Protocol of the Session on March 10, 2004

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile Frau Abgeordneter Aschmoneit-Lücke das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wirtschaftspolitischer Unfug - manch anderer vielleicht auch - hat Konjunktur. Die neueste Kapriole: Gesetzliche Mindestlöhne sollen geringer qualifizierte Menschen vor Arbeitslosigkeit schützen.

Jeder angehende Kaufmann und jeder Student der Wirtschaftswissenschaften lernt es früh: Mindestlöhne verursachen Arbeitslosigkeit - gerade bei geringer qualifizierten Menschen. Mindestlöhne mögen gut gemeint sein, aber sie sind das Gegenteil: Sie schaden gerade denen, die sie schützen sollen.

Warum? - Unternehmen beschäftigen Menschen, wenn diese dem Unternehmen mindestens so viel einbringen, wie sie kosten. Mindestlöhne steigern nicht den Ertrag der Beschäftigten. Aber Mindestlöhne steigern die Kosten der Unternehmen für alle, die bisher weniger als den Mindestlohn verdienen.

Erstes Ergebnis: Unternehmen werden versuchen, sich im Rahmen des geltenden Rechts so schnell wie möglich von allen Beschäftigten zu trennen, die dem Unternehmen weniger als den Mindestlohn einbringen. Die Arbeitslosigkeit steigt - besonders bei geringer qualifizierten Menschen.

Zweites Ergebnis: Die Unternehmen werden darauf verzichten, Menschen einzustellen, von denen sie erwarten, dass sie dem Unternehmen weniger als den Mindestlohn einbringen. Für Arbeitslose mit geringeren Qualifikationen sinken die Chancen auf Arbeit. Die Langzeitarbeitslosigkeit steigt

Zwei der drängendsten Probleme, liebe Kolleginnen und Kollegen, am Arbeitsmarkt sind die hohe und die lange Arbeitslosigkeit geringer qualifizierter Menschen. Beide Probleme werden durch Mindestlöhne nicht gemildert. Im Gegenteil: Mindestlöhne verschärfen sie. Deshalb sind Mindestlöhne wirtschaftspolitischer und sozialpolitischer Unfug.

(Beifall bei der FDP)

Wer geringer qualifizierten Menschen helfen will, sollte diesen Unfug tunlichst unterlassen.

Trotzdem befürworten und fordern einige gesetzliche Mindestlöhne. Warum? - Diejenigen, die gegen verschärfte Zumutbarkeitsregeln für Langzeitarbeitslose sind, befürworten Mindestlöhne sozusagen als Ausgleich. Mit den verschärften Zumutbarkeitsregeln sind die Anreize für Langzeitarbeitslose erhöht worden, sich früher und stärker oder noch früher und noch stärker um einen Arbeitsplatz oder um eine aussichtsreiche Weiterbildung zu bemühen. Mindestlöhne aber verringern die Chancen Langzeitarbeitsloser auf Arbeit; das kann niemand wollen.

Ein weiteres Argument der Befürworter ist die Erweiterung der EU. In den mittel- und osteuropäischen Beitrittsländern liegt das Lohnniveau weit unter dem deutschen Lohnniveau und sogar weit unter dem Niveau der deutschen Sozialhilfe. Das verschärft die Probleme geringer qualifizierter Menschen in Deutschland. Denn selbst die Löhne ausgebildeter Facharbeiter liegen in Osteuropa unter dem Niveau der deutschen Sozialhilfe. Hier entstehen Anreize für deutsche Unternehmen, Arbeitsplätze in die Beitrittsländer zu verlegen oder neue Arbeitsplätze gleich in den Beitrittsländern zu schaffen.

Mindestlöhne erhöhen den Lohnabstand zu den Beitrittsländern. Damit werden noch mehr Unternehmen geradezu genötigt, Arbeitsplätze in die Beitrittsländer zu verlegen und die Chancen geringer qualifizierter Menschen in Deutschland sinken noch weiter.

Meine Damen und Herren, Sie alle wissen, wer für Mindestlöhne eintritt. Schließen Sie selbst auf deren Motivation!

Was aber spricht angesichts der Probleme Deutschlands tatsächlich für Mindestlöhne? Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen: nichts. Welche Probleme sie schaffen, zeigt die Sozialhilfe. Denn die Sozialhilfe wirkt in Deutschland wie ein gesetzlicher Mindestlohn, weil sie als Lohnersatz gezahlt wird. Sie sperrt viele Menschen aus der Erwerbsarbeit aus. Das ist nicht schön, aber es ist so.

(Christel Aschmoneit-Lücke)

Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo-Instituts, sagt es so:

„Der Markt sorgt nicht für soziale Gerechtigkeit. Aber man kann soziale Gerechtigkeit auch nicht gegen den Markt durchsetzen.“

(Beifall bei FDP und CDU)

Mögen Sie auch noch so sehr die gekränkte Seele einer Partei streicheln - Mindestlöhne sind wirtschaftspolitischer Unsinn. Wer den Schwächeren wirklich helfen will, sollte die Lohnbildung stärker dem Markt überlassen und Differenzen zum Existenzminimum mit staatlichen Zuschüssen ausgleichen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Nur so werden wir sowohl den Anforderungen des Marktes als auch unserer Verantwortung gegenüber den Schwächeren gerecht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, dass Sie unserem Antrag aus den genannten Gründen zustimmen. Sollten Sie das nicht wollen, sind wir gern bereit, dieses Thema im Wirtschaftsausschuss und möglicherweise auch im Sozialausschuss zu beraten. Das Thema ist ernst genug, um es von allen Seiten ernst zu nehmen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Herdejürgen das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden uns beim Thema Mindestlohn am Beginn einer noch sehr offenen Diskussion, die zwei aktuelle Ursachen hat - Sie haben es angesprochen -: einerseits die Zumutbarkeit von Arbeitsangeboten im Rahmen der Umsetzung von Hartz IV, andererseits die Stärkung der heimischen Wirtschaft vor Konkurrenz auf der Basis von Dumpinglöhnen.

Wir haben bereits mit der Verabschiedung des Tariftreuegesetzes deutlich gemacht, dass unsere Fraktion die Befürchtungen, die Ängste der heimischen Wirtschaft vor Wettbewerbsverzerrungen ernst nimmt

(Beifall der Abgeordneten Dr. Henning Höppner [SPD] und Lars Harms [SSW])

und diese durch konkrete Maßnahmen und nicht nur durch seichte Beteuerungen abbauen will.

Wir lehnen es allerdings ab - um auch dies deutlich zu sagen -, in die Tarifautonomie einzugreifen. Innerhalb der Gewerkschaften wird die Forderung nach zusätzlichen gesetzlichen Möglichkeiten zur Festlegung von Mindestlöhnen - auch mit Hinweis auf die Tarifautonomie - sehr kontrovers diskutiert. Die Wirkung ist umstritten, zumindest was die Wirksamkeit als Mittel der Armutsbekämpfung angeht.

Natürlich müssen wir uns aber der Frage stellen, inwieweit ein Mindestlohn die Nachfrage nach einfacher Arbeit senkt. Wir haben die Aufgabe, in einer Arbeitswelt, die auf lebenslanges Lernen setzt, Lösungen für diejenigen zu bieten, die irgendwann - häufig sehr früh - die Grenzen der Qualifizierbarkeit erreichen. Gleichzeitig stellt sich aber auch die Frage, ob es ausreicht, das Sozialhilfeniveau als impliziten Mindestlohn zu konstatieren. Um es noch einmal deutlich zu machen: Sozialhilfe garantiert ein Existenzminimum. Das ist ein ganz wichtiger Punkt in dieser Debatte.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

Wenn wir dies tun, akzeptieren wir gleichzeitig, dass wir in Deutschland eine große Menge von Arbeitnehmern hinnehmen, die trotz Arbeit über ein Existenzminimum nicht hinauskommen oder sogar noch darunter liegen.

Zusammenhänge zwischen der Festlegung von Mindestlöhnen und dem Anstieg von Arbeitslosigkeit sind zumindest umstritten. Es gibt Untersuchungen und Gegenuntersuchungen, die zu widersprüchlichen Aussagen kommen, auch empirisch belegt. Ich möchte damit deutlich machen, dass wir uns mit diesem Thema in einem sehr komplexen Gefüge bewegen. Ich hatte eingangs gesagt, dass wir die Tarifautonomie als tragende Säule der deutschen Wirtschafts- und Sozialordnung ausdrücklich stützen.

(Beifall bei SPD und SSW)

Hier werden die Standards so gesetzt, wie wir uns das vorstellen. Der Gesetzgeber ist im Sinne von neuen Regelungen zurzeit nach unserer Auffassung nicht gefragt. Allerdings - insofern haben wir Schwierigkeiten mit Ihrem Antrag - gibt es auch jetzt schon Möglichkeiten der Stabilisierung von Tarifverträgen per Verordnung oder der Festsetzung von Arbeitsbedingungen in Bereichen, in denen Tarife keine Sicherung geschaffen haben. Auch diese Möglichkeiten sind es unserer Meinung nach wert, in ihrer Wirkung genauer betrachtet zu werden.

Wir möchten die Diskussion nicht sozusagen per Federstrich an dieser Stelle für beendet erklären. Inso

(Birgit Herdejürgen)

fern wollen wir Ihrem Antrag nicht zustimmen, aber wir stimmen der Überweisung und weiteren Diskussion im Ausschuss zu.

(Beifall bei SPD, FDP und SSW)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Strauß das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mitte der 60er-Jahre mahnte Ludwig Erhard die deutsche Politik immer wieder, die Wirtschaft nicht mit immer höheren Sozialkosten zu belasten. Sein berühmtes Wort vom „Maßhalten" haben wir noch im Ohr.

Damals hat man ihn ausgelacht, heute wissen wir, dass er Recht hatte - aber warum, das haben Sozialdemokraten und Grüne offensichtlich bis heute nicht verstanden.

Ich weiß nicht, ob wir den Gipfel des Irrsinns schon erreicht haben, aber die neuerlich wieder aufkeimende Debatte über die Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen markiert schon einen gewissen Höhepunkt.

Im Dezember 2003 ist es der CDU/CSU nach langen und zähen Verhandlungen im Vermittlungsausschuss gelungen, Mindestlöhne als Bedingung der Zumutbarkeit für die Arbeitsaufnahme durch Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger zu verhindern - Stichwort: Hartz IV. Keine zwei Monate später mehren sich aus den Regierungsfraktionen Forderungen, die Reformgesetze für den Arbeitsmarkt doch noch „nachzubessern".

In den Gazetten, unter anderem in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 24. Februar 2004, sprechen sich Herr Bütikofer von den Grünen, Herr Rainer Wend, SPD, Vorsitzender des Wirtschaftausschusses im Bundestag, und die Gewerkschaften für Mindestlöhne aus.

Meine Damen und Herren, dass die Erfolgsaussichten für dieses Ansinnen nicht sonderlich groß sind, macht den Vorgang nicht weniger schädlich. Wirtschaftsminister Clement hat zwar diesem Ansinnen eine klare Absage erteilt und auch der Bundeskanzler hat sich „not amused" geäußert. Aber können wir deshalb schon davon ausgehen, dass dieser Irrsinn nicht doch noch kommt? An der Durchsetzbarkeit von SuperMinister Clement sind Zweifel angebracht. Die Ausbildungsplatzabgabe lässt hier leider grüßen.

Deswegen kann ich den FDP-Antrag - obwohl ich ihn hier für überflüssig halte - nach dem Motto „Wehret den Anfängen" durchaus nachvollziehen.

Deutschland befindet sich nicht erst seit heute in einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Wir wissen seit langem, dass wir uns mehr leisten, als wir leisten.

Die bittere Wahrheit ist: Deutschland fällt im globalen Wettbewerb zurück. Unser Anteil am Weltmarkt ist von 1991 bis 2002 um 1,6 Prozentpunkte gesunken. Vielfach sind unsere Produkte nur noch deshalb konkurrenzfähig, weil immer größere Anteile daran nicht in Deutschland, sondern durch Zulieferer aus Niedriglohnländern ersetzt werden.

Der Punkt ist: Wir können nur um so viel teurer sein, wie wir besser sind. Aber vielfach sind wir eben nicht mehr besser, sondern nur teurer. Die Folge: Die Produktion wird verlagert. Die Arbeitsplätze gehen verloren.

Meine Damen und Herren, machen wir uns nichts vor: Diese Probleme werden mit der EU-Osterweiterung weiter verschärft. Wir werden es mit neuen Konkurrenten zu tun bekommen, die hungrig nach Wohlstand sind, die leistungsbereite, gut ausgebildete Arbeitnehmer, niedrige Steuern und Abgaben vorweisen können und die unmittelbar vor unserer Haustür liegen. Hinzu kommt die hohe Vitalität dieser Beitrittsländer. Das Durchschnittsalter der Polen liegt unter 30 Jahren, das der Deutschen heute schon bei 41 Jahren, Tendenz rasant steigend.