Protocol of the Session on January 23, 2004

Essay zum Beispiel: „Der Begriff der Elite ist historisch besetzt. Einige wenige Beispiel verheißen Gutes, zu viele zeigen, dass Eliten keineswegs immer das Gemeinwohl im Auge und gefördert haben. Kurz ist der Weg von Elite zu elitär.“

Willy Brandt schrieb im „Sozialdemokratischen Magazin“: „Wann immer für Eliten getrommelt wurde, marschierte im Geiste die Verachtung für das gemeine Volk mit.“ Peter Glotz schrieb im „Spiegel“ von der „radikalen Trennung von Elite und Masse, die die bürgerliche Soziologie hervorbrachte und die der Nationalsozialismus exekutierte.“

Begriffe müssen aber an ihrem Kerninhalt und nicht an ihrem Missbrauch bewertet werden.

(Beifall bei der CDU)

Gut erinnere ich mich auch an die 68er Revolte in Frankfurt. Da trugen Studenten, die heute zum Teil einflussreiche Politiker in Deutschland sind, solche Plakate wie „Wissen ist Macht! Nichts wissen macht nichts!“. Ich habe das selbst fotografiert. Wissen ist der einzige Rohstoff der Deutschen, der nur durch eigenes Versagen verloren gehen kann. Zugleich ist er der wichtigste, den wir heute überhaupt besitzen.

Das Ergebnis der bildungspolitischen Umsetzung dieser Geisteshaltung ist, dass Deutschland, das weit über 100 Jahr lang Ingenieure, Wissenschaftler und Techniker in alle Welt entsandte, heute in Entwicklungsländern um Computertechniker bettelt. Das ist die Realität, die wir nüchtern sehen müssen. Die rotgrüne Antwort auf den Missbrauch des Elitebegriffs in der NS-Zeit war falsch. Sie hätte nicht lauten dürfen: Weg mit den Eliten, sondern sie hätte lauten müssen: Aufbau und Förderung konkurrierender Eliten. Das sage ich eindeutig als Kern meiner Ausführungen. Das ist der Kerngedanke, der richtig gewesen wäre.

Zum Wesen einer funktionsfähigen Demokratie gehören konkurrierende Eliten, und zwar nicht Kraft Geburt, Kraft Geldes oder Kraft Amtes, sondern konkurrierende Eliten Kraft Könnens. Konkurrierende Eliten haben den großen Vorteil, dass sie sich gegenseitig beobachten und keine Alleinvertretungsansprüche entwickeln können. Das ist für mich ein Kerngedanke.

Wo wachsen solche Eliten besser heran als an hervorragend ausgestatteten Schulen und Universitäten, die im Wettbewerb miteinander stehen? Das war mein letzter Gedanke. Wir müssen dafür sorgen, dass das Element hoher Leistungen in möglichst vielen Schulen und Universitäten bald wieder zur Selbstverständlichkeit gehört.

(Beifall bei CDU, FDP und des Abgeordne- ten Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Glocke der Präsidentin)

Ich bin in einer Kernaussage auf jeden Fall einig mit Jürgen Weber. Er sagte, Begabungseliten müssen so entwickelt werden, dass sie allem begabten Nachwuchs aus allen sozialen Schichten wirklich eine Chance bieten können. Das kann ich nur unterstreichen. Es ist Sinn einer echten Elite, dass aus allen Schichten Begabungen nach vorn kommen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Klug das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will ganz kurz noch auf ein paar Dinge aus der Debatte eingehen. Zum ersten Stichwort Stipendien und Darlehen: Das ist ein ganz wichtiges Thema, gerade dann, wenn man Ja zur Erhebung von Studiengebühren sagt. Das muss mit der Gewährung von Stipendien und entsprechenden Darlehensvergaben verbunden sein, die jeder Studierenden und jedem Studierenden die Möglichkeit zur Wahl einer mit Studiengebühren verbundenen akademischen Ausbildung ermöglichen.

Wenn man in diesem Zusammenhang die Diskussion über die Verwendung der Goldreserven der Bundesbank einbezieht, die immerhin einen Wert von 38 Millionen € darstellen, muss man sagen, im Prinzip ist das Geld, wenn man es denn dafür einsetzen will, da, um einen Fonds zu schaffen, aus dem sowohl Stipendien als auch ein revolvierender Darlehensfonds finanziert werden könnten, der sich dadurch selbst wieder auffüllt, dass die fertig ausgebildeten jungen Akademikerinnen und Akademiker die Darlehen eines Tages wieder zurückzahlen. Die Möglichkeiten dafür sind also da. Das ist alles nicht utopisch; dafür hätten wir ganz konkrete Ansatzpunkte.

Das zweite kurze Stichwort sind die Forschung und die Fragen, wie man sie - vor allem die Spitzenforschung - in unserem Hochschul- und Wissenschaftssystem ansiedelt und wo man sie ansiedelt. Ich glaube, wir haben in Deutschland eine relativ gefährliche Tendenz, Forschung zunehmend aus den Universitä

(Dr. Ekkehard Klug)

ten heraus in außeruniversitäre Forschungseinrichtungen zu verlagern.

(Beifall bei FDP, CDU und der Abgeordne- ten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich will hier keine grundsätzliche Debatte gegen außeruniversitäre Forschungseinrichtungen eröffnen, aber ich muss sagen, es muss zwischen beiden ein ausgewogenes Verhältnis bestehen. Ich sehe die Tendenz, dass wir die Universitäten und die Hochschulen immer mehr als reine Lehranstalten betrachten und Forschung - vor allem Spitzenforschung - aus ihnen heraus an andere Institutionen verlagern. Wenn man sich den Erfolg der Spitzenhochschulen in den USA, in Großbritannien oder sonst auf der Welt anguckt, dann muss man feststellen, dass dort der große Vorteil die Integration von Spitzenforschung in eine Universität ist, sodass im Sinne der Einheit von Forschung und Lehre der besonders begabte wissenschaftliche Nachwuchs schon von Anfang an durch kompetente Forscherinnen und Forscher an die Wissenschaft - und zwar auch im Hochleistungsbereich - herangeführt werden kann.

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Deshalb sind auch Forderungen, wie sie etwa der Wissenschaftsrat unter Beteiligung des damaligen Bildungsstaatssekretärs Stegner in den Thesen zur künftigen Entwicklung des Wissenschaftssystems formuliert hat, nämlich dass man in Deutschland auch reine Forschungsuniversitäten schaffen soll, aus meiner Sicht der falsche Weg. Man muss versuchen, Spitzenforschung mit den bestehenden Universitäten zu verzahnen.

Ein letztes Argument: Auch das Argument, die Bundesebene kümmert sich bloß um Spitzenforschung und Spitzenuniversitäten und den Rest machen die Länder, ist aus unserer Sicht kein akzeptabler Weg. Ich bin froh, dass vonseiten der Regierungskoalition auch Kritik an dieser Forderung von Frau Bulmahn erhoben worden ist.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich erteile Frau Ministerin Erdsiek-Rave das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „The times they are a-changin’”. Im Grunde könnte man

die Debatte der letzten Wochen so überschreiben. Die Tatsache, dass dieser Anstoß aus Weimar eine bildungspolitische Debatte in dieser Intensität und in diesem Umfang über Wochen hinweg in Deutschland ausgelöst hat, zeigt, dass es ein längst überfälliges Thema und eine längst überfällige Debatte ist, die dort angestoßen wurde. Allein schon deswegen war das kein PR-Gag, sondern das Aufgreifen dessen, was sozusagen an Notwendigkeit von Debatte auf der Straße liegt.

(Zuruf von der CDU)

- Ja, aber es ist Ihnen offenbar nicht gelungen, liebe Frau Kollegin, wenn das aus Ihrer Sicht schon immer so war. Die Debatte hat auch viele neue Aspekte; sie hat natürlich mit einer veränderten Welt, mit veränderten Herausforderungen und daraus resultierend eben auch mit einer veränderten Notwendigkeit, den Bildungsbegriff zu verändern, zu tun. Über im postindustriellen Zeitalter veränderte Qualifikationsanforderungen ist ja schon oft gesprochen worden, aber dass wir eben mehr Leistung, mehr Exzellenz, mehr Elite und dementsprechend mehr Eliteförderung brauchen, das ist lange nicht so klar und so deutlich ausgesprochen worden.

Ich gebe ja all denen Recht, die sagen, nun müssen auch Taten folgen, sonst könnte man ja in der Tat diesen Vorwurf machen, dass man nur eine Debatte angestoßen hat, aber mehr nicht. Taten müssen folgen. Das ist richtig. Aber die Debatte darüber, wohin denn auch Geld fließen soll, was sich verändern muss, die wird ja noch geführt. Ich finde es auch in Ordnung, dass hier im Landtag zeitnah darüber diskutiert wird. Ich bin sicherlich auch nicht das letzte Mal zu diesem Thema hier vorn.

Über das, was Herr Greve in die Debatte eingebracht hat, lohnt es sich natürlich auch einmal zu diskutieren. Das ist hier heute nicht der Platz, aber, Herr Greve, eines muss ich doch sagen: Sie haben von der Tabuzone der Verdächtigungen gesprochen, die sich um diesen Begriff ranken. Das hat aber mit unserer Geschichte zu tun - das können Sie nicht einfach ausblenden -, das hat mit dem Versagen der geistigen Eliten in Deutschland im Dritten Reich zu tun.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW] - Zuruf der Abgeordneten Caroline Schwarz [CDU])

Das muss man immer im Hinterkopf haben. - Ich verstehe das schon, Frau Schwarz. Ich wollte nur sagen, sich damit auseinander zu setzen und auch über die Konsequenzen daraus zu sprechen - auch über den Beitrag von Ihnen zu der wieder so geschol

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

tenen 68er-Bewegung -, wäre wirklich eine Debatte wert.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aber ich glaube, wir sollten sie lieber nicht hier in der Verkürzung führen, die hier dann immer sein muss.

(Unruhe)

Voraussetzung für die Debatte um Eliten ist natürlich immer ein Stück Begriffsklärung dessen, was Eliteförderung ist. Niemand hier - das finde ich schon einmal gut - hat gesagt, das sei primär das Aschenputtelprinzip „die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“, sondern alle Redner haben im Grunde genommen betont, dass das auch einen sozialen Aspekt hat und dass es darum geht, möglichst viele mit an die Spitze zu nehmen. Natürlich, es kann nie um Beschränkungen gehen. Es geht darum, möglichst viele an die Spitze zu nehmen und möglichst alle - jetzt rede ich von Kindern und Jugendlichen - dazu zu bringen, dass sie ihr Bestes geben, dass sie das leisten, was sie auch wirklich können, dass eine Schule dazu beiträgt, eben diese individuellen Begabungen möglichst differenziert in einem möglichst offenen System zu erkennen und zu entwickeln. Diesen Weg von fordern und fördern sollen die Schulen in Schleswig-Holstein gehen.

Wegen der knappen Zeit will ich jetzt nicht alles noch einmal aufzählen, was hier zum Teil schon in die Debatte eingeführt worden ist, was sich in den letzten Jahren an Begabtenförderung, an Maßnahmen und Konzepten dazu in Schleswig-Holstein entwickelt hat. Ich will auf zwei Dinge besonders hinweisen - sie sind in dem Antrag von Herrn Dr. Klug auch angesprochen worden -, die ich für besonders wichtig und für weiterentwickelnswert halte.

Das ist natürlich das Prinzip Fördernetzwerke. Wir haben in Schleswig-Holstein ein hervorragendes Beispiel im Kreis Pinneberg, nämlich ein Fördernetz, das dort aus schulpsychologischem Dienst, mehreren Schulen und der Nordakademie entstanden ist, gefördert durch die Kreissparkasse Südholstein und durch Lehrerstunden, die wir dort hinein geben. Dort werden Zusatzkurse für begabte Schülerinnen und Schüler von Klasse 2 bis Klasse 13 angeboten. Das ist auch schon auf Workshops für Kinder im Kindergartenalter, also im Vorschulalter, ausgeweitet worden. Frühe Fördermöglichkeiten und gesonderte Angebote für begabte Kinder in einem solchen Netzwerk zwischen Hochschulen, privater und öffentlicher Förderung und Schulen sind dort sozusagen exemplarisch erprobt worden. Wir arbeiten zurzeit daran, das auf

ganz Schleswig-Holstein auszudehnen. Komplett d’accord!

Das an Schulen mit einzelnen Klassen zu tun - darüber haben wir schon oft diskutiert -, halte ich nach wie vor nicht für sinnvoll. Auch viele Wissenschaftler halten das nicht für sinnvoll. Aber zusätzliche Förderangebote über das hinaus, was ich jetzt gar nicht weiter aufzählen will, in solchen Fördernetzwerken zu haben, das finde ich gut. Wir arbeiten daran, dass das auf das ganze Land ausgedehnt wird.

Das, was die Universitäten inzwischen anbieten, von Kindervorlesungen über „Rent a Prof“ bis zur Zusammenarbeit mit Schulen und Hochschulen, was an Laboren von Geesthacht über Borstel bis Kiel inzwischen eingerichtet worden ist, das ist wirklich Fortschritt in diesem Sinne, das ist wirklich gute Begabtenförderung. Ich wünsche mir, dass wir das intensivieren und regelhaft machen, insbesondere an der Schnittstelle zwischen gymnasialer Oberstufe und Hochschule.

Daran mangelt es noch. Wir reden immer nur von Übergängen und Ausbildungsfähigkeit von Hauptschülern im dualen System. Aber die Übergänge von Gymnasien in die Hochschulen müssen besser verzahnt werden. Da müssen die Begabungen identifiziert werden. Daran müssen doch die Hochschulen ein Interesse haben - das sind ja ihre Spitzenstudierenden und Absolventen von morgen, die vielleicht auch schon in den Gymnasien zu identifizieren sind -, für sie etwas zu tun und sie weiter zu fördern.

Meine Damen und Herren, das Zweite, was ich im Bereich Schule ansprechen will - aber das hat auch etwas mit den Hochschulen zu tun -, ist die Frage: Wie werden diese Begabungen überhaupt identifiziert und erkannt? Natürlich ist es richtig, dass das diagnostische Fähigkeiten erfordert und natürlich auch systematische Erkenntnisprozesse mit wissenschaftlichem Hintergrund. Deswegen, Herr de Jager, finde ich nicht, dass das bei den Schulämtern angesiedelt werden sollte. Das, was derzeit an der CAU aufgebaut wird, eine zentrale psychologischpädagogische Beratungsstelle für Hochbegabte, ist zu unterstützen und zu fördern. Das auch an den Schulen des Landes zu haben, ist erfolgversprechender. Das Wissen darum muss dann natürlich an allen Schulen vorhanden sein. Das begrüßen und unterstützen wir.

Meine Damen und Herren, natürlich - deswegen ist der Ansatz in Ihrem Antrag im Grunde genommen richtig zu sagen, wir können diese Debatte nicht auf die Universitäten und Forschung beschränken, sondern wir müssen gucken, wo das Fundament dafür ist - sind die Schulen, ist die möglichst frühe Förde

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

rung das Fundament. Unsere Universitäten bauen darauf auf.

Ein paar Worte von mir auch zur Frage der Eliteuniversitäten. Über die Debatte sind wir ja inzwischen ein bisschen hinaus. Es geht nicht mehr um die Identifikation von einzelnen Hochschulen, die das Etikett sozusagen amtlich verordnet bekommen. Das ist Unsinn. Aber über die Eliteuniversität und das amerikanische Beispiel muss ich doch auch ein paar Worte verlieren. Auch Sie haben ja wieder die vier oder zehn Einrichtungen aufgeführt, die dort immer in der Debatte sind. Aber über die 4.000 weiteren Universitäten in Amerika redet kein Mensch, über diese Masse, die dort existiert, sondern immer nur über diese sehr knappe Klasse - um das in diesen Gegensatz zu bringen.

Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz in Deutschland hat dazu etwas sehr Bemerkenswertes gesagt. Er hat gesagt, die Masse in Deutschland sei gerade im Vergleich zu den USA sehr gut und sehr qualifiziert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Helmut Plüschau [SPD] und Anke Spoorendonk [SSW])