Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meinen Beitrag zur Beantwortung der Großen Anfrage zum Rechtsextremismus stelle ich unter einen Gedanken von Rita Süssmuth: „Integration - das verpflichtende Wort für Demokraten“. Mir scheint, Rita Süssmuth hat damit den Bogen gespannt,
den ich sehe, wenn ich das Wort von der „Gemeinsamkeit der Demokraten“ höre. Mir scheint, dass ich mich unter diesen Bogen leichter stellen kann als unter das, was Sie, Herr Dr. Wadephul, hier gesagt haben.
Dass wir uns heute mit der Großen Anfrage der SPD zum Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein noch einmal ausführlich auseinander setzen, halte ich für ein positives Zeichen. Es zeigt, dass wir dieses Thema ernst nehmen, dass wir es nicht nach dem Sommerloch und der Debatte um ein Verbot der NPD abhaken.
Noch ein Wort zum Verbot der NPD. Dies ist wahrlich ein Schritt, den man gut bedenken sollte, Herr Dr. Wadephul! Es wahrlich nicht geeignet, parteipolitisch Kapital daraus zu schlagen, dass es in diesem Land Kräfte gegeben hat, die mit Recht vor diesem Schritt gewarnt haben.
Mit Recht nämlich stellt unsere Demokratie ein Parteienverbot unter höchst sorgfältig zu prüfende Regeln.
Dass gerade Sie als Jurist an dieser Stelle polarisieren, verstehe ich nicht. Das sprengt für mich den Gedanken der Gemeinsamkeit der Demokraten.
Die Demonstration in Kiel am 9. November zeigte nicht nur, dass 4.000 bis 5.000 Menschen daran teilgenommen haben, sondern sie zeigte auch, dass mit dem Kieler Runden Tisch ein breites gesellschaftliches Bündnis gegen Faschismus gebildet werden konnte und dieses Bündnis Menschen in Bewegung setzen kann, was in dieser Gesellschaft nicht mehr leicht ist. Das kann ich aus guter Erfahrung sagen.
Ich möchte etwas zum Stichwort Bündnis sagen. Wir sollten aufpassen, dass wir nicht Dutzende von Bündnissen machen, damit es nicht sozusagen Dutzende von Bewegungen gibt. An dieser Stelle stimme ich Ihnen, Herr Kubicki, zu. Wir sollten aufpassen, dass wir Bündnisse schließen, die wirklich Bündnisse sind, innerhalb derer man parteiübergreifend, lagerübergreifend wagt, miteinander zu reden. Das muss selbstverständlich auch mit denen sein, die am linken Spektrum des Lagers stehen.
Ich möchte Ihnen, meine Damen und Herren von der rechten Seite des Hauses, Folgendes sagen. Wer hat in den Debatten in den 70er-Jahren über die RAF auf die gleichzeitig stattfindenden Friedhofsschändungen und
Gewalttaten und Straftaten von Rechtsextremisten hingewiesen? In einer Debatte um Rechtsextremismus müssen wir, die wir uns dem linken Lager zurechnen, uns dies anhören und gefallen lassen. Umgekehrt passiert das so niemals, in Deutschland nicht.
Durch diese Antwort auf die Große Anfrage, die in den letzten Wochen erstellt wurde, haben wir eine gut strukturierte Zusammenfassung der Situation in Schleswig-Holstein erhalten. Vieles davon ließ sich auch in den Verfassungsschutzberichten der letzten Jahre lesen.
Einen für mich wesentlichen Aspekt lässt der Bericht allerdings aus. Rechtsextremistische Einstellungen teilen nicht nur diejenigen, die in entsprechenden Parteien, Vereinen und Kameradschaften organisiert sind. Es gibt Untersuchungen darüber, wie viele Menschen in Deutschland rechtsextreme Ideologien im Sinne der Definition von Seite 9 des Berichts für richtig halten. Die Ergebnisse schwanken zwischen 10 und 30 %. Diese erschreckende Zahl habe ich hier noch nicht gehört.
Wenn wir uns nur auf die Mitglieder entsprechender Vereinigungen und die Tatverdächtigen von fremdenfeindlichen Straftaten konzentrieren, lassen wir den größten Teil des Problems außer Acht. Deswegen halte ich es für so wichtig, dass wir hier offen darüber debattieren. Selbstverständlich liegt es auch mir nahe, die Debatte um die Leitkultur aufzugreifen, weil ich denke, dass die CDU damit etwas getan hat, dessen Tragweite sie nicht überblickt hat. Oder wussten Sie, dass schon 1928 ein Abgeordneter des Reichstages der Partei des Zentrums von dem Begriff der „Leit-Cultur“ gesprochen hat? Wussten Sie, dass Thomas Mann 1928 darauf geantwortet hat?
(Thorsten Geißler [CDU]: Sie haben die gest- rige „FAZ“ nicht gelesen! Sie haben nur die Sonnabend-Ausgabe gelesen! Das ist gestern richtig gestellt worden!)
- Man kann das heutzutage nachlesen. Ich habe hier einen Text, aus dem ich am liebsten zitiert hätte. Auf jeden Fall wollte ich aus diesem Text nichts herausgreifen, weil sich Thomas Mann nicht zitieren, sondern nur vorlesen lässt.
Der Bezirksleiter der IG Metall, Herr Teichmüller, hat es in der letzten Woche auf der Demonstration in Kiel sehr treffend ausgedrückt:
„Es sind die Onkel Herberts am Kaffeetisch, die wir reden lassen, um Ärger zu vermeiden. Und die, die nur reden, können damit andere anstiften, zu Baseballschlägern zu greifen, weil sie sich unterstützt und gerechtfertigt glauben.“
Das, was sich in solchen Menschen abspielt, lässt sich nicht mit der Anwendung von Strafrecht oder anderen Gesetzen beeinflussen. Der Ignoranz kann nur durch ständige Aufklärung und Richtigstellung entgegengewirkt werden. Ich erwarte an diesem Punkt auch die Zivilcourage der Politikerinnen und Politiker, das heißt von uns, dass von uns in jeder Wahlkampfbude, beim Stammtisch des Ortsvereins klargestellt wird, dass unser Wohlstand auch auf der Zuwanderung der so genannten Gastarbeiter beruht,
dass wir Zuwanderung schon aus nackten wirtschaftlichen Gründen brauchen, auch wenn wir uns vielleicht deutlich von denen abgrenzen, die potenzielle Wähler sein könnten.
Ich empfehle Ihnen auch an dieser Stelle, das Buch der Politikerin Rita Süssmuth „Wer nicht kämpft, hat schon verloren“ einmal nachzulesen. Dann werden Sie feststellen, dass es auch in der CDU Stimmen gibt, die keineswegs nur aus wirtschaftlichen Gründen auf Ausländer setzen, sondern die sehr wohl wissen, dass deutsche Kultur von Beethoven bis Hindemith auf Einflüssen von Orient und Okzident beruht, die keineswegs nur deutsch sind, wenn man Deutsch nicht sogar als den Schmelztigel in Europa bezeichnen will. Es ist also immer ein Mix aus verschiedenen Kulturen. Daraus hat meine Partei das utopische Ideal der multikulturellen Gesellschaft gemacht.
Ob das möglicherweise über das Ziel hinausschießt und damit mehr Ängste auslöst, als es hilft, will ich an dieser Stelle gern infrage stellen. Ich glaube nämlich, dass es darum geht, dass wir solche Begriffe selber infrage stellen, das aber auch gegenseitig zulassen können.
der wagt, die Dinge beim Namen zu nennen. Natürlich muss man, wenn man den Begriff deutsche Leitkultur verwendet, mit an Ausschwitz denken. Anders kann es überhaupt nicht gehen. Die deutsche Geschichte gehört
Vor einigen Wochen hat meine Fraktion Fachleiter aus den Bereichen der Polizei, des Verfassungsschutzes, der Soziologie und andere Fachleute zu einem Gespräch über Rechtsextremismus eingeladen. Dabei wurde eines wieder sehr deutlich: Die demokratische Überzeugung, die Achtung anderer, die Fähigkeit, Konflikte auch ohne Gewalt auszutragen, wird in der Kindheit geprägt. Anders gesagt: Prävention fängt im Kindesalter an.
Daher liegt in der Kinder- und Jugendförderung der Schwerpunkt unserer Finanzpolitik. Ich will hier keine Haushaltsdebatte führen, wie Sie das vorhin offensichtlich betrieben haben. Dazu gehört selbstverständlich die Sicherung einer vernünftigen pädagogischen Betreuung in den Kindergärten. Nur so viel zu diesen Bereichen!
Aus einem anderen Punkt auf die Antwort auf die Große Anfrage ist mir eines klar geworden. Wir müssen den rechtsextremen Internetseiten etwas entgegensetzen. Verhindern werden wir sie nicht können. Daher müssen die demokratischen Kräfte im Internet ebenso massiv mit ansprechenden jugendgerechten Angeboten präsent sein. Eine solche Schwerpunktsetzung in der Arbeit der Landeszentrale für politische Bildung würde ich mir jedenfalls sehr wünschen. Aber ich begrüße auch die Initiativen von Providern, die bestimmte gewalttätige und zu Gewalt anstiftende Botschaften und Inhalte nicht weiter übermitteln und damit natürlich auch auf ein Stück der Möglichkeiten, sich zu verbreiten, verzichten.
Ich kann es mir in diesem Zusammenhang nicht verkneifen, auf die aktuelle Debatte einzugehen. Ich habe dazu schon einiges gesagt. Ich möchte Ihnen an dieser Stelle noch einmal Zitate von Rita Süssmuth aus ihrem schon erwähnten Buch zumuten. Das eine Zitat bezieht sich auf den Begriff „Integration“:
„Das ist das verpflichtende Wort für Demokraten, für alle, die eine soziale Leistungsgesellschaft, eine offene Bürgergesellschaft suchen und wollen.“
„Ein Kriterium, von dem es mit abhängt, ob das Modell einer Bürgergesellschaft erfolgreich sein kann, wird sein, welchen goldenen Mittelweg wir zwischen Integration und dem Zulassen von Anderssein, dem Zulassen einer
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die vorliegende Große Anfrage wird von der antragstellenden Fraktion bewusst in die Tradition früherer Berichte und Anfragen gestellt; nicht zuletzt sei hierbei an die Große Anfrage der SPD aus dem Jahre 1989 gedacht. Diesem Anspruch wird die Antwort der Landesregierung aber nicht gerecht.
Während die Anfrage von 1989 programmatischen Charakter hatte und somit eine neue Ära in der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Schleswig-Holstein einläutete, wirkt die Antwort auf die Große Anfrage vom Ergebnis her eher blutarm. Ich hätte mir also etwas mehr Engagement gewünscht, so zum Beispiel in der Beantwortung der ersten Fragen, die sich auf die historischen Perspektiven beziehen. Ich hebe diesen Punkt bewusst hervor, weil ich finde, dass es uns gut zu Gesicht steht, nicht zu vergessen, was Menschen nicht nur die Profis, sondern auch ganz viele Amateure - nach 1989 geleistet haben. Unter dem Motto „Grabe, wo du stehst“ haben sie die immer noch verschüttete Nazigeschichte Schleswig-Holsteins auszugraben begonnen.
Es mag sein, dass der Landesregierung keine neuen Erkenntnisse hinsichtlich der historischen Wurzeln des Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein bekannt sind; es wäre aber wünschenswert gewesen, dass sie die Chance genutzt hätte, ausführlicher darauf einzugehen, welches denn die Erkenntnisse sind.