Protocol of the Session on May 16, 2019

Der Verwaltungsvorgang zur Bestimmung des Eigenbeitrags ist bürokratisch, kompliziert, in seiner Auslegung nicht eindeutig und erweckt in der Praxis oft den Eindruck der Willkürlichkeit. Außerdem ist der Gesamtbetrag, welcher im Jahr 2017 in Rheinland-Pfalz von den betroffenen Jugendlichen eingefordert wurde, überschaubar und beläuft sich auf ca. 110.000 Euro, wie die Antwort auf die Kleine Anfrage der Kollegen Wink und Roth ergab.

Die Forderung der Ampelkoalition nach einer Abschaffung des Eigenbeitrags mag daher vordergründig überzeugend klingen, hält aber bei näherer Betrachtung einem gesamtgesellschaftlichen Vergleich nicht stand. So müssen Kinder und Jugendliche aus Hartz-IV-Familien ihr eigenes Einkommen inklusive Unterhaltszahlungen, Unterhaltsvorschuss und sogar Kindergeld für den eigenen Lebensunterhalt einsetzen und anrechnen lassen und fallen somit unter Umständen aus der Bedarfsermittlung zur Bedarfsgemeinschaft heraus.

Mehr noch, ab einem Einkommen oberhalb des Doppelten der Regelleistung plus Pro-Kopf-Anteil der Kosten für Unterkunft und Heizung müssen Hartz-IV-Kinder und -Jugendliche unter Umständen sogar für die Bedarfsgemeinschaft mitsorgen. Für Heim- und Pflegekinder bzw. Jugendliche tragen jedoch die Jugendämter die Kosten des Unterhalts. Die komplette Streichung des Eigenbeitrags wäre also eine Ungleichbehandlung, die neue soziale Ungerechtigkeiten schafft.

Aber auch jeder Auszubildende aus nicht wohlhabenden Familien wird in der Regel seine Ausbildungsvergütung zu Teilen in den familiären Haushalt einbringen bzw. für seinen eigenen Lebensunterhalt einsetzen. Ein Beitrag zum eigenen Unterhalt dürfte daher für einen Großteil der Jugendlichen in unserem Land völlig normal sein.

Meine Damen und Herren der FDP, außerdem ist Ihr Antrag – er kommt ja ursprünglich aus Ihrer Fraktion – ausgesprochen undifferenziert und oberflächlich und enthält eine Reihe von Ungereimtheiten. Das beginnt schon mit der Überschrift; denn Kinder zahlen keinen Eigenbeitrag, sondern Jugendliche, welche über ein eigenes Einkommen verfügen.

Des Weiteren wird nicht zwischen den Einkommensarten unterschieden. Es dürfte einen Unterschied machen, ob sich ein Jugendlicher mit dem Austragen von Zeitungen ein Taschengeld dazuverdient oder mit einer Ausbildungsvergütung ein wirkliches Einkommen besitzt.

Es ist doch festzustellen, dass bei der von Ihnen geforder

ten Streichung des Abs. 6 aus § 94 SGB VIII die Forderungen der Jugendhilfe nach § 94 Abs. 1 auf Ehepartner, Lebenspartner und Eltern der betroffenen Jugendlichen übergehen würden bis zur Höhe der tatsächlichen Kosten und entsprechend der Leistungsfähigkeit der Genannten. Das wäre gerade bei Ehen und Lebensgemeinschaften – soweit überhaupt durchsetzbar – sehr kontraproduktiv.

Auch ziehen Sie in Ihrem Antrag nicht die Reduktion des Eigenbeitrags auf 50 % in Betracht, wie dies von verantwortlich agierenden Jobcentern bei Kindern und Jugendlichen in Hartz-IV-Familien zurzeit bereits praktiziert und von vielen Aktiven in der Jugendhilfe gefordert wird. Mit einer solchen Absenkung des Eigenbeitrags könnte das Problem der Ungleichbehandlung nämlich umgangen werden. Sie aber fordern sehr großzügig die komplette Streichung der Eigenbeiträge. Die Kosten tragen natürlich die Kommunen.

Meine Damen und Herren der Ampelkoalition, Ihr Antrag ist daher leider ziemlich mit der heißen Nadel gestrickt. Er ist leider handwerklich schlecht gemacht, vor allem im Hinblick auf die Rechtsfolgen. Er geht zulasten der ohnehin im Sozialbereich finanziell stark beanspruchten Kommunen, und er ist leider auch wahlkampfpopulistisch.

Außerdem könnte das Land durchaus auch selbst tätig werden und bis zur Neugestaltung des SGB VIII eine landeseigene Übergangsregelung zum Beispiel in Form eines Zuschusses einsetzen. Meine Damen und Herren der Ampelkoalition, Sie aber treiben wieder einmal Spiegelfechterei und verweisen in der rechtlichen Umsetzung auf den Bund und bei der Finanzierung auf die Kommunen.

Des Weiteren enthält der Antrag eine Phrase, die es wert ist, getrennt betrachtet zu werden. Im letzten Absatz unter der Überschrift „Der Landtag stellt fest“ bricht die FDP mit dem Leistungsprinzip: „Die Praxis der Anrechnung von Arbeitslohn auf soziale Leistungen ist unsozial und leistungsfeindlich.“ Meine Damen und Herren von der FDP, wie weit ist es eigentlich mit Ihnen in dieser Koalition gekommen, dass Sie nunmehr dieses grundlegende Prinzip unserer Sozialen Marktwirtschaft infrage stellen?

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Völlig unangemessen! – Abg. Martin Haller, SPD: Das ist ja peinlich!)

Der Alternativantrag der AfD-Fraktion macht es besser und fordert den Einsatz der Landesregierung für differenzierte und eindeutige Regeln im SGB VIII und eine Reduzierung des Eigenbeitrags auf 50 %.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der AfD)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abgeordnete Köbler.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und

Herren! Ja, die Anrechnung von Arbeitseinkommen bei Menschen mit Sozialleistungen ist ungerecht und leistungsfeindlich. Dies wird bei den Heim- und Pflegekindern besonders deutlich, die drei Viertel ihres ersten Arbeitseinkommens abgeben müssen.

Das Beispiel eines Pflegekinds aus Koblenz: vor Kurzem 18 Jahre alt geworden, Nebenjob im Supermarkt bekommen, 10 Euro die Stunde, super für den Anfang. Dann heißt es auf einmal: Davon darfst du nur 25 % behalten. Wer geht schon für 2,50 Euro arbeiten?

Das freut übrigens auch die Eltern, weil sie – beim Nebenjob ist es nicht unüblich, dass in der einen Woche so viele Stunden, in der anderen Woche so viele Stunden gearbeitet werden – jedes Mal wieder einen Antrag stellen und einen Stundennachweis ausfüllen mussten. Dieser bürokratische Aufwand ist an sich schon eine Gängelung.

Besonders sichtbar wird die Ungerechtigkeit im System aber in Familienkonstellationen, in denen es zum Beispiel zwei Kinder gibt, ein leibliches Kind und ein Pflegekind. Nehmen wir an, beide sind ungefähr im selben Alter und treten beispielsweise eine Ausbildung zur Bankkauffrau an. Bei beiden steht auf dem Stundenzettel am Ende ein Bruttolohn von ungefähr 700 Euro. Das leibliche Kind darf nach Abzügen ungefähr 600 Euro netto behalten, aber das Pflegekind bekommt am Ende für die gleiche Arbeit in dieser Ausbildung nur 150 Euro.

Meine Damen und Herren, Kinder aus Heimen und Pflegefamilien müssen die gleichen Startmöglichkeiten haben wie Kinder, die bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen. Deswegen ist es ungerecht und leistungsfeindlich, dass gerade diese Kinder 75 Cent von jedem dazuverdienten Euro abgeben müssen. Genau das wollen wir mit unserem Antrag ändern. Wir unterstützen deshalb die Bundesratsinitiative von Familienministerin Spiegel, die Situation für berufstätige Heim- und Pflegekinder zu verbessern und diese Gerechtigkeitslücke endlich ein Stück weit zu schließen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und FDP)

Für die Landesregierung erteile ich Staatssekretärin Rohleder das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete! Jedes Kind, jede und jeder Jugendliche sollte die gleichen Chancen auf die Entwicklung seiner Persönlichkeit und seiner Fähigkeiten haben.

Es gibt aber Kinder, deren Familien ihnen leider nicht das geben können, was sie brauchen und verdient haben: Geborgenheit, Liebe, Sicherheit, Raum für sich selbst und ihre Entdeckungen.

Was es heißt, wenn ein Kind in eine Pflegefamilie wechselt, das haben Sie uns, Herr Abgeordneter Stein, vorhin sehr

eindrucksvoll geschildert. Vielen Dank dafür. Viele Kinder wechseln auch nicht in eine Pflegefamilie, sondern in ein Heim, wo sie es mit sehr viel unterschiedlichen Bezugspersonen zu tun haben.

Auch wenn ein Kind in einer Pflegefamilie sehr liebevoll aufgenommen wird und genauso zur Familie gehört wie alle anderen Familienmitglieder, ist die Vorgeschichte und der Wechsel der Bezugspersonen ein erschwerter Start, und die Kinder und Jugendlichen sind anderen gegenüber hierdurch im Nachteil.

Unser Ziel muss deshalb sein, diese jungen Menschen bestmöglich zu unterstützen, damit ihnen später ein selbstständiges und verantwortungsvolles und auch glückliches Leben gelingt; denn Kinder werden in diese Lebenssituation hineingeboren, sie haben sich das nicht ausgesucht.

Wenn nun diese jungen Menschen während ihrer Unterbringung im Heim oder in einer Pflegefamilie ein eigenes Einkommen erzielen, müssen sie aber bis zu 75 % ihres Nettoeinkommens an das Jugendamt zahlen. Kostenbeiträge sind zwar ein Prinzip unserer sozialen Sicherungssysteme, in diesem Fall aber ist der Kostenbeitrag schlichtweg ungerecht. Die Regelung erschwert den Weg dieser jungen Menschen, obwohl sie meist ohnehin schon schwierige biografische Erlebnisse zu bewältigen haben. Sie haben ohnehin ein größeres Risiko, in finanzielle Engpässe zu kommen, wenn sie beispielsweise ihre erste Wohnung einrichten oder eine Wohnungskaution leisten müssen, weil sie eben keine Eltern haben, die sie unterstützen und unterstützen können.

Ist ein Ausbildungsplatz gefunden, ist die Freude groß. Muss dann vom spärlichen Lohn drei Viertel abgegeben werden, ist der Schock noch größer. Das ist eine massive Demotivation und kann schlimmstenfalls zum Abbruch einer Ausbildung führen oder dazu, dass eine Arbeitsstelle wieder aufgegeben wird.

Aus unserer Sicht widerspricht dies eindeutig dem Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe. Unser Ziel ist daher, dass Jugendliche, die in einer Pflegefamilie, in einem Heim oder einer Wohngruppe leben, keinen Kostenbeitrag mehr abgeben müssen, wenn sie durch Arbeit oder soziales Engagement ein eigenes Einkommen erzielen.

Derzeit wird im Bund über eine Reform des Kinder- und Jugendhilferechts diskutiert, und wir setzen uns hierbei dafür ein, dass in diesem Rahmen auch die ungerechte Regelung zum Kostenbeitrag abgeschafft wird.

Familien, die Kinder und Jugendliche aufnehmen, leisten einen großen Beitrag für jedes einzelne Kind und auch für die gesamte Gesellschaft. Sie sind für junge Menschen verlässlich da, geben ihnen emotionale Zuwendung und Stabilität und ermöglichen ihnen so ein gutes Aufwachsen. Diese Familien betreuen die ihnen anvertrauten jungen Menschen mit großem Engagement und persönlichem Einsatz als Eltern dieser Kinder. Hierfür danke ich allen Pflegeeltern ganz ausdrücklich.

Wichtig sind uns auch Anlaufstellen für die Kinder- und Jugendhilfe. Hier gibt es seit 2017 die Ombudsstelle bei der Bürgerbeauftragten. Darüber hinaus wird es demnächst

auch einen Landesheimbeirat geben als Interessenvertretung für Kinder und Jugendliche, die in einer stationären Einrichtung leben. Derzeit werden die Kinder und Jugendlichen aus stationären Einrichtungen einbezogen, um ihre Vorstellungen einzubringen. Im Herbst soll der Beirat eingerichtet werden.

Uns ist es wichtig, dass alle jungen Menschen die gleichen Chancen haben und nicht denjenigen, die ohnehin schon schwierige Erlebnisse verarbeiten müssen, mit finanziellen Bürden der Start in ein selbstbestimmtes Leben erschwert wird.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP – Zuruf des Abg. Alexander Schweitzer, SPD)

Die antragstellenden Fraktionen beantragen Ausschussüberweisung. Ich gehe davon aus – ich bekomme das Signal –, Sie stimmen alle zu. Dann verfahren wir so mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen und dem Antrag der AfD-Fraktion. Ist das so? – Zustimmung, dann verfahren wir so. Wir überweisen die Anträge an den Ausschuss für Familie, Jugend, Integration und Verbraucherschutz.

(Zuruf aus dem Hause)

Bitte? Wenn hier mit dem Kopf geschüttelt wird, dann möchte ich das per Handzeichen sehen. Danke für den Hinweis.

Ich frage formal: Wer den Antrag der Koalitionsfraktionen an den Ausschuss überweisen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Danke schön. – Das ist einstimmig der Fall.

Jetzt geht es um den Antrag der AfD-Fraktion. Ausschussüberweisung! – Zustimmung? – Danke schön. Gegenstimmen? – Danke schön. Damit ist die Überweisung des Antrags an den Ausschuss abgelehnt.

Ich werde gerade noch einmal gebeten, noch einmal klarzustellen, mit welchen Stimmen. Mit den Stimmen der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der AfD bei Stimmenthaltung der CDU ist die Überweisung des Antrags der Fraktion der AfD an den Ausschuss abgelehnt.

Wir kommen zu Punkt 26 der Tagesordnung:

Wald erhalten – Klima schützen Antrag der Fraktion der CDU – Drucksache 17/9202 –

Wer spricht für die CDU-Fraktion? – Herr Abgeordneter Billen, Sie haben das Wort.