Protocol of the Session on November 17, 2016

Der nächste Redner in der Debatte ist Herr Abgeordneter Sippel von der Fraktion der SPD.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eine funktionierende Justiz ist unverzichtbar für das Vertrauen in unseren Rechtsstaat. Schnelle und effektive Verfahren dienen dem wirksamen Rechtsschutz und der öffentlichen Sicherheit in unserem Land. Darauf müssen sich die Bürgerinnen und Bürger verlassen können. Dieses Vertrauen in die Justiz ist in Rheinland-Pfalz vorhanden. Die Justiz genießt zu Recht ein hohes Ansehen.

(Beifall bei SPD, FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ja, die Personalsituation ist eng. Das ist keine Frage. Niemand bestreitet das. Auch der Justizhaushalt hatte und hat für die Einhaltung der Schuldenbremse seinen Beitrag zu leisten.

Frau Klöckner, wenn Sie als CDU-Opposition die Schuldenbremse mit beschließen – das haben sie getan – und der Regierung vorwerfen, nicht genügend zu sparen – das haben wir die letzten Tage gelesen –, aber in vielen Bereichen Mehrausgaben für die Kommunen, die Infrastruktur, zusätzliches Personal für die Polizei, in den Schulen und jetzt auch für die Justiz fordern, dann ist das alles andere, nur keine glaubwürdige Politik.

(Beifall bei SPD, FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Martin Haller, SPD: Das kann man, wenn man keine Verantwortung hat!)

Der Artikel in der Allgemeinen Zeitung mit der Überschrift „Ich buchte möglichst niemanden mehr ein“ ist sicher nicht dazu geeignet, das Vertrauen in den Rechtsstaat zu stärken.

(Zuruf der Abg. Julia Klöckner, CDU)

Doch der vermeintliche Insider bleibt anonym. Das kann jeder für sich selbst beurteilen. Wer wirklich was zu sagen

hat und Veränderungen will, der zeigt Gesicht und Rückgrat.

(Abg. Julia Klöckner, CDU: Das ist ja jetzt peinlich!)

Was ich aber klipp und klar zurückweise, ist der vermittelte Eindruck, als würde die Strafjustiz nicht mehr ordnungsgemäß, sondern beliebig arbeiten und damit unsere Sicherheit gefährden. Unsere Gerichte und Staatsanwaltschaften leisten trotz schwierigster Rahmenbedingungen eine hervorragende Arbeit und haben unseren Dank und unsere Anerkennung verdient und nicht das Streuen von Misstrauen durch haltlose Vorwürfe.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, in fast allen Gerichtsbarkeiten haben wir im Bundesvergleich mit die kürzesten Verfahrenszeiten. Unsere Richterinnen und Richter, die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sind hoch qualifiziert und engagiert.

Natürlich verkennen wir nicht, dass die Justizbeschäftigten vielfach an der Belastungsgrenze arbeiten und die Sparpotenziale in den Gerichten und Staatsanwaltschaften weitgehend ausgeschöpft sind. Deshalb bleiben diese Bereiche bei Stelleneinsparungen nicht nur außen vor, sondern werden im Gegenteil im Rahmen der Möglichkeiten verstärkt. Das haben wir im laufenden Haushalt durch zusätzliche Richterstellen und Stellen bei den Staatsanwaltschaften getan. Das ist auch für den nächsten Doppelhaushalt vorgesehen.

Die Personalbedarfsabdeckung erreicht im richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Bereich nicht die vollen 100 %. Ja, das stimmt. Sie liegt aber in weiten Teilen bei über 90 % und ist damit deutlich günstiger ausgeprägt als etwa bei den Rechtspflegerinnen und Rechtspflegern. Aus diesem Grund haben wir im aktuellen Haushalt einen Schwerpunkt bei den 49,5 zusätzlichen Rechtspflegerstellen gesetzt, was im Übrigen auch die Zustimmung aus der Richterschaft und bei den Staatsanwälten in großer Solidarität gefunden hat.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, gleichwohl wurde auch in den Vorjahren immer wieder auf Arbeitsspitzen reagiert. So wurde beispielsweise ein Stellenpool gebildet, um besondere Belastungssituationen abzufedern, wie aktuell immer noch bei den Strafkammern der Landgerichte. Beim Landgericht Koblenz wurde für die Bearbeitung der Großverfahren, die sich dort in den letzten Jahren gehäuft haben, schnell und unbürokratisch durch die Zuweisung sechs weiterer Richterstellen im letzten Jahr – das ist in diesem Jahr auch noch weitergegangen – effektiv geholfen. Das gleiche gilt auch für die Staatsanwaltschaften, etwa für die Zentralstelle Cybercrime, übrigens eine sehr erfolgreiche Stelle bei der Generalstaatsanwaltschaft. Die wurde verstärkt. Ebenso wurde die Abteilung für staatsgefährdende Straftaten bei der Staatsanwaltschaft Koblenz um drei Stellen verstärkt. Auch hier wurde gehandelt.

Meine Damen und Herren, die Staatsanwaltschaft ist an das Legalitätsprinzip gebunden und muss bei Vorliegen eines Anfangsverdachts Ermittlungen durchführen und Anklage erheben. Es gibt natürlich Verfahrenseinstellungen bei Geringfügigkeit. Diese sind nach der Strafprozessordnung ausdrücklich auch unter dem Gesichtspunkt der Entlastung der Justiz vorgesehen. Insofern ist das nichts Neues. Dass Staatsanwaltschaften ihre Verfahrensweisen miteinander abstimmen, ist ebenfalls absolut zulässig und auch in anderen Bundesländern gängige Praxis. Dass Haftsachen Vorrang genießen, ist ebenfalls sehr verständlich.

Herr Minister Mertin hat im Ausschuss noch einmal auf die Frage, wie es mit der Zahl der Verfahrenseinstellungen aussieht, deutlich gemacht, dass diese gesunken ist. Die Zahl ist rückläufig. Wenn der Eindruck besteht, die Staatsanwaltschaften würden sich durch Verfahrenseinstellungen der Arbeit entledigen, dann ist dieser Eindruck falsch. Die Staatsanwaltschaften handeln nach Recht und Gesetz und nicht nach eigenem Gusto.

(Abg. Christian Baldauf, CDU: Wieso beschweren die sich dann?)

So viel in der ersten Runde.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat nun Herr Abgeordneter Friedmann von der Fraktion der AfD.

Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Sicherheit nicht aufs Spiel setzen – überlastete Justiz unterstützen“, so lautet die Überschrift unserer Aktuellen Debatte. Nach eigenen Angaben des Justizministeriums fehlen derzeit 74 Richter, 23 Staatsanwälte und noch mehr Rechtspfleger.

Am 4. November dieses Jahres berichtete die Allgemeine Zeitung über Erwägungen, Strafsachen künftig anhand einer Prioritätenliste abzuarbeiten. Schwerwiegende Straftaten, etwa Tötungs- und Sexualdelikte, Taten mit terroristischem Hintergrund oder Fälle schwerer Wirtschaftskriminalität würden demnach vorrangig behandelt, Formen der Alltagskriminalität wie Taschen- oder Ladendiebstahl hingegen nur noch verzögert, im schlimmsten Fall gar nicht mehr.

Dieser Überlegung hatte der Justizminister Anfang dieser Woche in einem Interview in der Allgemeinen Zeitung eine Absage erteilt. Eine solche Priorisierung wäre nicht zulässig und würde gegen das Legalitätsprinzip verstoßen. Er räumte jedoch ein, dass zum Beispiel im Bereich der Internetkriminalität der bürokratische und finanzielle Aufwand – hier geht es um die schwierigen Ermittlungen im Ausland – durch Verfahrenseinstellungen vermindert werden könnte. Eine tatsächliche Priorisierung wäre auch untragbar.

Allerdings stellt sich die Frage, wie solche Überlegungen

zu einer Priorisierung von Straftaten, unabhängig davon, wie ernst sie gemeint waren, zu bewerten sind. Es stellt sich die Frage, ob solche Überlegungen ohnehin nicht in einer gewissen Weise die Realitäten bei der Strafverfolgung abbilden.

So berichtet die Rhein-Zeitung in ihrer heutigen Ausgabe von einem Fall, bei dem zwei Drogendealer aus der Untersuchungshaft plötzlich entlassen werden mussten, weil ihnen wegen des Richtermangels nicht rechtzeitig der Prozess gemacht werden konnte.

Kein Einzelfall, wie sich aus dem Kommentar des Vorsitzenden des Richterbunds schließen lässt. Das könnte jeden Tag wieder geschehen.

(Abg. Julia Klöckner, CDU: So ist es!)

In jedem Fall aber lassen sich derartige Überlegungen als Hilfeschrei überlasteter Strafverfolgungsbehörden qualifizieren. Diesen Hilfeschrei müssen wir ernst nehmen. Wie bereits erwähnt, fehlen 74 Richter und 23 Staatsanwälte. Eine Lösung des Problems ist nicht in Sicht. Wer bearbeitet die dadurch entstehenden Lücken in der Justiz? Bleibt alles liegen, bis die Schreibtische unter der Last der Verfahren zusammenbrechen, oder gibt es Lösungen?

Keine weiteren Einsparungen im Bereich Justiz vorzunehmen, ist zu wenig, im Gegenteil. Aufgrund der Zunahme von Straftaten müssen proportional auch die Strafverfolgungsbehörden personell ausgestattet werden. Wenn stattdessen sogar noch von einer Stelleneinsparung, zum Beispiel bei der Polizei, gesprochen wird, ist dies mit Sicherheit der falsche Weg.

(Beifall der AfD)

Schon jetzt hat das Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land massiv gelitten. Nach einer Umfrage des Allensbach-Instituts vor zehn Jahren hatten nur 47 % der Bürger den Eindruck, dass die Kriminalität in Deutschland zunimmt. 2014 waren es bereits 60 %, zur Zeit der Veröffentlichung der Umfrageergebnisse Anfang dieses Jahres waren es schon 69 %. Derartige Zahlen sind für einen Rechtsstaat auf Dauer nicht tragbar.

(Beifall der AfD)

Verstehen Sie mich nicht falsch. Der Bestand des Rechtsstaats ist nicht gefährdet, weil ein Laden-, Taschendiebstahl oder ein ähnliches Delikt nicht aufgeklärt wird. Wenn aber die Strafverfolgungsbehörden nicht mehr in der Lage sein sollten, die Einhaltung von Recht und Gesetz unabhängig von der Schwere des Delikts zu gewährleisten, beschädigt dies nachhaltig und dauerhaft das Vertrauen in den Rechtsstaat.

(Beifall der AfD)

Einfacher gesprochen: Wie will man dem Opfer eines Taschendiebstahls oder Internetbetrugs vermitteln, dass man zwar nicht in der Lage war, die Straftat zu verhindern und nicht in der Lage sein wird, sie aufzuklären, das Opfer aber weiterhin selbstverständlich an Recht und Gesetz gebunden ist und vor allem auch ehrlich und in vollem Umfang

seine Steuern zu zahlen hat?

(Beifall der AfD)

Ich sage es in aller Deutlichkeit:

(Glocke des Präsidenten)

Die Sicherheit seiner Bürger, der Schutz deren Eigentums, deren Freiheit und deren Gesundheit bis hin zum Schutz deren Lebens ist die Kernaufgabe des Staates.

(Beifall der AfD)

Die AfD fordert, den fehlenden Personalstand der Justiz ernst zu nehmen und entsprechend zu reagieren.

Vielen Dank.

(Beifall der AfD)

Als Nächstes darf ich den Fraktionsvorsitzenden der FDP, Herrn Abgeordneten Roth, ans Rednerpult bitten. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Klöckner, Sie zitieren die Allgemeinen Zeitung. Für mich ist die Frage, wer das überhaupt gesagt hat. Irgendjemand wird zitiert, ohne eine Quellenangabe zu nennen, dass die Justiz in diesem Fall nicht handlungsfähig sein solle.