Protocol of the Session on May 4, 2017

Wir als AfD-Fraktion wünschen uns, dass der Sachverhalt, wie es dazu kommen konnte, vollständig aufgeklärt wird. Dieser Prozess sollte transparent für die Bürger stattfinden; denn sie haben ein Recht darauf.

(Beifall der AfD)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Roth das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Prozess um das „Aktionsbündnis Mittelrhein“ vor dem Landgericht Koblenz ist durch Beschluss der zuständigen Großen Strafkammer vorgestern, am 2. Mai 2017, ausgesetzt worden, weil der Vorsitzende Richter im Juni die gesetzlich vorgegebene Altersgrenze erreicht hat. Die Kammer sah keine Möglichkeit mehr, das Verfahren vor der Pensionierung des Vorsitzenden ordnungsgemäß zu Ende zu bringen. Das ist zunächst einmal eine Entscheidung, die das Landgericht Koblenz in richterlicher Unabhängigkeit getroffen hat, nicht mehr und nicht weniger.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die richterliche Unabhängigkeit gebietet uns als Vertretern der Legislative genauso wie den Vertretern der Regierung grundsätzliche Zurückhaltung bei der Kommentierung oder gar Bewertung von gerichtlichen Entscheidungen.

(Zuruf der Abg. Julia Klöckner, CDU)

Die Justiz ist unabhängig. Sie arbeitet und verhandelt unabhängig, und sie entscheidet unabhängig. Gerade das ist ein Kernprinzip unseres Rechtsstaats.

(Beifall bei der CDU)

Das heißt nun nicht, dass wir alle gerichtlichen Entscheidungen gut finden müssen

(Zuruf der Abg. Julia Klöckner, CDU)

oder dass wir im Landtag nicht über einzelne Entscheidungen sprechen dürfen. Wir sollten das aber mit aller Zurückhaltung,

(Abg. Julia Klöckner, CDU: Es ist doch kein Urteil gefallen!)

mit allem Respekt und der gebotenen Sachlichkeit tun. Ich bin auch über das Platzen des Prozesses in Koblenz alles andere als glücklich. Doch auch wenn die Umstände, die zur Aussetzung dieses Verfahrens geführt haben, nun im Einzelnen aufgearbeitet werden, erscheint es mir fraglich, ob die heutige Debatte – nur zwei Tage nach dem Aussetzungsbeschluss und mitten in einer öffentlichen Erregungsspirale – diesem Anliegen förderlich ist.

(Zuruf der Abg. Julia Klöckner, CDU)

Die Aufarbeitung der Umstände obliegt zuallererst dem zuständigen Gericht. In zweiter Linie wird sich ganz sicher auch das Justizministerium mit der Frage beschäftigen,

(Zuruf der Abg. Christine Schneider, CDU)

ob und wenn ja, welche grundsätzlichen Forderungen aus den Ergebnissen vielleicht für die Justizverwaltung gezogen werden müssen. Meine Damen und Herren, das ist das rechtsstaatliche Verfahren, und daran sollten wir uns auch halten.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nicht die Entscheidung des Landgerichts gefährdet das Vertrauen in den Rechtsstaat,

(Abg. Julia Klöckner, CDU: In das Parlament!)

sondern – sorry – die Hysterie,

(Abg. Julia Klöckner, CDU: Ja klar!)

die in ihrer Folge auch durch die Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion mit dieser Debatte heute geschürt wird.

(Abg. Julia Klöckner, CDU: Das ist peinlich!)

Ganz besonders sollten wir in dem Zusammenhang den Eindruck vermeiden, dass die Politik in irgendeiner Weise Einfluss auf Entscheidungen der unabhängigen Richter nehmen könnte oder sollte.

(Unruhe im Hause)

Was wissen wir denn bislang?

(Zuruf des Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD – Glocke des Präsidenten)

Der Lärmpegel ist inakzeptabel hoch. Hören Sie bitte zu.

(Abg. Julia Klöckner, CDU: Das fällt schwer!)

Sie können darauf antworten, aber nicht mit übertriebenem Lärm. Herr Roth, bitte.

Aus allen öffentlich bekannten Daten ergibt sich vor allem das Bild, dass das Landgericht das Verfahren stets gewissenhaft geführt und gefördert hat.

(Abg. Julia Klöckner, CDU: Hat keiner was zu gesagt!)

Es wurde in den fünf Jahren zunächst zweimal, später dreimal wöchentlich an insgesamt knapp 340 Verhandlungstagen verhandelt. Es wurden über 100 Zeugen vernommen. Das Gericht musste sich mit mehr als 1.000 Anträgen auseinandersetzen, davon allein etwa 500 Befangenheitsanträge.

Meine Damen und Herren, auch das sollte nicht untergehen: Gegen neun Angeklagte wurde das Verfahren zwischenzeitlich durch rechtskräftige Verurteilung oder durch

Einstellungsentscheidungen beendet. Diese Zahlen können schon eine Idee von der Komplexität des Verfahrens vermitteln und vielleicht auch schon erste Hinweise auf mögliche Gründe für die lange Verfahrensdauer liefern.

Neben den Zahlen sind in der Analyse auch die verfassungsrechtlichen und strafprozessualen Vorgaben zu berücksichtigen. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit und der grundsätzlich vorhandene Anspruch auf den gesetzlichen Richter verbietet es, Richterinnen und Richter im Laufe einer Hauptverhandlung beliebig auszutauschen. Nur die nach der Geschäftsverteilung zuständigen Richterinnen und Richter dürfen das Urteil fällen, um bei voraussichtlich umfangreichen und langwierigen Verfahren für den Fall eine ordnungsgemäße Beendigung zu gewährleisten.

Falls einzelne Richter im Laufe des Verfahrens etwa durch Krankheit, Schwangerschaft, Pensionierung oder auch wegen Befangenheit ausscheiden, kann durch den Vorsitzenden die Hinzuziehung von Ergänzungsrichtern oder Ergänzungsschöffen bestimmt werden. Sie sind, auch wenn sie nicht zum Einsatz kommen, während der kompletten Hauptverhandlung anwesend. Auch diese Entscheidung des Vorsitzenden ergeht in richterlicher Unabhängigkeit.

Ebenso wichtig ist: Es ist eine Prognoseentscheidung. Eine solche wurde auch im vorliegenden Fall getroffen. Der Vorsitzende hat in Erwartung einer längeren Prozessdauer die Hinzuziehung von zwei Ergänzungsschöffen und einem Ergänzungsrichter angeordnet. Allerdings sind die drei Richter bereits allesamt zum Einsatz gekommen, sodass weitere Ergänzungsrichter nunmehr nicht mehr zur Verfügung stehen.

(Abg. Damian Lohr, AfD: Ja, weil keine da sind!)

Eine nachträgliche Benennung ist wegen – – –

(Glocke des Präsidenten)

Sie haben nicht zugehört, ich habe gesagt, der Vorsitzende Richter kann die Anzahl selbst bestimmen.

Ob man von Anfang an mehr Ergänzungsrichter hätte vorsehen müssen und mit der kurz angerissenen Dimension des Prozesses hätte rechnen müssen, ist eine Frage,

(Glocke des Präsidenten)

die wir uns hier nicht anmaßen sollten, beantworten zu können.

Noch etwas: Sehr geehrter und vor allem geschätzter Herr Kollege Dr. Weiland, wenn Sie sich in der Pressemitteilung Ihrer Fraktion mit der Forderung zitieren lassen, jetzt müsse umgehend geklärt werden, wie es weitergeht, dann möchte ich Ihnen gerade noch ein paar Worte mitgeben.

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Genau! – Glocke des Präsidenten)

Die Redezeit ist zu Ende.

Wie es weitergeht, entscheidet das Gericht. Das haben nicht wir zu entscheiden.