Protocol of the Session on December 15, 2000

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Einen Moment, Frau Abgeordnete! Das Wort hat Frau Abgeordnete Hinrichsen.

Es gibt heute eben eine große Vielfalt. Das haben meine Kolleginnen und Kollegen vorher ja auch schon gesagt.

(Silke Hinrichsen)

Gemeinsam ist aber allen diesen Gruppen nur noch die Gemeinschaft von Kindern und Erwachsenen. Man könnte diagnostizieren, dass Familie heute nicht mehr auf einer Partnerschaft fußt, wie dies früher erwartet wurde. Familie ist heute dort, wo Kinder mit Eltern leben, wobei es weder zwei Eltern sein müssen noch überhaupt die biologischen Eltern.

Unabhängig davon, ob wir von Kernfamilien, EinEltern-Familien, Mehrgenerationenfamilien, „Patchwork-Familien“ oder heterosexuellen oder homosexuellen Lebensgemeinschaften mit Kindern sprechen sie alle haben einen gemeinsamen Nenner: Sie sind der Ort, wo Kinder sozialisiert werden und wo sie emotionalen Halt finden sollen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD sowie Bei- fall der Abgeordneten Dr. Heiner Garg [F.D.P.] und Karl-Martin Hentschel [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Genau das macht sie zur Familie und genau das ist der Grund, weshalb wir ihnen als Gruppe gute Lebensbedingungen sichern müssen.

Der zentralen Bedeutung von Familien in diesem Sinne stehen aber immer noch strukturelle Benachteiligungen in unserer Gesellschaft gegenüber. Die Probleme sind vielfältig. Es fängt vor allen Dingen bei der materiellen Situation der Familien an. Der Kinderschutzbund rechnet uns vor, dass ein Kind bis zum Abitur 600.000 DM kostet. Wie viele Eltern können ihren Kindern wohl diesen Start ins Leben nicht bieten? Außerdem baut das deutsche Recht für Familien trotz Verbesserungen beim Kindschaftsrecht immer noch maßgeblich auf eine bestimmte Partnerschaftsform der Erwachsenen und nicht auf die Elternschaft.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Damit wird ein großer Teil der finanziellen Förderung fehlgeleitet. Wer wirklich die Familien unterstützen will, muss endlich die Kinder und Eltern fördern und nicht die Ehe.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW] und Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es gibt also viel zu tun in der Familienpolitik. Ein Familienpreis ist nach unserer Ansicht jedoch nicht der richtige Weg.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD sowie Bei- fall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW] und Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Er ist nicht nur deswegen nicht der richtige Weg, weil die Benachteiligungen von Familien dadurch kaum verbessert werden; denn es geht schließlich nicht vorrangig darum, das Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger für familiäre Zusammenleben zu stärken, sondern wir - die Politik - müssen erst einmal unsere Hausaufgaben machen.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW] und Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Caroline Schwarz [CDU]: Richtig!)

Wir lehnen den Familienpreis auch deshalb ab, weil die große Gefahr besteht, dass bei der Auswahl der Preisträger und -trägerinnen bestimmte Familienleitbilder gefördert werden. Dies ist aber nach unserer Ansicht nicht sinnvoll.

(Beifall bei SSW und F.D.P. sowie der Ab- geordneten Wolfgang Baasch [SPD] und An- na Schlosser-Keichel [SPD])

In Deutschland hat man seit dem In-Kraft-Treten des Allgemeinen Preußischen Landrechts von 1794 eine starke Tradition dafür, staatlicherseits ein Familienleitbild vorzugeben. Das hat - vielleicht mit Ausnahme der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts - eigentlich nie funktioniert. Es hat aber zur Benachteiligung derjenigen geführt, die nicht in das staatlich akzeptierte Bild der Familie passten.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Angesichts der starken Ausdifferenzierungen der Familienformen erscheint eine Politik der Familienleitbilder weniger sinnvoll denn je. Der Staat soll kein familienpolitisches Leitbild vorgeben, sondern gute Rahmenbedingungen schaffen.

(Beifall im ganzen Haus)

Wer Familien wirklich stärken will, sollte durch eine sachbezogene Politik den Kindern gute materielle Lebensbedingungen sichern, Erwachsenen Zeit für Kinder geben und eine Arbeitsteilung der Geschlechter ermöglichen. Es geht nicht darum, den Menschen bestimmte Familienmodelle vorzugeben, es gilt sie darin zu unterstützen, Familie so zu leben, wie sie es können und wollen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Durch eine solche Setzung des gesellschaftlichen Rahmens lässt sich mehr erreichen als durch die staat

(Silke Hinrichsen)

liche Propagierung von vermeintlich universalen Familienwerten.

(Zuruf der Abgeordneten Caroline Schwarz [CDU])

Letztlich macht man mit einer solchen Politik auch den familienpolitisch engagierten Menschen eine größere Freude. Denn damit unterstützt man ihr Engagement sicherlich mehr als mit Ehrenbekundungen.

(Beifall bei SSW, SPD, F.D.P. und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Frau Ministerin Lütkes.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Familienministerin, als eine Ministerin, bei der das Wort „Familie“ ausdrücklich in der Ressortbezeichnung vorkommt, bin ich bei aller scheinbaren Gegensätzlichkeit in der Debatte sehr froh darüber, dass Familienpolitik Thema in diesem Landtag ist, und würde mich freuen, wenn Sie beschließen würden, die Diskussion im Ausschuss mit einer Anhörung über den umfangreichen und informativen Familienbericht der Regierung weiterzuführen. Denn wir brauchen die familienpolitische Debatte.

Ich glaube, dass die Intention des CDU-Antrages auch dahin geht, deutlich zu machen, dass die familiären Erziehungs- und Lebenszusammenhänge in dieser Gesellschaft überwichtig sind, dass wir gemeinsam immer wieder darauf hinzuweisen haben, dass öffentliche Erziehung, beispielsweise Jugendhilfe und Schule, über die wir gerade intensiv diskutiert haben, dass Jugendarbeit und Jugendverbände das eine sind, dass aber zu der unmittelbaren Zuwendung, der direkten Bildungs-, Wissens- und auch Gefühlsvermittlung in familiärem Zusammenhang keine öffentliche Alternative existiert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P.)

Dahinter steht aber auch die Erkenntnis, dass eine ausreichende materielle Absicherung durch Regierung und Parlament, durch den Staat für all diejenigen notwendig ist, die sich der Erziehung und Betreuung von Kindern widmen, die Verantwortung für andere übernehmen und die den Ort garantieren, an dem die Übernahme von Verantwortung gelernt werden kann und gleichzeitig Geborgenheit und Wärme vermittelt werden.

Wir wissen aus der Shell-Studie, dass Jugendliche gerade die Suche nach der Idealbeziehung immer wieder formulieren und dass die Suche nach Beziehungen, die Geborgenheit vermitteln, gerade in dieser Gesellschaft, von übergroßer Wichtigkeit ist.

(Beifall der Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Silke Hinrichsen [SSW])

Die Landesregierung setzt sich selbstverständlich gerade deshalb für die Förderung von Familien ein, wobei ich die Debatte über den Familienbegriff an dieser Stelle nicht erneut beginnen will. Aber wir müssen sie führen, auch wenn hier in einigen Diskussionsbeiträgen eine Richtung bestimmt wird, dass ich mitunter denke, der Analyse ist genug getan. Wir sind uns vielleicht einig, dass sich der Familienbegriff, dass sich Familienstrukturen geändert haben und nun darauf zu reagieren ist. Es ist festzustellen, dass die Landesregierung, aber auch die Bundesregierung in dieser Richtung arbeiten, um die Lebensbedingungen von Familien zu verbessern und sie materiell zu entlasten.

Ich möchte einige Beispiele nennen. Sie wissen, dass die Förderung der Familienferienerholung, der Familienbildungsstätten, aber insbesondere der Beratung und spezieller Angebote für Problemfamilien von dieser Landesregierung intensiv unterstützt wird. Wir haben vorhin über Jugendhilfe und Schule gesprochen. In diesem Zusammenhang sind neue Modelle entwickelt worden, um Familie bei ihrer Aufgabe zu unterstützen. Ich weise auf den Begriff der Elternschule hin, auf die Versuche, „Elternschaft lernen“ in der Schule als Lernfeld aufzunehmen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber nicht nur das vordergründig Entlastende, die Beratungsarbeit für Familie ist entscheidend, wir müssen uns auch rechtlich, gesamtpolitisch auf die eben erwähnte veränderte Familienstruktur einstellen. Rechtliche Anerkennung und Gleichstellung neuer Familienformen sind ebenso wesentlich wie Förderprogramme. Insofern gilt es, die Rechte einzelner Familienmitglieder individuell zu stärken, das Kindeswohl wirklich ernst zu nehmen, gesetzliche Vorschriften zu schaffen, die das Kindeswohl schützen, und die Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern neu zu definieren. Der neue § 1631 BGB beispielsweise ist ein längst überfälliger Schritt in diese Richtung, nicht nur ein Symbol, aber auch ein Symbol in diese Richtung. Das veränderte Kindesunterhaltsrecht, die Stärkung von Kindesunterhaltsansprüchen zugunsten der Kinder, die bei Alleinerziehenden leben und dadurch

(Ministerin Anne Lütkes)

einen höheren Anteil am Kindergeld haben als früher, sind auch ein ganz wesentliches Signal.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ein ebenso wichtiges Signal ist die veränderte rechtliche Situation von gleichgeschlechtlichen Partnern bezogen auf die Alterssorge. Auch das so genannte kleine Sorgerecht für zusammenlebende eingetragene homosexuelle Partner scheint mit mir ein sehr wichtiger Punkt zu sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Sie sehen also, dass es auf der einen Seite einzelne Schritte gibt, Familien zu beraten, zu entlasten, dass wir aber auf der andere Seite - gerade anschließend an die neuen unterschiedlichen Familienstrukturen - die Beratungs- und Begleitungsarbeit weiter intensivieren müssen.

Ich bin mir aber mit vielen Vorrednerinnen und Vorrednern hier einig, dass ein Symbol vielleicht eben ein Symbol ist, aber in der jetzigen Situation nicht ausreicht, in der vorgeschlagenen Weise nicht weiterführt und gerade Familien von der Landesregierung, aber auch vom Landtag zu unterstützen sind. Es ist wichtiger, die Debatte fortzuführen, die einzelnen Schritte zu konkretisieren und wirklich Hilfe zu leisten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag nach § 58 Abs. 2 hat Frau Abgeordnete Schwarz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was ich festgestellt habe, ist, dass viele auf jener Seite noch sehr einem Schubladendenken verhaftet sind