Protocol of the Session on March 22, 2001

Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:

Bundesforschungsprogramm zur grünen Gentechnik

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/736

Wir das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Schmitz-Hübsch.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit diesem Antrag will die CDU-Fraktion erneut auf die Politik der Beliebigkeit und Unzuverlässigkeit des Bundeskanzlers Schröder aufmerksam machen.

(Lothar Hay [SPD]: Das ist ja ein Anspruch! - Weitere Zurufe von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um was geht es diesmal, Herr Hay? - Im Juni 2000 schlug Bundeskanzler Schröder der Saatgutindustrie ein Bündnis für Gentechnik vor. Die Wirtschaft möge prüfen, ob für den Bereich der grünen Gentechnik auf freiwilliger Basis ein Forschungs- und Beobachtungsprogramm vereinbart werden könnte.

(Brita Schmitz-Hübsch)

Damit wollte Schröder die Dynamik im Bereich der Biotechnologie allgemein auch auf das Gebiet der Pflanzenzüchtung übertragen. Für die Produzenten müsse es vor allem darum gehen, das Vertrauen der Menschen zu gentechnisch veränderten Pflanzen zu gewinnen, sagte Schröder.

Deshalb sollte neben dem bereits gestarteten Forschungsprogramm „Gabi“ von den Pflanzenzüchtern ein großes Forschungs- und Untersuchungsprogramm zum Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen unter „kontrollierten Bedingungen“ begonnen werden, um das Verhalten der Pflanzen in größeren Anbaugebieten besser zu erforschen und sichere Erkenntnisse zu erlangen. Im Gegenzug sollte sich die Industrie bis Ende 2003 dazu verpflichten, keine gentechnisch veränderten Pflanzen in Deutschland anzubauen. In der Zwischenzeit wollte Schröder einen gesellschaftlichen Konsens über den weiteren Umgang mit der grünen Gentechnik erreichen.

So sprach der Kanzler im Juni 2000. Heute ist das alles nicht mehr wahr. Die Aktion von Schröder war forsch, die Bewertung durch die Öffentlichkeit von Anfang an zwiespältig. Für die Grünen war sie der Einstieg in den Ausstieg. Für die Industrie war die Kanzlerinitiative eine politische Unterstützung bei der Markteinführung ihrer neuen herbizid- oder insektenresistenten Sorten. Damit war der Konflikt vorprogrammiert.

Es dauerte lange, bis das Programm überhaupt Konturen annahm. Im vergangenen Jahr kam es immerhin zu zwei Gesprächen im Bundeskanzleramt und der Aussage, dass das Bundesforschungsministerium das Programm mit rund 50 Millionen DM finanzieren sollte. Der Schwerpunkt der Untersuchungen sollte sich mit Fragen der Sicherheit und der Umweltverträglichkeit beschäftigen.

Am 23. Januar 2001 kam dann die enttäuschende schriftliche Absage aus dem Kanzleramt. Konkret heißt es in dem Schreiben, dass die Regierung von den Bemühungen um die kurzfristige Erstellung eines Verständigungspapiers mit der Industrie zurzeit Abstand nehmen wolle.

Anbauversuche in diesem Programm sind damit am Votum des Kanzleramtes gescheitert. Aus Schröders Bündnis für Gentechnik ist eine reine Nullnummer geworden.

(Beifall bei der CDU)

Am Geld kann es nicht liegen. In den nächsten drei Jahren will die Bundesregierung 870 Millionen DM in die Genomforschung stecken und auch das Forschungsprogramm zur grünen Gentechnik soll weiterlaufen. Gescheitert aber ist das Anwendungsprogramm

zur wissenschaftlichen Begleitung des Nutzens der grünen Gentechnik, das mit nur 50 Millionen DM dotiert war.

Nach nur sieben Monaten war also die Kanzlerinitiative schon wieder vom Tisch. Die Verfallszeit von Kanzlerversprechungen ist also verflixt kurz. Das mag man in Berlin mit einem Achselzucken abtun, in Schleswig-Holstein ist dieses Signal aber fatal. Den Wissenschaftlern sagt es: Forschen dürfen sie, aber der Erforschung der Anwendung und des Nutzens ihrer Ergebnisse wird ein Riegel vorgeschoben.

Ebenso fatal ist das Signal an unsere mittelständischen Betriebe. Die Botschaft lautet: Liebe Freunde, es lohnt sich nicht, in neue Technologien und neue Produkte zu investieren; ihr bekommt den Ertrag für eure Investitionen nicht zurück, weil wir euch Knüppel zwischen die Beine werfen.

(Beifall bei der CDU)

Mit dieser Haltung wird der Sache selbst und dem Land Schleswig-Holstein großer Schaden zugefügt.

Es geht hier um Wissenschaftler, die in SchleswigHolstein tätig sind. Und es geht um neun mittelständische Betriebe. Es geht um die Zukunftschancen dieser Betriebe und ihrer Arbeitnehmer. Allein einer dieser Betriebe hat drei marktfähige Produkte, die seit Jahren auf ihre deutsche Sortenzulassung warten. Dieser Betrieb ist dabei, einen Teil seiner Produktion nach Kanada auszulagern, und das bedeutet im Klartext den Export von Arbeitsplätzen. Wir, die CDU-Fraktion, appellieren deshalb an die Landesregierung, diesem Export von Arbeitsplätzen nicht tatenlos zuzusehen. Es ist die wichtigste Aufgabe vorausschauender Politik, vorhandenes Potenzial in einem Land zu entdekken, für den Standort Schleswig-Holstein nutzbar zu machen und zu fördern.

Angesichts der Krise im ländlichen Raum fordern wir gerade deshalb die Landesregierung auf, sofort tätig zu werden. Arbeitsplätze in der Pflanzenzucht sind Arbeitsplätze im ländlichen Raum.

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

Wer hier als Politiker Kleinmut zeigt, beweist, dass er die Chancen von Zukunftstechnologien

(Zuruf der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

nicht erkennt, Frau Fröhlich, dass er keine Verantwortung übernehmen will und fehl am Platz ist, wo er für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land tätig sein soll.

(Brita Schmitz-Hübsch)

Ich beantrage die Überweisung des Antrages federführend an den Wirtschaftsausschuss, mitberatend an den Agrar- und in den Umweltausschuss.

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Höppner das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn ich den CDU-Antrag, verehrte Kollegin SchmitzHübsch, richtig interpretiere, möchten Sie, dass die Forschung zur grünen Gentechnik möglichst schnell in Fahrt kommt und wir mit dem Segen aus dieser Forschung dann Forschungsprozesse optimieren und irgendwann schneller auf den Markt bringen können.

(Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Ja!)

Zu Ihren Aussagen zu dem, was der Kanzler im Juni 2000 gesagt hat, müssen wir feststellen, dass wir im Juni 2000 noch eine ganz andere Sicht und ganz andere Erwartungen an die Entwicklung der Landwirtschaft hatten als dann im November 2000.

(Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Was hat sich denn geändert?)

Die Bundesministerin für Bildung und Forschung hat das wissen auch Sie - in ihrem Bericht zum Stand und zu den Perspektiven der Genomforschung auch für die Pflanzengenomforschung durchaus hoch gesteckte Ziele formuliert, nach denen Deutschland innerhalb Europas eine führende Rolle in diesem Forschungsbereich spielen soll. Sie hat ein Biotech-Forschungsprogramm aufgelegt, das mit fast 1,9 Milliarden DM ausgestattet ist und das nicht ausgesetzt worden ist.

(Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Für Human- genomforschung!)

Von daher verstehe ich die Intuition Ihres Antrages auch nicht - zumal Schleswig-Holstein mit dem „TopPlant-Nord-Projekt“ im Rahmen dieses Programmes auch gefördert wird. Das können wir heute in der „Landeszeitung“ oder auch im Internet nachlesen.

Wir müssen heute zur Kenntnis nehmen, dass sich die Unbefangenheit unserer Bürgerinnen und Bürger der grünen Gentechnologie gegenüber und gegenüber gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln als Folge von BSE und der Diskussion um agro-chemische Stoffe in eine eher kritische Skepsis gewandelt hat.

(Beifall der Abgeordneten Ursula Kähler [SPD])

Wir haben hier heute zuhauf gehört, dass Verbraucherschutz auch hier im Haus eine neue und unumstrittene Bedeutungsdimension angenommen hat.

(Beifall der Abgeordneten Rolf Fischer [SPD], Konrad Nabel [SPD] und Irene Fröh- lich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir als Konsumenten erwarten heute eine lückenlose und umfassende Herkunftsangabe, eine „gläserne“ Produktion von Lebensmitteln und eine ebenso umfassende Kennzeichnungspflicht. Wir erwarten mehr denn je - das ist heute auch mehrfach zum Ausdruck gekommen - ein gesundes Lebensmittel, das auf natürliche Weise erzeugt wurde. Gentechnisch veränderte Nahrung unterliegt zwar heute schon nach der NovelFood-Verordnung der EU einer Kennzeichnungspflicht, diese lässt allerdings zahlreiche Schlupflöcher zu, nämlich immer dann, wenn der Anteil der Beimengung gentechnisch veränderter Produkte das Produkt nur „unwesentlich“ verändert. Der neue Vorstoß von EU-Verbraucherschutzkommissar David Byrne, gentechnisch veränderte Lebensmittel nun grundsätzlich also bei sämtlichen Zusatzstoffen - zu kennzeichnen, wird dem Verbraucher dann deutlich machen, dass er bei seiner Kaufentscheidung zukünftig zwischen einem natürlich erzeugten Nahrungsmittel und einem Gennahrungsmittel wählen kann.

Abgesehen von der Ethikdiskussion, die wir hier heute gar nicht führen wollen, wird sich die Markt- und Konkurrenzfähigkeit solcher Nahrungsmittel, die gentechnisch verändert worden sind, erst noch herausstellen müssen. Angesichts unserer Verbrauchererwartungen an natürlich erzeugte Lebensmittel wage ich hier die Prognose, dass sich beim Verbraucher ein ähnliches Bewusstsein entwickeln wird wie beim Reinheitsgebot des deutschen Bieres. Bierähnliche Getränke, wie wir sie aus den Beneluxstaaten oder aus Dänemark kennen, aus Rohfrucht, Glukosesirup und Konservierungsstoffen - und wie sich nach der Kennzeichnungspflicht wahrscheinlich herausstellt, zusätzlich auch mit gentechnisch veränderten Hilfsstoffen sind auf dem deutschen Markt absolut chancenlos, wie wir wissen.

(Vereinzelter Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW sowie Beifall des Abgeordneten Uwe Eichelberg [CDU])

Gentechnisch veränderte Nahrungsmittel werden sich in diesem Bewusstsein am Markt etablieren müssen. Das wird auch bei uns - wie in den Vereinigten Staaten - nur in einem Niedrigpreissegment der Fall sein können. Das wird erneut und neuerlich zulasten

(Dr. Henning Höppner)

der landwirtschaftlichen Betriebe gehen. Holen wir uns doch bitte heute kein neues Problem auf die Höfe.

(Beifall der Abgeordneten Konrad Nabel [SPD] und Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Sie machen das Problem!)

Die Forschung zur grünen Gentechnik wird die veränderten Rahmenbedingungen des Agrarmarktes, so wie sie sich im letzten halben Jahr entwickelt haben, zu berücksichtigen haben. Die grüne Gentechnologie wird ihren Kompass neu einstellen müssen.