbänden und dem Einzelhandel die Weichen in Richtung Zukunft stellen. Es geht uns um eine grundlegende Kurskorrektur zum Beispiel bei der Lebensmittelsicherheit und beim Verbraucher- und Gesundheitsschutz, beim Ausbau des ökologischen Landbaus und bei der Vermarktung ökologischer Erzeugnisse. Es geht um alternative Einkommensperspektiven für Landwirte und um den Umwelt- und den Tierschutz.
Unser Ziel ist es, die Qualität und die Sicherheit der Lebensmittel zu gewährleisten. Wir müssen Gefahren für die Gesundheit ausschließen. Wir wollen den Verbraucherinnen und Verbrauchern den Wert qualitativ hochwertiger Nahrung vermitteln.
Günstig zu verkaufen und einzukaufen, das war die Devise für den Handel und für die Verbraucher. Gesunde Lebensmittel und eine ausgewogene Ernährung müssen jedoch mindestens genauso wichtig sein wie billiges Einkaufen.
(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Lothar Hay [SPD] und Anna Schlosser-Keichel [SPD])
Welche Folgen ein falsches Ernährungs- und Konsumverhalten hat, muss deutlicher betont und schon den Kindern und Jugendlichen beigebracht werden. In diesem Sinne leistet ein gesundheitlicher Verbraucherschutz einen wichtigen Beitrag, um die immensen
Politik und Staat müssen außerdem beweisen, dass sie die Verbraucherinnen und Verbraucher ernst nehmen, und zwar ebenso ernst wie die Landwirte, die Produzenten und die Händler in der Nahrungsmittelindustrie.
Wenn ein Fehler entdeckt wird, muss die Öffentlichkeit umfassend informiert werden. Die Bürgerinnen und Bürger reagieren in der gegenwärtigen Situation auch deshalb so misstrauisch und erbost, weil sie in der Vergangenheit oft den Eindruck haben mussten, dass die Verantwortlichen alles tun, um ihre Fehler nicht zugeben zu müssen. Selbst kriminelle Machenschaften wurden so manches Mal mit Schweigen und Wegsehen bemäntelt.
Doch wir können die Agrarpolitik nicht im Alleingang umstellen. Unsere Ansätze müssen sich in eine veränderte Politik auf nationaler und europäischer Ebene einfügen. Die Landesregierung wird sich mit Nachdruck dafür einsetzen, dass in wichtigen Bereichen der EU-Agrarpolitik so schnell wie möglich neue Lösungen gefunden werden. Ich darf Ihnen hierzu einige Punkte nennen.
Als Mitglied der EU unterliegt Deutschland den Regeln des innergemeinschaftlichen Handelns und den internationalen Im- und Exportregeln. Für den Verbraucherschutz und die Kontrolle von Rindfleischproduktion und -vermarktung hat das erhebliche Konsequenzen. Die Bundesregierung muss sich deshalb für ein dauerhaftes EU-weites Verbot des Verfütterns von Tiermehl und Tierfett einsetzen, ebenso für eine verpflichtende Testgrenze von 24 Monaten und ein Ausweiten der Tests auf Schafe und Ziegen.
Ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einer neuen Landwirtschaft ist die Grünlandprämie. In ihr werden bei gleichbleibendem Finanzvolumen die verschiedenen Tierprämien und die Silomaisprämie der EU zusammengefasst. So würde es sich für die Bauern lohnen, auf Kraftfutter und Stallmast zu verzichten und stattdessen auf Grünfutter und Weidehaltung umzusteigen.
Ein zweites Thema, das künftig eine zentrale Rolle spielen muss, ist der Tierschutz. Damit verbunden ist eine artgerechte Tierhaltung für alle Betriebe. Unser Ziel ist es, Tiertransporte über längere Strecken möglichst zu vermeiden. Welchen Sinn macht es, Rinder
Die Exportsubventionen für lebende Schlachttiere, die solche Langstreckenreisen begünstigen, müssen gestrichen werden.
(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW sowie der Abgeordneten Dr. Heiner Garg [F.D.P.] und Günther Hilde- brand [F.D.P.])
Gleichzeitig sollen die europäischen und nationalen Regeln für die Nutztierhaltung verschärft werden. Das umfasst zum Beispiel Tageslicht für Schweine, mehr Platz für Legehennen, eingestreute Ställe für Rinder ebenso wie die Ernährung von Kälbern mit Milch statt mit Milchaustauschern. Ich möchte keine Schweine mit abgebissenen Ohren oder nackte Hühner in Drahtkäfigen mehr sehen, wie es heute noch häufig an der Tagesordnung ist.
In all diesen Fragen von Lebensmittelsicherheit und Lebensmittelkennzeichnung bis hin zur neuen Definition der „guten fachlichen Praxis“ unterstützen wir die Bundesregierung. Es kommt darauf an, hier schon kurzfristig Zeichen zu setzen, in welche Richtung das Umsteuern in der Land- und Ernährungswirtschaft gehen soll.
Abgesehen vom politischen Rahmen bleibt es noch immer bei der offenen Frage, in welchem Umfang sich der Bund an den BSE-Folgekosten beteiligen wird. Sollte die Bundesregierung bei ihrer Haltung bleiben, kein zusätzliches Geld zur Verfügung zu stellen, erwarten wir zumindest, dass der Förderkatalog der Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“ entsprechend erweitert wird.
Grundsätzlich wollen wir die Gemeinschaftsaufgabe noch stärker darauf ausrichten, eine umweltverträgliche Landwirtschaft und eine nachhaltige Entwicklung der ländlichen Räume zu fördern. Deutschland würde so seine Förderrichtlinien den EU-Regeln angleichen. Als Konsequenz könnten innerhalb unseres Programms „Zukunft auf dem Lande“ viele Projekte leichter und ohne Vorbehalte durch die EU umgesetzt werden.
Schleswig-Holstein wird noch in diesem Jahr eine entsprechende Initiative in den Bundesrat einbringen. Ich bin zuversichtlich, dass uns andere Länder bei diesem Anliegen unterstützen werden.
In der Jahresauftaktpressekonferenz am 12. Januar hatte ich bereits davon gesprochen, dass wir in unserer Bestandsaufnahme auch klären wollen, ob die Zuständigkeiten zwischen den Ministerien und Institutionen sinnvoll verteilt sind. An effizienter Arbeit liegt mir sehr viel, auch am Vier-Augen-Prinzip der Kontrolle der jeweils anderen vorgelagerten Stufe. Die Ankündigung, Zuschnitte zu ändern und Aufgaben neu zu verteilen, setzen wir jetzt um.
In Zukunft liegt der gesamte Bereich der Lebensmittelproduktion und des Marketings in der Verantwortung des Landwirtschaftsministeriums. Das heißt, die Aufsicht über die Schlachtung, die BSE-Tests und die Fleischbeschau gehen vom Umweltminister auf die Landwirtschaftsministerin über. Sie allein ist dafür verantwortlich, wenn da Fehler gemacht werden.