Protocol of the Session on September 15, 2016

Zu einer weiteren Kurzintervention erteile ich Herrn Kollegen Paul das Wort.

Sehr verehrter Herr Minister! Der Vortrag war sehr interessant und sehr akademisch. Menschenrechte sind unveräußerlich. Deswegen fordern wir den Begriff der Freiwilligkeit in diesem Sachzusammenhang heraus. Ich glaube, dass in den Strukturen, in denen diese Vollverschleierung jetzt auftaucht, die Frau ganz grundsätzlich – da haben wir viele Äußerungen – als Wesen niederen Rechts betrachtet wird. In diesen Sachzusammenhängen, in diesen salafistischen Strukturen, kann es keine freie Entscheidung geben, so wie wir sie mit den Menschenrechten in Verbindung setzen.

Es sind patriarchalische Strukturen, in denen die Frau zur Unterwerfung gezwungen wird. Die Freiwilligkeit kann nur eine Scheinfreiwilligkeit sein. Sie müssen einfach mit der Realität so, wie sie sich in Deutschland leider entwickelt, Schritt halten und sich diese Strukturen anschauen. Wir reden nicht von dem Regel-Islam. Wir reden von den salafistischen Strukturen, die an Boden gewinnen. Es gibt so viele Äußerungen bezüglich der Frau. Schauen Sie sich die Videos diverser Hassprediger an. Sie sehen, da kann es keine Freiwilligkeit geben.

Ich runde ab. Menschenrechte sind unveräußerlich. Sie können nicht freiwillig abgegeben werden. Diese Freiwilligkeit, die Sie hier ins Feld führen, steht im Zwielicht.

Vielen Dank.

(Beifall der AfD)

Das Wort hat Herr Staatsminister Mertin.

Sehr geehrte Frau Kollegin Klöckner! Selbstverständlich werde ich hier nicht die Behauptung aufstellen; denn es ist in unserer Rechtsordnung allein die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts festzustellen, wie etwas letztendlich, wenn es Gesetz geworden ist, verfassungsrechtlich zu beurteilen ist. Ich habe deshalb nur eine Einschätzung abgegeben und mich bei dieser Einschätzung an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die ich an vielen Stellen zitiert habe, orientiert. Deshalb teile ich die Auffassung des Herrn Professor Hufen, den ich ansonsten wie Sie auch schätze, an der Stelle nicht.

Für ein solches generelles Verbot – nicht einzelne Sachen, da geht es; ich habe gesagt, dass man das durchaus prüfen und erwägen kann – halte ich – anders als Herr Hufen – das prozessrechtliche Risiko für erheblich höher als er. Ich gehe davon aus, dass es sehr schwierig sein dürfte, einen solchen Prozess generell zu gewinnen, weil Sie auch sehen müssen, dass das Bundesverfassungsgericht nicht nur einmal, sondern mehrfach ausgeurteilt hat, dass an

dere, die einen anderen Glauben haben, diese Form der Glaubensbekundung zu ertragen haben, wie umgekehrt derjenige, der seinen Glauben so bekundet, auch ertragen muss, dass es andere so nicht wollen und sich auch dagegen äußern, wie es ihr gutes Recht ist, es zu tun.

Das muss die Gegenseite auch ertragen. Das ist alles verfassungsrechtlich geschützt. Wenn man sich aber die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Glaubensfreiheit anschaut, ist das Risiko, verfassungsrechtlich zu scheitern, aus meiner Sicht sehr, sehr hoch. Man sollte sich vielleicht darauf konzentrieren, dort, wo es nötig ist und auch Sinn macht, im Einzelfall entsprechende Regelungen vorzunehmen. Gerne bin ich bereit, in eine solche Diskussion einzutreten.

Ich habe nur erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel, was das generelle Verbieten des Tragens einer Burka angeht. Da schlägt für mich das Argument, das Sie angeführt haben, auch die Gesellschaft und das Gegenüber müssen berücksichtigt werden, nicht so durch, weil das Bundesverfassungsgericht schon mehrfach entschieden hat, dass das Gegenüber das in einer offenen, wertneutralen Gesellschaft wie der unseren aushalten muss, so wie die Gegenseite auch ertragen muss, dass Sie nicht verschleiert und mit Burka durch die Gegend laufen.

(Heiterkeit bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Klöckner, ehrlich gesagt ist es mir lieber, wenn Sie so herumlaufen als verschleiert. Das gebe ich auch offen zu.

(Heiterkeit im Hause)

Es ist nicht meine Meinung, dass es begrüßenswert ist, dass eine Frau so entscheidet.

(Abg. Julia Klöckner, CDU: Ich habe eine kennengelernt!)

Frau Klöckner, alles was ich sage, gilt nur für den Fall, dass die Frau das freiwillig macht. Unter Zwang geht es bei uns nicht. Das Problem ist, das im Einzelfall zu beweisen, aber unter Zwang ist es heute schon verboten. Deshalb dürfte es schwierig sein, ein generelles Verbot an der Stelle einführen zu wollen.

Frau Kollegin Klöckner, es ging mir überhaupt nicht darum, das Kirchenrecht oder in irgendeiner Weise das, was die katholische Kirche macht, zu kritisieren oder zu sagen, es sei mit unserer Verfassung nicht vereinbar. Ich habe das nur als Beispiel dafür herangezogen, weil der Kollege der AfD gesagt hat, jedes Grundrecht müsse an der Stelle sozusagen berücksichtigt werden. Das ist eben im Rahmen der Glaubensfreiheit in dieser pauschalen Form nicht möglich und ist auch so nicht vorgesehen. Nur darauf wollte ich hinweisen. Auf staatskirchenrechtlichem Gebiet wollte ich mich an der Stelle überhaupt nicht bewegen. Das würde auch viel zu lange dauern. Das ist eine ganze Sache, die dann zu diskutieren wäre.

Ich möchte damit schließen, das ist dann letztlich Glaubenssache.

(Beifall der FDP, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Moment, Herr Minister. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fisch?

(Unruhe im Hause)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, normalerweise hat man eine Schicht von einer Stunde und 30 Minuten. Ich sitze hier seit 17:00 Uhr. Dann kommt man mit den Konsonanten auch einmal ins Zischeln.

(Beifall der SPD, der CDU, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister, es ist eine ganz kurze Zwischenfrage. Sie haben von der negativen Religionsfreiheit und der Tatsache, dass andere gewisse Formen von Religionsausübung ertragen müssen, gesprochen. Wie ist es dann zu erklären, dass man gerade im öffentlichen Bereich, auch für den Bereich der Justiz, für den Sie zuständig sind, in den vergangenen Jahren zunehmend alle Kreuze aus öffentlichen Räumen, wie Gerichtssälen etc., mit der Begründung entfernt hat, dass sie eben nicht in einer pluralistischen Gesellschaft anderen als Ausdruck einer bestimmten Religionsüberzeugung zuzumuten seien?

Das müssen Sie vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund sehen, dass unser Staat weltanschaulich neutral ist. Der Gerichtssaal ist ein staatlicher Saal. Das ist keine Kirche. Deshalb ist es dort üblich – so wird es in RheinlandPfalz gehandhabt –, dass dann, wenn jemand das beanstandet, das Kreuz für den Teil der Verhandlung, für den das beanstandet wurde, abgehängt wird. Danach kann es wieder aufgehängt werden.

(Abg. Martin Haller, SPD: Das ist eine ganz einfache Geschichte!)

Das ist aber Ausfluss der weltanschaulichen Neutralität unseres Staats. Der Gerichtssaal ist nun einmal weltanschaulich neutral.

(Beifall der FDP, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Martin Haller, SPD: Sehr gut! )

Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Wird Ausschussüberweisung gewünscht?

(Zurufe von der SPD: Nein, Abstimmung!)

Dann steigen wir direkt in die Abstimmung ein. Wir stimmen zunächst über den Antrag der Fraktion der AfD „Gesetzliches Verbot der Vollverschleierung in der Öffentlichkeit“ – Drucksache 17/913 – ab. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Wer

stimmt dagegen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der SPD, der CDU, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der AfD abgelehnt.

Dann kommen wir zur Abstimmung über den Alternativantrag der Fraktion der CDU „Offenes Visier in einer offenen Gesellschaft: Vollverhüllung widerspricht der Gleichberechtigung der Frau, verhindert Integration, fördert Parallelgesellschaften und missachtet das Gegenüber“ – Drucksache 17/972 –. Wer diesem Antrag zustimmen möchte,

den bitte ich um das Handzeichen! – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Alternativantrag ist mit den Stimmen der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der CDU bei Enthaltung der AfD abgelehnt.

Damit ist der heutige Sitzungstag beendet. Wir treffen uns morgen wieder zum dritten Sitzungstag um 09:30 Uhr.

E n d e d e r S i t z u n g : 1 9 : 2 0 U h r.