Protocol of the Session on August 24, 2017

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit rufe ich die Beratung des Antrags auf und gebe der antragstellenden Fraktion die Gelegenheit zu Begründung.

(Abg. Jutta Blatzheim-Roegler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir können ihn auch ohne Aussprache behandeln!)

Herr Abgeordneter Joa hat das Wort.

Verehrter Herr Präsident, liebe Kollegen! Wir fordern die Landesregierung auf, die Abschiebehaft als rechtsstaatlich unabdingbares, normales Instrument des Aufenthaltsrechts anzuerkennen und bedarfsgerecht, das heißt in unserer Zeit verschärft und mit Nachdruck, anzuwenden. Sie ist zwingend, um die Ausreise nicht bleibeberechtigter Asylbewerber durchzusetzen, insbesondere die von Straftätern und Gefährdern. Gerade diese Gruppen werden freiwillig wohl kaum ausreisen. Hier ist Zwang unabdingbar, um das deutsche Recht durchzusetzen und die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten.

Das ist eigentlich eine banale Einsicht, der sich der Landesregierung aber seit Jahren beharrlich verweigert. Abschiebungshaft muss abgeschafft werden, forderte Irene Alt, die Vorgängerin von Frau Spiegel. Frau Spiegel selbst ließ verlauten, dass man alle gesetzlichen Maßnahmen ausschöpfen wolle, um die Abschiebehaft zu vermeiden.

(Unruhe im Hause)

Die Schließung der Gewahrsamseinrichtung in Ingelheim war ein Lieblingsprojekt der Grünen. Ihr Fraktionschef Köbler tönte 2011 in der „taz“, dass die Einrichtung spätestens 2015 Geschichte sei. Da die bundesgesetzlichen Vorgaben eine solche Schließung nicht zuließen, hat man die Plätze verringert.

Doch dann kam infolge der Asylkrise alles anders. Das Asylrecht wurde als Kanal für Einwanderung aus allen möglichen, oft fragwürdigen Motiven missbraucht. In der Folge ist die Zahl der Ausreisepflichtigen in die Hunderttausende gestiegen. Sie lag im ersten Halbjahr 2017 bei bundesweit mehr als 225.000 Personen.

(Unruhe im Hause)

Ich finde es schade, dass Sie das nicht interessiert. Das ist unglaublich. Wir haben 225.000 Leute, die ausreisepflichtig sind. Da haben Sie nichts anderes zu tun, als über – – –

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte den Lärmpegel etwas herunterzufahren.

Ein Teil von ihnen wird oft aus zweifelhaften Gründen geduldet. Ein anderer Teil verbleibt widerrechtlich im Land, obwohl er vollziehbar ausreisepflichtig ist. Ein zentraler Grund für diese Vollzugsprobleme ist die fehlende Erreichbarkeit der Ausreisepflichtigen für die Behörden. So wird das Aufenthaltsrecht zur Farce, und der Staat wird zum Papiertiger.

(Beifall der AfD)

Das sind skandalöse und unhaltbare Zustände. Wie Innenminister de Maizière zu Recht feststellt, fordert unsere Rechts- und Verfassungsordnung, dass rechtsstaatliche Verfahren durchgeführt, gerichtlich überprüft und Entscheidungen durchgesetzt werden. Es ist deswegen nicht länger hinnehmbar, dass Rückführungen scheitern, weil der Ausländer am Tag der Rückführung untergetaucht ist und auf der Grundlage des geltenden Rechts keine Abschiebungshaft beantragt werden konnte.

Insbesondere mit Blick auf den Schutz der Bevölkerung vor Strafdaten muss deshalb Haft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet werden, wenn der Ausreisepflichtige rechtskräftig verurteilt worden ist oder eine erhebliche Gefahr von ihm ausgeht.

Zu diesem Zweck wurde jüngst vom Bundestag das Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht beschlossen. Es erweitert die Möglichkeiten des Ausreisegewahrsams nach § 62 b. Nach unserer Auffassung ist das ein Schritt in die richtige Richtung, doch das ist nicht genug. Die Bundesregierung selbst appelliert an die Länder, alle Möglichkeiten zu nutzen und alles für die konsequente Durchsetzung von Ausreisepflichten zu tun, um den Rechtsstaat auch wirklich durchzusetzen. Das heißt im Klartext, die Zahl der Abschiebungen zu erhöhen.

Dieser Aufforderung schließen wir uns heute an und richten sie direkt an die Landesregierung. Die Landesregierung ist in der Verantwortung, namentlich das Ministerium für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz. Als oberste Landesbehörde ist sie für den Erlass von Abschiebungsanordnungen nach § 58 a Aufenthaltsgesetz zuständig, und nicht etwa die Kommunen, auf die die Landesregierung die Verantwortung so gerne abschiebt.

Das Integrationsministerium hat folglich die Pflicht, die Defizite in Rheinland-Pfalz zu beheben. Diese Defizite zeigen sich auch dadurch, dass sich im Jahr 2016 mehr als 300 Asylbewerber durch Untertauchen einer drohenden Abschiebung entziehen können. 300 Fälle, die Landesregierung konnte in 58 Fällen eine Klärung herbeiführen, aber die restlichen Fälle sind unklar. Sie wissen nicht, wo die Leute sind. Sie wissen nicht, wo sie wohnen und leben. Sie wissen gar nichts.

Ein Grund für diese unhaltbaren Zustände ist der viel zu lange zeitliche Vorlauf von Abschiebungen. Die Kreisver

waltung Bitburg-Prüm selbst bedauert es in diesem Zusammenhang, dass es in Rheinland-Pfalz kein zentrales Rückführungszentrum gibt, und widerspricht somit der Darstellung der Landesregierung, die im Mai 2017 die Einrichtung eines solchen Zentrums ablehnt.

Die mehrfach wiederholte Behauptung der Landesregierung, die Belegung von nur zehn Plätzen für RheinlandPfalz sei ausreichend, ist bar jeder Plausibilität. Sie gehört zu den alternativen Fakten, die uns von Frau Spiegels Haus gern und des Öfteren aufgetischt werden.

(Beifall der AfD)

Abgesehen vom landeseigenen Bedarf hat RheinlandPfalz die Pflicht, auch Plätze für andere Bundesländer vorzuhalten. Nach Angaben der Landesregierung sind 15 Plätze für das kleine Saarland reserviert, fünf Frauenplätze für Nordrhein-Westfalen.

Anlässlich der jüngsten Vorfälle bzw. Ausbruchsversuche hat das Ministerium in der letzten Ausschusssitzung selbst eingeräumt, dass die Kapazitäten in Ingelheim an ihre Grenzen stoßen. Schon vor Monaten musste die GfA (Ge- wahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige) deshalb ein Hilfeersuchen der Stadt Leverkusen zur Unterbringung eines mehrfach verurteilten Sexualstraftäters ablehnen. Dies kann nicht die Lösung sein. Man lässt ausreisepflichtige Straftäter weiter im Land frei herumlaufen. Das ist ein Hohn für unseren Staat und ein Hohn für unsere Bürger.

Rheinland-Pfalz hat eine besondere gesamtstaatliche und sicherheitspolitische Verantwortung, weil Ingelheim derzeit einer der wenigen, insgesamt sechs, Gewahrsamseinrichtungen im Land ist.

(Glocke des Präsidenten)

Ich komme zu Ende.

(Abg. Dr. Werner Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ich bin am Ende!)

Das Bundesinnenministerium schätzt den Bedarf auf eine vierstellige Größenordnung. Angesichts dessen erscheint eine Erweiterung der Kapazitäten in Rheinland-Pfalz auf eine dreistellige Größenordnung nicht nur angemessen, sondern zwingend und dringend erforderlich.

(Beifall der AfD)

Als Nächstes erteile ich Frau Abgeordneter Binz vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der AfD zum Ausbau der Kapazitäten bei der Abschiebehaft ist aus unserer Sicht völlig absurd in seiner Dimension, deshalb werden wir ihn selbstverständlich ablehnen. Ich darf für die Kolleginnen

und Kollegen der Ampelfraktion begründen, warum wir dies tun.

Die Abschiebehaft ausreisepflichtiger Menschen ist für uns immer die Ultima Ratio. Haft ist Freiheitsentzug. Das gilt auch für die Abschiebehaft. Es ist ein sehr großer Eingriff in die Grundrechte, der wohlbegründet sein muss. Abschiebehaft ist ausdrücklich keine Strafhaft. Insofern war es folgerichtig, dass der EuGH 2014 geurteilt hat, dass die bisherige Praxis in vielen Bundesländern, Menschen, die in Abschiebehaft genommen wurden, in Justizvollzugsanstalten unterzubringen, nicht rechtmäßig ist. Abschiebehaft muss seitdem in speziellen Anstalten, wie sie das Land Rheinland-Pfalz in Ingelheim betreibt, vorgenommen werden.

Seit diesem Urteil sind drei Jahre vergangen, und trotzdem gibt es Kapazitäten bislang nur in wenigen Bundesländern. Das Land Rheinland-Pfalz hat eine vertragliche Vereinbarung mit dem Saarland über die Belegung von 15 Plätzen und mit dem Land Nordrhein-Westfalen über fünf Plätze für Frauen. Wir sind mit unseren Kapazitäten in RheinlandPfalz ausreichend aufgestellt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Wir haben genügend Kapazitäten, um den eigenen Bedarf zu decken. Dass wir genügend Kapazitäten haben, zeigt die Tatsache, dass wir regelmäßig Amtshilfe für andere Länder leisten und ihnen Plätze zur Verfügung stellen können.

(Abg. Michel Frisch, AfD: Sie nutzen das halt nicht!)

Wenn Sie die bundesweite Erhöhung von Kapazitäten im vierstelligen Bereich fördern wollen, dann legen Sie bitte Ihren Parteifreunden in den anderen Landtagen nahe, dort entsprechende Anträge zu stellen. Wobei Sie wohl da auch über das Ziel hinaus schießen würden, wie auch mit Ihrem Antrag hier, wie Sie das gerne tun. Wir haben das gestern bereits bei der Aktuellen Debatte zur Situation in Bad Kreuznach gehört. Frau Kollegin Klöckner hat Ihnen sehr richtig vorgehalten, dass Sie es unter der maßlosen Übertreibung erst gar nicht machen.

Sie schreiben in Ihrem Antrag – ich zitiere – „Die Rückführung nicht bleibeberechtigter Asylbewerber wird als eine nationale Aufgabe begriffen, in der das Land RheinlandPfalz den Bund und die anderen Länder nach Kräften unterstützt. Zu diesem Zweck ist die Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige (GfA) Ingelheim auszubauen: ggf. sind weitere Einrichtungen zu schaffen,“

(Zurufe der Abg. Dr. Jan Bollinger und Michael Frisch, AfD)

übrigens ein Einschub, es wäre interessant zu wissen, welche Standorte Sie sich vorstellen, wir könnten das landesweit dort diskutieren – „um die bundesweit erforderlichen Kapazitäten an Abschiebehaftplätzen in vierstelliger Höhe zu gewährleisten“.

(Abg. Michel Frisch, AfD: Nein, bundesweit! – Zuruf des Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD)

Abschiebehaftplätze in vierstelliger Höhe wollen Sie in Rheinland-Pfalz ausbauen.

(Abg. Michel Frisch, AfD: Das gilt doch nicht für Rheinland-Pfalz, richtig lesen!)

Sie haben gesagt, es ist eine nationale Aufgabe, der sich das Land Rheinland-Pfalz annehmen soll. Also gehe ich davon aus, da wir uns im Landtag befinden, Sie wollen die Plätze hier ausbauen.

(Abg. Michael Frisch, AfD: Nein, Sie müssen richtig lesen!)

Das muss man sich wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Sie fordern hier nichts anderes, als dass mit rheinland-pfälzischem Landesgeld eine überdimensionierte Anzahl an Kapazitäten und Einrichtungen geschaffen wird, damit sich andere Bundesländer einen schlanken Fuß machen können.

Ich sage Ihnen im Namen der Ampelfraktion, wir werden Rheinland-Pfalz ganz sicher nicht zum Abschiebe-Alcatraz der Nation ausbauen, wie es sich die AfD wünscht.