Protocol of the Session on September 15, 2016

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Zu den Anträgen darf ich namens der Landesregierung zunächst Folgendes anmerken:

Ich weiß, niemand, der heute zu diesem Thema gesprochen hat, wollte die Behauptung aufstellen; aber wer unbefangen zugehört hat, konnte vielleicht den Eindruck gewinnen, es sei in Deutschland gestattet, eine Frau zu zwingen, irgendetwas zu tragen, sei es ein Kopftuch, eine Burka oder welches Kleidungsstück auch immer. Nein, das ist in Deutschland heute schon nicht erlaubt, es ist verboten.

(Beifall der FDP, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich wollte es nur klarstellen, das ist Rechtslage. Dies mag im Einzelfall schwer zu beweisen sein, das räume ich ein; aber es ist Rechtslage in Deutschland, dass eine Frau nicht gezwungen werden darf, irgendein Kleidungsstück, welches auch immer, zu tragen.

Wenn Sie also ein allgemeines Verbot der Vollverschleierung in Deutschland einführen wollen, müssen Sie sich mit der Begründung auseinandersetzen, die die eine oder andere Frau dann in diesem Zusammenhang vorbringen wird, so, wie sich auch das Bundesverfassungsgericht bereits mit dieser Begründung im Zusammenhang mit dem Kopftuch auseinandersetzen musste. Deshalb muss, wenn man diese Forderung aufstellt, natürlich berücksichtigt werden, ob es im Rahmen unserer Verfassung zulässig ist, so etwas zu machen, und ob es im Rahmen unseres Grundgesetzes möglich ist. Dazu ist meine Meinung, dass es eher schwierig ist, dieses in Deutschland durchzusetzen, um es vorsichtig zu formulieren; denn letztendlich ist es Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts festzustellen, was in Deutschland von Verfassungs wegen geboten ist oder nicht.

Aber wenn man sich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auseinandersetzt – die Richter haben sich mit Religionsfreiheit in einer Vielzahl von Urteilen auseinandergesetzt –, muss man festhalten, dass es in Deutschland nicht zulässig ist, die Religionsfreiheit durch ein direkt gegen den Glauben oder die Religionsfreiheit gerichtetes Gesetz zu beschränken. Dies gilt insbesondere, wenn sich die Beschränkung gegen eine bestimmte Religion oder einen bestimmten Glauben richtet.

Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes – so das Bundesverfassungsgericht – ist gekennzeichnet von Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen und gründet dies auf ein Menschenbild, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geprägt ist.

(Beifall der FDP)

Nach Artikel 4 unseres Grundgesetzes sind die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich und die ungestörte Religionsausübung gewährleistet.

Geschützt ist damit nicht nur die private Ausübung des Glaubens, so das Bundesverfassungsgericht, sondern auch dessen öffentliche Bekundung. Auch das Tragen besonderer Kleidung kann als Ausdruck der religiösen Überzeugung dem Schutz dieses Grundrechts unterfallen.

Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion und Weltanschauung zu betrachten ist, kommt dem Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers maßgebliche Bedeutung zu, so das Bundesverfassungsgericht.

Nach der Rechtsprechung kann eine Verschleierung ein religiöses Bekenntnis sein. Das muss es nicht. Es kann auch ein Zwang dahinter sein. Dann ist es heute schon verboten.

(Abg. Joachim Paul, AfD: Es wird aber nicht durchgesetzt!)

Ich schilderte Ihnen nur, was gilt, wenn eine Frau behauptet, sie tue es freiwillig. Darum geht es. Wenn Sie es generell verbieten wollen, wollen Sie es auch der Frau verbieten, die es freiwillig tut. Das müssen Sie am Maßstab der Verfassung nun einmal messen. Es kommt kein Weg daran vorbei.

Das Bundesverfassungsgericht hat dies für das Kopftuch zum Beispiel bejaht und betont, es komme nicht auf die umstrittene Frage an, ob und inwieweit die Verschleierung für Frauen von Regeln des islamischen Glaubens vorgeschrieben ist. Damit greift das Argument auch im vorliegenden Antrag nicht durch, wonach ein aktuelles Gutachten aus Kairo bestätigen soll, dass es keinen religiösen Grund für einen Gesichtsschleier gebe. Es gibt eben im Rahmen des Islams auch andere Ausrichtungen. Deshalb muss das von Verfassungs wegen beachtet werden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht kommt bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion und Weltanschauung zu betrachten ist, dem Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers maßgeblich Bedeutung zu.

Das bedeutet jedoch nicht, dass jedes Verhalten einer Person als Ausdruck der Glaubensfreiheit angesehen werden muss, wenn die Person dieses nur so darstellt. Die staatlichen Organe dürfen sehr wohl prüfen und entscheiden, ob hinreichend substanziiert dargelegt ist, dass sich das Verhalten in plausibler Weise dem Schutzbereich der Religionsfreiheit zuordnen lässt, dass es also tatsächlich eine als religiös anzusehende Motivation hat.

Es ist dem Staat verwehrt, derartige Glaubensüberzeugungen seiner Bürger zu bewerten oder gar als „richtig“ oder „falsch“ zu bezeichnen. Dies gilt insbesondere dann, wenn hierzu innerhalb einer Religion divergierende Ansichten vertreten werden, wie dies hier der Fall ist.

Ein Bedeckungsgebot wird im Islam teilweise als unbedingte Pflicht eingeordnet und von anderen als nicht verpflichtend angesehen. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, an dieser Stelle zu entscheiden, welche Religionshaltung die richtige Haltung ist. Es ist Ausdruck der Glaubensfreiheit. Das muss der Einzelne und die Trägerin dann selbst entscheiden.

(Zurufe von der AfD)

Dazu komme ich auch, dass andere Grundrechte tangiert sein können. Dann müssen Sie es sorgfältig durchprüfen und Ihr Argument auch gegen die katholische Kirche gelten lassen. Es gilt das Grundrecht der Gleichheit von Mann und Frau. Die katholische Kirche verwehrt aber den Frauen den Zugang zum Priesteramt, ohne dass wir das von Verfassungs wegen als Verletzung ansehen. Ich wollte Ihnen nur darstellen, dass das ein Unterschied ist und Sie nicht einfach sagen können, die Grundrechte würden per se und immer die Glaubensfreiheit aus den Angeln heben.

(Beifall der FDP und der SPD)

Damit will ich auch nicht gesagt haben, dass die katholische Kirche von sich aus deshalb jetzt gezwungen wäre, ihre Haltung zu ändern. Es ist Ausdruck ihrer Religionsfreiheit zu entscheiden, wie sie es halten will.

Die Religionsfreiheit ist in unserem Grundgesetz zwar vorbehaltlos gewährleistet, sie findet – darauf haben Sie auch hingewiesen – aber in den kollidierenden Grundrechten Dritter und in den Rechtsgütern mit Verfassungsrang eine Grenze. Aber nicht jedes Mal, wenn diese betroffen sind, ist diese Grenze auch erreicht. Das muss man berücksichtigen.

Das Grundrecht der Religionsfreiheit beinhaltet auch die sogenannte negative Religionsfreiheit. Diese beschreibt das Recht, keinem religiösen Bekenntnis anzuhängen und nicht zur Teilnahme an religiösen Handlungen gezwungen zu werden. Sie könnte unter Umständen gebieten, extreme Formen der Religionsausübung in der Öffentlichkeit zu unterbinden.

Ob das Tragen der Burka eine solche extreme Form der Religionsausübung darstellt, halte ich allerdings für fraglich; denn in dem freiheitlichen, von Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen gekennzeichneten Staat des Grundgesetzes hat der Einzelne grundsätzlich kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen verschont zu bleiben. Das hat das Bundesverfassungsgericht so festgestellt. Das ist keine Bemerkung von mir.

Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass der Einzelne grundsätzlich kein Recht darauf hat, von fremden Glaubensbekundungen verschont zu bleiben. Das bedeutet aber umgekehrt auch, dass niemand von uns, nur weil jemand eine Burka trägt, gezwungen ist, auch eine Burka zu tragen. Die Burkaträgerinnen müssen auch ertragen, dass die allermeisten Frauen in Deutschland diese ablehnen und dies anders sehen. Auch die müssen diese Form der Glaubensbekundung ertragen.

(Beifall der FDP und der SPD)

Von der Frage eines generellen Verbots zu trennen ist allerdings die Frage, ob nicht im Einzelfall in bestimmten Bereichen aus Gründen, die sich aus der Verfassung ergeben, seien es andere Grundrechte oder andere verfassungsrechtliche Kautelen, die zu berücksichtigen sind, eine Einschränkung des Burkatragens geboten ist.

Sie werden mir sicherlich zustimmen, dass es beim Grenzübertritt die Aufgabe des Staates ist festzustellen, wer über die Grenze schreitet und insoweit für einen Moment zumindest das Tragen der Burka unterbunden werden muss, um die Identität festzustellen. Das Gleiche dürfte im Rahmen einer Polizeikontrolle zu berücksichtigen sein.

Ebenso ist es im Hinblick auf die Neutralität des Staates sicher so, dass jemand, der bei Gericht als Richter dort sitzt, im Interesse der Neutralität des Staates dann solche Kleidung nicht tragen kann. Es muss auch überlegt werden, ob eine Zeugin, die vor Gericht auftritt und ihr Gesicht verschleiert, nicht in dem Moment, in dem sie als Zeugin aussagt, diesen Schleier abnehmen muss, um in dieser Gerichtsverhandlung prüfen zu können, inwieweit ihre Mimik usw. mit dem, was sie aussagt, auch übereinstimmt.

Das sind Dinge, die im Einzelfall zu prüfen sind, ohne dass ich dies jetzt abschließend für jeden einzelnen Fall bewerten möchte. Ich möchte nur festhalten, dass es verfassungsrechtlich außerordentlich schwierig sein dürfte zu begründen, einer Frau, die freiwillig aus religiösen Gründen eine Burka trägt und dieses auch glaubwürdig darstellt, zu verbieten, eine Burka zu tragen. Gezwungen werden darf sie dazu nicht.

(Beifall der FDP und der SPD)

Es liegen zwei weitere Kurzinterventionen vor. Zunächst erteile ich Frau Kollegin Klöckner das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Mertin, ich danke für die sehr sachlichen Ausführungen. Wir kommen an gewissen Punkten der Interpretation oder der Wahrscheinlichkeitsabschätzung zu anderen Schlüssen. Ich finde auch gut, dass Sie anders als Frau Kollegin Lerch gesagt haben, dass Sie nicht hundertprozentig wissen, wie das Verfassungsgericht entscheiden wird. Sie sagen nämlich, es würde eher schwierig sein.

Ich finde, die Erbschaftssteuer zu regeln, ist auch eher schwierig. Es ist zum Beispiel schwierig, ob sie verfassungsfest ist. Das ist auch mit anderen Gesetzen so. Es ist häufig so, dass etwas eher schwierig sein kann. Insofern fand ich auch Ihre offenen Worte dazu gut, dass Sie es nicht hundertprozentig sagen können.

Ich will aber noch einmal eines deutlich machen. Sie hatten Bezug genommen, um in der Geschichte und der Logik des Verfassungsgerichts zu bleiben, was zum Beispiel das Thema des Kopftuches anbelangt. Da bin ich bei Ihnen. Das Kopftuch will keiner verbieten. Ich finde es auch total überzogen, wie Frankreich mit dem Burkiniverbot am Strand

vorgegangen ist. Hier geht es um die Vollverschleierung. Das Gesicht zu verschleiern, ist etwas komplett anderes, als eine Analogie zum Kopftuch herzuholen.

Ein zweiter Punkt ist, wenn Sie sagen, es wird eher schwierig sein, wenn sich eine Frau freiwillig verhüllen will. Es gibt aber drei Komponenten. Die eine ist der Wille der Frau. Es gibt immer noch die Frage des Integrationshemmnisses und des Gegenübers, des Umfeldes. So hat auch der EuGH 2014 entschieden gehabt, weil die Komponente des Gegenübers, die womöglich mit diesem freien Willen konfrontiert wird, dann immer noch eine Rolle spielt und hier Freiheit gegen Freiheit konkurriert.

Herr Mertin, so ist am Ende auch das Thema, das Sie vorhin ansprachen, dass es eine Zumutung sein kann. Diese muss man hinnehmen, wenn der Glaube so gezeigt wird. Es kann für jemanden auch ein Glaube sein, dass er nackt durch die Straßen läuft. Es kann auch ein Ausdruck seines Glaubens sein. Dennoch wird die Umwelt konfrontiert. Deshalb sah sich der Gesetzgeber gezwungen, so etwas zu regeln. Wo Menschen zusammenkommen, gibt es Regeln.

Ich will zu einem letzten Punkt kommen, weil er mich schon ein bisschen irritiert, nämlich die Analogie zum Kirchenrecht und Ihre Analogie zur katholischen oder evangelischen Kirche. Ich will eines ganz deutlich sagen: Wir nehmen nicht auf ein Ritual innerhalb der Moschee Bezug. Wir nehmen keinen Bezug darauf, ob Frauen rechts oder links sitzen, ob sie getrennt sind oder auf Ämter Zugriffe haben. Wir befinden uns mit unserem Ansinnen rein im öffentlichen Raum und Leben. Darum geht es.

(Beifall der CDU und der AfD)

Herr Minister Mertin, wenn Sie auf das Kirchenrecht

(Glocke der Präsidentin)

und das Thema Frauenordination abstellen, dann kommen die kirchenrechtlichen Fragen. Da können wir auch gern hingehen. Das ist aber nicht der Punkt.

Frau Präsidentin, ich möchte damit abschließen.

Herr Mertin, ich schätze Sie als Juristen, und ich denke, Sie schätzen auch den Juristen Professor Dr. Friedhelm Hufen, emeritierter Professor für öffentliches Recht, Staatsund Verwaltungsrecht. Es ist nicht irgendein dahergelaufener Jurist.

(Zurufe von der SPD: Redezeit!)

Dieser war am Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz. Er sagt – damit will ich schließen und hätte gern Ihre Einschätzung dazu –: Insgesamt kann ein auf Verfassungsebene sorgfältig begründetes Verbot der Vollverschleierung auch einer kritischen Würdigung durch das Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte standhalten, weil die Vollverschleierung eine extreme Absage an die Gleichberechtigung der Frau ist.

(Beifall der CDU und der AfD)

Zu einer weiteren Kurzintervention erteile ich Herrn Kollegen Paul das Wort.