Zu schriftführenden Abgeordneten berufe ich die Kolleginnen Stephanie Lohr und Nina Klinkel. Frau Klinkel wird auch die Redeliste führen.
Entschuldigt fehlen heute Vizepräsident Hans-Josef Bracht sowie die Abgeordneten Josef Dötsch und Horst Gies. Die Kollegin Ingeborg Sahler-Fesel ist entschuldigt bis 13:00 Uhr. Des Weiteren fehlt entschuldigt Staatssekretär Clemens Hoch.
Ich rufe die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Daniel Schäffner und Heiko Sippel (SPD), Initiative zur Rechtsdurchsetzung im Netz – „Verfolgen und Löschen“ – Nummer 1 der Drucksache 17/10327 – betreffend, auf.
2. Welche Hindernisse sieht die Landesregierung derzeit bei der Verfolgung strafbarer Inhalte im Netz?
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Morddrohungen gegen Politikerinnen und Politiker, das unverhohlene Drohen mit einem Anschlag für den Fall, dass Wahlkampf nicht eingestellt werde, Beleidigungen und Hasskommentare in sozialen Medien sind leider alltäglich. Sie vergiften das gesellschaftliche Klima, wir dürfen deshalb nicht wegschauen. Solche Tweets und
Kommentare müssen nicht nur gelöscht, sondern – soweit Anlass dazu besteht – auch strafrechtlich verfolgt werden.
Dies ist aufgrund der Löschungspflichten aus dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz bzw. dem Telemediengesetz schwierig. Nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz haben die Provider rechtswidrige Inhalte, die ihnen aufgrund einer Beschwerde bekannt geworden sind, binnen sieben Tagen zu löschen. Offensichtlich rechtswidrige Inhalte, also solche, die einen strafrechtlich relevanten Inhalt haben oder haben könnten, sind sogar binnen 24 Stunden zu löschen. Vergleichbare Löschpflichten gelten auch für Inhalte nach dem Telemediengesetz.
Der zeitliche Spielraum für eine strafrechtliche Verfolgung solcher Inhalte ist also sehr eng. Sind die Inhalte nämlich einmal gelöscht, fehlt das entscheidende Beweismittel. Nicht immer erstatten die Medienunternehmen eine Strafanzeige. Teilweise beschränken sie sich darauf, aus ihrer Sicht strafbare Inhalte zu löschen. Das ist aus ihrer Sicht durchaus nachvollziehbar: Eine Strafanzeige kann Aufwand verursachen, und die Medienunternehmen sind in der Regel auch nicht so vertraut damit, welchen Inhalt und welche Form eine Strafanzeige haben sollte.
Hier setzt die Initiative „Verfolgen und Löschen“ an. Sie bietet den Medienverantwortlichen einen schnellen Zugang zu einer strafrechtlichen Prüfung durch die Staatsanwaltschaft.
In Nordrhein-Westfalen, wo dieses Modell zuerst ins Leben gerufen wurde, geschieht dies durch einen einheitlichen Meldeweg in Gestalt eines speziellen E-Mail-Postfachs bei einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft bzw. bei einem speziell mit der Bearbeitung dieser Delikte betrauten Staatsanwalt der zentralen Ansprechstelle Cybercrime bei der Staatsanwaltschaft Köln. In Rheinland-Pfalz haben wir uns für einen anderen Weg entschieden, nämlich den der kurzen Wege und des persönlichen Kontakts vor Ort. Auch so wird der Grundgedanke einer möglichst schnellen und effizienten Strafverfolgung derartiger Hasskommentare effektiv umgesetzt. Das ist das Ergebnis von Gesprächen der beteiligten Ressorts, des Ministeriums des Innern und für Sport sowie des Justizministeriums mit der Landesmedienanstalt.
Konkret bedeutet das, den Medienhäusern und Verlagen wird die Möglichkeit eröffnet, entsprechende Strafanzeigen unmittelbar per E-Mail an die örtlich zuständigen Kommissariate für politische Straftaten zu übermitteln. Dabei sollen die wesentlichen Inhalte der Strafanzeige durch ein bereitgestelltes Formular abgefragt werden, die Details werden noch ausgearbeitet.
Die Medienhäuser und Verlage sind in Rheinland-Pfalz im Wesentlichen an den Standorten der Staatsanwaltschaften Mainz, Koblenz, Trier und Frankenthal konzentriert. Deshalb ist es sinnvoll, dass eine Kontaktaufnahme zwischen den Medien und den Staatsanwaltschaften vor Ort erfolgt. Zusätzlich unterstützt wird die Initiative durch die Zentralstelle Cybercrime und die Zentralstelle zur Verfolgung von Extremismus und Terrorismus, die beide bei der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz angesiedelt sind. Beide verfügen über Erfahrungen und Expertise bei der Verfolgung entsprechender Straftaten, insbesondere wenn
Die Dezernentinnen und Dezernenten der Zentralstellen stehen mit ihrem Erfahrungswissen zur Verfügung, um fachlichen Rat zu erteilen oder Verfahren auch im Einzelfall zu übernehmen. Deshalb wird zumindest vorerst keine Notwendigkeit für eine Zentralisierung oder Spezialisierung bei einer Staatsanwaltschaft gesehen.
Die Initiative wurde im Rahmen einer Auftaktveranstaltung am 15. Oktober 2019 vorgestellt. Die Resonanz auf die Veranstaltung war sehr gut. Zahlreiche namhafte Medienhäuser, unter anderem das ZDF, der SWR, funk, das Online-Medienangebot von ARD und ZDF für Jugendliche und Erwachsene, die RHEINPFALZ, die Allgemeine Zeitung, der Trierische Volksfreund und mehrere Radiosender waren vertreten. Sie nutzten die Gelegenheit, um ihre Fragen und Erwartungen an die Strafverfolgungsbehörden zu formulieren. Dabei wurde gerade die Möglichkeit eines einfachen und schnellen Meldeweges für die Strafanzeigen sehr positiv aufgenommen.
Zwei Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz hielten Vorträge zum Thema „Rechtliche Erstbewertung von Hasskommentaren“ und „Fertigung von Strafanzeigen“. Die Landesmedienanstalt plant einmal jährlich einen Erfahrungsaustausch, um zu sehen, ob und wo nachjustiert werden sollte.
Ziel der Initiative ist es, die Bereitschaft der Anzeigen von strafbaren Hasskommentaren im Netz zu steigern, den entsprechenden Verfolgungsdruck zu erhöhen und sowohl Tätern als auch potenziellen Nachahmern zu verdeutlichen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Wir wollen dies durch den rheinland-pfälzischen Weg einer unmittelbaren Kontaktaufnahme der Medienhäuser mit den Strafverfolgungsbehörden vor Ort erreichen.
Hindernisse für die Strafverfolgung bestehen weniger in rechtlicher als vielmehr in rechtstatsächlicher Hinsicht. Strafverfolgungsbehörden können nicht alle Hasskommentare im Netz kennen. Deshalb sind sie auf Hinweise bzw. Strafanzeigen angewiesen, um ermitteln zu können.
Eine Verfolgung und Ahndung strafrechtlich relevanter Inhalte setzt außerdem voraus, dass der Verfasser eines Eintrags ermittelt werden kann. Die zur Ermittlung der Identität des Verfassers erforderlichen Verbindungsdaten werden aber allenfalls wenige Tage gespeichert. Eine Strafanzeige muss daher zeitnah erfolgen und unverzüglich bearbeitet werden, um den Urheber oder die Urheberin eines strafrechtlich relevanten Inhalts ermitteln zu können.
Zu Frage 3: Die Landesregierung unterstützt die Initiative, indem sie den Medienhäusern kurze Meldewege für die Strafanzeigen eröffnet, eine unverzügliche Prüfung der Anzeigen durch die Kommissariate für politische Straftaten gewährleistet, Merkblätter und Formulare für die Erstattung von Strafanzeigen erstellt sowie Ansprechpartner vor Ort und bei den Zentralstellen der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz zur Verfügung stellt. Sie wird das Projekt weiterhin eng begleiten, den Austausch mit den Medien
unternehmen suchen und überprüfen, ob und an welchen Stellen die Initiative künftig gegebenenfalls angepasst oder optimiert werden kann und soll.
Zu Frage 4: Daneben verfolgt die Landesregierung weitere Ansätze, um Hass und Hetze insbesondere im Netz effektiv entgegenzutreten. So hat Rheinland-Pfalz einen Gesetzentwurf zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes von im politischen Leben des Volkes stehenden Personen in den Bundesrat eingebracht. Danach soll unter anderem § 188 Strafgesetzbuch, der Tatbestand der üblen Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens, auch auf Politikerinnen und Politiker auf kommunaler Ebene ausgeweitet werden.
Zudem soll der Strafrahmen des Tatbestands der Bedrohung – § 241 Strafgesetzbuch – für die Fälle erhöht werden, in denen die Tat öffentlich oder durch das Verbreiten von Schriften begangen wird, also insbesondere bei einer Tatbegehung über das Internet bzw. im sozialen Netzwerk. Dieser Gesetzentwurf wurde am 20. September im Bundesrat eingebracht und wird derzeit dort beraten. Medienberichten war zu entnehmen, dass auch das Bundesjustizministerium eine Erweiterung des § 188 Strafgesetzbuch anstrebt. Insofern freuen wir uns auf die Diskussion auf Bundesebene.
Seit dem 1. August 2019 ist beim Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz eine Hotline eingerichtet, die ergänzend zu den regulären Erreichbarkeiten der Polizeidienststellen den rheinland-pfälzischen Amts- und Mandatsträgern und Bediensteten der öffentlichen Verwaltungen die Möglichkeit eröffnet, die Polizei rund um die Uhr über strafrechtlich relevante Sachverhalte mit Bezügen zur ausgeübten Tätigkeit in Kenntnis zu setzen und unmittelbar gegebenenfalls erforderliche Maßnahmen zu erörtern. Zur verstärkten Aufdeckung und Bekämpfung von rechtsextremer Hetze im Internet hat der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz zudem eine Taskforce „Gewaltaufrufe rechts“ eingerichtet. Hierdurch werden die Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden in die Lage versetzt, rechtsextremistisch motivierte Hetze und Gewaltaufrufe mit Bezügen zu Rheinland-Pfalz im Internet früher zu erkennen sowie intensiver und fokussierter zu verfolgen. Die Urheber sollen identifiziert werden, um mögliche Gefahren frühzeitig zu erkennen und abzuwehren und strafrechtlich relevante Handlungen konsequent zu verfolgen.
Vielen Dank! – Herr Minister, Sie haben in Ihren Ausführungen § 188 Strafgesetzbuch angesprochen. Ich hatte gestern in der Debatte auch darauf hingewiesen, dass man überlegen müsste, bei den §§ 185, 186 und 187 etwas zu verändern, weil § 188 nur gewisse Personen mit gewissen Funktionen betrifft. Wie stehen Sie dazu?
Grundsätzlich bin ich und ist auch die Landesregierung gern bereit, solche Vorschläge zu prüfen. Hier ging es insbesondere darum zu verdeutlichen, dass auch Kommunalpolitiker den gleichen Schutz verdienen wie Sie als Landtagsabgeordnete. Den haben sie nämlich derzeit nicht. Wenn man sich den Wortlaut anschaut, könnte man die Auffassung haben, sie hätten ihn; aber die Rechtsprechung hat schon vor vielen Jahren entschieden, dass dies für Kommunalpolitiker nicht gelten soll. Dieses Ungleichgewicht wollten wir ein Stück weit aufheben.
Aber im Rahmen des § 241 StGB streben wir auch Verbesserungen an, die für alle gelten, also nicht nur für Politiker. Insofern sind wir auch gern bereit, andere Dinge in diesem Zusammenhang zu prüfen.
Herr Minister, klare und kurze Meldewege sind sehr entscheidend. Was spricht aus Ihrer Sicht für eine dezentrale Zuständigkeit der Staatsanwaltschaften vor Ort entsprechend der Medienstandorte? Andere Bundesländer haben es zentraler geregelt. Inwieweit wird die Zentralstelle Cybercrime bei der Generalstaatsanwaltschaft in Koblenz in die Ermittlungsarbeit mit einbezogen?
Die Zentralstelle Cybercrime bei der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz hat beratende Funktion für die Staatsanwaltschaften, übernimmt selbst aber nur sehr komplexe Sachverhalte wie zum Beispiel die Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Bunker an der Mosel. Das sind Verfahren, die typischerweise von der Zentralstelle bearbeitet werden sollen.
Wir haben diesen Weg auch in Abstimmung mit der Landesmedienanstalt gewählt, weil auf diese Art und Weise die Staatsanwaltschaft vor Ort, die für die Medien am leichtesten erreichbar ist, auch der Ansprechpartner ist. Letztlich haben diese Verfahren in der Regel keine komplizierten rechtlichen Sachverhalte zum Hintergrund, sondern hier geht es darum, möglichst schnell die zuständige Stelle in Kenntnis zu setzen, dass eine Straftat möglicherweise begangen worden ist, damit möglichst schnell auch die entsprechenden technischen Maßnahmen eingeleitet werden, um die Beweise zu sichern. Deswegen sind wir der Auffassung, dass dieser Weg, der auch die fachlichen Kommissariate der Polizei mit einbindet, die solche Maßnahmen dann auch trifft, der bessere Weg für Rheinland-Pfalz ist.
Aber wir werden das selbstverständlich in den nächsten Jahren beobachten. Wenn Anpassungsbedarf besteht, sind wir gerne bereit, das anzupassen.
Herr Minister, Sie sind explizit auf den rheinlandpfälzischen Weg der kurzen Wege eingegangen. Meine Frage: Kann jeder Bürger oder jede Bürgerin eine Meldung einreichen?
Dies ist ein Projekt, das zusammen mit der Landesmedienanstalt und den betroffenen Medienunternehmen gemacht worden ist, weil diese auf ihren Plattformen Löschungspflichten nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz haben und deshalb in die Lage versetzt werden müssen, uns möglichst schnell die Anzeigen und die Beweismittel zur Verfügung zu stellen. Das ist etwas, was der normale Bürger so nicht hat, weil er im Regelfall keine Plattform betreibt.
Selbstverständlich darf jeder Bürger, wenn er so etwas im Netz entdeckt, Hinweise an die Polizei oder die Staatsanwaltschaft geben und entsprechende Strafanzeigen stellen.
Hier geht es insbesondere darum, die Medienunternehmen, die unter dem Zeitdruck stehen, innerhalb kürzester Zeit löschen zu müssen und damit sozusagen die Beweise vernichten, in die Lage zu versetzen, der Staatsanwaltschaft die notwendigen Informationen zu geben. Das ist ein Spezialfall, den die Bürger normalerweise so nicht haben.
Herr Minister, Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, dass es für die Medienunternehmen nicht immer so einfach ist zu entscheiden, welche rechtliche Relevanz ein solcher Vorfall hat. Jetzt wollen Sie den Weg gehen, dass direkte Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft gestellt werden können, ohne dass eine Vorprüfung wie in anderen Bundesländern erfolgt. Besteht nicht die Gefahr, dass eine Fülle von Anzeigen bei den Staatsanwaltschaften eintrifft, deren rechtliche Relevanz sich nachher als nicht tragfähig erweist und wir damit eine Überbelastung unserer Staatsanwaltschaften bekommen?