Protocol of the Session on March 22, 2001

Die Folgen von BSE werden uns noch Jahre beschäftigen und nicht nur die öffentlichen Haushalte belasten. Jedoch darf der Blick auf das erforderliche Krisenmanagement nicht den Blick auf die Zukunftsaufgaben verstellen. Wir können es uns nicht leisten, alle Ressourcen in eine finanzielle Kompensation der BSEFolgen zu stecken, um dann in den nächsten Monaten festzustellen, dass kein Geld mehr für das dringend notwendige Umsteuern in der Agrarpolitik vorhanden ist. Wir müssen die Landwirtschaft in SchleswigHolstein erhalten und für die Zukunft fit machen. Die Landwirtschaft in Schleswig-Holstein ist auch in Zukunft ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.

Wir sind in einem langfristigen Prozess zur Neuorientierung der Landwirtschaft. Dabei sind nahezu alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes als Verbraucher beteiligt. Wie sonst ließe es sich erklären, dass schon seit Wochen in nahezu allen Medien auf den Titelseiten Meldungen über BSE, Maul- und Klauenseuche und Agrarpolitik stehen?

Ich möchte an dieser Stelle auch etwas sagen, was im Zusammenhang mit dem ersten Verdachtsfall der Maul- und Klauenseuche in Schleswig-Holstein durch die Medien ging. Ich will mich nicht in die uneingeschränkte Medienschelte des Bauernverbandes einreihen, aber ich bitte die Medienvertreter herzlich,

(Lothar Hay)

sorgsam und schonend mit betroffenen Höfen - auch in Fällen von BSE - umzugehen.

(Beifall bei SPD, CDU, F.D.P. und SSW so- wie der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Von Pressevertretern umzingelte Höfe schon bei Verdachtsfällen sollten der Vergangenheit angehören. Die existenzbedrohende Situation auf den Höfen darf nicht noch durch die Berichterstattung verschärft werden. Das sind wir unseren Landwirten schuldig.

(Beifall bei SPD, CDU, F.D.P. und SSW so- wie der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

An dieser Stelle spreche ich mich klar für eine zukunftsfähige Landwirtschaft in Schleswig-Holstein aus. Wir müssen die Landwirtschaft durch verstärkte Kontrollen in allen Bereichen sicherer machen und dem Verbraucher die Sicherheit gesunder Lebensmittel in Schleswig-Holstein und aus Schleswig-Holstein gewährleisten.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen existierende und existenzsichere Betriebe als Partner für eine Neuorientierung unserer Landwirtschaftspolitik. Dabei ist der Verbraucherschutz oberste Maxime. Lebensmittel aus Schleswig-Holstein müssen Garant für eine gesunde Ernährung sein. Das ist in erster Linie unser Ziel.

(Beifall bei SPD, CDU, F.D.P. und SSW)

Der Landesregierung ist für das Krisenmanagement im Zusammenhang mit BSE ein Lob auszusprechen.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Ich freute mich auch über die Zustimmung aus den Reihen der CDU-Fraktion.

Aus dem Stand ist eine Hotline für besorgte Bürgerinnen und Bürger eingerichtet worden. Den von BSE betroffenen Betrieben ist schnell mit direkten Ansprechpartnern im Ministerium für ländliche Räume geholfen worden. Als erstes Bundesland hat Schleswig-Holstein bereits früh zu Beginn der BSEFolgendiskussion konkrete Haushaltsmittel in Höhe von jährlich 17 Millionen DM in die Gemeinschaftsaufgabe eingestellt. Dies sollten wir alle im Hause auch die Opposition - zur Kenntnis nehmen und nicht gebetsmühlenartig die Forderung nach einem 30-Millionen-Programm wiederholen.

(Beifall bei SPD und SSW)

Auch durch die heute präsentierte Schwachstellenanalyse zu Handlungsdefiziten vor und infolge der BSEKrise leistet die Landesregierung Pionierarbeit und stellt sich als erste Landesregierung den Anforderungen an eine moderne Landwirtschaft und Verbraucherpolitik. Bei uns in Schleswig-Holstein wird nicht lange geredet, wird nichts unter den Tisch gekehrt, nicht viel versprochen, sondern wir handeln.

(Beifall bei der SPD - Klaus Schlie [CDU]: Wo?)

Wir müssen uns angesichts der bestehenden und wachsenden finanziellen Anforderungen ein realistisches Bild von den zur Verfügung stehenden Mitteln im Agrarbereich und für die ländlichen Räume insgesamt machen. Auch angesichts der begehrlichen Blicke unseres Koalitionspartners, sehr geehrter Herr Kollege Hentschel, muss ich deutlich entgegnen: Eine eingenommene Mark kann nur einmal ausgegeben werden. Das ist einfache Mathematik.

(Beifall bei SPD und F.D.P.)

Auf der Gemeinschaftsaufgabe sowie den Programmen „ZAL“ und „ziel“ lasten wichtige Aufgaben. Ich will mit dem Thema Küstenschutz beginnen. Wir haben gerade vor kurzem neue Prognosen hinsichtlich der Klimaveränderung bekommen. Der Küstenschutz muss angesichts des in Beratung befindlichen neuen Generalplans Küstenschutz mit Priorität finanziert werden.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Ulf von Hielmcrone [SPD] und Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

Aus den überall in Schleswig-Holstein laufenden LSE wachsen viele Leitprojekte mit Schubwirkung für die ländlichen Räume, die nur bis 2006 finanziert werden können. Wir werden viele Konversionsprojekte fördern müssen, um die Standorte nicht wirtschaftlich ausbluten zu lassen.

Wir alle haben in den vergangen Jahren gelernt, welches Potenzial an wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Entwicklung in unseren ländlichen Räumen vorhanden ist. Daran haben wir in den vergangenen Jahren unsere Politik für die ländlichen Räume angepasst. Es wäre mehr als nur kurzsichtig, wenn wir unsere Politik für die ländlichen Räume unter dem Eindruck der aktuellen Probleme zu einer reinen Agrarförderung zurückentwickeln müssten. Das ist der falsche Weg und fördert nicht die ländlichen Räume.

(Beifall bei SPD, CDU, F.D.P. und SSW)

Das alles soll nicht bedeuten, dass wir nichts tun werden. Ganz im Gegenteil! Die Diskussion über die Zu

(Lothar Hay)

kunft der Agrarpolitik öffnet uns Chancen umzusteuern, die wir nutzen werden.

Aber nicht alles muss gleich mit öffentlichen Geldern bewirkt werden und nicht alles geht sofort. Der Umbruch im Verbraucherverhalten mit einer Nachfrage nach ökologischen Produkten, die zurzeit gar nicht voll bedient werden kann, zeigt ein wirkungsvolles Mittel. Das wirkungsvolle Mittel ist: die veränderte Verbrauchernachfrage mit ihrer großen Marktmacht! Was wollen wir in Schleswig-Holstein? - Wir wollen eine gläserne landwirtschaftliche Produktion vom Stall bis zur Ladentheke.

Die Landesregierung ist aufgefordert - sie hat dies auch zugesagt -, die staatlichen Kontrollen zu verstärken und effektiver zu erledigen. Dabei setzen wir auf Selbstverantwortung und Selbstkontrollen der Landund Ernährungswirtschaft. Hierfür werden Standards in „Qualitätstoren“ definiert, die in den verschiedenen Produktionsstufen durchlaufen werden müssen. Dies ist zukunftsgerichtet und entspricht dem sozialdemokratischen Verständnis eines modernen Staats- und Gesellschaftswesens.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen aber auch berücksichtigen, dass die Landwirtschaft natürliche Produktionszeiten beim Umsteuern einhalten muss und nicht auf Knopfdruck wie eine Fabrikproduktion - umgelenkt werden kann. Auch binden uns die Vereinbarungen in der gemeinsamen EU-Agrarpolitik. Dies müssen wir den Bürgerinnen und Bürgern in Schleswig-Holstein ehrlich sagen. Wir dürfen nicht unerfüllbare Forderungen aufstellen. Das würde zum Vertrauensverlust beitragen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich vergleiche die EU-Agrarpolitik mit einem großen Tanker. Wenn man den Kurs ändern will, muss man sorgsam damit umgehen, den Kurs neu bestimmen und darauf achten, dass der Tanker dabei nicht auf Grund gerät. Wir aus Schleswig-Holstein werden uns in die Zielbestimmung der neuen EU-Agrarpolitik aktiv einmischen. Das ist nicht nur eine Angelegenheit der Bundesebene. Das ist auch eine Landesangelegenheit. Dafür werden wir uns in Zukunft aktiv einsetzen.

(Beifall bei SPD und SSW)

Wir Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein wollen eine Ökologisierung der Landwirtschaft. Wir wollen eine artgerechte Tierhaltung. Wir wollen die Gräben zwischen der ökologischen Landwirtschaft und der

konventionellen Landwirtschaft - wenn sie denn noch bestehen - zuschütten.

(Beifall bei SPD und SSW)

Wir als Sozialdemokraten wollen mit allen Landwirten in Schleswig-Holstein zusammenarbeiten.

Allerdings müssen wir uns neu über regionale Kreisläufe und Wertschöpfungsketten in SchleswigHolstein verständigen. Hier sind Ansätze wie das von unserer Fraktion seit längerem und nun auch von Ministerin Künast geplante Verbot von Lebendtiertransporten über vier Stunden Dauer der richtige Ansatz.

Die bedrohende Situation bei der Maul- und Klauenseuche zeigt uns deutlich die Gefahren, die aus einem unbegrenzten und teilweise unkontrollierten Transport über Ländergrenzen hinweg erwachsen können. Die MKS-Viren kennen keine Ländergrenzen und lassen sich offensichtlich durch keine Sicherheitsmaßnahme hundertprozentig fern halten.

Lassen Sie mich an dieser Stelle - auch wenn es im Land viel Aufgeregtheit darüber gibt - Folgendes sagen. Die Entscheidung der Bildungsministerin, Klassenfahrten nach Großbritannien und Frankreich wegen der Maul- und Klauenseuche derzeit nicht zu genehmigen, trifft auf die Zustimmung meiner Fraktion. Es ist eine Maßnahme, um das Ausbreiten dieses Virus zumindest in Ansätzen zu unterbinden. Ich hoffe, es gibt noch weitere Maßnahmen. Sie haben - genauso wie ich - heute Morgen wahrscheinlich gehört, dass es 50 km von der deutsch-niederländischen Grenze entfernt in den Niederlanden einen Verdachtsfall gibt. Ich will hier keine Panikmache betreiben. Aber wir müssen sorgsam handeln, uns darauf einstellen, dass es auch uns treffen kann. Diese ersten Maßnahmen sind dazu angetan zu versuchen, ein Ausbreiten der Seuche zumindest in Ansätzen zu verhindern.

(Beifall bei SPD und SSW)

Lassen Sie mich drei Schlussbemerkungen machen. Wir wollen in Schleswig-Holstein gesunde Lebensmittel produzieren. Deshalb ist es sachgerecht, dass der Verbraucherschutz in Zukunft bei der Gesundheitsministerin angesiedelt ist. Ich darf mich ausdrücklich bei Ihnen, Frau Ministerpräsidentin, für die schonungslose Darstellung der Ergebnisse der Schwachstellenanalyse bedanken. Das ist mutig und bei vielen Politikerinnen und Politikern in der Bundesrepublik Deutschland nicht der normale Weg.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Organisationsänderungen im Bereich der Exekutive gehören nach Recht und Verfassung in den Aufgaben

(Lothar Hay)

bereich der Ministerpräsidentin, nicht der Legislative. Sie haben Ihre Entscheidung sachgerecht getroffen.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Was?)