Protocol of the Session on January 30, 2020

Darüber hinaus haben die Frauennotrufe Anrufe von mehreren Frauen erhalten, deren Vergewaltigung schon länger zurückliegt. Durch die gute Öffentlichkeitsarbeit der Frauennotrufe sind diese Frauen auch später noch ermutigt worden, Gesundheitsfragen wie beispielsweise sexuell übertragbare Krankheiten abzuklären und sich bei der Traumabewältigung unterstützen zu lassen.

Auch das ist ein sehr wichtiger Punkt: Die geleistete Öffentlichkeitsarbeit hat hier Wirkung gezeigt. Es geht um die Grundaussage des Projekts: kein Grund, sich zu schämen, sondern sich helfen zu lassen. – Diese Hilfe soll in Rheinland-Pfalz jede Frau bekommen, egal ob sie den Täter anzeigen möchte oder nicht.

Zu Frage 2: Die Erfahrungen zeigen, dass sich Frauen und Mädchen, die sexuelle Übergriffe erlebt haben, nur selten jemandem anvertrauen oder Hilfe in Anspruch nehmen. Das Erleben sexueller Gewalt ist in der Regel stark mit Scham besetzt, was es Betroffenen sehr schwer macht, sich mitzuteilen. Viele haben zudem Angst, dass die sexuellen Übergriffe ohne ihr Einverständnis polizeiliche Ermittlungen nach sich ziehen, wenn die Tat bekannt wird.

Das Angebot der medizinischen Versorgung und anonymen Spurensicherung nimmt dem Opfer den Entscheidungsdruck unmittelbar nach dem traumatischen Erlebnis. Die Betroffene gewinnt die notwendige Zeit, sich zu entscheiden, ohne dass die Spuren durch körperliche Heilungs- oder Abbauprozesse verloren gehen.

Es ist daher mein erklärtes Ziel, ein möglichst flächendeckendes Angebot in Rheinland-Pfalz sicherzustellen. Deshalb hatten wir von Anfang die schrittweise Ausweitung des Projekts auf weitere Standorte geplant. Ich freue mich

deshalb, dass kürzlich, genauer gesagt am 17. Januar, der Frauennotruf Trier zusammen mit dem Klinikum der Borromäerinnen in Trier in unser Projekt eingestiegen ist. Im April steht nun der Projektstart des Frauennotrufs Koblenz in Zusammenarbeit mit der Klinik Kemperhof an.

Ich bin mir sicher, dass weitere Standorte folgen werden; denn nur durch eine flächendeckende Ausweitung können wir allen betroffenen Frauen die Unterstützung bieten, die sie in dieser Situation benötigen und sie ohne Angst und Scham annehmen können.

Zu Frage 3: Viele Bundesländer haben sich der Thematik ebenfalls angenommen. Das zeigt einmal mehr, dass hier eine grundsätzliche Versorgungslücke für vergewaltigte Frauen und Mädchen besteht, die es zu schließen gilt. Auch die Istanbul-Konvention mahnt genau dies an.

Es gibt in anderen Bundesländern auch Konzepte, die ausschließlich auf die vertrauliche Spurensicherung fokussiert sind. Aus der langjährigen Erfahrung der Frauennotrufe wissen wir jedoch, dass es betroffenen Frauen unmittelbar nach dem traumatischen Ereignis häufig in erster Linie darum geht, medizinisch umfassend versorgt zu werden und so bald wie nur möglich erst einmal zur Ruhe zu kommen.

Deshalb haben wir uns in Rheinland-Pfalz auch mit dem landesweiten Runden Tisch für Gewalt in engen sozialen Beziehungen (RIGG) für ein Konzept entschieden, bei dem eben die qualifizierte und umfassende medizinische Versorgung im Vordergrund steht. Dieses Konzept wurde vom Frauennotruf Frankfurt entwickelt und wird beispielsweise auch in Hessen und Baden-Württemberg angewendet und auch dort schrittweise ausgebaut.

Zu Frage 4: Im Rahmen der Verabschiedung des sogenannten Masernschutzgesetzes hat der Bundestag auch die Regelungen zur vertraulichen Spurensicherung in das Gesetz aufgenommen und die Möglichkeiten zur Kostenerstattung erweitert. So bekommen Versicherte, die Opfer einer Vergewaltigung wurden, einen Anspruch auf Kostenübernahme durch die Krankenkassen für eine vertrauliche medizinische Spurensicherung am Körper. Die Spurensicherung kann dokumentiert werden, um in etwaigen späteren Gerichtsverfahren zur Verfügung zu stehen.

Das Abrechnungsverfahren soll so gestaltet werden, dass die Anonymität der Frauen gewährleistet ist. Daher darf in den Abrechnungsunterlagen kein konkreter Bezug zu der versicherten Person hergestellt werden.

Grundsätzlich begrüße ich es sehr, dass der Bund bei diesem wichtigen Thema endlich aktiv wird. Meines Erachtens hätte er schon viel früher in die Thematik einsteigen können.

Wie die Ausgestaltung in den Ländern genau sein wird, ist noch zu klären. Hierzu sind wir auf Fachebene sowohl mit dem Gesundheitsministerium als auch mit den anderen Ländern im Gespräch.

Herzlichen Dank.

Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Blatzheim-Roegler.

Vielen Dank, Frau Ministerin. Sie haben gesagt, dass demnächst an vier Standorten – Mainz, Worms, Koblenz und Trier – das Angebot vorgehalten wird. Wie wird entschieden, ob ein neuer Projektstandort in Rheinland-Pfalz starten kann? Welche Voraussetzungen müssen vielleicht Krankenhäuser mitbringen, die sich an dem Projekt beteiligen wollen? Das würde mich noch interessieren.

Frau Abgeordnete Blatzheim-Roegler, zunächst einmal ist entscheidend, dass sich der Frauennotruf vor Ort auf den Weg macht, Interesse an diesem Projekt zeigt und der jeweilige Notruf vor Ort entscheidet, die Projektverantwortung zu übernehmen.

In einem zweiten Schritt muss dann von den Frauennotrufen eine Klinik gefunden werden, die bereit ist, in dieses Projekt einzusteigen. Die notwendigen Schulungen der Gynäkologinnen und Gynäkologen müssen dem Projektstart vorgeschaltet sein. Dann geht es auch darum, dass natürlich die Rechtsmedizin in Mainz involviert wird, weil sie mit ihrer Expertise die Spurensicherung für die anderen Standorte vornimmt, sodass man auch hier den Kontakt herstellen muss.

In diesem Sinne hoffe ich, dass sich weitere Tandems im Land finden, also Frauennotrufe initial zusammen mit einer Klinik, die sich dann vor Ort auf den Weg machen, um das Projekt durchführen zu wollen.

Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Binz.

Vielen Dank, Frau Ministerin. Sie haben bezogen auf den Standort Mainz von ungefähr 50 % der Fälle gesprochen, von denen die Spurensicherung in Anspruch genommen wurde. Sollte nicht bei dem Projekt im Vordergrund stehen, dass die Spuren der Vergewaltigung gesichert werden, damit die Täter – eventuell auch später – angeklagt werden können? Liegen Ihnen also Erkenntnisse vor, wie man diese Quote erhöhen könnte, oder woran es liegt, dass nur die Hälfte der Frauen das in Anspruch nimmt?

Sehr geehrte Frau Abgeordnete Binz, ich denke, nach unser aller Gerechtigkeitsempfinden hat man den Impuls, dass die Täter natürlich zur Verantwortung gezogen werden. In diesem Sinne ist es natürlich zu begrüßen, wenn gerichtsfeste Spuren gesichert wurden, die in der späteren

Gerichtsverhandlung dabei helfen, den Täter zu verurteilen.

Für uns steht aber im Vordergrund, dass sich kein Opfer unter Druck gesetzt fühlen muss, eine Anzeige zu erstatten. Für uns steht die medizinische Versorgung im Vordergrund, aber im Rahmen der medizinischen Versorgung werden die Gynäkologinnen und Gynäkologen darin geschult, einerseits darauf hinzuweisen, dass es die Möglichkeit einer vertraulichen Spurensicherung gibt, und wie die andererseits gut vorgenommen werden kann.

Die langjährige Erfahrung der Frauennotrufe zeigt aber, in einer solch extremen Ausnahmesituation, in einer solch traumatischen Situation ist es den Frauen am allerwichtigsten, zunächst einmal medizinisch versorgt zu werden und abklären zu lassen: Bin ich verletzt worden? Habe ich dadurch eine sexuell übertragbare Krankheit bekommen? Habe ich andere Folgen, die ich durch die Vergewaltigung davontrage? Dann möchten sie aber auch möglichst schnell zur Ruhe kommen.

Ich glaube, deshalb ist unser Projekt der richtige Ansatz, keinen Druck auszuüben. In dem Moment, in dem die Spuren gesichert sind, kann aber die Frau auch Monate später noch eine Anzeige erstatten, wenn sie zur Ruhe gekommen ist und die entsprechende psychologische Begleitung gehabt hat, sodass sie sich selbst stark genug fühlt, diese Anzeige zu erstatten. Das ist genau der Weg, den wir damit verfolgen.

Es liegen noch drei weitere Wortmeldungen für Zusatzfragen vor. Danach betrachte ich die Mündliche Anfrage als beantwortet. Zunächst hat der Abgeordnete Hartenfels das Wort.

Frau Ministerin, wie sieht denn die konkrete Förderung für das Projekt aus?

Herr Abgeordneter Hartenfels, es gibt unterschiedliche Förderstränge, die damit zusammenhängen.

Wir hatten zunächst mit der Universitätsklinik Mainz und in Worms angefangen. Bevor das Projekt an den Start gehen konnte, haben wir zunächst einmal umfangreiche Untersuchungs- und Informationsmaterialien erstellt. Wir haben die Schulungen vorgenommen, und es mussten Lizenzen vom Frauennotruf in Frankfurt erworben werden, damit wir das Projekt von dort so übernehmen konnten. Für diesen Anschub gab es zunächst einmal eine Finanzierung in Höhe von 55.000 Euro für die Lizenzgebühren und Materialkosten.

Bei allen neu hinzukommenden Notrufen gibt es zum Projekteinstieg und zur Anschubfinanzierung eine Förderung in Höhe von 12.000 Euro. Das sind die Mittel für die Lizenz,

die Öffentlichkeit und die Anpassung der Informationsmaterialien auf die jeweiligen Standorte. Wenn dann das Projekt ins Laufen gekommen ist, gibt es pro Jahr 5.000 Euro für jeden Frauennotruf, der sich daran beteiligt. Für die Lagerung der Asservate bei der Rechtsmedizin gibt es 100 Euro pro Asservat. Diese Kosten erstatten wir den Frauennotrufen in Höhe von bis zu 1.000 Euro jährlich.

Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Demuth.

Frau Ministerin, es ist sehr erfreulich, dass versucht wird, diese Versorgungslücke zu schließen. Nichtsdestotrotz sagt die Polizeiliche Kriminalstatistik des Jahres 2018, dass die Gewaltzahlen gegen Frauen eklatant in die Höhe gegangen sind. Es gab eine weitere Steigerung um 10 %, nämlich 23 versuchte Tötungen, fünf davon waren leider erfolgreich. Meine Frage vor diesem Hintergrund lautet: Sehen Sie weitere Versorgungslücken in der Hilfestruktur für von Gewalt betroffene Frauen in Rheinland-Pfalz?

Frau Abgeordnete Demuth, für mich steht ganz klar im Vordergrund, dass wir bei allen Versorgungslücken, die wir noch zu schließen haben – gerade schließen wir eine sehr wichtige –, beim Problem der Gewalt – Sie hatten die Zahlen genannt – ansetzen – insbesondere betrifft das die Gewalt in den engen sozialen Beziehungen – und diese Gewalt natürlich zurückgehen muss.

Ich hatte eingangs gesagt, wichtig ist zu wissen, dass eine solche Gewalt insbesondere dann ausgeübt wird, wenn ein ungleiches Machtgefälle vorhanden ist. Deshalb müssen wir meines Erachtens die Rahmenbedingungen so gestalten, dass es gar nicht erst zu dieser Gewalt kommt.

(Unruhe im Hause – Glocke des Präsidenten)

Das galt nicht Ihnen. Bitte reden Sie weiter. Das war wegen der Unruhe.

Ach so, Unruhe, okay.

Die Herausforderung schlechthin hinsichtlich der Gewalt in den engen sozialen Beziehungen bleibt für mich, dass wir durch die Rahmenbedingungen, die wir verändern, dafür sorgen müssen, dass es erst gar nicht zu dieser Gewalt kommt.

Es ist ein ungleiches Machtgefälle, aber ich glaube, es hat schon auch etwas damit zu tun, dass dieses Thema in unserer Gesellschaft nach wie vor stark tabuisiert wird und sich viele Opfer nicht trauen, darüber zu sprechen.

Sie hatten die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik genannt, und wir wissen, dass diese im Grunde die Spitze des Eisbergs sind. Wir wissen aus Dunkelfeldstudien, insbesondere im Bereich der Vergewaltigung, dass die allermeisten Betroffenen erst gar keine Anzeige erstatten, weil beispielsweise das Opfer in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Täter steht.

Ich glaube, es geht uns alle an, auch als Gesellschaft hinzuschauen, klarzumachen, dass Gewalt tabu ist, Gewalt immer tabu ist und es auch nicht hinnehmbar ist, wenn Menschen das verniedlichen, verharmlosend als Kavaliersdelikt darstellen oder sagen, das sei eine Privatangelegenheit.

Ich glaube, dass wir alle ein Zeichen von dieser Debatte aussenden, dass Gewalt in engen sozialen Beziehungen eine große Herausforderung ist, der wir uns alle annehmen und an der wir alle arbeiten müssen, um das Problem endlich in den Griff zu bekommen, damit es zu weniger Gewalt kommt.

Eine Frage der Kollegin Blatzheim-Roegler.

Frau Ministerin, Sie sagten, dass die Unterstützung oder Förderung 12.000 Euro plus dann noch einmal 5.000 Euro im Jahr für die Notrufe beträgt. Gehen diese 12.000 Euro an die Kliniken, oder welche Unterstützung bekommen die Kliniken? Welche Vorteile haben Kliniken, wenn sie sich an dem Modell beteiligen?

Aus den Gesprächen mit den Kliniken, die sich beteiligt haben, weiß ich – das ist nachvollziehbar –, dass die Kliniken natürlich auch ein ureigenes Interesse daran haben, dass Frauen, die vergewaltigt wurden, gut versorgt werden können, und sie diesbezüglich ein gutes Angebot bereitstellen wollen.

Tatsächlich ist es so, dass uns viele Gynäkologinnen und Gynäkologen die Rückmeldung geben: Wunderbar, dass es diese Schulungen gibt. Wunderbar, dass es diesen standardisierten Fragebogen gibt. Damit haben wir erstmals einen Leitfaden, wie wir in diesen Fällen mit den Opfern umgehen und gegebenenfalls auch die Spuren sichern können.

Insofern merke ich, dass die Kliniken – auch im Sinne einer Win-win-Situation – ein großes Interesse daran haben, an diesem Projekt teilzunehmen. Auch die Kliniken wollen gut aufgestellt sein und betroffenen Frauen, die eine Klinik aufsuchen, eine gute medizinische Versorgung geben können.

Ich glaube, vor dem Hintergrund, dass wir auch die Kontakte zur Rechtsmedizin nach Mainz und zu den Frauennotrufen anbieten, ist es ein weiterer wichtiger Baustein,