Protocol of the Session on February 21, 2001

Unwissenheit und Unsicherheit können zu unberechenbaren, ja panischen Reaktionen führen. Deshalb soll die Landesregierung uns - wie auch in der Vergangenheit - über ihre Erkenntnisse zur Problematik, über Forschungsergebnisse und Forschungsvorhaben und über konkrete Maßnahmen zur Gefahrenabwehr unterrichten.

Die Fraktionen von CDU und F.D.P. richten viele Fragen an die Landesregierung, die uns zum Teil schon beantwortet wurden. Es wird zum Beispiel gefragt, inwieweit Landesinstitute, Bundes- und europäische Institute an Forschungsvorhaben zu BSE beziehungsweise an Forschungsvorhaben zur Erforschung der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit beteiligt sind und welche Ergebnisse bisher vorliegen. Herr Kalinka hat es schon zitiert. Frau Birk hat eine Kleine Anfrage gestellt, durch die wir Antworten zu diesem Teilbereich erhalten haben. Herr Kalinka, wenn Sie zitieren, dann zitieren Sie bitte vollständig. Ich will Sie jetzt nicht wiederholen, aber ich werde fortfahren, wie es auch die Landesregierung in der Beantwortung der Kleinen Anfrage tut:

„Eine adäquate Technikfolgenabschätzung bezogen auf die angesprochenen risikorelevanten Bereiche Produktgefährdung und Übertragungs-/Infektionswege muss jetzt beschleunigt zwischen Bund und Ländern eingeleitet werden.“

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Antwort auf die Kleine Anfrage der Frau Abgeordneten Birk zeigt in hervorragender Weise das große Problembewusstsein der Landesregierung und den noch unzureichenden Wissensstand aller gesellschaftlich Handelnden. Die BSE-Problematik mit möglichen gesundheitlichen Folgen für den Menschen ist nicht allein das Problem der Landesregierung SchleswigHolsteins. Hier ist koordiniertes und konzertiertes Handeln von Ländern, Bund und EU erforderlich.

(Beifall bei SPD und SSW)

BSE gilt auch für den Menschen als Zeitbombe. Fraglich ist zum Beispiel, ob das Vorhandensein bestimmter körpereigener Eiweißstoffe die Wahrscheinlichkeit erhöht, an der neuen Variante der Creutzfeldt-JakobKrankheit zu erkranken. Untersuchungen aus Großbritannien haben jedenfalls ergeben, dass Menschen, die bisher an dieser Variante gestorben sind, in einer

bestimmten Erbguteigenschaft übereinstimmten. Wenn wir allerdings über die neue Variante der CreutzfeldtJakob-Erkrankung sprechen, dann wollen wir nicht vergessen, dass die Landesregierung uns im November des letzten Jahres mitgeteilt hat, dass in Deutschland bisher kein Erkrankungsfall nachgewiesen wurde. Das sollte man deutlich sagen.

(Beifall bei der SPD - Zuruf der Abgeordne- ten Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Bisher!)

- Bisher! Politikerinnen und Politiker sollen nicht den Eindruck erwecken, auf alle Fragen eine befriedigende Antwort zu haben. Das habe ich zu Beginn meines Redebeitrags gesagt. Sie sollen allerdings Problembewusstsein haben und politisch sachgerechtes Handeln einfordern, wenn es denn überhaupt erforderlich ist.

Noch so viele Berichtsanträge oder Kleine Anfragen an die Landesregierung entheben den einzelnen Bürger und die einzelne Bürgerin allerdings nicht von der Notwendigkeit, täglich Entscheidungen über ihre Ernährung und die Ernährung ihrer Familien zu treffen. Es wird - gerade von den antragstellenden Fraktionen in vielen Politikbereichen auf die Eigenverantwortung des Einzelnen abgehoben. Das könnte in diesem Zusammenhang zum Beispiel konkret heißen, sich den Vorschlag der Stiftung Warentest zu Eigen zu machen, bewusst einzukaufen und nachzufragen, ob das angebotene Rindfleisch getestet wurde, oder nachzufragen, woher die Ware kommt. Das gibt keine absolute Sicherheit, doch es erhöht den Druck auf Produzenten und Verarbeitungsindustrie. Alle sind gefordert.

(Beifall bei der SPD)

Ich warne vor einer Verharmlosung der gesundheitlichen Risiken durch BSE. Ich warne allerdings auch vor Panikmache. Wir brauchen nicht nur unter dem Gesichtspunkt BSE gesunde Lebensmittel. Ich wage hier die Aussage, dass durch die Auswirkungen von Antibiotikaresistenzen, verursacht durch Arzneimittelrückstände in Schweinefleisch, schon jetzt sehr viele Menschen beeinträchtigt werden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Auch dies ist ein wichtiger und ernst zu nehmender Bereich, in dem sich Politik, Wirtschaft, Landwirtschaft und Verbraucher ihrer Verantwortung stellen müssen.

(Beifall im ganzen Haus)

Herr Abgeordneter Dr. Garg hat das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Tenor-Alschausky, natürlich ist es nicht nur Sache der Landesregierung, sich damit auseinander zu setzen. Ich bin jedoch der Meinung, dass es auch Sache der Landesregierung ist, sich damit auseinander zu setzen, und zwar im Rahmen einer ordentlichen Debatte auf Grundlage eines vernünftigen Berichts.

(Beifall bei der F.D.P.)

Es kommt nicht allzu oft vor, dass Politikerinnen oder Politiker mit frappierender Offenheit einräumen, sie wüssten nichts oder fast nichts. Insofern finde ich es bemerkenswert, dass die Landwirtschaftsministerin in fast jeder BSE-Debatte genau dies eingeräumt hat.

(Lars Harms [SSW]: Das ist ehrlich!)

Es zeigt ganz deutlich, wo wir bei der Bewältigung des Problems BSE stehen, nämlich ganz am Anfang.

Auch wenn die Frau Sozialministerin - ich hatte zumindest im Sozialausschuss einmal den Eindruck - das nicht gern hört: Mich erinnert manche öffentliche Diskussion - ich sage ausdrücklich nicht hier im Haus, sondern im Rahmen von öffentlichen Veranstaltungen - über die eventuell zu ziehenden gesundheitspolitischen Konsequenzen aus dem Auftreten von BSE fatal an die Debatte nach dem Auftreten des HIV-Virus zu Beginn der 80er-Jahre.

(Beifall der Abgeordneten Christel Asch- moneit-Lücke [F.D.P.] und Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Frau Ministerin, ich weiß, dass es Ihnen vor allem darum geht, keine zusätzliche Panik zu schüren. Das ist auch vollkommen richtig. Aber Sie erinnern sich sicherlich auch daran, dass damals zunächst einmal so getan wurde, als sei die Infektion mit dem Virus eine Angelegenheit kleiner Randgruppen, die große Mehrheit der Bevölkerung brauche sich überhaupt keine Gedanken zu machen.

Heute wissen wir, dass in manchen zentralafrikanischen Ländern mehr als die Hälfte der Bevölkerung infiziert beziehungsweise erkrankt ist. Heute wissen wir, dass sich viele, die das Problem damals heruntergespielt haben, geirrt haben.

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen kann es meiner Auffassung nach nur einen Weg geben, mit dem vor uns liegenden Problem umzugehen, nämlich vollkommen offen, ohne jede Aufgeregtheit, aber auch ohne jede falsche Rücksichtnahme.

Ich möchte die gesundheitspolitische Diskussion und Aufklärung nicht einer bestimmten Boulevardzeitung

überlassen, deren so genanntes Fachwissen sich auf die geistreiche Frage beschränkt, ob etwa Milch krank mache.

(Vereinzelter Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man vor dem Problem steht, wenig oder fast gar nichts zu wissen, dann kann doch der erste Schritt nur darin bestehen, zu konkretisieren oder zu versuchen zu konkretisieren, was man alles nicht weiß. Genau so verstehe ich unseren gemeinsam mit der Union gestellten Antrag.

Der gegenwärtige Erkenntnisstand über Infektionswege, Infektionsrisiken oder Inkubationszeiten lässt es meiner Auffassung nach nicht zu, dass wir von vornherein bestimmte epidemiologische Szenarien ausschließen. Was etwa die Inkubationszeit einer möglichen Erkrankung beim Menschen anbelangt, fiel in den vergangenen Monaten so ziemlich jeder Zeitraum zwischen einem Jahr und 50 Jahren. Ähnliches gilt für die Frage einer genetischen Disposition. Um es ganz deutlich zu sagen: Hier stochern wir derzeit ebenfalls nur im Nebel herum.

Das Auftreten von BSE ist kein ausschließliches Problem von Landwirten und deren Viehbeständen. Gestatten Sie mir, dass ich an dieser Stelle etwas polemisch werde. Worunter die armen Verbraucher zu leiden haben, ist, dass ihnen der Appetit auf Rindsrouladen vergangen ist. Es ist auch kein Problem, das sich auf die Frage beschränken lässt, in welcher Form die Agrarpolitik neu auszurichten ist - was unbestritten notwendig ist. Ich warne davor, irgend jemandem weismachen zu wollen, damit sei das Problem BSE in drei, fünf oder zehn Jahren in den Griff zu bekommen.

Die Neuausrichtung der Agrarpolitik, die stärkere Betonung eines umfassenden Verbraucherschutzes, massive Anstrengungen im Bereich der human- und veterinärmedizinischen Forschung - mit dem Ziel, dem Erreger den Garaus machen zu wollen -, sind das eine, das andere aber ist die Frage, ob parallel zu dieser Bekämpfungsstrategie nicht die Beherrschbarkeit des Erregers ebenso in den Mittelpunkt aller Anstrengungen gerückt werden muss.

Die zum Teil sehr speziellen Aspekte unseres Antrages, insbesondere im zweiten Teil, die sich teilweise auf Thesen stützen, die in der aktuellen Diskussion erörtert werden, bieten unserer Auffassung nach sehr wohl die Möglichkeit zu einer sachgerechten, vertiefenden gesundheitspolitischen Auseinandersetzung mit der Problematik. Aus dem Grund bitte ich Sie herzlich um Zustimmung zu unserem Berichtsantrag.

(Beifall bei F.D.P., CDU und der Abgeord- neten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Wort hat Herr Abgeordneter Steenblock.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Grunde ist es ein Skandal, was auch unisono von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern gesagt worden ist, dass wir uns mehr als zehn Jahre nach dem Auftreten von BSE auf einem Wissensstand befinden, der nicht weit von null entfernt ist.

(Berndt Steincke [CDU]: So ist es!)

Wenn man einmal die Forschungsaktivitäten im europäischen Raum vergleicht und sieht, welche Bedeutung dieses Thema im letzten Jahrzehnt gehabt hat - es ist ja nichts, was im Verborgenen gewesen ist, sondern was in anderen Ländern zum Teil anders als bei uns diskutiert worden ist und große Bekanntheit und hohe Bedeutung hat -, dann ist es beschämend für unsere Länder, wie wenig in entsprechende Forschungskapazitäten investiert worden ist und wie wenig wir wissen. Das hat auch die Politik mit zu verantworten.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: So ist es!)

Deshalb finde ich es völlig in Ordnung, wenn an dieser Stelle jetzt noch einmal ein Antrag kommt, der versucht, bestimmte Fragestellungen zu bündeln, eine Informationsgrundlage zu schaffen, gerade im medizinischen Bereich, der bisher auch vernachlässigt worden ist. Die Diskussion über BSE ist zu sehr eine Debatte der Landwirtschaft gewesen. Die medizinischen Themen, die in Ihrem Antrag angesprochen werden, die Frau Birk in ihrer Anfrage bewusst gemacht hat, müssen dabei mitdiskutiert werden und dürfen keine Randthemen bleiben.

(Vereinzelter Beifall)

Die Antwort der Landesregierung war in Teilen durchaus zufrieden stellend, aber es gab nach meiner Kenntnis bisher schon Antworten der Landesregierung auf Kleine Anfragen, die ein noch höheres Problembewusstsein und einen noch höheren Bedarf von Vorsorgegedanken beinhaltet haben.

(Beifall bei CDU und F.D.P.)

Auch deshalb finde ich es richtig, dass wir uns mit diesem Thema befassen.

Wir erfahren im Grunde jeden Tag neu, was einzelne Forscher herausfinden. Ich weise auf die Äußerung von Herrn Pollmer, dem Leiter des Europäischen Instituts für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften, hin, dass der Übertragungsweg ähnlich wie bei Scrapie wahrscheinlich auch über Milben läuft, dass

der Übertragungsweg bei BSE eventuell über Parasiten, Zecken laufen kann, was erklären würde, dass wir heute viele Tiere, die mit BSE infiziert sind, haben, die nachweislich kein Tiermehl gefressen haben. Wenn sich heute alle auf Tiermehl stürzen, kann das - das ist durch die Forschung deutlich erwiesen - nicht der einzige Weg sein.

Deshalb warne ich vor vorschnellen Gewissheiten. Hier besteht noch Diskussionsbedarf und wir müssen die Forschung sehr sensibel zur Kenntnis nehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich wünschte mir dann allerdings, nicht nur viele Kleine Anfragen zu stellen und auf das Bildungsangebot der Landesregierung zu setzen. Vielmehr sind die ersten Fragen Ihres Antrages im Internet deutlich schneller und einfacher recherchierbar, als dass Sie damit die Landesregierung befassen müssen. Da geht es um Selbstverständlichkeiten, die zumindest für jeden Abgeordneten nachvollziehbar sind. Ich empfehle Ihnen zum Beispiel, einmal auf die Webpages der FU Berlin zuzugreifen, auf denen Sie all die Fragen beantwortet finden, die Sie hier ansprechen, und man sich selber schnell einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand verschaffen kann, der sich sehr schnell ändern wird. All das, was die Landesregierung dazu zu Papier bringen wird, wird wahrscheinlich zu dem Zeitpunkt, wo wir es hier debattieren, in Teilen schon wieder überholt sein.

(Werner Kalinka [CDU]: Konzentration der Aufgaben!)