Protocol of the Session on March 11, 2004

(Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kayenburg?

- Nein.

Daher war ist es nur richtig, dass die Aufsichtsbehörde eine Weiterverfolgung der Schutzstandards - im Gegensatz zur Auffassung der Betreiber - für erforderlich hielt. Hier denke ich, dass unsere Aufsichtsbehörden sehr viel verantwortungsvoller gehandelt haben als die Betreiber.

Kritisch sehe ich aber die Tatsache, dass es die Reaktorsicherheitskommission, die in ihrer ersten Stellungnahme von Oktober 2001 bereits festgestellt hat, dass es unterschiedliche Sicherheitsstandards bei deutschen Atomkraftwerken gibt, bis heute aber nicht geschafft hat, den Ländern eine abschließende Stellungnahme vorzulegen.

Mir ist klar, dass die Erstellung eines solchen Gutachtens eine aufwendige Angelegenheit ist, aber angesichts des Gefahrenpotenzials sollte es doch mög

lich sein, nach zweieinhalb Jahren zu einer Empfehlung zu kommen.

Weiter ist mir die Frage nicht ganz klar, die im Bericht auftaucht, welches terroristische Angriffspotenzial und welche Belastungen zukünftig zu unterstellen und welche Konsequenzen daraus abzuleiten sind. Der 11. September hat gezeigt, von welchem Potenzial wir ausgehen können. Und dann darf sich die Landesregierung nicht damit herausreden, dass dies nicht allein vom Land entschieden werden kann, sondern dass es bundeseinheitlich entschieden werden muss und dass die Länder daher die Forderung nach einem bundeseinheitlichen Gesamtkonzept gefordert haben.

Wenn vom Bund nichts kommt, dann müssen wir eben selbst aktiv werden und veranlassen, was in unseren Kräften steht; zumindest müssen Vorarbeiten geleistet werden. Daher sollten wir alles daran setzten, insbesondere die älteren AKW früher vom Netz zu nehmen, um zumindest dieses Gefährdungspotenzial zu minimieren. Aber letztendlich gewährt nur das Abschalten aller AKW endgültige Sicherheit.

(Beifall bei SSW und SPD)

Abschließend möchte ich anregen, dass, wenn es zu einer vorzeitigen Abschaltung des AKW Brunsbüttel kommt, die Landesregierung im Raum Brunsbüttel für Kompensation sorgt.

(Zurufe)

Kollege Kubicki, das werde ich Ihnen gleich erklären, lassen Sie mich einmal ausreden! Mehr als 100 Mitarbeiter werden dann mit dem Abbau der Anlage über Jahre beschäftigt sein, aber andere qualifizierte Arbeitnehmer werden freigesetzt. Da wir in Brunsbüttel die notwendige Infrastruktur haben, stellt sich die Frage, welche Art von Kraftwerk in Brunsbüttel künftig errichtet werden kann. Denn wir werden weitere Kraftwerke brauchen. Hier müssen sich die Landesregierung, die Stadt Brunsbüttel und Vattenfall Europe zusammensetzen und Konzepte entwickeln, um Vattenfall Europe eine Investitionsentscheidung am Standort Brunsbüttel zu erleichtern. Das ist der Kern der Sache. Ich bin mir sicher, dass wir so den Energiestandort Brunsbüttel stärken sowie Arbeitsplätze erhalten und möglicherweise sogar ausbauen können.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Kubicki das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Kollege Malerius, Sie wissen, dass ich Sie wirklich sehr schätze.

(Zurufe)

Nicht nur meine Fraktionskollegin Frau Kolb schätzt Sie sehr, ich schätze Sie auch sehr.

(Zurufe)

Sie wissen, dass ich mit vielem von dem, was der Bundeskanzler, der aus Ihrer Partei kommt, an Politik betreibt, nicht einverstanden bin, obwohl nicht alles schlecht ist, was er macht. Sie können sich sicher vorstellen, dass der Bundesumweltminister Trittin von mir meilenweit entfernt ist und dass ich möglicherweise Ihre Einschätzung teile, er sollte sich mit anderen Dingen beschäftigen als mit dem Dosenpfand.

Aber dass Sie sich hier hinstellen und insinuieren oder sogar ausdrücklich erklären, dass der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und der Bundesumweltminister die Gefährdung von Menschen sehenden Auges in Kauf nehmen, wäre doch eine Überlegung bei Ihnen selbst wert.

(Konrad Nabel [SPD]: Unglaubliche Inter- pretation!)

Diese Einschätzung will ich nicht teilen. - Er hat uns das hier erklärt und gesagt: Die sind nicht tätig geworden, es liegt eine Gefährdungslage vor. Das bedeutet, die nehmen sehenden Auges die Gefährdung von Menschen in Kauf, nichts anderes.

(Zurufe)

Herr Malerius, ich habe vernommen, dass Sie für das sofortige Abschalten des Kernkraftwerks Brunsbüttel eintreten. Habe ich Sie da richtig verstanden?

(Konrad Nabel [SPD]: Ja!)

- Dann ist es ja gut. Ich muss das deshalb wissen, weil wir uns die nächsten Monate auch mit den Leuten in Brunsbüttel darüber unterhalten müssen, was dort passieren soll.

Herr Kollege, wir haben schon jetzt das Problem - Sie wissen, wie lange man braucht, um Investitionsentscheidungen für Kraftwerke umzusetzen, Größenordnung 20 Jahre -, dass für die Nachfolge von Brunsbüttel bei normalem Auslaufen 2009 keine neuen Kapazitäten geplant werden. Wie soll das bei einem sofortigen Abschalten passieren? Was glauben Sie denn, was in den nächsten 10, 15 Jahren am Standort Brunsbüttel passiert, wenn Brunsbüttel sofort abge

schaltet wird? Das ist bisher überhaupt nicht erklärt worden. Die Erklärung, die müssten sich alle einmal zusammensetzen und gucken, was passiert, gilt bereits jetzt für die Zeit nach 2009 und nicht erst im Hinblick auf mögliche terroristische Angriffe.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Der Gedankenfehler, der bei einigen besteht, ist der: Wir haben Terroristen, die versuchen, bestimmte Objekte anzugreifen, also müssen wir den Terroristen die Objekte wegnehmen. Das gilt aber für alle Objekte, die wir dann wegnehmen müssten, das gilt für Fußballstadien, für Massenveranstaltungen, für andere Anlagen mit erheblichem Gefährdungspotenzial, auch Bayer Leverkusen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Stellen Sie sich einmal vor: Eine Jumbo-Maschine rast bei Bayer oder Hoechst in die Anlagen rein, es gibt eine Chlorgaswolke, die sich über Frankfurt ausbreitet. Das wäre exorbitant schlimm für mehrere 100.000 Leute, die davon betroffen wären. Also wäre die konsequente Folge, die Objekte zu beseitigen, statt sich mit der Frage zu beschäftigen: Wie können wir verhindern, dass Terroristen überhaupt in die Lage kommen, solche Waffen gegen unbeteiligte Dritte einzusetzen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das ist eine der Maßnahmen - da geht mein Vertrauen gegenüber dem Innenminister dieses Landes und den anderen Innenministern noch so weit -, die Sie auf den Weg bringen, um Terroristen daran zu hindern, solche Geschichten ins Werk zu setzen.

Wir hatten die letzten zweieinhalb Jahre mit „Schily I“ und „Schily II“ die Möglichkeit, sehr schnell fundamentale Grundpfeiler unseres demokratischen Gemeinwesens aus meiner Sicht nahezu auf den Kopf zu stellen. Das ging rasend schnell. Aber in zweieinhalb Jahren, bei einer rot-grünen Bundesregierung nicht in der Lage zu sein, eine Gefährdungsanalyse auf den Markt zu bringen und diejenigen Anlagen abzuschalten, bei denen sich eine Gefahr konkretisiert, ist schon ein Stück aus dem Trollhaus, gerade bei denjenigen, die sonst immer die Gefährdungssituation wie eine Monstranz vor sich hertragen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Versagen von Rot-Grün in dieser Frage auf Bundes- und Landesebene können Sie nicht der Opposition anlasten, Kollegen Matthiessen und andere.

(Glocke der Präsidentin)

(Wolfgang Kubicki)

Ich komme zum Schluss. - Wenn schnell konkretisiert werden kann, dass eine konkrete Gefahr besteht, muss abgeschaltet werden, allgemeine Gefahrenabwehr. Wenn es eine konkrete Gefahrenlage nicht gibt, ist die Diskussion, die wir im Moment führen, eine Monsterdiskussion.

(Beifall bei FDP und CDU)

Zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich dem Oppositionsführer, Herrn Abgeordneten Kayenburg, das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Harms, wenn Sie schon zitieren, sollten Sie richtig zitieren. Die Unsicherheit liegt nicht in den Kernkraftwerken, sondern im Gutachten. Wenn Sie sich einmal die Prämissen des Gutachtens anschauen, dann steht darin erstens, dass nur bestimmte Lagen untersucht worden sind. Das heißt im Klartext: Es gibt überhaupt keine Untersuchung für Brokdorf und es gibt überhaupt keine Untersuchung für Stade. Es gibt eine annähernde Untersuchung für Brunsbüttel. Und die sagen selbst: Die Angaben gelten nur eingeschränkt.

Zweitens sagen die selbst, dass es nur ein grobes Raster gebe und so zugeordnet worden sei.

Drittens sagen sie, dass die Topographie der einzelnen Anlagen überhaupt nicht berücksichtigt worden sei. Darüber hinaus können die Untersuchungen - sagt das Gutachten - noch erhebliche Unsicherheiten beinhalten.

Herr Harms, Sie haben offenbar aus der Tabelle des Gutachtens zitiert, das ja so geheim ist. Auch da haben Sie falsch zitiert. Denn hinsichtlich der Eintrittswahrscheinlichkeit wird ein völlig anderes Szenario aufgebaut, als Sie es uns hier weismachen wollten.

Darüber hinaus gibt es doch ein abgestimmtes Konzept. Das Problem, das Sie uns hier auf den Tisch packen, ist, dass man über Konzepte redet, die eigentlich zwischen den Betreibern - dort sind sie nämlich verabredet -, dem Bundesumweltministerium, dem Bundesverteidigungsministerium sowie dem Innen- und Verkehrsministerium abzustimmen sind. Nur, wenn Sie die in die Öffentlichkeit bringen, haben Sie das Problem, dass diejenigen, die möglicherweise Interesse haben, über die Schutzmaßnahmen von der Vernebelung bis hin zur Nachrüstung informiert werden.

Auch das Kernkraftwerk Brunsbüttel ist zum Beispiel in seinem entscheidenden unteren Teil mit über 1,20 m dicken Mauern und Bewehrungen so geschützt, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Gaus mehr als minimal ist. Auch dies sollten Sie zur Kenntnis nehmen.

Es gibt außerdem die Möglichkeit - deswegen ist auch das Gutachten so sehr in Zweifel zu ziehen -, dass der Druck innerhalb von 10 bis 15 Sekunden abgebaut wird. Das heißt, dass eine Abschaltung in einer Schnelligkeit möglich ist, dass die Schadenseintrittswahrscheinlichkeit und die Szenarien, die da angestellt werden, überhaupt keine Probleme mehr bedeuten. Nach jedweder Wahrscheinlichkeitstheorie gibt es für die Bevölkerung keine und schon längst keine aktuelle Gefährdung, wie Sie uns das hier weismachen wollen.

(Beifall bei CDU und FDP)