Protocol of the Session on April 30, 2004

Herr Kubicki, Sie haben unbestritten eine wunderbar rhetorische Rede gehalten. Wer sich aber hier hinstellt, eine wunderbar rhetorische Rede hält und sagt, dass alles Mist ist, aber nicht in der Lage ist - -

(Anhaltende Zurufe von der FDP)

- Halten Sie bitte Ihren Mund! Sie sind nicht dran! - Wer nicht in der Lage ist, auch nur einen Vorschlag zu machen, wie das Problem gelöst werden kann, über das wir reden, der hat wirklich nicht das Recht, sich hier so aufzuspielen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD - Wolfgang Kubicki [FDP]: Kön- nen Sie mir einmal erklären, warum Herr Müller mit der Ausbildung aufgehört hat?)

- Herr Kubicki, wir wissen, dass es in allen Parteien unterschiedliche Meinungen dazu gibt. Ich habe auch meine Zweifel, ob dies die richtige Methode ist.

(Veronika Kolb [FDP]: Hört, hört!)

Ich glaube aber, dass wir uns entscheiden müssen: Wollen wir weitermachen wie bisher, das heißt, wollen wir weiterhin sagen, dass das Ganze eine rein freiwillige Angelegenheit sei? Immer mehr Betriebe verabschieden sich aus der Ausbildung. Immer mehr staatliche Ausbildungsgänge müssen aufgebaut werden. Immer mehr Reserve- und Kreisläufe müssen an den Berufsschulen aufgebaut werden. Immer mehr vorbereitende Maßnahmen müssen eingeführt werden.

Wenn wir diesen Weg weitergehen, dann landen wir da, wo andere Industriestaaten auch gelandet sind: Wir verstaatlichen das berufliche Ausbildungssystem. Das haben mittlerweile alle OECD-Staaten getan; das muss man zugeben. In fast allen anderen Ländern gibt es staatliche Ausbildungssysteme und die betriebliche Ausbildung besteht nur noch aus Praktika. Wenn Sie das wollen, dann sagen Sie das bitte auch. Wenn wir aber meinen, dass das, was bisher die Qualität der deutschen Ausbildung ausmacht, nämlich das duale Ausbildungssystem, im Rahmen dessen die jungen Leuten in die Betriebe kommen und dort ausgebildet werden, dort zum erwachsenen Menschen heranreifen - das ist etwas, was für die Persönlichkeitsentwicklung sehr wichtig ist, wie alle, sowohl die Berufsschullehrer als auch die Ausbilder in den Betrieben, die in diesem Prozess stecken, sagen -, fortgeführt und weiterentwickelt werden soll, dann müssen wir etwas dafür tun. Dann können wir die Augen nicht verschließen und sagen, die vorgebrachten Vor

schläge sind einfach schlecht, ohne dass Alternativen vorgebracht werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich weiß durchaus, dass nicht alle Auszubildenden ausbildungsreif sind. Aber es ist schon ein seltsamer Zustand, wenn wir feststellen, dass von Jahr zu Jahr weniger Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen, und das als Begründung dafür heranziehen, dass von Jahr zu Jahr offensichtlich immer weniger Jugendliche ausbildungsreif sind. In der Tat müssen wir im Schulsystem radikale Veränderungen vornehmen. Das ist meine Überzeugung. Dazu haben wir ein Konzept vorgelegt. Gerade von den Christdemokraten werden Änderungen im Schulsystem zurzeit mit der Fahne des heiligen Gymnasiums blockiert. Das muss man hier einmal deutlich sagen. Alle im OECD-Vergleich erfolgreichen Länder haben ein einheitliches Schulsystem von neun Jahren bis zum 15. Lebensjahr. Alle Länder, die in Bezug auf das Schulsystem erfolgreich sind und im vorderen Drittel liegen, haben ein einheitliches Schulsystem bis zum 15. Lebensjahr.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Sie aber sagen, ein solches Schulsystem sei des Teufels. Das ist doch Ihre Behauptung. Das aber ist die Einführung von Sozialismus.

(Werner Kalinka [CDU]: Wer hier wohl der Teufel ist?)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Strauß?

Nein. Das wird ja auf meine Zeit angerechnet. Ich habe immer schon gesagt, dass ich das einmal geändert haben möchte.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass alle Arbeitgeber mit mehr als zehn sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten, die unterhalb der gesetzlich festgelegten Ausbildungsquote ausgebildet haben, zur Leistung einer Ausbildungsplatzabgabe herangezogen werden. Ich glaube, es ist richtig - es sind zum Teil entsprechende Hinweise von der Opposition gekommen -, dass dann, wenn ein solches Gesetz kommt, auf jeden Fall alle Formen der Ausbildung, also nicht nur die

(Karl-Martin Hentschel)

berufliche, sondern auch die Beamtenausbildung und Ähnliches, angerechnet werden müssen.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Günter Neugebauer [SPD])

Dazu gehören auch Praktika von Akademikern, die Durchführung von Diplomarbeiten von Akademikern in Betrieben und so weiter. Ich habe diese verschiedenen Dinge jahrelang gemacht und glaube, dass man zu einer Anerkennung aller beruflichen Ausbildungsleistungen kommen muss, wenn man das Ganze gerecht gestalten will; denn wir haben zum Beispiel Hightech-Betriebe, in denen überwiegend Leute sind, die von der Hochschule kommen. Das heißt, es muss dann berücksichtigt werden, inwieweit sie mit Praktika, Trainee-Jahren und Ähnlichem Ausbildung leisten. Es muss da zu einer Gleichberechtigung kommen.

(Beifall der Abgeordneten Lars Harms [SSW] und Günter Neugebauer [SPD])

Ich glaube auch, es ist richtig, Regionen, die genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen, von der Abgabe auszunehmen. Das ist genau der Anreiz, den wir schaffen wollen. Wir wollen nicht, dass die Ausbildungsplatzabgabe kommt. Aber wir wollen, dass es genügend Ausbildungsplätze gibt. Wenn das regional gemacht und in jedem Arbeitsamts- oder Kammerbezirk geschaut würde, ob die zu einer Industrie- und Handelskammer beziehungsweise Handwerkskammer jeweils gehörenden Betriebe genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen, dann wird die Abgabe, wenn sie das schaffen - in Schleswig-Holstein ist das geschafft worden -, in diesem Bereich nicht eingeführt. Wenn es in einem Bezirk nicht geschafft wird, dann wird sie dort eingeführt. Ich halte eine solche regionale Lösung für das beste Anreizsystem, auch was die Gestaltung des Wettbewerbs der Regionen angeht. Die FDP ist ja immer für Wettbewerb. Dadurch werden auch die Arbeitgeber für ihre Anstrengungen belohnt, die sie unternommen haben, um genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.

(Beifall des Abgeordneten Detlef Matthies- sen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deswegen finde ich das Modell des Ministers Rohwer ausgesprochen intelligent. Ich schlage vor, dieses Modell in den Bundesrat einzubringen. Es war der Wille meiner Fraktion, dieses Modell zur Einbringung in den Bundestag vorzuschlagen. Aber Sie wissen ja: Hätten wir das vorgeschlagen, dann hätte die Sache von den Ländern im Bundesrat blockiert wer

den können. So ist leider nun einmal unser Föderalismus. Das wollen wir ja nun ändern.

Zwar kann der Gesetzentwurf mit der Regionalisierungsklausel nicht eingebracht werden, aber es besteht vonseiten der Länder die Möglichkeit, diese Regionalisierungsklausel einzubringen. Das wäre eine gute Sache. Ich schlage vor, dass Schleswig-Holstein dann, wenn der Gesetzentwurf im Bundesrat behandelt wird, eine Regionalisierungsklausel einbringt, so wie sie hier vorgeschlagen wird. Dann können sich die CDU- und FDP-Länder entscheiden, ob sie dem zustimmen, ob sie eine Regionalisierung wollen oder ob sie eine pauschale Regelung für ganz Deutschland wollen. Dann müssen sie Farbe bekennen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Kein Problem!)

Ich bin gespannt darauf, wie Sie sich dann entscheiden werden.

Ich komme zum Schluss. Das Angebot zur Regionalisierung ist ein Angebot an die schleswigholsteinischen Unternehmen, die sich sehr engagiert haben. Ich bedanke mich ausdrücklich bei allen in den Kammern, in den Berufsschulen und in den einzelnen Betrieben, die sich in den letzten Jahren intensiv dafür eingesetzt haben, dass es in SchleswigHolstein mehr Ausbildungsplätze gibt, dass wir die Nummer eins sind. Ich weise die gesamten Vorwürfe der Opposition, dass es nicht genügend Engagement in Schleswig-Holstein gebe, zurück. Die Zahlen beweisen genau das Gegenteil. Ich werde mich dafür einsetzen, dass in Zukunft auf diesem Weg weitergegangen wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich sollte die Debatte um eine staatliche Ausbildungsplatzabgabe nur eine Geisterdebatte sein. Eigentlich sollte hierdurch nur Druck gegenüber den Arbeitgebern erzeugt werden, sich ihrer Verantwortung in Bezug auf Ausbildungsplätze zu stellen. Eigentlich sollten die Gewerkschaften nur ein bisschen ruhig gestellt werden. Eigentlich sollte nur ein wenig Aktionismus der Bundesregierung gezeigt werden, ohne dass man wirklich gesetzgeberisch tätig werden wollte. Eigentlich sollte alles so sein wie immer: Es wird auf der einen Seite gedroht, auf der anderen Seite beruhigt und dann wird sich hoffentlich

(Lars Harms)

schon etwas bewegen im Lande des Kanzlers mit der ruhigen Hand. So war jedenfalls das Kalkül von Bundeskanzler Schröder. Er hat wahrscheinlich nicht im Entferntesten damit gerechnet, dass man sich im Laufe der Zeit nicht einigen würde und dass die gesetzliche Ausbildungsplatzabgabe dann eben nicht dorthin verschoben werden könnte, wo sie hingehört, nämlich zurück in die Schublade.

In der Annahme, man werde sich schon irgendwie rechtzeitig einigen, dachte sich der Kanzler, dass er dann vorher große Versprechungen machen könne; denn er würde sie nicht einlösen müssen und würde trotzdem klasse dabei aussehen.

Nun hat die Realität unseren Kanzler eingeholt. Die Einigung ist immer noch nicht da und das Problem mit den fehlenden Ausbildungsplätzen ist auch nicht auf eine andere Art und Weise gelöst worden. Er gerät nun in Zugzwang. Die Basis brodelt und es muss etwas geschehen. Aus der vormaligen Geisterdebatte wird nun ein reales Problem, obwohl die Mehrzahl der Fachleute sagt, dass die staatliche Ausbildungsplatzabgabe nicht zur Lösung des Problems beiträgt. Wirklich ärgerlich ist, dass wir nun wieder deutschlandweit eine Debatte bekommen haben, die ideologisch geführt wird, obwohl hier Pragmatismus angesagt wäre.

Zu allererst können wir feststellen, dass der geplante Gesetzentwurf ohnehin schon erhebliche Mängel enthält. Die Ausbildungsplatzquote, die eingehalten werden soll, soll sich auf die sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze beziehen. Für den öffentlichen Dienst bedeutet dies, dass Beschäftigte mit Beamtenstatus nicht in die Berechnungen mit einbezogen werden sollen. Das hat natürlich eine erhebliche zusätzliche Belastung für den öffentlichen Dienst zur Folge, weil die Ausbildungsquote so natürlich rechnerisch immer wieder unter dem geforderten Niveau bleiben wird, obwohl unter Einschluss der Beamten sicherlich eine wesentlich höhere Beschäftigtenquote erreicht werden würde. Ketzerisch aber könnte man sicherlich sagen, dass für die Umsetzung der Ausbildungsplatzabgabe die Bürokratie so weit ausgeweitet werden muss, dass man, unterstellt man, dass hierfür nur Angestellte im öffentlichen Dienst eingestellt werden, so dann doch näher an die geforderte Quote herankommt.

Überhaupt stellt die Ausbildungsplatzquote von 7 % an sich auch ein Problem dar. In Branchen, die florieren, wird man überdurchschnittlich viele Menschen einstellen, sodass die Ausbildungsplatzquote hier kein Problem darstellt. Ausbildungsplätze wären hier gerade notwendig und zukunftsträchtig, weil hier auch

die Chance für einen an die Ausbildung anschließenden Arbeitsplatz vorhanden wäre.

(Beifall bei der FDP)

Bei Branchen, denen es schlecht geht, sieht es genau andersherum aus. Die Anzahl der Arbeitsplätze sinkt und damit auch der Ausbildungsbedarf. Würde man hier auf die 7 % pochen, würde dies nicht nur hohe Kosten für die Unternehmen bedeuten, sondern auch dazu führen, dass hier Menschen in Berufen ausgebildet werden, die danach in ihrem Beruf keinen Arbeitsplatz finden.

Die Quote muss also auch branchenspezifisch gesehen werden.

(Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubi- cki [FDP])

Manche Branche kann eine höhere Quote vertragen und manche eben nicht. Was wir hier brauchen, ist Flexibilität. Das riecht schon förmlich nach einer tarifvertraglichen Lösung.

Aber auch die Tatsache, dass die Ausbildungsplatzabgabe ohne regionale Differenzierung eingeführt werden soll, ist nicht in Ordnung. Innerhalb von Regionen gibt es Betriebe, die die Quote nicht erfüllen können, und Betriebe, die überdurchschnittlich ausbilden. Sollte der Saldo von beiden zufrieden stellend sein und jeder seinen Ausbildungsplatz bekommen haben, so sollten die Betriebe, die nicht ausbilden konnten, nicht bestraft werden. Es wäre unter diesen Prämissen ohnehin kein Auszubildender mehr auf dem Markt gewesen, schließlich hat man ja alle untergebracht.

Der Sinn der Abgabe wäre dann wirklich nicht mehr ersichtlich. Insofern ist es sicherlich in Ordnung, wenn man fordert, bei ausgeglichener Situation als Region von der Ausbildungsplatzabgabe befreit zu werden. Allerdings müssen wir ehrlich sein und sagen, dass dies trotz der vergleichsweise guten Lage in Schleswig-Holstein eine eher theoretische Diskussion ist.

Die Ausbildungslage ist selbst in Schleswig-Holstein sowohl regional als auch branchenspezifisch so unterschiedlich und nicht immer positiv, dass uns dieser Ansatz allein nicht wirklich weiterbringt. Die regionale Differenzierung muss sich auch an der Branche orientieren und auch dann sind wir wieder eher bei tarifvertraglichen Lösungen, die die regional unterschiedliche Lage bis in den letzten Winkel unserer Republik mit einbeziehen kann.

Im Übrigen darf man auch nicht vergessen, dass die Unternehmen trotz des Gesetzes ja nicht gezwungen

(Lars Harms)

werden, Ausbildungsplätze zu schaffen, sondern sich im Zweifelsfall auch mit der Abgabe freikaufen können. Ich glaube, genau das werden sie tun. Was ist denn mit den Versprechungen der Industrie im Rahmen des Bündnisses für Arbeit auf Bundesebene geschehen? Die Industrie hat erst einmal laut Ja gesagt und dann doch in kollektiver Amnesie vergessen, worum es ging, und sich ihrer eigenen Verantwortung nicht gestellt.