Denn die Strukturen im Landwirtschaftsbereich werden sehr viel stärker durch die Agrarministerräte und die nationalen Regierungen bestimmt als durch die Kommission oder das Europaparlament. Wer sich mit Landwirtschaftspolitik beschäftigt und sich einmal die Beschlüsse des Europäischen Parlaments gerade zu BSE anguckt - da hat ja gerade auch der Abgeordnete Böge eine sehr engagierte Rolle gespielt -, der muss deutlich sehen, dass das Europäische Parlament genau die Bedenken, die hier aus den nationalen Parlamenten kommen, sehr früh aufgegriffen und eine andere Landwirtschaftspolitik gefordert hat.
Ich möchte Claus Ehlers jedenfalls ein bisschen Recht geben, der gerade davon gesprochen hat, dass man nicht in eine falsche Kontroverse zwischen konventionellen Landwirten und ökologischen Landwirten
hineingeraten darf. Auch das ist richtig. Aber wir müssen uns auch sehr deutlich machen: Wenn das, was hier von allen Rednerinnen und Rednern im Bekenntnis für eine zukunftsfähige Landwirtschaft als Kriterien dargestellt wurde, richtig ist und wenn wir Landwirtschaft in diese Richtung gemeinsam verändern wollen, muss man auch sagen, dass die Landwirtschaftspolitik, wie sie in Europa bislang betrieben worden ist, eine Landwirtschaftspolitik gewesen ist, die in eine andere Richtung gegangen ist, eine Landwirtschaftspolitik, die immer mehr und billigere Nahrungsmittel produzieren wollte. Dies wird so nicht weitergehen können.
Wenn man sich überlegt, dass ein Industriearbeiter in den 50er-Jahren mit einem Stundenlohn fünf Eier kaufen konnte und heutzutage mit seinem Stundenlohn 135 Eier kaufen kann, zeigt das, wie billig Nahrungsmittel heute sind. Es zeigt aber auch, welchen Preis die Umwelt, welchen Preis Böden, welchen Preis Luft, Wasser und natürlich auch wir zahlen, denn auch wir als Menschen sind ein Depot für das, was Landwirte aus welchen Gründen auch immer - in Tiermehl, in Futtermittel eingesetzt haben.
Wenn man eine Landwirtschaftspolitik gestaltet, die ihre Fördermittel eben nur als Flächenprämien oder Mengenprämien für Tierhaltung ausgibt, drängt man Bauern zwangsläufig in eine Situation hinein, in der sie mit ihrer Produktionsform nur dann überleben können, wenn sie nach dem Motto „Wachsen oder Weichen“ hantieren. Dieses Motto hat viel mit den Problemen zu tun, die wir heute haben.
Wer mit dem gleichen Personal mehr Vieh bewirtschaften will, braucht zwangsläufig andere Haltungsformen als diejenigen, die als artgerecht zu bezeichnen sind. Käfighaltung, Käfigbatterien, Spaltenboden, Gülle statt Mist, das sind die Folgen einer Landwirtschaft, die unter diesem Diktat der Förderpolitik lebt, die von den nationalen Regierungen gewollt worden ist. Ich sage das einmal so deutlich. Das sind die Konsequenzen, die diese Landwirtschaftspolitik hat: Leistungsförderer, Tiermehl, Futtermittelzusatzstoffe mit Antibiotikawirkung, damit Tiere mehr Leistung bringen.
Man kann dem einzelnen Bauern nicht vorwerfen, dass er sich diesem Wettbewerb in dieser Form gestellt hat. Aber der Preis, den wir für diese Landwirtschaft zah
len, ist sehr viel höher als die 80 Milliarden DM, die wir jedes Jahr in Europa als direkte Zuschüsse und Subventionen bezahlen. Die Preise werden auch die nachfolgenden Generationen durch die Belastung der Umwelt, der Böden, auch in anderen Bereichen - nicht nur im Bereich BSE; das ist eine sehr viel grundsätzlichere Frage - in noch sehr viel größerer Höhe bezahlen müssen.
Die industrialisierte Landwirtschaft ist gefährlich für die Gesundheit des Menschen. Das ist immer deutlicher geworden.
Sie ist schädlich für den Boden, für das Wasser, für die Luft. Sie lässt Raum - auch damit müssen wir uns immer wieder auseinander setzen - für Verschleierungen, für Täuschungen der Verbraucherinnen und Verbraucher und hat ein hohes kriminelles Potenzial, das von schwarzen Schafen immer wieder ausgenutzt wird.
Deshalb brauchen wir einen grundlegenden Strukturwandel in der Landwirtschaftspolitik, der sicherlich dahin führen muss, dass wir mehr an ökologischem Landbau haben. Das aber ist nicht das einzige Problem. Ich möchte hier nicht als Lobbyist für Ökolandwirtschaft auftreten. Mein Interesse ist vielmehr, dass wir in der Landwirtschaft generell Prinzipien verankert haben von mehr Umweltgerechtheit, von mehr Verbraucherbewusstsein
Der Ersatz von Arbeitskraft durch immer höhere Maschinenleistungen ist auch ein Produkt der Förderpolitik der EU. Deshalb bin ich sehr dafür, dass wir die Möglichkeiten zur Extensivierung nutzen, aber auch die Möglichkeiten, die dem ländlichen Raum letztlich dadurch dienen, dass in einer anderen Landwirtschaft mehr Personen eingesetzt werden, als wir heute haben. Dazu brauchen wir aus meiner Sicht so etwas, wie wir es auch im Naturschutz diskutieren. Die Landwirtschaft muss für andere Leistungen entlohnt und bezahlt werden.
Es geht nicht darum, die Landwirte zu den Opfern einer verfehlten Förderpolitik zu machen. Die Landwirte müssen reell für die Leistungen bezahlt werden, die sie für diese Gesellschaft erbringen. Deshalb brauchen wir eine neue Vertragslandwirtschaft. Wir brauchen einen Gesellschaftsvertrag, wie sich diese Gesellschaft die Bewirtschaftung im ländlichen Raum
vorstellt, wie sie ihre Nahrungsmittel produziert haben will, um nicht immer wieder in Risiken hineinzulaufen. Diese Gesellschaft muss insgesamt bereit sein, dafür mehr Geld auszugeben.
Wenn wir uns in der Landwirtschaftspolitik deshalb etwa an dem orientieren, was die europäische Agrarpolitik in ihrer zweiten Säule, in der Verordnung „Ländlicher Raum“, festgeschrieben hat, dann werden wir die Möglichkeit haben, ökologischen Landbau, aber auch konventionellen Landbau für ökologische Leistungen besser zu entschädigen.
Bisher haben wir in diesem für mich zentralen Bereich einer neuen Förderpolitik nur etwa 10 % der europäischen Fördersummen. Diese zweite Säule der EUAgrarpolitik muss zu dem Kernbereich von Landwirtschaftspolitik der Zukunft werden. Dafür gibt es Gelder.
Das heißt aber auch, dass wir uns auf nationaler Ebene dafür einsetzen müssen, sehr verehrte Frau Ministerin, dass zum Beispiel im PLANAK reagiert wird. Er hat vor ein paar Tagen getagt und mit einer Resolution direkt auf die BSE-Krise reagiert, aber nicht mit einer Umstrukturierung der Förderpolitik. Ich bin sehr dafür, dass wir auch von Schleswig-Holstein aus mit allen, die daran interessiert sind, gemeinsam überlegen, wie der PLANAK, die Institution, die festsetzt, wie die GA-Fördermittel „Agrarstruktur und Küstenschutz“ festgelegt werden - es ist sehr viel Geld, das da drin ist -, in Zukunft nach welchen Kriterien die Fördermittel verteilt, damit wir in solche Fallen, wie die, in der wir jetzt sind, nicht wieder hineinlaufen.
Ich habe große Sorge, dass unter dem Eindruck von Krisen und der daraus häufig entstehenden Überreaktion und Hysterie ein sehr schneller Absturz von Themen kommt, wenn die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird.
Wir können es uns an dieser Stelle nicht leisten, das Problembewusstsein, das gegenwärtig erzeugt wird, das bis zum Bundeskanzler vorgedrungen ist, was die Fragen einer neuen Landwirtschaftspolitik angeht, dem nächsten Medienskandal zu opfern. Wir müssen uns dem inhaltlich stellen.
Wir brauchen nicht nur eine Umstrukturierung der Förderpolitik. Das ist richtig. Da sind wir uns wohl auch alle einig. Da haben wir auf europäischer Ebene Möglichkeiten, Leistungen der Landwirte anders zu bezahlen.
Es geht auch darum - das können wir schnell machen und da brauchen wir nicht unbedingt auf die EU zu warten -, dass wir den rechtlichen Rahmen, den wir definieren können, zum Beispiel für das, was wir unter artgerechter Tierhaltung verstehen, selber auch ausfüllen. Ich habe heute von allen gehört, dass wir artgerechte Tierhaltung wollen.
Dann geht es darum, ob das nur eine Floskel ist, hinter der jeder versteht, „Das, was wir bisher machen, machen wir mal so weiter!“, oder ob wir tatsächlich etwas ändern wollen. Ich glaube, dass artgerechte Tierhaltung an die Fläche gebunden sein muss,
(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW, vereinzelt bei der SPD und Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [F.D.P.])
Wenn wir uns da einig sind, heißt das aber auch, dass wir zum Beispiel die Privilegierung von Stallbauten für solche Bereiche, in denen Tierhaltung nicht an die Fläche gebunden ist, abschaffen. Das ist nach dem Baugesetzbuch möglich.
Es ist möglich, dass wir zum Beispiel die Aufstockungsförderung verhindern, dass wir uns wirklich zu einer mittelständischen Landwirtschaft bekennen.
Auch im steuerlichen Bereich haben wir die Privilegierungsmöglichkeit. Wir könnten die großen Viehbetriebe wie Gewerbebetriebe besteuern und sie nicht mehr, wie das im Augenblick geschieht, unter die steuerrechtliche Privilegierung - gerade, was die Umsatzsteuer anbetrifft - fallen lassen. Wir als Gesetzgeber hätten die Möglichkeit, diese Privilegierung für die großen Agrarfabriken abzuschaffen und mit diesem Geld innerhalb des von uns gesetzten Rechtsrahmens
(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD] und Anke Spoorendonk [SSW])
Zu diesem Bereich hat auch Lars Harms schon einiges gesagt. Die Schlachtviehtransporte gehören ebenfalls dazu. Für mich ist im Grunde nicht einzusehen, wenn wir so eine hohe Regelungsdichte in der Landwirtschaft haben - einige haben zumindest halb Recht, wenn sie sagen, in der Landwirtschaft haben wir mehr Plan- als Marktwirtschaft; ich will das gar nicht entscheiden, aber festzustellen ist, dass wir eine hohe Regelungsdichte haben -, dass wir Schlachtvieh nicht zu dem nächst gelegenen Schlachtort, zu dem nächst gelegenen Schlachthof fahren können, sondern es acht Stunden und zum Teil mehr - immer mit Unterbrechungen - durch die halbe Welt oder durch halb Europa gekarrt werden kann. So etwas wie eine Andienungspflicht an den nächsten Schlachthof wäre etwas, was regionale Vermarktung und Vertrauen schützen könnte. Auf jeden Fall brauchen wir eine drastische Reduzierung der Zeit, in der Tiere in Schlachtviehtransporten überhaupt unterwegs sein dürfen.
Lassen Sie mich nach diesen Ausführungen zu Strukturfragen noch ein paar Sätze zur aktuellen Situation mit den Tests sagen.