Protocol of the Session on May 16, 2019

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die AfD-Fraktion hat Ausschussüberweisung beantragt. Wer der Ausschussüberweisung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Danke schön. Die Gegenprobe! – Damit ist die Ausschussüberweisung abgelehnt.

Wir kommen zur direkten Abstimmung über den Antrag – Drucksache 17/9198 –. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Danke schön. Die Gegenprobe! – Dann ist dieser Antrag mit den Stimmen der SPD, der CDU, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der AfD abgelehnt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich rufe Punkt 25 der Tagesordnung auf:

Heim- und Pflegekindern ein selbstständiges und verantwortungsvolles Leben ermöglichen – Kostenbeitrag abschaffen Antrag der Fraktionen der SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 17/9197 –

dazu: Eigenverantwortung fördern, hinreichend bestimmte rechtliche Regelungen schaffen Antrag (Alternativantrag) der Fraktion der AfD – Drucksache 17/9223 –

Die Fraktionen haben eine Grundredezeit von 5 Minuten vereinbart. Für die antragstellenden Fraktionen hat sich Steven Wink gemeldet.

Verehrte Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich einmal vor, Sie müssten jeden Monat am Monatsende 75 % Ihres Gehalts ans Amt abdrücken, obwohl Sie für die Situation, weshalb das so ist, zum einen nicht verantwortlich sind und zum anderen daran auch

nichts ändern können. Viele würden eine solche Situation als ungerecht empfinden, sich darüber ärgern und überlegen, ob sich die ganze Situation überhaupt lohnt.

Nehmen wir als Beispiel einen Auszubildenden zum KfzMechaniker mit 400 Euro im Monat, der mit 100 Euro nach Hause geht. Er kann sich kein Leben aufbauen, kann nichts für den Führerschein zur Seite legen und nichts ansparen. Das ist eine ganz große Hürde, um ein selbstständiges Leben in Eigenverantwortung selbstbestimmt aufzubauen, nur weil man – ich darf das einmal so sagen – zur falschen Zeit am falschen Ort geboren wurde.

Das ist nicht fiktiv und auch kein extremes Beispiel. Nein, das passiert in Deutschland tagtäglich. Auch diese Kinder empfinden es als höchst ungerecht, dass sie bei einem eigenen Einkommen nach § 94 SGB VIII bis zu 75 % ihres Nettoeinkommens an das Jugendamt zahlen müssen.

Daher bin ich froh, dass wir uns als Ampelkoalition auf den vorliegenden Antrag einigen konnten; denn wir Freie Demokraten fordern ebenfalls die vollständige Abschaffung dieses Kostenbeitrags.

(Beifall der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Junge Menschen dürfen nicht dafür bestraft werden, dass sie sich ein eigenständiges Leben aufbauen, dass sie in einer Pflegefamilien oder in einem Heim waren, die alles gegeben haben, damit dieses Kind an der Gesellschaft teilhaben kann – wobei es eine Riesengabe an die Gesellschaft überhaupt ist, ein Kind, das nicht das leibliche Kind ist, aufzuziehen, ihm alles zu geben und ihm alles zu ermöglichen –. Dann wird das Kind dafür bestraft, dass es in eine Situation kommt, in der es sagt: Ich möchte ein anderes Leben. Ich möchte es besser haben. Ich möchte eine Familie. Meinen Kindern soll es einmal ganz anders gehen. Sie sollen nicht in diese Situation kommen. Ich möchte mir etwas aufbauen. Ich möchte mir Wünsche erfüllen. Ich möchte ein bodenständiges Leben haben. – Dann kommt der Staat ins Spiel.

Man darf das jetzt einmal so überspitzt sagen: Die Politik sagt immer, wir fordern die beste Bildung für alle. Wir fordern Ausbildung und Weiterbildung für alle. Jeder soll gleichermaßen an der Gesellschaft teilhaben können. – Just in diesem Moment kommt man um die Ecke und sagt: Du musst bitte übrigens 75 % Deines Gehalts an das Jugendamt zahlen. – Das ist einfach ungerecht und in dieser Situation entbehrlich.

Es gibt zwar momentan in dieser Situation die Regelung, dass ich diesen Kostenbeitrag senken kann, wenn ich sozial, pädagogisch oder kulturell tätig bin. Es ist aber nur schwer nachvollziehbar, weil es keinen einheitlichen Katalog gibt, wann denn eine Tätigkeit überhaupt in diesen Rahmen fällt, dass dadurch eine Ausnahme begründet wird. Das ist eine Einzelfallprüfung, die großen Ermessensspielraum bei der Bewertung und erheblichen Bürokratieaufwand nach sich zieht.

In einer Kleinen Anfrage haben wir Freie Demokraten nachgefragt, wie hoch die tatsächlichen Einnahmen der Jugendämter durch den Kostenbeitrag sind. Dabei konnten wir

feststellen, dass die Beiträge für die Jugendämter sehr marginal sind, die Belastung für die Kinder an sich aber extrem hoch ist.

Die oben genannten Argumente unterstreichen, dass die momentane Regelung eines Kostenbeitrags von 75 % in unserer heutigen Gesellschaft nicht mehr haltbar ist. Wir wollen junge Menschen, die Verantwortung für ihr Leben übernehmen, junge Menschen, die eine Ausbildung anfangen, ihre Chance ergreifen, junge Menschen für ihre Leistung und ihr Engagement belohnen. Dabei kann eine Absenkung des Kostenbeitrags auf die momentan diskutierten 50 % nur ein Zwischenschritt bis zur vollständigen Abschaffung dieses Kostenbeitrags sein.

Ziel muss es sein, dass so schnell wie möglich dieser Beitrag abgeschafft wird. Dafür werden wir uns – ich weiß, auch die Koalitionspartner – weiterhin einsetzen.

Vielen Dank.

(Beifall der FDP, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer spricht für die CDU-Fraktion? – Dann erteile ich der Abgeordneten Huth-Haage das Wort. Bitte schön.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Das Thema, das wir zu so später Stunde besprechen, ist ein Thema, das auch uns als Union beschäftigt hat. Seitens der Bundestagsfraktion haben sich damit insbesondere jungen Abgeordneten befasst, und es wird gerade auf den unterschiedlichsten Ebenen intensiv diskutiert.

Ich will damit sagen: Es gibt auch in unserer Fraktion sehr große Sympathie für diesen Vorstoß. Es ist uns wichtig, dass wir die jungen Menschen, die in Heimen oder Pflegefamilien aufwachsen und leben, die vielleicht nicht immer die optimalen Startchancen, die vielleicht auch ein Päckchen mit sich zu tragen haben, ermutigen und nicht demotivieren. Wir möchten diesen jungen Menschen zeigen, dass es sich lohnt zu arbeiten, eine Ausbildung zu absolvieren und es möglich ist, sich aus eigener Kraft ein eigenverantwortliches Leben aufzubauen.

(Beifall der CDU und bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, man muss dazu auch sagen, dass in der Regel zwar ein Taschengeld von den Jugendämtern gezahlt wird, es aber natürlich einen Unterschied macht, ob ich ein Taschengeld bekomme oder selbst etwas zu meinem Lebensunterhalt beitragen kann und selbst etwas verdiene. Deswegen ist das für uns sehr, sehr wichtig.

Wir möchten, dass die Motivation, zu arbeiten oder eine Ausbildung zu absolvieren, erhalten bleibt und wir sie nicht kappen. Das ist vorhin bereits alles richtig gesagt worden. Natürlich ist es alles andere als förderlich für die Eigeninitiative und die Motivation, wenn ein Großteil des Gelds, nämlich 75 %, einbezogen werden. Das ist weder aus päd

agogischer noch aus psychologischer Sicht sinnvoll.

Deswegen müssen wir darüber sprechen. Wir würden das gerne im Ausschuss tun. Wir haben noch ein paar Fragen und würden gerne noch einmal genauer darüber sprechen, wie das letztendlich aussehen soll. Ich glaube, es kann schon sinnvoll sein, einen kleinen Eigenbehalt zu haben, sodass man einen symbolischen Betrag abführt. Ich glaube, das könnte sinnvoll sein. Aber darüber könnten wir gerne im Ausschuss sprechen. Wir freuen uns auf diese Beratungen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Markus Stein.

Verehrte Frau Präsidentin, verehrte Damen und Herren! Im Jahr 1985 wird ein Junge in Mannheim geboren. Mit acht Jahren wird er zum Pflegekind und zieht um zu seiner neuen Familie, einer Pflegefamilie in Rheinland-Pfalz. Der junge Mann kann mit acht Jahren die Gründe für dieses einschneidende Lebensereignis natürlich noch nicht verstehen. Was er jedoch versteht ist, es wird ein neues Lebensumfeld für ihn definiert: eine andere Schule, andere Nachbarn, das andere Kinderzimmer, ein anderer Tagesablauf und nicht zuletzt auch andere Eltern. Sagt man Mama oder Papa? Bleibe ich jetzt für immer hier? Was passiert mit meinem Nachnamen?

Meine Damen und Herren, diese und weitere Fragen beschäftigten den kleinen achtjährigen Jungen damals. Heute ist der Junge 25 Jahre älter und darf vor Ihnen in diesem Hohen Hause seine Jungfernrede halten.

(Beifall im Hause)

Ich freue mich sehr, dass dieses Thema von den regierungstragenden Fraktionen aufgegriffen und die damit verbundenen Aufforderungen an die Landesregierung dem Landtag zur Beratung vorgelegt wurden.

Pflegefamilien leisten – wie es der Antrag bereits formuliert – einen hohen gesellschaftlichen Beitrag. Die Pflegeeltern erfüllen mit ihrer Bereitschaft, sich um ein Pflegekind zu sorgen, eine riesige Aufgabe unserer Gesellschaft. Es geht um die Zukunft jener Kinder, die völlig unverschuldet in schwierige Familienverhältnisse kommen und deren Leben nicht den perfekten Start erfährt, wie es eigentlich bei allen Kindern der Fall sein sollte.

Der Sprung in das Leben als Pflegekind gestaltet sich schwierig. Die Jugendämter können die Komplexität jedes einzelnen Falls bestätigen. Wenn das Pflegekind in ein Alter kommt, in welchem es erstmals richtige Verantwortung für sich und sein Leben in die Hand nehmen darf, also zum Beispiel mit dem Beginn einer Ausbildung oder Beschäftigung, sollten die Schwierigkeiten der Umgewöh

nung, der vielen Fragen und Unklarheiten eigentlich der Vergangenheit angehören.

Doch leider erfahren die jungen Menschen auch dann noch den Unterschied zwischen einem Kind und einem Pflegekind. Bis zu 75 % ihres Nettoeinkommens aus Ausbildung oder Nebenjob müssen die Jugendlichen an das Jugendamt leisten. Nicht nur, dass der generelle Anreiz, einer Ausbildung und Arbeit nachzugehen, deutlich reduziert wird, auch die Klassifizierung in den Status eines Pflegekinds führt unweigerlich zu weiteren Fragezeichen in den Köpfen unserer jungen Menschen.

Wieso muss das Pflegekind drei Viertel seines Einkommens an das Jugendamt zahlen, während das bei seinem Kumpel nicht der Fall ist? Was hat das Pflegekind in seiner Vergangenheit denn falsch gemacht, dass es hier schlechter steht? Auf diese Fragen muss der Staat, in diesem Fall die Bundesrepublik Deutschland, eine Lösung finden. Ich bin froh, dass wir, die regierungstragenden Fraktionen, uns einig sind. Die Antwort kann nur lauten: Abschaffung des Kostenbeitrags.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Land Rheinland-Pfalz tut viel für junge Menschen und Familien. Wir unterstützen Familien mit der gebührenfreien Bildung und den umfangreichen Beratungsstellen, wie den Erziehungs- und Lebensberatungsstellen in Rheinland-Pfalz. Gerade für Kinder und Jugendliche ist die Ombudsstelle für Kinder und Jugendliche bei unserer Bürgerbeauftragten Barbara Schleicher-Rothmund eine wichtige Unterstützung, die in Konfliktfällen zwischen den jungen Menschen und den Jugendämtern oder den Jungendhilfeeinrichtungen vermittelt.

Auch wenn es sich letztendlich um eine bundesrechtliche Angelegenheit handelt, würde das Land Rheinland-Pfalz im Rahmen entsprechender Initiativen auf Bundesebene auch für diesen Personenkreis zum Sinnbild sozialer Gerechtigkeit. Es ist daher unerlässlich, dass sich RheinlandPfalz bei der anstehenden SGB-VIII-Reform dafür einsetzt, dass die Anrechnung von Arbeitseinkommen auf soziale Leistungen reduziert wird, um Anreize zur Arbeitsaufnahme zu verbessern und die Heranziehung junger Menschen, die in einem Heim oder einer Pflegefamilie leben, ersatzlos zu streichen.

Geben wir dem Modell Pflegefamilie den Wert, den es in unserer Gesellschaft verdient. Noch wichtiger, geben wir den jungen betroffenen Jugendlichen den Mut, in eigener Verantwortung das Leben zu gestalten, und schränken wir sie dabei nicht ein. Der lebende Beweis dafür, dass man als Pflegekind nicht einer erfolglosen Zukunft ausgeliefert ist, steht vor Ihnen.

Vielen Dank.

(Anhaltend Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Für die AfD-Fraktion spricht der Abgeordnete Dr. Böhme.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordnete und Regierungsmitglieder! Laut § 94 SGB VIII müssen Jugendliche, welche in stationären Einrichtungen der Kinderund Jugendhilfe bzw. in Pflegefamilien betreut werden, einen Kostenbeitrag leisten, der bis zu 75 % des eigenen Nettoeinkommens betragen kann.

Der Verwaltungsvorgang zur Bestimmung des Eigenbeitrags ist bürokratisch, kompliziert, in seiner Auslegung nicht eindeutig und erweckt in der Praxis oft den Eindruck der Willkürlichkeit. Außerdem ist der Gesamtbetrag, welcher im Jahr 2017 in Rheinland-Pfalz von den betroffenen Jugendlichen eingefordert wurde, überschaubar und beläuft sich auf ca. 110.000 Euro, wie die Antwort auf die Kleine Anfrage der Kollegen Wink und Roth ergab.