Protocol of the Session on October 19, 2000

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

Frau Ministerin, wie sonst kommen Sie zu der Aussage, das Gutachten werde seine durchschlagende Wir

kung in der Struktur der schleswig-holsteinischen Krankenhauslandschaft mit Sicherheit auch weiterhin entfalten? Sehr geehrte Frau Ministerin, können Sie mir erklären, welche durchschlagenden Veränderungen in der Struktur der Häuser das Gutachten bislang ausgelöst hat? - Durchschlagend waren bislang doch vor allem sowohl der Protest und der Widerstand gegen die vom Gutachter abgegebenen Empfehlungen zum Bettenabbau als auch die massive Kritik an der wissenschaftlichen Vorgehensweise.

Ich will hier überhaupt nicht darauf eingehen, wie berechtigt oder unberechtigt oder von welcher Qualität im Einzelfall die Kritik gewesen sein mag. Ich stelle nur fest, dass die am 17. Oktober um 18:32 Uhr übermittelten Unterlagen zu den Ergebnissen der Regionalkonferenzen vor allem die Kritiker des Gutachtens kritisieren. Da ist die Rede davon, dass sich Chefärzte von Erbhöfen verabschieden müssten, da ist immer wieder die Rede davon, dass dieser oder jener Aspekt in der öffentlichen Diskussion zu kurz gekommen, falsch dargestellt worden oder wenig hilfreich gewesen sei.

Für mich ist dieses Papier kein Bericht über die Ergebnisse der Regionalkonferenzen, sondern ein sechsseitiger Rechtfertigungsversuch des Ministeriums,

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

der Versuch einer Abrechnung auch mit denjenigen, die immer wieder kritisch nachgefragt haben, die die behauptete Prozessdynamik infrage gestellt haben. Frau Ministerin, das ändert aber nichts daran, dass Sie heute die Antwort schuldig bleiben, warum Sie in nicht unerheblichem Umfang den Empfehlungen des Gutachters eben gerade nicht folgen. Sie müssen erklären, was noch übrig geblieben ist von Ihrer ursprünglichen Euphorie.

(Zurufe von der CDU: So ist es!)

Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass Sie sich am liebsten still und heimlich zumindest von einem großen Teil des Gutachtens verabschieden würden und auf keinen Fall daran erinnert werden möchten, dass Sie noch vor einem halben Jahr jede Kritik am Gutachten, am methodischen Ansatz oder an der wissenschaftlichen Vorgehensweise barsch zurückgewiesen haben.

(Beifall bei F.D.P. und CDU - Klaus Schlie [CDU]: Man lernt dazu!)

Am 6. Oktober dieses Jahres haben der Kollege Dr. Klug und ich davor gewarnt, durch eine Halbierung der Kieler Uniklinik für Orthopädie die geplante Schaffung eines Zentrums für traumatologische und orthopädische Chirurgie zu gefährden. Prompt kontert das Ministerium, es sei schön, dass nun auch

(Dr. Heiner Garg)

endlich die F.D.P. die Wichtigkeit dieses Projektes erkannt habe. Ich frage Sie, Frau Ministerin, ganz ernsthaft: Was soll diese Reaktion? Ist es denn jetzt bereits Majestätsbeleidigung, wenn die Opposition der Auffassung ist, dass hier eine Fehlentscheidung getroffen werden könnte, und davor warnt? Frau Moser, wie auch immer Sie diese Kritik empfunden haben mögen, Sie bleiben die Antwort auf die Frage schuldig, ob und wenn ja, wie Sie sich die Realisierung dieses Projektes nach erfolgter Halbierung vorstellen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Frau Ministerin, nach Ihren heutigen mündlichen Ausführungen wiederhole ich mein Angebot: Ich bin gern bereit, bis zur nächsten Sozialausschusssitzung jedenfalls mein Exemplar wieder unter dem Kopfkissen hervorzuholen und mit Ihnen beispielsweise die in Anlage 1 dargestellten Planungskriterien zu erörtern. Die uns übermittelten Unterlagen - Herr Kollege Kalinka sprach von 18 Seiten - waren für mich allerdings keine Grundlage für die heutige Debatte über die Ergebnisse der Krankenhausplanung.

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Birk das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemand will länger im Krankenhaus liegen als unbedingt nötig.

(Beifall des Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU])

Schleswig-Holstein hat deshalb auf Wunsch eines wegweisenden Landtagsbeschlusses der letzten Legislaturperiode als erstes Bundesland seine Krankenhausrahmenplanung auf die Methode von Fallpauschalen - auf Neudeutsch auch DRGs genannt - im stationären Bereich abgestellt. Das ist gut so.

Die neuen Zahlen des Rüschmann-Gutachtens waren zuerst ein Schock, aber ein heilsamer. Eine Reihe von Kooperationen unter Krankenhäusern sind die Folge. Wir wünschen uns allerdings für die Zukunft, dass die Informationspolitik bei der Erstveröffentlichung von Zahlen gelassener und auch für das Parlament frühzeitig erfolgt - auch wenn wir nur Anhörungsrechte haben.

Auch sollte die Schocktherapie keine Dauerbehandlung werden, der Effekt nutzt sich bekanntlich ab und es gibt inzwischen weniger invasive Methoden, wie uns gerade die moderne Chirurgie lehrt.

In Regionalkonferenzen und vielen Einzelverhandlungen hat die Ministerin nach der Veröffentlichung

des Gutachtens den Prozess dialogisch angelegt. Anders als die Opposition werte ich es nicht als Versagen, sondern als Erfolg dieses Prozesses, dass der nun vorliegende Entwurf der Ministerin auf viele Vorschläge und Bedenken eingegangen ist.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Wie notwendig ein Controlling in der Sache ist, zeigen schon die neuesten Daten. Im September 2000 zeigt das Ist - auch wenn es um die Differenz der nicht in die Analyse einbezogenen Betten bereinigt ist - nach Auskunft des Ministeriums 500 bis 600 Betten mehr als 1998. Genau diese Zahl von Betten will die Ministerin bis 2003 reduzieren. Das ist der richtige Ansatz. Es geht tatsächlich um die Abschaffung von Erbhöfen, Herr Garg, und das ist eine Strukturreform. Ich hoffe, wir werden sie bald erleben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

2003 soll dann die erste Zwischenfortschreibung erfolgen. Das ist ebenfalls zu begrüßen, denn bei einer neuen Methode gibt es immer Anlaufschwierigkeiten und die kann man nicht erst in fünf Jahren bereinigen.

(Zuruf des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

Skepsis melden wir allerdings bei dem Slogan an: „Kein Krankenhaus muss geschlossen werden.“ Nach den Zahlen und ersten Rückmeldungen, die uns vorliegen, könnte es tatsächlich sein, dass auch kleinere Kliniken mittelfristig vor dem Aus stehen. Wir werden also die Kriterien für Trägerpräferenzen genau prüfen. Wir haben ja noch ein wenig Zeit zu beobachten, wie der Prozess weitergeht. Das werden wir auch kommentieren. Allerdings entscheidet in Zukunft mehr der Markt und nicht die Ministerin.

(Beifall der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD])

Das ist politisch so gewollt und das muss man dann auch als Krankenhaus so sehen.

Ich komme noch auf einen anderen Aspekt zu sprechen, nämlich auf Lübeck. Hier ist noch am meisten unklar. Ich begrüße den Mut der Ministerin, erstmals für die Herzchirurgie der Medizinischen Uni Lübeck Begrenzungen auszusprechen und eine Kooperation mit Segeberg zu empfehlen. Das haben wir früh gefordert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Konrad Nabel [SPD] und Jutta Schümann [SPD])

(Angelika Birk)

Ich finde es auch gut, dass die Suchttherapie erhalten bleibt. Aber insgesamt ist Lübeck ein Beispiel dafür, wie viel in der psychosomatischen und geriatrischen Versorgung noch im Fluss ist. Hier ist der heiße Kampf um Trägerschaften noch nicht beendet. Und ich denke, auch hier haben wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier das Recht auf Transparenz von Entscheidungskriterien, sofern das Ministerium mit den Kostenträgern entscheidet und nicht den Markt arbeiten lässt.

Das gilt auch für das Thema der Abstimmung zwischen den Kliniken Heiligenhafen und Kiel. Hier ist natürlich - denke ich -, abgesehen von der Frage, welches die beste dezentrale psychiatrische Versorgung ist, die Frage des Standortes Ostholstein zu prüfen. Dazu wünsche ich mir auch Anregungen von der angekündigten Studie der Ministerpräsidentin zum Gesundheits- und Bäderstandort. Wir können diesen Standort Ostholstein nicht einfach im Stich lassen.

Noch ein paar grundsätzliche Fragen zur Methodik! Die Krankenhäuser sollen sich mehr vernetzen und die ambulante Versorgung soll besser mit den stationären Leistungen verzahnt werden. Dort, wo Betten abgebaut werden, sollen andere Leistungen entstehen. Das bedeutet Dreierlei.

Erstens: Innerhalb der Krankenhäuser muss bei der Festlegung der Fallpauschalen die Pflege eine viel größere Rolle spielen. Deshalb hat die Bundesgesundheitsministerin auch die Pflegeverbände für die Umsetzung der neuen DRGs an den Tisch geholt. Könnten wir das nicht auch auf Landesebene tun?

Zweitens: Wir brauchen auch einen Blick auf das, was sich außerhalb der stationären Versorgung abspielt. Dafür hat die Ministerin aber gar keine Befugnisse. Wir können also gar nicht wissen, was sich außerhalb der Krankenhäuser und rund ums Krankenhaus aufbaut. Ich glaube nicht, dass das der Markt allein gut regelt. Deshalb brauchen wir modellhaft integrierte Versorgungsnetze. Die ÖTV hat zum Beispiel in ihrer langen Stellungnahme dazu Vorschläge gemacht. Ich finde das bedenkenswert. Wir müssen modellhaft etwas aufbauen, um Wege zu weisen.

Drittens brauchen wir mehr Patientenrechtsberatungsstellen. In Hamburg hat die Patientenrechtsberatungsstelle wegweisend viele Krankenhausskandale aufgedeckt und für die Patienten Prozesse gewonnen. Das war auch ein Anlass zur Strukturbereinigung der Hamburger Krankenhauslandschaft.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

So etwas brauchen wir auch hier in SchleswigHolstein.

Also unsere drei Vorschläge: Mehr auf die Pflegefachleute hören, modellhaft integrierte Angebote rund ums Krankenhaus schaffen und die Patientenrechte stärken! Ich hoffe, dass wir im Jahre 2003, wenn wir das Thema hier wieder diskutieren, die ersten Fakten haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Hinrichsen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin noch immer enttäuscht davon, wie manche Kollegen mit dem Rüschmann-Gutachten und dem übrigen Planungsprozess umgegangen sind. Im ersten Akt wird medienwirksam ein riesiger populistischer Aufschrei produziert. Es wird behauptet, das Gutachten würde zum Kahlschlag in der schleswig-holsteinischen Krankenhausversorgung führen. Im zweiten Akt wird die Ministerin aufgefordert, den Gutachter aus der Schusslinie zu nehmen, die Ministerin müsse sich endlich zu ihrer Reform bekennen. Im dritten Akt dann die dramatische Wende: Es zeichnet sich eine Kompromisslösung ab, mit der die Kritiker eigentlich leben können müssten. Diese prügeln aber lieber auf die angeblich gescheiterte Ministerin ein, statt sich zu freuen.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der SPD)

Es scheint fast, als wäre man enttäuscht, dass einem das Feindbild abhanden gekommen ist.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und heute erleben wir, dass der Kollege Kalinka von einer Pressemitteilung die Überschrift zitiert, den Rest aber nicht gelesen hat. Denn in der Pressemitteilung der VdAK ist eindeutig davon die Rede, dass die Krankenkassen deshalb die Beitragszahler als Verlierer ansehen, weil das Rüschmann-Gutachten nicht umgesetzt wird. Das ist genau das, was Sie vielleicht überlesen haben. Das wundert mich etwas. Sie sind ein derartiger Gegner des Gutachtens, es wundert mich, dass Sie jetzt hier einfach irgendwelche Überschriften zitieren.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])