Hinter einem solchen Denken steht das Bild eines zum rationalen Entscheiden nicht oder nur eingeschränkt fähigen Menschen, der der sicheren Führung einer Elite bedarf, um nicht in die Irre zu gehen, und der zwar mit seinem Wissen, seinen Ansichten und seinen Erfahrungen zur politischen Entscheidungsfindung beitragen kann, wie es der Landtagspräsident formuliert, sich dann aber mangels Einsicht in die Komplexität der Welt doch der Weisheit von ihm gewählter Parlamentarier anvertraut und diesen die letzte Entscheidung überlässt.
Meine Damen und Herren, das ist ein überholtes, ein paternalistisches Verständnis von Bürgern und Staat, das implizit die Gleichwertigkeit und Mündigkeit aller Menschen negiert. Wir lehnen ein solches Verständnis ab, weil wir unseren Bürgern grundsätzlich vertrauen, auch und gerade auf kommunaler Ebene, dort, wo es um ihre ureigensten Dinge geht.
Meine Damen und Herren, Demokratie ist die „Regierung des Volkes durch das Volk für das Volk“. Das hat kein völkischer Rechtspopulist gesagt.
Diese Definition stammt von keinem Geringeren als Abraham Lincoln, dem 16. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Wir sollten seine Worte ernst nehmen. Wir sollten den Mut haben, mehr Demokratie zu wagen,
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Wir reden heute über einen Gesetzentwurf der AfD-Fraktion, der zum Ziel hat, die direkte Demokratie auf die Bauleitplanung auszuweiten. Lassen Sie mich für die Ampelkoalition einige grundsätzliche Dinge klarstellen.
Für uns ist es wichtig, dass wir in Rheinland-Pfalz ein Zusammenspiel von Bürgerbeteiligung, konsultativen Prozessen bevor Entscheidungen gefällt werden, direkter Demokratie und parlamentarischer Demokratie haben. Aus diesem Zusammenspiel wird ein Schuh, aus diesem Zusammenspiel wird diese lebendige Demokratie, die wir in Rheinland-Pfalz so schätzen.
Dabei haben wir immer im Blick – das ist unser Ansinnen als Ampelkoalition –, dass wir möglichst viele Menschen bei diesen Prozessen mitnehmen und auch immer wieder hinterfragen, wie wir bestimmte Bevölkerungsgruppen gezielter ansprechen können. Und damit komme ich zur Frage der Repräsentativität, weil sie angesprochen wurde. Ich muss ganz ehrlich sagen – das sage ich als ehemalige Vorsitzende der Enquete-Kommission –, dass das Ausspielen von Parlamentarismus und direkter Demokratie
im Hinblick auf die Repräsentativität immer ein dünnes Eis ist. Ein Frauenanteil von gerade einmal 30 % macht dieses Parlament möglicherweise an dieser Stelle auch nicht repräsentativ; auch das muss man immer ansprechen.
Wir haben aber in diesem Parlament vieles getan, um die direkte Demokratie und die Bürgerbeteiligung zu stärken. Wir haben drei umfangreiche Gesetzgebungsprozesse in der letzten Legislaturperiode verabschiedet.
Ich möchte die drei konkreten Punkte nennen, warum wir den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen: Eines der Gesetze, das ich gerade erwähnt habe, ist das Landesgesetz zur Verbesserung direktdemokratischer Mitbestimmungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene, das gerade einmal am 1. Juli 2016 Rechtskraft erlangt hat. Darin haben wir den Einwohnerantrag und die Bürgerbegehren gestärkt,
die Hürden abgesenkt und insgesamt viele Möglichkeiten geschaffen, damit sich Bürgerinnen und Bürger stärker beteiligen können. Gerade einmal drei Jahre ist diese umfangreichere Reform her.
Sie als AfD-Fraktion liefern mit Ihrer Kleinen Anfrage die Zahlen, die belegen, warum wir jetzt noch keine hinreichenden Erkenntnisse haben. Schauen wir uns doch einmal die Entwicklung an: zwei zulässige Bürgerbegehren im Jahr 2010, sechs im Jahr 2011, 13 im Jahr 2012 – das war der Peak, damals ging es um die Umsetzung der Kommunal- und Verwaltungsreform –, fünf im Jahr 2013, vier im Jahr 2014, sieben im Jahr 2015, vier im Jahr 2016 – Mitte des Jahres trat das Gesetz in Kraft –, dann ein Peak im Jahr 2017 mit 19, und schließlich ein Bürgerentscheid im Jahr 2018.
Es lässt sich nicht ableiten, welche Effekte erzielt worden sind, und deswegen plädieren wir dafür: Wir haben zum ersten Mal mit diesem Gesetz eine Berichtspflicht für Bürgerentscheide. Lassen Sie uns abwarten, wie sich dieser Trend fortsetzt. Lassen Sie uns dann wirklich auf dieser Faktenbasis eine Entscheidung treffen.
Ein zweiter Grund: Tatsächlich ist es so, dass unsere kommunale Ebene nicht mit einer Flut von Bürgerentscheiden überschüttet wird. Es gab damals aber erhebliche Bedenken vonseiten der kommunalen Ebene, was mit dieser Reform auf die kommunale Ebene zukommt. Wir müssen dafür viel mehr auf der kommunalen Ebene werben und auf die kommunale Familie zugehen, wir müssen auch wirklich für die Akzeptanz der direkten Demokratie werben, bevor wir jetzt wieder das Instrumentarium anpacken und erweitern. Das heißt, lassen Sie uns doch gemeinsam für direkte Demokratie werben und nicht die kommunale Familie, die damals Vorbehalte hatte, mit einer vorschnellen Gesetzesänderung überfordern.
Der dritte Punkt ist mir ganz wichtig. Ich möchte einige allgemeine Worte zum Demokratieverständnis der AfD sagen, weil Sie das in Ihrer Rede so verschleiert haben. Für uns ist es wichtig, dass wir Bürgerinnen und Bürger in diesem Bundesland mitnehmen und die direkte Demokratie nicht gegen die parlamentarische Demokratie ausspielen. Aber was macht die AfD? Sie propagiert immer die direkte Demokratie, weil sie damit suggerieren möchte, dass die parlamentarischen repräsentativen Verfahren nicht den eigentlichen Volkswillen abbilden. Das ist das Eigentliche dahinter.
(Vereinzelt Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und CDU – Zurufe von der SPD: Sehr richtig! Genau!)
Sie machen das System – Sie nennen es „Altparteiensystem“ – verächtlich, und Sie nutzen dieses Instrument der direkten Demokratie, um es zu benennen.
ten System, zwischen den Parteien, die dieses tragen, und wollen einen homogenen Volkswillen, der sich durch direkte Demokratie erst durchsetzen wird.
(Abg. Martin Haller, SPD: Ganz furchtbares Zeug! – Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Das ist eine Verschwörungstheorie!)
Dieses dahinterliegende Demokratieverständnis ist der dritte und entscheidende Grund, weshalb wir uns auf dieses Spiel nicht einlassen.
Wir haben in diesem Hause wesentliche Schritte für mehr Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie veranlasst, sie zeigen Wirkung, und sie kommen vor Ort an. Wir werben für mehr Beteiligung, für konsultative Prozesse und direktdemokratische Mitbestimmung vor Ort und wollen bei diesen Prozessen auch die kommunale Familie mitnehmen. Und wir haben hier ein Demokratieverständnis, das alle in dieser Bevölkerung mitnimmt. Das trägt die Ampelkoalition, und das werden wir weiter verfolgen.
Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Kollegin Schellhammer, was die Evaluationszeiten betrifft, teile ich Ihre Auffassung keineswegs. Wir haben – Sie haben die Zahlen gerade zitiert – ein Schwanken der Zahlen der Bürgerbegehren und Bürgerentscheide. Das haben wir schon über viele Jahre. Die Erfahrungen in Rheinland-Pfalz, aber auch in anderen Bundesländern zeigen, keineswegs ist damit zu rechnen, dass sich hier signifikante Veränderungen ergeben werden.
Ich frage mich auch, worauf Sie warten wollen. Wenn es weniger werden, wäre das dann ein Argument für Sie zu sagen, okay, wir machen das? Und wenn es mehr werden, heißt das dann, dass man dem Bürger zu viel Demokratie zutraut? In keinem Fall wird ein Schuh daraus.
Wir sollten das machen. Es geht hier um einen sehr kleinen, aber wichtigen Bereich, der den Bürgern gerade in den Kommunen sehr am Herzen liegt und über den es häufig Debatten gibt. Es würde mit Sicherheit dazu beitragen, die Politikverdrossenheit vieler Menschen in unserem Land zu beheben,
und versuchen, etwas hineinzuinterpretieren, was natürlich in keiner Weise realistisch ist, zeigt, dass es Ihnen an weiteren Argumenten fehlt. Dann wird man eben auf die Argumente ad personam zugreifen, in dem Fall gegenüber meiner Partei. Auch diesbezüglich haben Sie natürlich nicht überzeugend darlegen können, dass das so ist, wie Sie es behaupten; denn Ihre Parteifreunde in BadenWürttemberg – SPD und Grüne – haben dieses Gesetz, diese Überführung der Bauleitplanung in die Bürgerentscheide, dort umgesetzt. Also müssen wir davon ausgehen, dass auch die Grünen ein falsches Demokratieverständnis haben. Oder ist es wieder einmal so, dass etwas falsch wird, wenn es von den Falschen vorgetragen wird? Das ist unser sehr starker Eindruck.
Ich darf noch einmal daran erinnern, dass das, was wir fordern, in zwei Drittel aller Bundesländer mehr oder weniger bereits umgesetzt ist.
Von daher ist es völlig absurd, dass Sie versuchen, eine Grundsatzdebatte über ein angeblich verfehltes Demokratieverständnis der AfD aufzumachen.