Protocol of the Session on June 22, 2017

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Das ist richtig!)

Es gibt aber auch eine wachsende Zahl antisemitischer Handlungen von eingewanderten Menschen, die aus Regionen kommen, in denen der Hass auf Israel und den Antisemitismus zur Sozialisierung gehört. Wir müssen aber alle Erscheinungsformen des Antisemitismus bekämpfen.

(Beifall der CDU, der SPD, der FDP, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der AfD)

Was wirklich auch einzelne Gruppierungen in unserer Gesellschaft überführt, ist, wenn man sich e i n e Form des Antisemitismus herausholt, weil man dann politisch sein eigenes Süppchen kochen kann. Man ist nur dann überzeugend, wenn man alle Formen des Antisemitismus auch angeht.

(Beifall der CDU, der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Judenhass kommt unter dem Deckmantel der Israelkritik ganz locker daher. Selbstverständlich ist Kritik an der Regierungspolitik Israels, auch an der Siedlungspolitik, erlaubt, auch nötig und möglich. Das ist kein Antisemitismus.

Aber wir verurteilen aufs Schärfste zum Beispiel die sogenannte BDS-Bewegung. Sie kennen sie und haben sicherlich schon davon gehört. Dabei geht es um Boykott und Sanktionen, also ein Boykott, Desinvestitionen und auch Sanktionen gegen israelische Geschäfte und Waren. Ich spreche das deshalb an: Diese Boykottaufrufe, kauft nicht israelische Waren oder bei Israelis, gibt es auch hier in Rheinland-Pfalz, auch unterstützt von universitären Gruppen. Das ist auch von linken Gruppen der Fall. Das darf nicht geduldet und nicht relativiert werden.

(Beifall der CDU, der SPD, der FDP und bei der AfD)

Aber wir haben auch andere Erscheinungsformen. Eine Fluggesellschaft – in diesem Fall war es die Kuwait Airways – hat israelische Staatsbürger von Deutschland aus nicht transportiert und hat damit auf deutschem Hoheitsgebiet Menschen diskriminiert. Das muss Folgen haben. Deshalb sage ich: Wir brauchen übereuropäische und internationale Luftverkehrsabkommen. Wir brauchen ganz klar eine Möglichkeit, so etwas, wenn es auf deutschem Boden geschieht, auch zu ahnden.

Wir müssen nicht darüber schweigen, sondern es ansprechen. Gleichzeitig erleben wir – ich habe es eben gesagt –, dass Menschen zu uns kommen, die Schutz bei uns suchen, bei denen es in ihren Heimatländern zum guten Ton gehört, Juden abzuurteilen und als minderwertig anzusehen. Wir sagen auch, das Existenzrecht Israels ist anzuerkennen. Es muss klar sein, jeder, der den Fuß in unser Land setzt, kann sich nicht Einzelnes heraussuchen. Die Geschichte ist auch nicht nur die Geschichte derer, die hier geboren sind, sondern wer hier ist und teilhat an allen Rechten, muss auch wissen, es ist seine Geschichte, seine Verantwortung. Zu unserem integralen Bestandteil der Staatsräson gehört auch, das Existenzrecht von Israel anzuerkennen, und der Antisemitismus bei uns muss bekämpft werden.

(Beifall der CDU, der SPD, der FDP, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der AfD)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, man kann es auch anders sagen: Wer das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland betritt, betritt den Boden des Grundgesetzes mit allem, was dazugehört.

Ich möchte noch einen Schritt weitergehen. Deshalb sage ich, es ist durchsichtig, wenn einzelne Aspekte von Antisemitismus heute genutzt werden, aber nicht in Gänze.

Es gibt eine skandalöse Hetze gegen das Denkmal für ermordete Juden Europas. Ich kann Ihnen sagen, das ist eine Schande. Nicht das Mahnmal ist die Schande, sondern die Hetze dagegen ist die Schande in unserem Land.

(Beifall der CDU, der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es sind Spitzenpolitiker der AfD – ich möchte es hier ganz deutlich sagen –, es ist ein Herr Höcke, es sind auch Menschen in Ihrer Partei, die jetzt bewusst als HolocaustLeugner auch gerichtlich geklärt so genannt werden können. Deshalb sage ich, wenn man glaubwürdig die Leitkultur Deutschlands vertreten möchte, dann muss man es mit dem Anspruch vertreten, dass jeder Mensch gleich viel wert ist, egal woher er kommt.

(Beifall der CDU, der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann ist auch Antisemitismus abzulehnen, egal aus welcher Ecke er kommt, auch aus Ihrer Ecke.

(Starker Beifall der CDU, der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Klomann das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antisemitismus ist kein bloßes deutsches Problem, aber er stellt in unserem Land eine Besonderheit dar; denn der Antisemitismus hat seinen traurigen Höhepunkt im von Deutschland initiierten Holocaust gefunden, durch den Millionen von Menschen auf unvorstellbare Weise ermordet wurden.

In Deutschland haben wir uns nach 1945 stets zu der Verantwortung bekannt, die unser Land hat, um dem Leid der millionenfachen Toten und auch der Überlebenden zu gedenken, all das mit der Absicht, dass sich Derartiges nie wiederholen darf.

Dennoch, von 1945 bis heute sind wir mit Antisemitismus konfrontiert. Wer glaubte, dass alle Menschen in Deutschland mit der sogenannten Stunde null plötzlich geläutert waren, irrte. Hakenkreuzschmierereien auf Grabsteinen jüdischer Friedhöfe oder an die Mauern neu errichteter Synagogen waren bereits in den 50er-Jahren traurige Realität. Juden raus – das schmierte ein Bäcker aus Köln 1960 an die Synagoge, die Konrad Adenauer erst kürzlich eingeweiht hatte.

Auch in der DDR, die sich gerne das Etikett antifaschistisch gab, zeigte in den 50er-Jahren der Antisemitismus seine hässliche Fratze. So setzten sich hochrangige jüdische SED-Funktionäre für Wiedergutmachung und für die Gründung des Staates Israel ein. Sie wurden vom Regime als – Zitat – zionistische Agenten verurteilt, die für die – so wörtlich – Verschiebung von deutschem Volksvermögen zugunsten amerikanischer und jüdischer Monopolkapitalisten verantwortlich wären.

Das ist nur ein kleiner Blick in die Vergangenheit, der zeigt, dass die Aufarbeitung der NS-Geschichte schon damals von antisemitischen Ausfällen aus unterschiedlichen Rich

tungen überschattet war.

Heute sind wir erneut konfrontiert – stärker als in den vergangenen Jahren – mit unverhohlenen antisemitischen Äußerungen aus unterschiedlichen Ecken. Es ist diese Unverhohlenheit, diese aggressive, schamlose Lust am Tabubruch, die neu ist. Frau Klöckner hat auf das Video hingewiesen, das wir jetzt sehen können, in dem ein 60jähriger Berliner Arzt aus Charlottenburg den Besitzer eines israelischen Restaurants am Kudamm aufs Übelste mit antisemitischen Hasstiraden beschimpft

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: So eine miese Nummer!)

und ihm mit Völkermord droht.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, macht zu Recht darauf aufmerksam, dass Antisemitismus auch bei Teilen von Pegida und Mitgliedern der AfD sehr wohl festzustellen sei. Prominentes Beispiel sind die Äußerungen des baden-württembergischen Holocaust-Leugners Wolfgang Gedeon.

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: AfD!)

Seit einigen Jahren sind vermehrt die Menschen jüdischen Glaubens antisemitischen Anfeindungen, Drohungen und Angriffen von islamistischer Seite ausgesetzt. Jüdische Kinder werden in der Schule gemobbt. Auf Demonstrationen rufen islamistische Hassprediger zu Gewalt an Jüdinnen und Juden auf, verbrennen israelische Fahnen und skandieren eindeutig antisemitische Sprüche, bei denen jeder anständige Mensch zusammenzuckt.

In manchen Moscheen hetzen salafistische Imame die Menschen auf gegen jüdische Mitbürger oder den Staat Israel.

Es ist eine Situation entstanden, in der es Menschen jüdischen Glaubens gibt, die sich nicht mehr wohlfühlen, eine Situation, in der sich jüdische Menschen davon abgehalten fühlen, eine Kippa tragen zu können, in der sie an der einen oder anderen Stelle über Wegzug oder Auswanderung nachdenken und in der sie sich um ihre Sicherheit sorgen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist unbestreitbar, dass wir es hier mit einer neuen Aggressivität und vor allem mit einer zusätzlichen Form des Antisemitismus zu tun haben, der wir uns – wie auch gegen alle anderen Formen des Antisemitismus – auf das Energischste entgegenstellen müssen.

(Beifall der SPD, der CDU, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Entgegenstellen heißt, dass wir nicht nur Sonntagsreden halten, sondern aktiv etwas tun.

Bundeskanzler Adenauer hatte 1960 als Reaktion auf die Nazischmierereien gemeint – ich zitiere –: „Wenn Ihr irgendwo einen Lümmel erwischt, (...) gebt ihm eine Tracht Prügel.“ Das ist sicherlich nicht mehr der zeitgemäße Lösungsansatz. Dennoch, wir müssen uns heute genau überlegen, was wir tun; denn wir brauchen Rezepte, die in der

heute schnelllebigen Zeit von sozialen Netzwerken und einer zunehmend aggressiven Diskussionskultur wirken.

Ein erster Schritt ist die Ankündigung der Ministerpräsidentin, den jetzigen Bürgerbeauftragten Dieter Burgard zum Antisemitismusbeauftragten zu machen.

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Sehr gute Entscheidung!)

Aus Sicht der SPD-Fraktion ist das ein richtiger Schritt, um in einer Hand Erkenntnisse zu sammeln und zu bündeln, Handlungsempfehlungen zu geben und den Dialog zu führen.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, Sie haben hier einige weitere Vorschläge gemacht, die durchaus sinnvoll erscheinen und die wir gerne in den Ausschüssen detailliert beraten möchten. Vielleicht bekommen wir es auch hin, daraus einen gemeinsamen Antrag zu machen.

Meine Damen und Herren, zum Abschluss möchte ich sagen, ich lebe in einem Stadtteil, in dem viele Menschen muslimischen Glaubens wohnen und in dem auch die neue Synagoge Mainz steht, in der das jüdische Leben wieder aufblüht. Wir leben bei all den kleinen Wehwehchen in unserem Stadtteil recht friedlich zusammen.

Mir ist es daher wichtig, dass Mitbürger jüdischen Glaubens genauso wie Mitbürger muslimischen Glaubens sowie alle anderen Menschen hier sicher und unbeschwert im Zuckmayerschen Sinne leben können. Antisemitische Anfeindungen aus Teilen der muslimischen Bevölkerung dürfen kein Vorwand sein für das Schüren von Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit.

(Glocke des Präsidenten)

Wir müssen uns vielmehr stets gegen die Urwurzel des Antisemitismus stellen, nämlich die Abneigung, die Verächtlichmachung, die Ausgrenzung und den Hass auf andere, auf Minderheiten. Sie sind der Feind der Werte des Grundgesetzes. Diese Werte müssen wir schützen.

Ich danke Ihnen.

(Starker Beifall der SPD, der CDU, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Julia Klöckner, CDU: Sehr gut!)

Für die AfD-Fraktion spricht der Fraktionsvorsitzende Junge.