Protocol of the Session on December 13, 2000

Dieses Land geht nach 13 Jahren unter Führung der Sozialdemokratie in das neue Jahrtausend mit der Botschaft, dass es uns finanziell so schlecht geht, dass wir uns nicht einmal mehr eine Ältestenratsreise leisten können oder die Mitfinanzierung der Werftenhilfe.

Arbeit, Bildung, Jugend - das seien die Schwerpunkte, so lautet jedenfalls die Selbstauskunft von Rot-Grün. Wo aber schlagen sich diese Schwerpunkte - abgese

(Wolfgang Kubicki)

hen von Presseerklärungen - konkret im Haushalt nieder?

(Günther Hildebrand [F.D.P.]: Überhaupt nirgends!)

Zum Thema Bildung: Eines muss man Rot-Grün lassen. Die zusätzlichen 200 Lehrerstellen sind tatsächlich geschaffen worden. Dafür wird der Kahlschlag an der Universität und den Hochschulen mit unverminderter Härte weitergeführt. Alle Welt spricht von einem Ausbau der Kapazitäten, von steigenden Studentenzahlen und der Notwendigkeit, in die Bildung zu investieren. Die schleswig-holsteinische Landesregierung schafft es noch nicht einmal, das Ausgabenniveau zu halten. Mit der abenteuerlichen Begründung, nur das Kürzen des Landeszuschusses schaffe die Anreize für Veränderungen, wird an dem einzigen Rohstoff gespart, den unser Land hat. Das ist ungefähr die gleiche Logik, als würde man einem Verhungernden sagen, man gebe ihm nichts zu essen, damit er sich selbst um sein Essen bemühe.

Es ist eine Binsenweisheit, dass gerade in einer Zeit des Umbruchs mehr Geld benötigt wird, da Alt und Neu in der Regel in dieser Phase nebeneinander existieren. Dennoch wird nicht der Strukturwandel, sondern massiver Bildungsabbau gefördert. Die Demonstrationen der Schüler und Studenten und die Demonstrationen von lehrendem und wissenschaftlichem Personal sind kein Ausweis erfolgreicher Bildungspolitik.

Zum Thema Jugend: Kollege Neugebauer, vielleicht kann mir jemand im Verlauf der heutigen Debatte erklären, wo sich dieser Schwerpunkt im Haushalt niederschlägt. Er ist für uns noch nicht einmal ansatzweise als Punkt erkennbar.

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

Zum Thema Arbeit: In ihrer Regierungserklärung hat die Ministerpräsidentin „Wellness“ zum Schwerpunkt ihrer Arbeit erklärt. Möglicherweise hat dies ja die Debatte um ihre Amtsmüdigkeit erst ausgelöst. Wo aber findet sich dieser Schwerpunkt im Haushalt wieder? Der Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium - zugleich für Tourismus zuständig - hat im Rahmen der Haushaltsberatungen in der gemeinsamen Sitzung des Finanz- und des Agrarausschusses am 9. Oktober klar und deutlich gesagt, dass es zurzeit kein Konzept gebe. Frau Ministerpräsidentin, er kann aus dem Protokoll wie folgt zitiert werden:

„Eine Liste solcher Projekte, wie sie sich die Abgeordnete Dr. Happach-Kasan vorstelle, in denen ‘Wellness’ eine Rolle spiele, könne erst im Laufe der Zeit anhand von Erfahrungen erstellt werden. Deshalb könne auch die

Frage nach dem Konzept der kommenden Jahre nicht beantwortet werden.“

Heide Simonis muss „Wellness“ mit Loch Ness verwechselt haben.

(Beifall bei der F.D.P.)

Dem Wellness-Konzept geht es wie Nessi: Alle reden davon, aber keiner hat das Objekt der Begierde je gesehen. „Wellness“ kann getrost als leere Worthülse abgetan werden.

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

Gibt es wenigstens andere - etwas inhaltsschwerere Konzepte für mehr Arbeit im Land? Augenscheinlich ja. Die Programme „ziel“ und „ZAL“ und das Regionalprogramm 2000 würden weitgehend von Kürzungen ausgenommen, so war zu lesen. Was ist daran neu? Warum sollen ausgerechnet die untauglichen Mittel der Vergangenheit morgen zu Erfolgen führen? Wie wenig Sie selbst an den Erfolg Ihrer bestehenden Maßnahmen glauben, haben Sie erst kürzlich bewiesen. Warum wird ASH 2000 plötzlich mit evaluierbaren Kriterien versehen? Jahrelang hatte die F.D.P.Fraktion dies gefordert. Jahrelang wurde diese Forderung mit Abscheu, Ekel und Empörung zurückgewiesen. Und jetzt? Frau Ministerin, Ihre Kriterien sind so streng, dass der Kollege Garg - was selten genug vorkommt - sprachlos aus der Sitzung des Sozialausschusses zurückkehrte und der verdutzten F.D.P.Fraktion erklärte, die Sozialministerin habe die Forderungen der F.D.P. nicht nur erfüllt, sondern sogar übererfüllt. Seitdem ist er voll des Lobes von Ihnen.

(Beifall bei der F.D.P.)

Warum erfolgt dies erst jetzt, nach so vielen Jahren? Die Politik in diesem Land läuft immer nach dem gleichen Muster ab: Eine gut gemeinte Idee wird schlecht umgesetzt, die Warnungen der Opposition werden bestenfalls ignoriert, rechthaberisch setzt sich die Regierung - oder die regierungstragenden Fraktionen mit dem Geschwätz durch: Wir sind so modern, deswegen haben alle etwas gegen uns. Schließlich fallen Sie auf die Nase. Das ist das Vierphasenmodell der gescheiterten Reformbemühungen in diesem Land.

ASH 2000 oder die Aufgabe der Entbeamtung sind aktuelle Beispiele. Sie lassen sich mühelos um so folgenreiche Projekte wie Gesamtschulen, Immobiliendeal und die legendäre „Wiesen“-Steuer ergänzen. Alle Vorgänge weisen bis heute eine Konstante auf: keine Führung, keine Linie, kein Konzept.

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

Entscheidungen werden so lange vertagt oder durch Gremien geschleppt, bis man sich um des lieben Ko

(Wolfgang Kubicki)

alitionsfriedens willen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt hat. Kollege Hay, der kleinste gemeinsame Nenner ist keine Politik, er bedeutet Stillstand.

Welch ein trauriges Bild gibt diese Koalition nur knapp ein halbes Jahr nach ihrer Neuauflage ab! Das Gerangel um die Standardöffnung ist das perfekte Beispiel. Der Gesetzentwurf der F.D.P. liegt seit einem halben Jahr vor. Was machen die Regierungsfraktionen? Parlament verkehrt. Die Sozialdemokraten kündigen an, sie wollen die Standards öffnen. Innenminister Buß hat dies wiederholt getan. Die Ministerpräsidentin und der Fraktionsvorsitzende Lothar Hay haben ihren Willen zur Standardöffnung vor vier Wochen auf der Krisenkonferenz der SPD bestätigt. Die Grünen spielen derweil Opposition in der Regierung und gerieren sich als die wahren Sozialpolitiker in diesem Lande. Kollege Hentschel, ich verstehe das. Wenn man schon für nichts mehr steht, dann trifft es sich gut, wenn man wenigstens gegen etwas ist.

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

So ist der Kollege Hentschel dagegen, bei den Standards der Kindertagesstätten eine Öffnung vorzunehmen. Dabei ist völlig egal, dass die Grünen sonst immer viel von Partizipation, Selbstbestimmung und vor allem kommunaler Eigenständigkeit reden. Nur Hentschel weiß, was Eltern wünschen. Die Regelungswut zeigt, wie wenig Sie in Wahrheit von den Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern halten und wie sehr Sie von Ihrer selbst gestrickten Wahrheit überzeugt sind. Glauben Sie wirklich, dass die Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker kein Verantwortungsgefühl haben und Gruppen mit 30, 35 oder gar 40 Kindern zulassen würden? Es gibt kaum eine kommunale Leistung, die vor Ort in ihrer Qualität und ihrer Quantität so direkt von den Bürgerinnen und Bürgern kontrolliert werden kann wie die Leistung der Kindergärten.

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

Der Protest wäre zu Recht so stark, dass solche Pläne nicht einmal angedacht würden. Kollege Hentschel, wie sehr Sie mit Ihrem Latein am Ende sind, konnten wir in den „Lübecker Nachrichten“ vom 6. Dezember 2000 nachlesen.

„Für uns schafft dieser Kompromiss des Kabinetts Luft. Das ist gut, denn jetzt können die Kindergärten drei Monate lang demonstrieren.“

Ich bin bisher immer davon ausgegangen, dass die Opposition mangels eigener parlamentarischer Mehrheiten auf die Unterstützung der Öffentlichkeit angewiesen ist. Dass sich der Fraktionsvorsitzende des

kleinen Regierungspartners darüber freut, dass gegen die von ihm mitgetragene Politik seiner Regierungsfraktion demonstriert wird, hat eine eigene Qualität. Es ist bedauerlich, dass die SPD-Fraktion gestern öffentlich dokumentiert hat, von welchem Kleinmut sie beseelt ist.

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Lothar Hay hat vor kurzem öffentlich gesagt, die SPD habe in der Vergangenheit nicht die Kraft zu strukturellen Einschnitten gehabt. Warum wiederholen die Sozialdemokraten ihre Fehler? Warum nutzen sie das günstige wirtschaftliche Klima nicht für Reformen? Jetzt müssen die Weichen gestellt werden. Sie hingegen können mit diesem Haushalt nur hoffen, dass die US-Konjunktur weich landet. Wenn es wirklich zu einem Einbruch in den USA kommen sollte, können wir in Europa alle optimistischen Prognosen über Bord werfen. Selbst wenn in den USA alles gut geht, so wird sich die Konjunktur in Europa mittelfristig abkühlen.

Was macht diese Landesregierung dann? Reserven gibt es keine mehr. Die Vermögenswerte sind verschleudert, die Steuern hinken schon jetzt der Entwicklung in anderen Bundesländern hinterher. Wir sind Kostgänger der anderen Bundesländer. Was passiert im Land eigentlich bei einem nur leichten Rückgang der Steuereinnahmen? Was passiert, wenn die Änderung des Länderfinanzausgleichs zu einer durchaus realistischen Mindereinnahme von 100 Millionen DM oder auch nur 50 Millionen DM führt? Wo sind die grünen Nachhaltigkeitsprediger in der Finanzpolitik? Im Land kommen sie nicht weiter und greifen deshalb nachhaltig für vier Jahre den Kommunen in die Tasche. Als Belohnung werden von 1.200 Verordnungen angeblich 27 - jetzt nur noch 26 freigegeben.

Das Verfahren verdient ein besonderes Augenmerk. Die Kommunen müssen die Abweichung von der Verordnung in einer Satzung regeln und dem Innenministerium anzeigen. Die Satzung gilt als genehmigt, wenn das Innenministerium im Einvernehmen mit dem zuständigen Fachressort unter Beteiligung des Frauenministeriums nicht binnen eines Monats widerspricht. Das nenne ich einen mutigen Schritt auf dem Weg zur Deregulierung.

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

Die F.D.P. hält das Genehmigungsverfahren für völlig unvollständig. Eine Abweichung von heiligen Landesstandards sollte nur im Benehmen mit den Kirchen und Glaubensgemeinschaften sowie den Tarifparteien

(Wolfgang Kubicki)

erfolgen. Oder besser noch: Ohne Volksabstimmung darf nicht von Standards abgewichen werden.

(Beifall bei der F.D.P.)

Machen Sie so weiter! 2005 braucht dieses Land dann keine Regierung mehr, sondern ein Abwrackunternehmen. Zugegeben, der Gesetzentwurf der F.D.P.Fraktion zur Standardöffnung ist radikal. Es helfen aber nur noch radikale Maßnahmen. Bürokratie-TÜV, Aufgabenkritik oder Funktionalreform - nichts hilft bisher wirklich. Der Vorschriftendschungel wächst weiter. Wir sind fest davon überzeugt, dass die Kommunen am besten wissen, welche Standards in ihrem Bereich nötig sind und welche nicht.

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

Wir misstrauen den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort nicht. Lösen Sie sich von Ihrem ängstlichen Kleinmut. Es ist höchste Zeit, die alarmierenden Zeichen häufen sich. Dafür gibt es viele Beispiele in anderen Bereichen.

Die Gentechnik ist eine der Schlüsseltechnologien für die nächsten Jahre - vielleicht sogar Jahrzehnte. Der hiesige Beitrag zum Thema Gentechnik liegt in der Überbetonung der Risiken bei gleichzeitiger Nichtbeachtung der Chancen. Bayern bildet in der Zwischenzeit durch die massive Förderung des so genannten Biotech-Valley munter Cluster.

Gleichzeitig beschweren sich grüne und rote Landespolitiker darüber, dass die Mittel für die Förderung der Gentechnik den Norden konsequent meiden und fast vollständig in den Süden der Republik fließen.

(Dr. Heiner Garg [F.D.P.]: Sehr überra- schend!)

Der Transrapid wird mit hoher Wahrscheinlichkeit bald in China fahren. Nordrhein-Westfalen und Bayern konkurrieren um eine inländische Transrapid-Verbindung. Und die Landesregierung? - Sie ist stolz darauf, gegen den Transrapid geklagt zu haben.

Die Landesregierung kann noch nicht einmal die Mittel des Bundes vollständig binden. Andere Bundesländer kündigen an, die Wettbewerbshilfe für ihre Werften aufzustocken, und nehmen dankbar diejenigen Mittel in Anspruch, die Schleswig-Holstein nicht abruft.

(Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.]: So ist es!)

Wenn der grüne Fraktionsvorsitzende dies gemein findet, weil zum Beispiel Bremen und MecklenburgVorpommern ihren Anteil im Prinzip aus erweiterter Bundeshilfe aufstocken, muss ihm entgangen sein - er macht ja nur gelegentlich Haushaltspolitik -, dass auch Schleswig-Holstein fast 1 Milliarde DM aus dem Län