Protocol of the Session on March 11, 2004

Wir vermuten, dass es bei den Durchleitungskosten für neue Stromwettbewerber noch Luft gibt.

(Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

Immerhin machen die Durchleitungskosten in den Netzen bis zu 40 % der Strompreise aus. Das zeigt, dass hier eine der wichtigsten Kostenkomponenten besteht und wir aufpassen müssen, dass die Energie

(Minister Dr. Bernd Rohwer)

erzeuger nicht auf diesem Wege die Energiepreise künstlich hoch halten.

Ich erinnere an eine ganz interessante Meldung; ich weiß nicht, wer sie heute Morgen gelesen hat: Die e.on hat wieder einmal einen Rekordgewinn vermeldet, der zwar auch auf außergewöhnlichen Faktoren - Zukäufen - beruht, aber immerhin ist ein sehr hoher Gewinn ausgewiesen worden. Es wird eine höhere Dividende als in den Vorjahren ausgeschüttet. Also, so groß kann der Margendruck bei den Energieerzeugern zurzeit nicht sein.

Vielleicht hilft die heutige Debatte dabei, zumindest in Teilen unserer Energiepolitik zu mehr Gemeinsamkeit zu kommen. Ich sage: Zu dem energiepolitischen Mix, den wir vorschlagen, gibt es keine Alternative. Deswegen bitte ich Sie, sich in diesem Sinne ein Stück zu bewegen und unserem Kurs zuzustimmen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bevor ich die Aussprache eröffne, weise ich auf folgenden Passus unserer Geschäftsordnung hin: Wenn die Landesregierung die angemeldete Redezeit überschreitet, kommt die Hälfte dieser Überschreitung den Fraktionen zugute. Die zur Verfügung stehende Redezeit zusätzlicher Art für die Fraktionen beträgt pro Fraktion eine Minute.

Ich eröffne die Aussprache und erteile für die Fraktion der CDU Herrn Abgeordneten Dr. Trutz Graf Kerssenbrock das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die grundsätzlichen Botschaften des Herrn Wirtschaftsministers habe ich durchaus mit einigem Wohlwollen - nicht mit hundertprozentigem Wohlwollen - zur Kenntnis genommen. Allerdings haben sie mit der Wirklichkeit in der Energiepolitik in Schleswig-Holstein wenig zu tun. Die Praxis und Ihre Grundsatzerklärung passen überhaupt nicht zusammen.

Wenn der Bundeswirtschaftsminister Clement einen solchen Bericht, wie Sie ihn hier gegeben haben, hätte geben sollen, dann hätte er einen ganz anderen Bericht gegeben, Herr Minister. Er hätte auf das Gutachten seines wissenschaftlichen Beirats verwiesen,

(Beifall bei CDU und FDP)

das zu einem vernichtenden Urteil über die bisherige Energiepolitik und insbesondere die Förderpolitik

Herrn Trittins und damit auch dieser Landesregierung gelangt ist. Aber der für die Energiepolitik zuständige Wirtschaftsminister dieses Landes darf offenbar nicht anders: Werden Sie, Herr Minister, am Gängelband Ihres Kollegen Müller geführt? Lassen Sie das mit sich machen? - Das ist doch die Realität hier in Schleswig-Holstein!

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Am Nasenring!)

Dabei weiß doch jeder, dass der deutsche Kraftwerkspark vor Milliardeninvestitionen in neue Kraftwerke steht.

Sie selbst nennen die Zahlen in Ihrem Bericht: 22.000 MW - davon 3.500 MW allein in SchleswigHolstein - aus der Kernenergie gehen bis 2020 vom Netz. Zusätzlich müssen noch circa 30.000 bis 40.000 MW aus dem fossilen Kraftwerksbereich ersetzt werden.

Diese Landesregierung weiß noch nicht einmal, wie und wo Ersatz für die von ihr zum Auslaufen bestimmten Kernkraftwerke geschaffen werden soll. In Ihrem Bericht findet sich überhaupt nichts darüber.

(Beifall bei CDU und FDP)

Sie wissen es nicht und Sie wollen es offenbar auch gar nicht wissen. Von energiepolitischer Planung keine Spur! Sie, Herr Minister, drücken sich um das Eingeständnis, dass ohne längere Laufzeiten für Kernkraftwerke die Energieversorgung aus dem eigenen Land nicht mehr sichergestellt ist.

(Beifall bei CDU und FDP)

In der Bundesregierung tobt ein Streit zwischen dem Wirtschaftspolitiker Clement, den Gewerkschaften ver.di, IG Bergbau, Chemie, Energie auf der einen Seite und dem Umweltminister Trittin auf der anderen Seite. Es geht darum, ob der vom Umweltminister vorgesehene Allokationsplan volkswirtschaftlich verträglich sei, ob er nicht dazu führe, dass noch mehr Industriearbeitsplätze ins Ausland exportiert würden, wo man den Emissionshandel nicht so strikt handhabe, und ob nicht Kostensteigerungen die Folge sein würden, die zur Vernichtung weiterer Industriearbeitsplätze eben auch in Schleswig-Holstein führten.

Sie sagen selbst so wolkig in Ihrem Bericht, dass es um die Einzelheiten für die Zuteilung von Emissionsrechten für bestehende und neue Anlagen gehe. Was wird denn mit den neuen Kraftwerken? Brauchen die neue Verschmutzungsrechte? Müssen sie sie kaufen? Sollen sie auf die Strompreise umgelegt werden? - Das sind doch die Fragen, die zu beantworten sind und die Sie politisch entscheiden müssen.

(Beifall bei CDU und FDP)

(Dr. Trutz Graf Kerssenbrock)

Da wird in Berlin mit massivem Druck - ich meine Streiks und Demonstrationen - gedroht und in dem Bericht der Landesregierung findet das alles nicht nur nicht statt, sondern es wird eine heile schleswigholsteinische Welt dargestellt, in der sich durch den Emissionshandel nichts ändere. Das haben Sie in Ihrem Bericht ausdrücklich geschrieben.

Herr Minister, bei allem Verständnis für die Schwierigkeiten eines Wirtschaftsministers, eine gemeinsame Energiepolitik der rot-grünen Koalition zu formulieren - es ist gut, dass die Aufgabe jetzt bei Ihnen als Wirtschaftsminister liegt -: Ich glaube nicht, dass Sie so abtauchen können. Wir wollen Auskunft, wir wollen von Ihnen wissen, ob Sie überhaupt eine energiepolitische Planung haben. Der Bericht sagt eigentlich nur aus, dass Sie weiter vor sich hinwurschteln auf eingefahrenen, verrotteten Gleisen.

Meine Damen und Herren, eines deckt der Bericht schonungslos, aber wahrscheinlich unfreiwillig auf: Ein „Weiter so!“ funktioniert nicht und ein Gesundbeten funktioniert auch nicht.

(Beifall bei der CDU und der Abgeordneten Christel Aschmoneit-Lücke [FDP])

Sie müssen 170.000 t CO2 zusätzlich vermeiden, weil Sie die Kernkraftwerke abschalten wollen. Das kann die Windkraft - wie Sie wissen - nicht ansatzweise leisten, bis zum Jahr 2020 allenfalls 10.000 bis 12.000 t - von 170.000 t! Sie räumen das auch ein, wenn Sie auch wieder wolkig sagen, dass der größere Teil des Ersatzbedarfs noch auf fossiler Basis bereitgestellt werden müsse. Herr Minister, wir reden über 95 %. Das ist nicht nur der größere Teil, das ist der weitaus größte Teil. Deshalb ist die ganze Diskussion, die Sie hier wieder angefangen haben, eine Scheindebatte.

(Beifall bei der CDU und der Abgeordneten Christel Aschmoneit-Lücke [FDP])

Für den weiter steigenden Strombedarf, den Ihr Bericht ja auch ausweist, müssen Sie neue Kraftwerke bauen mit fossilen, CO2 emittierenden Energieträgern arbeiten. Dann werden Sie unsere gemeinsamen Klimaschutzziele dramatisch verfehlen. Herr Minister, das können Sie nicht verantworten.

(Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Joachim Behm [FDP])

Professor Pfaffenberger vom Bremer Energieinstitut, den auch Sie in Ihrem Bericht zitieren, spricht in einer Studie - die meinen Sie wahrscheinlich, die ist nicht so genau zitiert, die heißt „Investitionen im liberalisierten Energiemarkt“ - von einem Ersatzbedarf von 40.000 bis 50.000 MW - also noch etwas mehr, als

Sie in Ihrem Bericht an Ersatzkraftwerksleistung, die wir noch brauchen, sprechen - und sagt ausdrücklich - ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten -:

„Deutschland braucht einen Energiemix, der die Vor- und Nachteile einzelner Energieträger im Sinne der höchsten volkswirtschaftlichen Effektivität kombiniert.“

Da sind wir theoretisch wahrscheinlich völlig beisammen.

„Eingriffe der Politik dürfen die notwendigen Preissignale des Marktes nicht durch Festsetzen von Ober- und Untergrenzen außer Kraft setzen.“

Da liegt Ihr Problem. Auch unter Berücksichtigung des Geschehens im europäischen Ausland - Finnland, Osteuropa, Frankreich, insbesondere auch Slowakei, die wir gemeinsam besucht haben und die an der klimafreundlichen Kernenergie festhalten - kann der bisherige Kurs nicht aufrechterhalten werden, sondern es muss auch finanziell, wenn Sie schon die Förderung der Kerntechnik nicht mehr über sich bringen, stärker auf die Verbesserung der Wirkungsgrade fossiler Kraftwerke gesetzt werden, statt Milliarden in aussichtslose Steckenpferde zu stecken. Der letzte Halbsatz ist auch wichtig, Herr Minister.

Die Energiewirtschaft muss bei derartigen Investitionsgrößenordnungen wissen, unter welchen Bedingungen Bau und Betrieb welcher Kernkraftwerke noch möglich ist. Sie braucht Investitionssicherheit.

Die Stromreserven hierzulande werden immer knapper. Die Auslastung der Kraftwerkskapazitäten stieg im Winter 2002/2003 auf 92 %. Im Jahre 1983 waren wir noch bei 84 %.

Der Zuwachs an regenerativen Energien erweitert zwar insgesamt das Angebot, er steigert aber gleichzeitig auch massiv den Reservebedarf.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Für 1 MW Windkraftleistung müssen für den Fall des Ausfalls 0,85 MW Reserveleistungen installiert werden. Das steigert den Investitionsbedarf, das steigert auch den Ersatzbedarf und über all das findet sich in Ihrem Energiebericht nichts. Die ganze Wirtschaft, nicht nur die Energiewirtschaft, muss wissen, ob Wettbewerbsfähigkeit noch gleichrangig neben Versorgungssicherheit und beide gleichrangig neben Klimaschutz stehen. Herr Minister, Sie haben das eben deklamiert, aber aus Ihrer Politik wird eigentlich das Gegenteil deutlich.

Die Energiewirtschaft muss auch wissen, ob und unter welchen preislichen Bedingungen die Netze erhal

(Dr. Trutz Graf Kerssenbrock)

ten werden können. Sie haben eben über das Energiewirtschaftsgesetz gesprochen.

(Beifall bei der FDP)

Die sind erheblich renovierungsbedürftig, teilweise durch Einspeisung regenerativen Stroms. Das wirkt sich auf den Strompreis aus. Davon hängt ab, ob Industriearbeitsplätze in Deutschland und natürlich auch in Schleswig-Holstein fortbestehen oder gar geschaffen werden können,

(Beifall bei der CDU)