Protocol of the Session on December 10, 2003

(Veronika Kolb)

dass bei einigen Themen endlich die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit geschlossen wird.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Der gemeinsame Berichtsantrag bietet deshalb für die Ausschussberatungen eine Ausgangsbasis, um im Sinne der Betroffenen konkrete Lösungen zu finden. Ich hoffe auf eine sachliche Diskussion, um diese Lösungen im Interesse aller Betroffenen zeitnah zu finden.

(Beifall bei FDP, CDU und des Abgeordne- ten Lars Harms [SSW])

Ich erteile Frau Abgeordneter Birk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich darüber, dass wir hier zu einer sachlichen Einschätzung gekommen sind. Zumindest ist dies bisher der Fall. Ich hoffe, dass es uns gelingt, tatsächlich Einstimmigkeit zu erreichen, wenn es um Anforderungen an eine zukünftige Schwerpunktsetzung in der Drogenpolitik geht. Wir haben diesen Bericht nach einer ausführlichen zweitägigen Anhörung von der Landesregierung eingefordert, um hierzu im parlamentarischen Raum konzeptionell nächste Schritte zu machen.

Warum braucht Drogen- und Suchtpolitik einen solchen Hintergrund? Weil es immer noch keinen Konsens darüber gibt, dass Sucht eine Krankheit ist, weil wir immer noch weit davon entfernt sind, alle Suchtmittel zu entkriminalisieren und weil wir immer noch weit davon entfernt sind, Einstiegsdrogen, wie sie gerade auch von der Bildungsministerin zu Recht kritisiert wurden, von Kindern und Jugendlichen etwas ferner zu halten, als das bisher geschieht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mehrfachabhängigkeit und die Suchtabhängigkeit von Migrantinnen und Migranten sind Themen, denen sich die Beratungsstellen in den letzten Jahren verstärkt annehmen. Frau Kolb, es ist richtig, dass hier eine Differenzierung gegenüber Rasenmäherangeboten erfolgt, weil wir beispielsweise bei einem Aussiedler mit russischsprachigem Hintergrund, einer jungen Türkin oder einer älteren Italienerin mit unterschiedlichen Süchten und unterschiedlichen kulturellen Hintergründen verschieden umgehen müssen. Das haben die Krankenkassen leider noch nicht kapiert. Genauso wenig reagieren sie angemessen auf die Themen Mehrfachabhängigkeit und Dauerabhängig

keit von verschiedenen Suchtstoffen. Diese Weigerung der Krankenkassen ist bedauerlich.

Ein weiterer Kritikpunkt ist aus unserer Sicht, dass sie nach wie vor bei Abhängigen von illegalen Drogen die Mitfinanzierung von psychosozialer Beratung in der Substitutionsbehandlung verweigern. Ich sage das vor dem Hintergrund, dass wir eine harte Auseinandersetzung über öffentliche Finanzen haben. In dem Moment, in dem wir Sucht als Krankheit anerkennen, müssen wir auch ein gemeinsames Konzept von öffentlicher Hand und Krankenkassen haben.

Sich aus der Sucht zu lösen, heißt auch, typische Geschlechterrollen zu überwinden. Dazu haben meine Vorrednerinnen und Vorredner einiges gesagt. Ich finde, es ist wichtig, dass wir in dieser Frage in einen Dialog mit donna klara und mit der Landesstelle gegen die Suchtgefahren treten, denn mir scheint das Verhältnis der beiden Institutionen immer noch nicht befriedigend geklärt. Ich fasse den Bericht hierzu als einen Zwischenstatus auf. Das kann noch nicht endgültig sein. Wir brauchen ein geschlechterrollenspezifisches Arbeiten für Frauen und Männer, denn auch Männer müssen sich ihrer Geschlechterrolle bewusst werden, wollen sie Suchtverhalten überwinden. Das steckt noch in den Kinderschuhen. Letzteres kann natürlich nicht auf Kosten einer konsequenten Frauenarbeit passieren.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Nach wie vor ist es schwierig, stationäre Therapie und Kinderbetreuung unter einen Hut zu bringen. Hier braucht es offensichtlich neue Konzepte.

(Unruhe)

Der Bericht zeigt, dass die stationären Einrichtungen noch zu wenig vorhanden sind, aber auch zu wenig angenommen werden.

(Glocke der Präsidentin)

Einen Moment bitte, Frau Abgeordnete! Ich denke, den Erfahrungsaustausch über Drogenmissbrauch können Sie außerhalb des Raumes führen. Frau Abgeordnete Birk, Sie haben das Wort.

Ich danke und möchte darauf hinweisen, dass es immer etwas einfacher ist, in diesen Fragen schlichten Parolen zu folgen. Wir haben uns der Frage jedoch differenziert anzunehmen. Wir brauchen die Differenzierung, gerade wenn wir in der Frage der Ent

(Angelika Birk)

kriminalisierung illegaler Drogen weiterkommen wollen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

An dieser Stelle möchte ich auf die Ausführungen der Kollegin Tengler eingehen. Es ist nicht so gewesen, dass die Vertreter des LKA gesagt haben, die Landesregierung handele falsch. Sie haben sich vielmehr von unserer Anhörung versprochen, dass wir ihnen helfen, bürokratische Hürden zu überwinden. Sie haben sich nicht versprochen, die Politik der Landesregierung etwa an das bayerische Modell anzupassen. Ganz im Gegenteil! Wir sind von den internationalen Experten dazu ermutigt worden, auch in Deutschland endlich zu einer Entkriminalisierung von Heroin zu kommen. Wir wünschen uns, dass aus dem Modellversuch, den andere Bundesländer machen, Erkenntnisse gewonnen werden, die uns auch in Schleswig-Holstein helfen. Ausdrücklich positiv unterstrichen wurde im Rahmen der Anhörung die pragmatische Orientierung unseres Bundeslandes bei der Strafverfolgung des Besitzes geringfügiger Mengen von illegalen Drogen. Durch Frau Tengler ist hier ein anderer Zungenschlag hereingekommen. Daher möchte ich das noch einmal festhalten.

Wir wissen, dass das massenweise Suchtverhalten tatsächlich die legalen Drogen betrifft. Gleiches gilt für das Suchtverhalten im Bezug auf Essen, wenn wir an diejenigen denken, die schon in sehr jungen Jahren zu dick werden oder Essen verweigern. Die vorliegenden Zahlen sind sehr bedrohlich. Dieses Suchtverhalten ist auch immer früher zu finden.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Deshalb ist es richtig, dass die Landesregierung auf die legalen Drogen und auch auf die drogenfreien Süchte mit einem sehr breiten Präventionskonzept reagiert hat, was zum Teil auch eine Zusammenarbeit im Ostseeraum nach sich zieht. Das ist sinnvoll, gerade wenn wir an die Suchtprobleme in unseren östlichen Nachbarstaaten denken. Richtig ist, dass diese Prävention an der Schule nicht mit Verboten, sondern mit klaren Zielvereinbarungen arbeitet. Das hat einen nicht weniger verbindlichen Charakter, appelliert aber mehr an die Mitverantwortung und an das Demokratieverständnis von Jugendlichen.

(Glocke der Präsidentin)

Frau Abgeordnete, bitte kommen Sie zum Schluss.

Ich bin hier mehrfach unterbrochen worden.

(Unruhe)

Um Suchthilfe noch erfolgreicher zu machen, muss sie dringend mit der Jugendhilfe vernetzt werden. Frau Kolb, hier gebe ich Ihnen Recht: Wir dürfen es nicht bei einem Appell belassen. Es bedarf dazu aber der Überwindung des versäulten Systems der Jugendhilfe einerseits und der Drogenhilfe andererseits, die sich in gesetzlich unterschiedlichen Finanzierungskreisen befinden. Wenn wir das nicht schaffen, wird es bei den Appellen bleiben. Insofern lege ich Wert darauf, dass wir uns auch diesem Komplex in der Ausschussberatung ausführlich widmen.

Ein Letztes: Die Auswertung der bisherigen Dokumentation könnte zur Folge haben, dass wir in der regionalen Verteilung der Suchtpräventions- und -beratungsstellen eine etwas gerechtere Lösung finden. Es ist doch recht auffällig, wie viele Einrichtungen sich in Kiel und wie wenige sich andernorts befinden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Abgeordnete, ich war bezüglich Ihrer Redezeit so großzügig, weil die Vorrednerinnen ebenfalls überzogen haben. - Das Wort hat Frau Abgeordnete Hinrichsen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als vier von fünf Fraktionen hier im Landtag vor gut zwei Jahren die erste Initiative zur Weiterentwicklung der Drogenpolitik ergriffen, hieß der Antrag „Neue Wege in der Drogenpolitik". Wir wollten erkunden, welche Alternativen zur heutigen Vorgehensweise bestehen.

In der Folge haben Kolleginnen und Kollegen viel Zeit und Arbeit investiert, Wissenschaftler, Praktiker und Betroffene, die wir anhörten, ebenso. Ich finde, die Anhörung hat sich wirklich gelohnt, weil wir gemeinsam Erkenntnisse über das Funktionieren und die Defizite der gegenwärtigen Drogenpolitik gewonnen haben. Uns wurden neue Wege aufgezeigt, die wir gehen müssen, um die Drogenpolitik zu verbessern.

Was aus dieser Anhörung für die Fraktionen von SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und uns, vom SSW, besonders wichtig war, spiegelt sich in dem Antrag „Weiterentwicklung der Drogenpolitik

(Silke Hinrichsen)

in Schleswig-Holstein" wieder. Er ist mit Sicherheit nicht erschöpfend gewesen, wenn es um die Handlungsbedarfe in der Drogenpolitik ging. Aber er benennt einige wichtige Bereiche, in denen unserer Meinung nach mehr oder anderes getan werden muss.

Ich finde, es ist eine Leistung, dass es gelungen ist, vier von fünf Fraktionen bei einem so kontroversen Thema zusammenzubringen.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Leider aber findet sich dieser breite Konsens für den Wandel nur bedingt in dem Bericht der Landesregierung wieder. Der Bericht „Weiterentwicklung der Drogenpolitik" - von uns eben auch als die Beschreitung „neuer Wege" in der Drogenpolitik intendiert - entspricht kaum den Erwartungen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Die in dem Berichtsantrag vom Landtag ausdrücklich geforderte „konzeptionelle Weiterentwicklung" ist jedenfalls schwer zu erkennen. Der Bericht ist im Wesentlichen eine Bestandsaufnahme, die einige Verbesserungen im Detail enthält.

Am deutlichsten wird dies bei den strafrechtlichen Aspekten der Drogenpolitik. Mit ihren Aussagen zur Differenzierung in legale und illegale Drogen bleibt die Landesregierung hinter den Erwartungen zurück, die nicht nur wir hier im Landtag haben. Es scheint fast so, als suche die Landesregierung in dieser Frage nach dem Rückwärtsgang. Den Leerlauf hat sie jedenfalls schon gefunden.

Natürlich hat die Regierung Recht, wenn sie sagt, dass eine deutlichere Betonung der Gefahren der legalen Drogen Alkohol und Tabak dringend erforderlich sei. Die stärkere Betonung dieser Rauschmittel im Rahmen der Prävention allein wird aber noch nicht dem Ziel gerecht, endlich eine konsistente rechtliche Bewertung der Substanzen herzustellen und diese zumindest modellweise zu erproben. Auch wenn es eine Angleichung illegaler und legaler Drogen bei der Prävention gibt: Die Konsumenten werden strafrechtlich ungleich behandelt, obwohl die Wirkungen und Nebenwirkungen der einzelnen Substanzen dies nicht begründen können.

(Beifall beim SSW)

Ich kann verstehen, dass die desaströsen Finanzen und die aktuelle politische Situation auf Bundesebene die Hoffnung auf eine deutliche Verbesserung der Drogenpolitik nicht gerade fördern. Das sollte aber nicht heißen, dass man seine Ziele und Visionen auf

geben sollte. Das ist aber leider der Eindruck, der beim Lesen des Berichts hängen bleibt - und dies ist ja auch schon entsprechend referiert worden.

Jenseits dieser „großen" rechtlichen Fragen der Drogenpolitik gibt es aber noch eine Reihe weiterer Aspekte, die schon in unserem gemeinsamen Antrag angesprochen wurden.