Protocol of the Session on June 22, 2018

Aber den vorliegenden Antrag der AfD habe ich wirklich mehrmals lesen müssen, um die Zielrichtung zu ergründen und die dahinter stehenden Gedankengänge nachvollziehen zu können.

§ 53 der Schulordnung sieht vor – das ist vorhin schon einige Male genannt worden –, dass die Fachlehrerkraft mit den Schülerinnen und Schülern ein Gespräch führt, wenn ein Drittel oder mehr der Noten einer Klassen- oder Kursarbeit unter „ausreichend“ liegen. Sie wollen diese Hürde jetzt verändern auf die Hälfte. Nun lässt sich trefflich darüber streiten, ob diese Veränderung eine Erhöhung oder eine Absenkung der Hürde darstellt. Das kommt nämlich ganz auf den Blickwinkel an.

(Abg. Cornelia Willius-Senzer, FDP: Genau!)

Insbesondere aus Lehrersicht ist es ganz sicherlich keine erstrebenswerte Situation, ein solches Gespräch führen zu müssen und möglicherweise auch der Unterstellung ausgeliefert zu sein, man habe keinen guten und qualifizierten Unterricht gehalten, wenn solche Ergebnisse das Resultat sind.

(Zuruf des Abg. Michael Frisch, AfD)

Insofern wäre mit der Veränderung des Prozentanteils nach oben die Voraussetzung gegeben, länger nicht reagieren zu müssen. Die Folge: Mehr Schüler haben schlechte Noten hinzunehmen.

(Abg. Michael Frisch, AfD, meldet sich zu einer Kurzintervention – Abg. Daniel Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ach Gott! Das ist doch echt psychologisch!)

Wenn das in allen Fächern geschieht, ist die Wahrscheinlichkeit natürlich deutlich erhöht, dass am Jahresende mehr Schülerinnen und Schüler die Versetzung nicht schaffen, weil sie schlechte Noten angesammelt haben. Die weitere Folge: ein automatisch verstärktes Aussortieren von Schülerinnen und Schülern, die das Lernziel nicht erreicht haben. – Da stellt sich für uns die Frage: Ist das der richtige Weg, um mehr Qualität ins Bildungssystem zu bekommen?

(Beifall bei der CDU)

Wir denken ganz klar: Nein. – Wir sehen das als einen Weg, bei dem man die Schülerinnen und Schüler für Mängel im Bildungssystem büßen ließe, und das ist nicht der Weg der CDU.

Wir glauben nicht, dass man Fehler im Bildungssystem durch schlechte Noten an Schülern korrigieren kann. Dass unser Bildungssystem an Fehlern leidet, steht für uns allerdings auch außer Frage. Hier haben wir ja schon häufig den Finger in die Wunde gelegt.

Ob Unterrichtsausfall, Kurzzeitverträge, zu wenig Schulsozialarbeit – ich erinnere an die gestrige Mündliche Anfrage, der ein Beschwerdebrief aus der Elternschaft zugrunde lag –, das permanente Drängen, möglichst alle dem Abitur zuzuführen: Alles das sind keine guten und gesunden Entwicklungen.

Was wir brauchen, ist eine neue Bildungssteuerung, auch ein neues Ausjustieren von Fördern und Fordern. Das bedarf größerer Ressourcen und auch einer Veränderung von Standpunkten in der Bildungspolitik. Dafür kämpft die CDU in diesem Landtag.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind Verfechter von Leistung und klarer Notengebung, aber wir wollen das nicht auf dem Rücken von Schülerinnen und Schülern austragen.

Vielen Dank.

(Beifall der CDU)

Zu einer Kurzintervention hat der Abgeordnete Frisch das Wort.

Frau Präsidentin, verehrte Frau Kollegin Beilstein! Sie haben natürlich recht, dass wir viele Fehlentwicklungen im Bildungssystem haben, auch und besonders in RheinlandPfalz. Da sind wir beieinander.

Wir müssen etwas dafür tun, diese Fehlentwicklungen langfristig zu bekämpfen. Das heißt aber doch nicht, dass wir nicht jetzt in durchaus kleineren Punkten – da stimme ich Frau Lerch zu – da, wo es möglich ist, Veränderungen vornehmen, die die Lage für Lehrer, aber auch für Schüler einfacher macht.

Ich muss Ihnen ausdrücklich widersprechen, wenn Sie sagen, man würde den Lehrern hiermit eine Gelegenheit bieten, länger nicht reagieren zu müssen. Ich weiß nicht, wie gut Sie wirklich die Realitäten in unseren Klassenräumen kennen. Jeder vernünftige Lehrer macht sich natürlich Gedanken darüber, wenn er sieht, wie die Leistungsentwicklung seiner Schüler ist. Das sieht man normalerweise schon vor einer Klassenarbeit und nicht erst dann, wenn man sie korrigiert hat.

Natürlich wird er alle Instrumente einsetzen, um dem entgegenzusteuern. Insofern kann man nicht von einem Wegsehen oder von der Versuchung sprechen, nicht reagieren zu müssen. Er wird reagieren, aber irgendwo sind ihm die Hände auch aufgrund der starken Heterogenität in unserem Schulsystem gebunden.

Frau Hubig hat gestern selbst eingeräumt, dass wir eine sehr große Heterogenität haben und deshalb Schulsozialarbeit und Schulpsychologen brauchen. Dies schlägt sich natürlich auch auf die Leistungen in unseren Schulklassen gravierend nieder.

(Vizepräsident Hans-Josef Bracht übernimmt den Vorsitz)

Ich denke, dass Sie sich ein Stück weit widersprechen, wenn Sie sagen, wir stehen für ein leistungsorientiertes Bildungssystem, uns dann aber gleichzeitig vorwerfen, dass wir diese Leistung einfordern, sei es möglicherweise zu dem Preis, dass der eine oder andere Schüler die Rückmeldung bekommt, dass er in diesem Bildungsgang fehl am Platze ist, weil er entweder nicht die Leistung bringen möchte oder die Leistung effektiv nicht bringen kann.

Noch einmal: Wir tun den Schülern keinen Gefallen, wenn wir die Leistung absenken und das Niveau in den Klassen dem anpassen, was die Schüler mitbringen, und sie dann später feststellen, dass sie den formalen Bildungsabschluss, den Sie bekommen haben, nicht verwenden können, weil er nicht geeignet ist, in diesem weiterführenden Bildungsgang eine solide Basis darzustellen.

Sie können mir glauben, dass ich versucht habe, im Mathematikunterricht wirklich noch den geforderten Anspruch hochzuhalten. Aber ich habe Schüler erlebt, die bei mir ein sehr gutes Abitur im beruflichen Gymnasium gemacht und dann versucht haben, ein Fach zu studieren, in dem man mathematische Kenntnisse braucht. Sie haben mir mehr als einmal zurückgemeldet, dass es einfach nicht funktioniert hat. Sie hatten ein gutes Matheabitur am beruflichen Gymnasium, aber letzten Endes hat es nicht gereicht, um dieses Studium zu bewältigen.

Dieses Problem zieht sich durch unser gesamtes Bildungssystem hindurch. Wir müssen irgendwo anpacken. Wenn uns nicht der große Wurf gelingt und wir nicht das große Rad drehen, dann sollten wir doch wenigstens in einzelnen kleineren Punkten anfangen, die Lehrer stärken, damit auch den Leistungswillen und die Leistungsbereitschaft der Schüler.

Danke schön.

(Beifall der AfD)

Zu einer Erwiderung auf die Kurzintervention erteile ich Frau Abgeordneter Beilstein von der CDU-Fraktion das Wort.

Herr Frisch, ich möchte schon noch einmal klarstellen, dass Sie gerade versucht haben, etwas zu verdrehen, was ich so nicht gesagt habe.

Ich erinnere daran, dass ich davon gesprochen haben, dass dieses Prozedere, das § 53 mit sich bringt, nämlich diese Gesprächsführung, keine Situation ist, die sich jemand wünscht, und dies etwas Unangenehmes ist. Ich habe hier einhelliges Nicken von allen festgestellt.

Das bedeutet aber doch nicht, dass es dem Lehrer genommen ist, vorher Gespräche zu führen. Ich habe großes Vertrauen in die Lehrer dieses Landes. Sie sind alle sehr darum bemüht, ihre Schüler gut mitzunehmen und ihrem

Lernziel näherzubringen. Diese Gespräche werden sicherlich geführt, unabhängig von dieser Hürde, auch in Einzelgesprächen.

Es ist und bleibt aber doch Fakt, wenn diese Hürde verändert wird, werden unter dem Strich mehr Schülerinnen und Schüler mit schlechten Noten bedacht werden.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Das ist dann aber realistisch!)

Dann sagen wir, es kann jetzt durch eine, so sage ich es jetzt einmal, willkürliche Veränderung der Hürde nicht unser Weg sein, dass die Schülerinnen und Schüler es ausbaden, dass an anderen Stellen bestimmte Faktoren nicht stimmen.

(Beifall der CDU – Zurufe von der AfD)

Ich erteile nun für die Landesregierung Frau Staatsministerin Hubig das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muss jetzt ganz ehrlich sagen, ich habe das Gefühl, es geht hier überhaupt nicht um richtige und vernünftige Änderungen. Wir diskutieren gerade – um das einmal ganz deutlich zu machen –, ob der Drittel-Paragraf bei 33 % der Schüler, die eine Note von ausreichend oder schlechter haben, oder bei 50 % eingreifen soll. Das ist das, worum es sich jetzt hier gerade gedreht.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Ja!)

33 % oder 50 %. Ich habe den ganz deutlichen Eindruck, dass es Ihnen überhaupt nicht um diese Regelung geht, sondern dass es Ihnen einfach darum geht,

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Falscher Eindruck!)

Ihre Behauptung, alles sei schlechter, alles sei nicht mehr so gut wie früher, und der Leistungsverfall würde um sich greifen,

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Haltlose Unterstellung!)

einfach zu untermauern. Herr Frisch, das sind Behauptungen, die Sie hier aufstellen, ohne es überhaupt nur ein einziges Mal nachzuweisen.

Dann erzählen Sie uns aus Ihrer Schullaufbahn. Ich nehme es zur Kenntnis, dass Sie bestimmte Erfahrungen gemacht haben.

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Im Gegensatz zu Ihnen!)

Aber Ihre Erfahrungen sind doch nicht stellvertretend für ganz Rheinland-Pfalz.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bitte Sie, dann auch zur Kenntnis zu nehmen, wenn dieser Drittel-Paragraf greift – ihn gibt es seit Anfang der 70er-Jahre, also seit über 40 Jahren –, dann muss kein Test wiederholt werden, sondern dann greift ein bestimmter Mechanismus. Man kann dann überlegen, ob man am Ende eine Prüfung wiederholt. Aber es geht doch überhaupt nicht darum, die Schüler schlechter zu machen. Es geht darum, gezielt mit den Schülern zu lernen, zu arbeiten und sie besser zu machen. Das ist doch der Sinn des Drittel-Paragrafen, und nichts anderes.