Protocol of the Session on June 19, 2018

Ich rufe die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Dr. Tanja Machalet und Kathrin Anklam-Trapp (SPD), Runder Tisch zur flächendeckenden Schlaganfallversorgung in Rheinland-Pfalz – Nummer 1 der Drucksache 17/8218 betreffend –, auf.

Frau Abgeordnete Dr. Machalet trägt die Fragen vor.

Vielen Dank. Wir fragen die Landesregierung:

1. Welchen Hintergrund haben die Klagen der Krankenkassen zur Schlaganfallversorgung bei den Sozialgerichten?

2. Welche Rolle hat die Landesregierung zur Lösung der Problematik gespielt?

3. Wie bewertet die Landesregierung das Ergebnis des Runden Tisches?

Für die Landesregierung antwortet Frau Staatsministerin Bätzing-Lichtenthäler.

Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Ministerin für Soziales,

Arbeit, Gesundheit und Demografie:

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Dr. Tanja Machalet und Kathrin Anklam-Trapp beantworte ich namens der Landesregierung wie folgt:

Zu Frage 1: Das Bundessozialgericht hat am 19. Juni 2018 in zwei Urteilen Festlegungen zu Abrechnungskriterien der neurologischen Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls getroffen, die sich auf die Neudefinition und Bewertung des Merkmals der Transportzeit beziehen. Hintergrund ist, dass Krankenhäuser für die spezialisierte Schlaganfallversorgung eine gesonderte Vergütung erhalten können, wenn sie die Voraussetzungen der festgelegten Abrechnungskriterien erfüllen. Es handelt sich um erlössteigernde Merkmale zur Abdeckung des erhöhten Versorgungsaufwandes der Patienten.

Sofern ein Krankenhaus neurochirurgische Notfalleingriffe nicht selbst vornehmen kann, setzt das Abrechnungskriterium eine höchstens halbstündige Transportentfernung zu einem entsprechenden Kooperationspartner voraus. Das Bundessozialgericht hat in den Urteilen vom 19. Juni 2018 die 30-minütige Transportzeit zur Verbringung von Patienten zu einer neurochirurgischen Abteilung als den Zeitraum zwischen der Entscheidung zum Transport und der Übernahme des Betroffenen durch das ärztliche Team am Verbringungsort bestimmt. Es hat daher die bisherige Lesart verworfen, die Transportzeit als den Zeitraum zu verstehen, den das Transportmittel von einem zum anderen Krankenhaus benötigt.

Bereits seit Urteilsverkündung zahlen einzelne Krankenkassen die Leistungen der neurologischen Komplexbehandlung nur noch unter Vorbehalt der Rückforderung bzw. Stornierung und Verrechnung. Die leistungserbringenden Krankenhäuser waren aufgrund der Rückforderungsproblematik gezwungen, bilanzielle Rückstellungen zu bilden, und es trat eine hohe Verunsicherung ein, wie in Zukunft diese für die Patienten überaus wichtigen diagnostischen und therapeutischen Leistungen gegenüber den Krankenkassen abgerechnet werden können.

Eine kurzfristig mit Änderungsanträgen zum Pflegepersonalstärkungsgesetz initiierte und vom Bundestag am 9. November 2018 beschlossene Verkürzung der Verjährungsfrist sieht eine gesetzliche Ausschlussfrist für Rückforderungsansprüche der Krankenkassen vor. In der Praxis hatte dies zur Folge, dass in allen Bundesländern, so auch in Rheinland-Pfalz, eine Vielzahl von Klagen durch die Krankenkassen bei den Sozialgerichten eingereicht wurde, da diese befürchtet haben, dass potenzielle Rückforderungsansprüche verjähren. Die Verjährung wird durch die Klageerhebung gehemmt.

Zu Frage 2: Ziel der Landesregierung war und ist es, die bestehende flächendeckende Versorgung im Land zu erhalten. Niemand soll sich Sorgen darum machen, im Falle eines Schlaganfalls nicht rechtzeitig behandelt und versorgt zu werden.

Bereits als sich die Abrechnungsschwierigkeiten durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts abzeichneten, hat die rheinland-pfälzische Landesregierung gehandelt.

Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Pflegepersonalstärkungsgesetz hat die Landesregierung einen Antrag in den Bundesrat eingebracht, der zu einer entsprechenden Entschließung des Bundesrates und in der Folge zu einer Präzisierung der Abrechnungskriterien durch das zuständige Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) führte.

Als die Verkürzung der Verjährungsfrist und eine gesetzliche Ausschlussfrist für Ansprüche der Krankenkassen auf Rückzahlung geleisteter Vergütungen vom Bundestag beschlossen und damit ein sprunghafter Verfahrensanstieg bei den Sozialgerichten ausgelöst wurde, habe ich unmittelbar alle Beteiligten – Krankenkassen und Krankenhäuser – zu einem Runden Tisch nach Mainz eingeladen, um Krankenkassen und Krankenhäuser in ihren Positionen einander anzunähern und eine außergerichtliche Einigung zu erzielen. Zum Auftakt des Runden Tisches am 29. November 2018 habe ich den Beteiligten die Einleitung eines professionell begleiteten Mediationsverfahrens vorgeschlagen. Dieser Vorschlag wurde von allen Beteiligten angenommen.

Aufgrund der konstruktiven und dialogbereiten Atmosphäre aller Beteiligten konnte bereits nach der zweiten Gesprächsrunde eine gemeinsame Erklärung verabschiedet werden, in der sich Vertreterinnen und Vertreter beider Seiten auf eine einvernehmliche Beilegung der Abrechnungsstreitigkeiten verständigten. Damit ist Rheinland-Pfalz das erste Land, das so ein moderiertes Vorgehen zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht hat.

Zu Frage 3: Beide Vertragsparteien der gemeinsamen Erklärung des Runden Tisches – gesetzliche Krankenkassen und Krankenhäuser – erklärten sich bereit, die Abrechnungsstreitigkeiten im Bereich der akuten Schlaganfallversorgung und der geriatrischen Komplexbehandlung durch einvernehmliche Erklärung weitgehend beizulegen. Schwerpunkt der Erklärung ist die Schlaganfallversorgung und die angestrebte Erledigung von Klageverfahren bezüglich der neurologischen Komplexpauschalen des akuten Schlaganfalls durch Klagerücknahmen. Damit hat die Landesregierung das Hauptziel des Runden Tisches erreicht.

Die Schlaganfallversorgung in Rheinland-Pfalz wird auch weiterhin flächendeckend und auf einem qualitativ hohen Niveau sichergestellt; denn es gibt in Rheinland-Pfalz sehr gute Strukturen der Schlaganfallversorgung, die gemeinsam beispielhaft etabliert wurden. Die gemeinsame Erklärung trägt dazu bei, diese Strukturen im Sinne der Schlaganfallpatientinnen und -patienten zu erhalten.

Vielen Dank.

Eine Zusatzfrage der Kollegin Dr. Machalet.

Frau Ministerin, Sie haben angesprochen, dass RheinlandPfalz das erste Bundesland ist, das eine Einigung herbeiführen konnte. Daraus ergibt sich natürlich die Frage: Wie ist das Vorgehen in den anderen Bundesländern?

Vielen Dank für Ihre Frage, Frau Dr. Machalet. In der Tat, Rheinland-Pfalz ist das erste Bundesland, das eine Einigung erzielt hat. Eine Begründung liegt darin, dass wir sehr frühzeitig, als die Klagewelle offensichtlich wurde, am 29. November zu einem Runden Tisch eingeladen haben. Als auf Bundesebene die Handlungsempfehlungen beschlossen wurden, waren wir schon optimal vorbereitet und konnten mit Ernst Merz als einem Experten mit großem Know-how direkt in die Arbeit starten.

In den anderen Bundesländern gab es bislang eher nur Gespräche auf Landes- und auch auf Ortsebene. Das Bundesgesundheitsministerium hat zunächst angekündigt, einen Sachstand abzufragen, wie die Situation in den anderen Ländern konkret aussieht, und wird auch dem Gesundheitsausschuss im Bundestag darüber berichten. Aber ich denke schon, dass gerade das Vorgehen in RheinlandPfalz beispielgebend sein sollte für das Vorgehen in anderen Bundesländern. Ich denke auch, dass unsere gemeinsame Erklärung eine gute Grundlage dafür sein kann, so auch in anderen Bundesländern vorzugehen.

Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Anklam-Trapp.

Sehr geehrte Frau Staatsministerin, wer hat zwischen den Krankenkassen und den Krankenhäusern in RheinlandPfalz vermittelt, und wie lief das Schlichtungsverfahren ab?

Frau Anklam-Trapp, vielen Dank für die Frage. Wir sind sehr glücklich darüber, dass wir als Experten und Moderator den erfahrenen ehemaligen Sozialgerichtspräsidenten Ernst Merz gewinnen konnten, der die Rolle des Mediators übernommen hat. Wir haben am 29. November bei dem ersten Runden Tisch den Beteiligten diesen Vorschlag unterbreitet, und gerade aufgrund der großen Erfahrung und Kompetenz von Herrn Merz wurde dieser Vorschlag von allen Beteiligten begrüßt und angenommen.

Insbesondere Herr Merz hat sich in vielfältigen Bereichen und auch in den verschiedensten Positionen sehr um Rheinland-Pfalz verdient gemacht, und es war auch seiner Expertise zu verdanken, dass diese sehr schwierigen Gespräche so konstruktiv beendet werden konnten.

Man muss berücksichtigen, wir haben eine Klagewelle in Rheinland-Pfalz gehabt. Es ging um ungefähr 16.300 Abrechnungsfälle, und wären diese Klagen alle anhängig geworden, so würde dies dem Jahrespensum der Sozialgerichtsbarkeit in Rheinland-Pfalz entsprechen. Insoweit war es wirklich wichtig, diese aufgeladene Stimmung zu befrieden und zu einem Kompromiss in Form einer gemeinsamen Erklärung zu kommen.

Es ist sicherlich seiner Expertise zu verdanken, dass dies in allein zwei Sitzungen letztlich so gelungen ist. Darüber sind wir sehr froh, weil wir damit in Rheinland-Pfalz Rechtsfrieden herstellen konnten und – das war uns das Allerwichtigste – die flächendeckende Schlaganfallversorgung sicherstellen konnten, die wir auch gemeinsam mit den Krankenkassen und den Krankenhäusern aufgebaut haben. Das war gemeinsames Ziel aller Beteiligten, welches wir auch gemeinsam erklärt haben.

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schnieder.

Frau Staatsministerin, ist es richtig, dass für drei rheinlandpfälzische Krankenhäuser, darunter auch das Krankenhaus Daun in der Vulkaneifel, durch die Einigung die anstehenden Abrechnungsprobleme im Zusammenhang mit der Schlaganfallversorgung noch nicht gelöst worden sind?

Herr Schnieder, vielen Dank für die Frage. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die gemeinsame Erklärung zu Punkt 2. Es gibt einige wenige Fälle, die bisher noch nicht abschließend geregelt und in denen die Klagen noch nicht zurückgenommen werden konnten. Wir haben uns darauf verständigt, dass für die wenigen Standorte, wo es noch Diskussionen und Gespräche gibt und wo wir Grenzfälle haben, was die Transportzeiten angeht, insbesondere auch im Hinblick auf die Versorgungssicherheit in Einzelfällen, noch einmal geprüft werden soll, wie dies künftig zu berücksichtigen ist.

Wir haben in der Erklärung unter Nummer 3 festgelegt, dass diese Einigung zwischen den Standorten und den Krankenkassen möglichst innerhalb des ersten Halbjahres bilateral erfolgen soll. Wir haben angeboten, diese Verhandlungen, die im ersten Halbjahr noch einmal gezielt für diese Einzelfälle anstehen, sehr konstruktiv zu begleiten und gegebenenfalls noch einmal eine Moderation mit hinzuzuziehen, damit es uns gelingt, auch in den Fällen, in denen die angesprochenen DIMDI-Regeln derzeit nicht immer einzuhalten sind, die Schlaganfallversorgung weiterhin zu gewährleisten.

Das ist mit der gemeinsamen Erklärung abgedeckt. Wir werden als Ministerium den Prozess nicht nur eng begleiten, sondern wir sind aktiv auf die Krankenhäuser und die Beteiligten zugegangen, um dieses Verfahren weiter anzustoßen.

Eine Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Dr. Groß.

Frau Ministerin, Sie sagten, dass alle Parteien oder Partner dem Papier von Herrn Merz zugestimmt haben. Ich hatte

gelesen, dass die IKK diesem Vorgehen nicht zugestimmt hat. Was war der Grund dafür?

Frau Dr. Groß, vielen Dank für die Frage. Wir haben mit allen Beteiligten dieses Moderationsverfahren begonnen. Auch die IKK als eine der Beteiligten hatte sich bereit erklärt, an diesem Verfahren teilzunehmen. Die IKK ist die einzige, die die Erklärung nicht unterzeichnet hat. Sie hat aber an den intensiven Diskussionen sowie an den Verhandlungen teilgenommen. Ihre Einbringungen und Gründe wurden in der gemeinsamen Erklärung berücksichtigt.

Sie hat ein hohes Interesse bekundet, dass diese Rechtsstreitigkeiten durch einvernehmliche Erklärungen beigelegt werden. Sie brauchte aber noch eine längere Zeit der intensiven Prüfung und hat deswegen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht mitgezeichnet. Es ist nach wie vor eine Gesprächsbereitschaft der IKK gegeben, sodass wir weiterhin mit ihr im Gespräch sind, um Lösungen zu erreichen.

Man muss dazu sagen, dass die Fälle der IKK oder der landesweite Belegungsanteil der IKK relativ klein im Vergleich zu dem ist, was wir bei den anderen Kassen haben. Wir sind dennoch mit der breiten Erklärung der übrigen Kassen zufrieden. Auch die IKK hat weiterhin Gesprächsbereitschaft signalisiert. Wir sind zuversichtlich, dass wir im Rahmen des Ziels, eine flächendeckende Schlaganfallversorgung sicherzustellen, gemeinsam weiterkommen.

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Wäschenbach.

Frau Ministerin, worauf begründen sich im Wesentlichen die etwa 20 % der Klagen, die noch nicht zurückgenommen wurden?

Herr Wäschenbach, bei den ungefähr 20 % – das sind wirklich ungefähre Angaben – sind Klagen dabei, die nicht nur zum Thema der Komplexbehandlung Schlaganfallversorgung gehören. Es gibt sicherlich auch noch darüber hinausgehende Klagen. Es wird Klagen geben, in denen tatsächlich die Transportzeit überschritten wurde. Bei diesen kam es nicht nur hinsichtlich der Neudefinition zu Klagen, sondern es wurde vielleicht tatsächlich die Transportzeit überschritten. Darüber hinaus gibt es bestimmte Einzelfälle, die man sich anschauen will.

Der Großteil, die fast 80 %, resultierte rein aus dieser Neudefinition, der Klageerhebung der Krankenkassen und der Krankenhäuser – auch von denen waren Klagen mit enthalten –, die gegen Verrechnungen und Rückbehalte der Krankenkassen geklagt hatten. Diese Klagen, die so offensichtlich waren, sind für erledigt erklärt, sie werden

nicht mehr anhängig werden. Damit haben wir nicht nur den Rechtsfrieden, wie ich schon sagte, sondern auch eine erhebliche Entlastung unserer Sozialgerichtsbarkeit in Rheinland-Pfalz zu verzeichnen.

Es liegen noch drei weitere Zusatzfragen vor. Danach betrachte ich die Anfrage als beantwortet. Zunächst Frau Abgeordnete Anklam-Trapp.

Sehr geehrte Frau Ministerin, meine zweite Frage bezieht sich auf die Versorgung der Patientinnen und Patienten in Rheinland-Pfalz. War aufgrund der Klagewelle die Versorgung beziehungsweise die rechtzeitige Versorgung der Patienten jemals gefährdet oder eingeschränkt?

Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Ministerin für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie;