Protocol of the Session on May 27, 2004

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Kernkraft birgt zwei große Probleme: erstens das Risiko unkontrollierter radioaktiver Strahlung und zweitens die unbeantwortete Frage: Wohin mit dem atomaren Müll?

Das erste Problem haben wir in deutschen Kernkraftwerken sehr gut im Griff. Das zweite Problem hat noch niemand gelöst. Diese Bundesregierung wird es auch nicht schaffen.

Denn die hierfür entscheidenden Mitglieder der Bundesregierung sind gegen den einzigen Standort, von dem wir bereits wissen, dass er die bisherigen Kriterien für ein mögliches Endlager für atomaren Müll wahrscheinlich erfüllt: Gorleben.

Das eine hierfür entscheidende Mitglied der Bundesregierung ist Jürgen Trittin aus Niedersachsen, Bundesminister für Reaktorsicherheit. Er hat einen großen Teil seiner politischen Laufbahn mit dem Kampf gegen die Kernkraft und besonders gegen ein Endlager in Gorleben verbracht. Solange er am Hebel sitzt, passiert in Gorleben gar nichts, völlig unabhängig von wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Das zweite, noch entscheidendere Mitglied der Bundesregierung kommt auch aus Niedersachsen und will in seinem Bundesland auch kein atomares Endlager. Schließlich hat der Bundeskanzler es schon als niedersächsischer Ministerpräsident abgelehnt.

(Christel Aschmoneit-Lücke)

Deshalb ist auch niemand in der Bundesregierung dagegen, dass in Gorleben bis auf weiteres nicht geforscht wird. So einfach kann Politik sein!

Weil die Bundesregierung aber nicht den berechtigten Eindruck verstärken möchte, sie täte nichts, griff sie auf ein bewährtes Mittel zurück: Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis. Der hat den Auftrag, Deutschland in den nächsten Jahrzehnten nach möglichen Endlagern abzusuchen, mindestens so lange, bis Schröder und Trittin auf keinen Fall mehr verantwortlich gemacht werden, wenn das Endlager doch in Gorleben gebaut werden sollte.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU - Zurufe)

So drückt man sich vor unangenehmen politischen Entscheidungen - und das beherrscht diese Bundesregierung meisterlich.

Sie sehen, beim Thema Endlager spielt die Frage der Endlagerung nicht die Hauptrolle. Politisch am wichtigsten ist es, keine unangenehmen Entscheidungen über kerntechnische Anlagen treffen zu müssen. Denn die Genehmigung solcher Anlagen ist das sicherste Mittel, bei der nächsten Wahl Stimmen zu verlieren - noch vor Subventionskürzungen oder Kürzungen im Sozialbudget.

Deshalb managt unser politisches System die Frage des Endlagers nach dem Prinzip „Management by Pingpong“: Das Problem wird so lange hin und her gespielt, bis es sich von selbst löst oder bis man nicht mehr an der Regierung ist. So einfach kann Politik sein!

Wäre es anders, gäbe es wahrscheinlich längst ein Endlager, wenigstens ein vorläufiges.

(Zurufe von der SPD)

Beim atomaren Müll hat das System Pingpong nur einen Nachteil - das ist viel ernster, als Sie sich das offensichtlich vorstellen, liebe Kolleginnen und Kollegen - : Das Problem löst sich nicht von allein, jedenfalls nicht in den nächsten paar zehntausend Legislaturperioden. - Ich finde es erstaunlich, dass Sie darüber lachen, Herr Nabel.

Unabhängig davon, ob man die Kernkraft für eine saubere, beherrschbare Energietechnik mit großen Vorteilen bezüglich der Vermeidung von Treibhausgasen hält oder ob man die Kernenergie für die gefährlichste Technik hält, die die Menschheit bis jetzt erfunden hat - am Problem des Endlagers kommt keiner vorbei.

(Beifall)

Bis jetzt hat es auch niemand gelöst. So forscht man in den USA zum Beispiel an einer Symbolsprache, die Archäologen in 250.000 Jahren vermutlich noch entziffern könnten. Denn auch dann sollte niemand ein atomares Endlager einfach öffnen. Es wird immer noch lebensgefährlich sein.

Einige Philosophen sind der Meinung, die einzige Chance, das Wissen um die Orte und die Gefährlichkeit der Endlager über lange Zeiten zu gewährleisten, sei ein Priesterorden, denn religiöse Organisationen haben in der bisherigen Kulturgeschichte der Menschheit die längste Lebensdauer. Diese Kulturgeschichte ist übrigens erst zehntausend Jahre alt und wir brauchen nach derzeitigem Wissensstand ein Konzept für die nächsten paar Hunderttausend Jahre.

(Beifall)

Selbstverständlich kann niemand ausschließen, dass in den nächsten hundert Jahren ein einfaches und sicheres Verfahren für den Umgang mit atomarem Müll gefunden wird. Aber darauf zu hoffen, ist keine überlegene Strategie.

(Günter Neugebauer [SPD]: Sind Sie nun für oder gegen Kernenergie?)

- Hören Sie bitte zu, Herr Neugebauer, dann werden Sie es gleich hören. - Der ältere Moltke wusste für solche strategischen Probleme einen besseren Rat: Von den realistischen Möglichkeiten wähle die nachteiligste und bereite dich darauf vor. Neudeutsch heißt das Worst-case-Szenario.

Bezüglich des atomaren Endlagers ist das Worst-case-Szenario, dass den Wissenschaftlern nichts Besseres einfällt, als den Müll einzuschweißen, tief zu vergraben, die Tür zuzumauern und Warnhinweise an die Tür zu nageln.

Wie viel näher bringt uns die Antwort der Landesregierung der Lösung des Problems? - Gar nicht. War es zu erwarten? - Nein.

Dafür gibt es drei Gründe: erstens die Fragen. Zum Beispiel: Kennt die Landesregierung die einschlägigen Berichte und, wenn ja, was steht da drin?

Eine Regierung, die sich diese Kenntnis nicht spätestens nach Eingang der Großen Anfrage aneignete, wäre mit dem Klammerbeutel gepudert. Dankbarere Fragen als die Aufforderung, offizielle Berichte nachzuerzählen, kann eine Regierung noch nicht einmal von der eigenen Mehrheit verlangen.

(Beifall bei der FDP)

Der zweite Grund, warum die Antwort der Landesregierung uns der Lösung des Problems nicht weiter

(Christel Aschmoneit-Lücke)

bringt, ist die Zuständigkeit. Die Landesregierung ist für die Suche und die Entscheidung über ein Endlager nicht zuständig.

(Beifall der Abgeordneten Günter Neuge- bauer [SPD], Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie wird daher den Teufel tun, sich auf irgendetwas festzulegen, was ihr nachteilig ausgelegt werden könnte, besonders, weil die zuständige Bundesregierung das Problem in eine jahrzehntelange politische Warteschleife geschoben hat.

Daraus ergibt sich der dritte Grund: Es gibt für die Landesregierung keinen dringenden politischen Handlungsdruck. Die Entscheidung über ein Endlager ist in den nächsten zehn Jahren nicht zu erwarten. Warum sollte sich die Landesregierung diesen Klotz zehn Monate vor einer schwierigen Landtagswahl ans Bein zu binden?

Nicht, dass ich das alles begrüßen würde, aber ich würde auch keinen Landtagswahlkampf mit der Forderung bestreiten wollen, im eigenen Land ein atomares Endlager aufbauen zu wollen. Während meiner Zeit als Politikerin ist mir bis jetzt nur ein Fall begegnet, wo sich jemand vorstellen konnte, Atommüll möglicherweise in Schleswig-Holstein endgültig zu lagern - unter dem Wattenmeer sollte er verbuddelt werden.

Als Landesregierung würde ich mir diesen Vorschlag eines politischen Konkurrenten sehnlichst als Wahlkampfthema wünschen.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Spieltheoretisch betrachtet müssten die politischen Konkurrenten der Landesregierung genau dieses Thema also tunlichst vermeiden. Ob Große Anfragen dazu der richtige Weg sind - dessen bin ich mir nicht sicher.

Sei es, wie es sei. Auch ich habe selbstverständlich keine Lösung für die Frage des atomaren Endlagers. Ich halte es allerdings für falsch, dass die Bundesregierung die Forschung in Gorleben eingestellt hat. Denn wenn sich Gorleben nicht als endgültiges Lager eignen sollte, so deuten die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse doch darauf hin, dass sich Gorleben als Zwischenlager für mehrere Jahrzehnte eignet und auf jeden Fall besser als die Standortzwischenlager an den Kernkraftwerken.

Angesichts der zu erwartenden Mindestlagerzeit des Mülls sind ein paar Jahrzehnte selbstverständlich

nicht viel, aber es ist viel Zeit, um bessere Plätze und/oder technische Verfahren zu suchen und zu finden.

Vielleicht täuschen wir uns mit dem Begriff „Endlager“ alle selbst. Denn damit suggerieren wir uns und den Menschen, wir wollten und könnten eine unterirdische Deponie für atomaren Müll bauen die mehrere Hunderttausend Jahre dichthält. Das ist wahrscheinlich eine abwegige Vorstellung. Ich glaube, es ist viel wahrscheinlicher, dass es für die restliche Lagerzeit des atomaren Mülls niemals ein Endlager, sondern immer nur Zwischenlager geben wird.

Vielleicht würde diese Einsicht es ja auch uns Politikerinnen und Politikern einfacher machen, dieses Thema nicht immer nur in die nächste Legislaturperiode zu verschieben, sondern verantwortungsvoller damit umzugehen.

(Beifall bei FDP, SPD und CDU)

Aber selbst dann werden die Niedersachsen Schröder und Trittin während ihrer Regierungszeit keine atomare Müllhalde in Niedersachsen beschließen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Matthiessen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! In den Grundannahmen des Arbeitskreises Endlager - AkEnd - der Bundesregierung wird ein Isolationszeitraum von 1 Million Jahren für erforderlich gehalten. Wie kommt es zu dieser Annahme?

Zunächst möchte ich an dieser Stelle allerdings der Landesregierung und den Mitarbeitern der Verwaltung für den sauber abgearbeiteten Bericht in Beantwortung der Großen Anfrage danken. Er ist gut lesbar, enthält alle wichtigen Informationen und unterstreicht einmal mehr das hohe Niveau der Reaktoraufsicht hier in Schleswig-Holstein. Ich empfehle allen Kolleginnen und Kollegen, sich diesen Bericht einmal zu Gemüte zu führen. Der Bericht führt uns sehr deutlich vor Augen, was wir mit dem Atomprogramm angerichtet haben. Darum sollten ihn alle lesen. Er ist auch öffentlich zugänglich.

Ein Isolationszeitraum von 1 Million Jahren - wie kommt es zu dieser Annahme? Das hat im Wesentlichen physikalische Gründe. Plutonium kommt in der Natur nur in sehr geringen Mengen in Uranerzen vor. Das silberweiße Metall gehört zu den Transuranen

(Detlef Matthiessen)