Protocol of the Session on September 28, 2000

(Thorsten Geißler [CDU]: Richtig!)

muss es die Aufgabe des Staates sein, insbesondere in der Bildungspolitik durch Wissensvermittlung, durch Prävention und durch Aufklärung deutlich zu machen, dass der Rechtsextremismus Deutschland schon einmal ins Verderben geführt hat.

Wir müssen uns aber auch darüber im Klaren sein, dass viele Jugendliche zu diesem Rechtsextremen stoßen, weil sie dort in der Gruppe eine Art Geborgenheit finden, die ihnen anderswo fehlt.

(Klaus Schlie [CDU]: So ist es!)

Deshalb bin ich Ihnen dankbar für die Signale, Herr Hay, die Sie in Ihrer Haushaltsrede, aber auch heute ausgesandt haben, dass wir auch noch prüfen wollen, ob es nicht in diesem Feld Umschichtungen zu Gunsten einer entsprechenden Aktivität in unserem Lande gibt.

(Beifall)

Wir müssen aber auch als Politiker selbst alles tun, um die Chancen aufzuzeigen, die für die jungen Menschen in der immer internationaler werdenden Welt liegen, und wir müssen ihnen diese Chancen auch bieten. Dies ist der entscheidende Punkt. Dazu ist es allerdings auch notwendig, deutlich zu machen, dass ein Leben in Frieden und Freiheit keine Selbstverständlichkeit ist, sondern dass es immer des Engagements vieler einzelner bedarf.

Die Resolution, die der Landtag im Jahre 1992 - wenige Monate nach dem Einzug der DVU in dieses Parlament - verabschiedete, schloss mit den Worten: „Wehret den Anfängen“. Dem fühlen wir uns nach wie vor verpflichtet. Diejenigen, die Freiheit, Demokratie und Toleranz in unserem Lande mit ihren Stiefeln zertreten wollen, werden auf unsere entschiedene Abwehr stoßen.

(Anhaltender Beifall)

Das Wort hat nun Herr Abgeordneter Kubicki.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst dem Fraktionsvorsitzenden der SPD, Lothar Hay, und dem Fraktionsvorsitzenden der CDU, Martin Kayenburg, für ihre Redebeiträge danken, die sich sehr wohltuend und - wie ich denke - in der Tradition dieses hohen Hauses stehend von dem absetzen, was gelegentlich auch aus den Parteien der Fraktionen, die hier vertreten sind, zu hören ist. Ich komme darauf noch zurück.

Es zeigt - das ist ein ganz wichtiges Signal -, dass die demokratische Gemeinsamkeit, die in den heutigen Reden beschworen wird, in diesem hohen Hause jedenfalls viel fester verankert ist, als es nach draußen manchmal bei den Debattenbeiträgen den Eindruck vermittelt. Wir beschließen heute als SchleswigHolsteinischer Landtag erneut kraftvoll eine Resolution gegen neonazistische Gesinnung und rechtsradikale Gewalt.

Aber mich beschäftigt die Frage, die bisher nicht beantwortet ist, warum wir dies eigentlich tun müssen. Fast acht Jahre nach Mölln und Solingen und fünf Jahre nach dem Verschwinden der DVU aus diesem Landtag. Was ist eigentlich schief gelaufen und wo haben die politischen Entscheidungsträger, wo haben wir alle versagt, wenn uns ausgerechnet heute von dem nicht liberalen und freiheitlichen Jörg Haider der Spiegel vorgehalten wird: Österreich werde europaweit zwar geächtet, weil die Freiheitlichen dort mitregierten, aber in Österreich gebe es keine neonazistischen Demonstrationen, dort würden keine Asylbewerberheime in Brand gesetzt oder Menschen getötet, weil sie anderer Hautfarbe oder Religion sind.

Über diese Debatte und über die gemeinsam zu beschließende Resolution hinaus erwarten wir Liberalen von der Landesregierung und vom Landtag, dass sie in den Haushaltsberatungen ein deutliches Signal setzen, dass nicht nur keine Kürzung in der Jugendarbeit insbesondere auch in der politischen Jugendarbeit vorgenommen wird, sondern dass wir unseren markigen Worten auch markige Taten folgen lassen und in den Haushaltsansätzen dokumentieren,

(Beifall bei F.D.P., CDU und des Abgeord- neten Lars Harms [SSW])

dass uns die rationale Auseinandersetzung mit neonazistischen Umtrieben im wahrsten Sinn des Wortes etwas wert ist. Ich mahne ausdrücklich eine rationale Auseinandersetzung an, da es im Kampf gegen Rechts eine Reihe von Trittbrettfahrern gibt, denen es hierbei um alles geht, nur nicht darum, die Demokratie, den Rechtsstaat und die Werteentscheidungen des Grund

(Wolfgang Kubicki)

gesetzes zu verteidigen oder gegenüber jedermann durchzusetzen.

(Präsident Heinz-Werner Arens übernimmt den Vorsitz)

Die Mitglieder des schwarzen Blocks oder autonomer Gruppen, die solche Demonstrationen nutzen, um mit Steinen zu schmeißen, kämpfen nicht gegen Rechts, sie kämpfen gegen die Demokratie. Sie benutzen die Demonstrationen nur und auch dies müssen wir deutlich machen.

(Beifall)

Ich wehre mich ausdrücklich dagegen, eine offene Diskussion über nicht zu leugnende Probleme der Integration und des Zusammenlebens zu tabuisieren. Ich halte dies auch für eine pädagogische Frage.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Nicht jeder Türkenwitz ist Ausdruck von Fremdenfeindlichkeit. Dies gilt in gleicher Weise für Ostfriesenwitze. Die besten Türken- und Ostfriesenwitze erzählt im Übrigen mein langjähriger Mitarbeiter und Freund Mehmet Daimagüler. Nicht jeder Ausländer ist bereits deshalb ein guter Mensch, weil er Ausländer ist, und nicht jede Verfolgung von Straftaten gegenüber Kriminellen aus anderen Staaten ist Ausdruck rassistischer Verfolgungswut deutscher Behörden.

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

Ich sage dies ausdrücklich angesichts ehemaliger Debatten, die wir innerhalb und außerhalb dieses Hauses über die Strafverfolgung in Schleswig-Holstein geführt haben. Man möge sich davor hüten, Strafverfolgungsbehörden unseres Landes mit dem Vorwurf rassistischer Diskrimminierung zu diskreditieren.

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

Ich sage dies deshalb, weil der Kampf gegen rechte Gewalt und der Kampf gegen die niedrige neonazistische Gesinnung nur und ausschließlich mit rechtsstaatlichen Mitteln geführt und auch gewonnen werden kann und nicht mit Gesinnungsethik - selbst wenn sie gut gemeint ist.

(Beifall bei der F.D.P. und des Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU])

Wer Sonderrechte gegen Rechte fordert, leistet in meinen Augen einen wesentlich schlimmeren Beitrag zum Angriff auf unsere rechtsstaatliche Ordnung, als es die faschistischen Spinner und die Gewalttäter und Kriminellen mit oder ohne rechte Gesinnung je könnten. Recht ist eben dankenswerterweise nicht die in Gesetzesform gegossene Willkür einer bestimmten

politischen Überzeugung, sondern ein gegenüber jedermann oder jederfrau in gleicher Weise verbindlich normiertes Regelwerk zur Konfliktlösung.

(Beifall bei F.D.P., CDU und SSW)

Deshalb danke ich dem SSW ausdrücklich - Anke, das fällt mir wirklich nicht schwer -, dass er darauf hingewiesen hat, dass wir die vorhandenen Instrumentarien des Rechtsstaates nur konsequent einsetzen müssen, sie jedoch unter dem Deckmantel eines Kampfes gegen rechtsstaatliche Grundprinzipien nicht selbst infrage stellen dürfen. Eine Veränderung des Versammlungsund Demonstrationsrechts brauchen wir nicht.

(Beifall im ganzen Haus)

Ein Sonderstrafrecht für rechte Gesinnung brauchen wir nicht und die F.D.P. wird dies auch nicht mitmachen. Wer vorschlägt, Rechtsradikalen den Führerschein zu nehmen, weil sie ihre charakterliche Unzuverlässigkeit dokumentiert hätten, dokumentiert damit nicht seine hohe moralische Überlegenheit in einem gesellschaftlichen Konflikt, sondern sein mangelndes Grundverständnis der verfassungsrechtlichen Grundlagen.

(Beifall bei F.D.P., CDU, SSW und des Ab- geordneten Karl-Martin Hentschel [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich sage dies ausdrücklich auch in Bezug auf die von mir gewünschte Auseinandersetzung mit dem „Club 88“ und das, was darum herum geschieht. Wer versucht, das Gaststättenrecht als Instrument zu gebrauchen, einer bestimmten Willensrichtung Ausdruck zu verleihen, sollte noch einmal darüber nachdenken, ob dieses Instrumentarium dafür überhaupt geschaffen wurde.

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

Ich will es bei diesen mahnenden Worten bewenden lassen, obwohl ich noch einiges hinzufügen könnte. Wir müssen als Parlament und Parlamentarier nicht nur den Schulterschluss gegen verfassungsfeindliche rechte Gesinnung üben und unsere Strafverfolgungsbehörden in der Verfolgung krimineller Taten mit rechtem Hintergrund unterstützen. Wir müssen auch aufpassen, dass eine rationale Auseinandersetzung nicht unter dem Druck vermeintlicher moralischer Überlegenheit verhindert wird.

Frau Bildungsministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen Fraktionsvorsitzende, ich empfehle allen die Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“ vom 22. September 2000. Ich empfehle das als Pflichtlektüre für alle Abgeordneten und es wäre gut, wenn die Bildungsministerin darüber nachdenken würde, ob diese Artikel nicht auch Pflichtlektüre für Lehrerinnen

(Wolfgang Kubicki)

und Lehrer für die Diskussion rechtsradikaler Gewalt im Unterricht sein sollte.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Heiner Garg [F.D.P.] und Roswitha Strauß [CDU])

Eine bessere, systematischere und rationalere Auseinandersetzung mit dem Phänomen, mit dem wir uns gerade beschäftigen, habe ich seit Jahren nicht gelesen. Ich werde aus der Beilage nur einen Satz zitieren, weil immer so getan wird, als hätte der Rechtsstaat Probleme, mit seinen Feinden fertig zu werden. Das Zitat lautet:

„Die Verurteilung der drei rechtsextremen Mörder von Dessau hat gezeigt, dass der Rechtsstaat entschlossen handeln kann. Das rechtliche Instrumentarium reicht aus, es bedarf keiner neuen Gesetze. Nur elf Wochen lagen zwischen Tat und Urteil. Staat und Justiz haben ein Zeichen der Stärke gesetzt. Schnelles und entschlossenes Handeln ist möglich.“

Auf meine Kritik an den Äußerungen des Innenministers Buß zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, eine Demonstration von Rechten in Neumünster zuzulassen - übrigens eine zutreffende Entscheidung, die den Ordnungsbehörden vor Ort auch dokumentiert hat, was man mit den Auflagen des Versammlungsrechts alles machen kann -, erhielt ich den Brief eines überzeugten Demokraten mit dem Hinweis, Schleswig-Holstein brauche in meiner Person keinen Haider; Kubicki raus aus Schleswig-Holstein. Das mag für manche zwar amüsant sein, aber es zeigt für mich auch die bedenkliche und gefährliche Dimension eines Kampfes gegen Rechts, der sich nicht auf die Durchsetzung des Rechts konzentriert, sondern sich auf tatsächliche oder angebliche moralische Kategorien zurückzieht.

Ich will in diesem Zusammenhang ausdrücklich den Gerichten - auch unseres Landes - danken, dass sie gelegentlich in einer aufgeregten politischen und öffentlichen Diskussion darauf hinweisen, dass es verfassungsrechtliche Grundentscheidungen gibt, die wir heute auch mit unserer gemeinsamen Resolution bekräftigen. Es gibt einen demokratischen Rechtsstaat, der mit eben dieser Justiz mit den Kriminellen - gleich welcher Gesinnung - fertig wird.

Herr Innenminister Buß, wir sollten uns davor hüten, den Eindruck zu erwecken, mehrere Hundert oder mehrere Tausend Chaoten der rechten Szene wären in der Lage, den demokratischen Rechtsstaat aus den Angeln zu heben. Mitnichten, wir werden ihn verteidigen!

(Beifall bei F.D.P., SPD, CDU, SSW und der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich erteile Herrn Abgeordneten Hentschel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zeitschrift „Brigitte“ berichtet in ihrer neuesten Ausgabe von einem deutschen Mädchen, das in Köln geboren wurde und in Deutschland mit Pippi Langstrumpf und Benjamin Blümchen, mit Barbiepuppen und allem, was dazu gehört, aufgewachsen ist, aber eine braune Hautfarbe hat, weil ihr Vater aus Kenia stammt. Dieses Mädchen hat ein wohl geordnetes Umfeld, lebt in einem gutbürgerlichen Stadtteil Berlins, hat Freundinnen, mit denen sie gut auskommt, aber erlebte einmal, dass sie im Bus angemacht wurde. Jemand fragte sie bedrohlich, woher sie komme. Aus Angst sagte sie, sie komme aus Afrika, obwohl sie Deutsche ist und in Deutschland aufgewachsen ist. Als ihre Mutter sie nach dem Grund fragte, sagte sie: Ich dachte, das müsste ich sagen.